#5
Wie tief war dunkel? Wie weit konnte man Schwimmen bis man ertrank? Bis die Ungeheuer den Menschen in die Tiefe davonzogen? Vielleicht geschah nichts von alledem. Man schwamm einfach weiter, immer weiter und bemerkte nicht, wie man selbst das Ungeheuer wurde, bis es zu spät war. Bis die offene See Herz und Verstand gefangen hielt, die dunkle und sternenlose Nacht den Weg zurück nicht mehr erkennen ließ. Wer zum Grund des Dunkel tauchte, den erwartete nichts, der war ein einfältiger Narr, der begriff nicht, dass es keinen Grund gab. Keinen Anfang. Das Dunkel existierte stets und ständig, es besaß keinen Anfang, weil es der Anfang war. Schwarz war die Geburt der Galaxis und allen Lebens. Bis es Zeit wurde, dass die Dinge wieder endeten und sich das finstere Leichentuch wieder herabsenkte. Es war noch nicht genug - noch lange nicht. Firrerre mochte zerstört sein, aber es reichte nicht. Schrecken fraßen Schrecken, ein jeder der folgte musste noch größer sein, musste in noch schnellerer Abfolge die Bühne betreten. Ungeduld griff in ihr Herz, wie ein quengelndes Kind, das unbedingt zurück zu seinen Freunden wollte um mit ihnen zu spielen. Reah wollte zurück zu den Welten. Zurück dahin wo sie brennen konnten, mehr von ihnen, mehr Tote um sie zu füttern. Irgendwann mochte es genug sein, irgendwann mochte der Schatten entschieden haben, dass im Tod weder Befriedigung noch Genugtuung lagen, doch noch nicht. Noch wärmte es das Blut, wenn die Wehrlosen starben, die Schwachen und Verachtenswerten. Man konnte sich in den Leichenbergen suhlen, sich an ihrem Gestank erfreuen und am fauligen Fleisch ergötzen, denn am Ende war dieser Zustand den beiden düsteren Gestalten auf diesem Zustand vertrauter und ähnlicher, als das Atmen, Lächeln, der Alltag des normalen Lebens. Begriffen die Kreaturen das normale Leben noch? Wohl kaum, selbst Reah schon viel es schwer die Banalität des Alltags zu beobachten, ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Für Personen, deren absoluter Fokus nur noch auf sich selbst lag, waren derartige Nichtigkeiten im besten Falle belanglos. Meistens aber, realisierten sie das soziale Miteinander nicht einmal mehr. Macht war alles, dass eine Rolle spielte, doch schwieg die Dunkelheit wofür diese Macht gebraucht wurde, warum so viel geopfert werden musste. Sie waren die blinden, die hochsprangen und gierig danach griffen, ohne es zu verstehen. Kinder der Nacht, die nicht reiften, weil ihre Ausgeburt bereits faulig war.

Der Imperator schwieg. Stille erfüllte den Raum, die kniende Inquisitorin wirkte mehr wie eine Statue. Vesperum hätte in diesem Moment allein sein können, es änderte nichts. Das Herz des Schattens schien kaum noch zu schlagen, zuckte nur langsam und ruhig, leise und versteckt. Als schämte und fürchtete es sich davor im Reich des Todes entdeckt zu werden. Es waren die Teile des Puzzles, die nicht passten, die Lücken ließen, bis man so lange auf sie einschlug, sie kaputtschlug, bis sie sich fügten. Und doch waren sie auch ein Teil der Dunkelheit. Sie waren die Mühle, der Mechanismus, der das Gift durch die Adern pumpte, dass die Verderbnis brachte. Nährboden der Finsternis, aber kein direkter Teil von ihr.
Kälte kroch in sie herein. Der Giftfluss stockte und vereiste langsam. Vielleicht fror er bis zum Herzen ein, veschloss die Pumpstationen und zerstörte es am Ende. Das tat nichts zur Sache. Kälte war alles. Kälte war die Dunkelheit. Sie war das, was den Jüngern der Nacht als letztes blieb. Leidenschaft brannte schnell aus, Hass verzehrte sich selbst, doch darunter verborgen lag die kalte Grausamkeit, die immer blieb. Es war etwas, das sich nicht ablegen oder befriedigen ließ. Grausamkeit spann Brücken, dichte Netze, die alle verbunden. Sie erhob sich zu Moral, machte das tumbe Volk zur Waffe der Dunkelheit selbst. Der Wunsch der Dunkelheit wurde gesellschaftliche Norm, der letzte Schritt totaler Kontrolle. Die Schatten verloren nicht, wie Reah wusste. Sie mussten nur genug Schrecken schaffen, die Barbarei in den Salon treiben, die Diplomatie ausrotten. Sie brachten einen feingeschliffenen, hell strahlenden Diamanten in seinen düsteren, tristen, Rohzustand zurück. Hässlich und schwer, unförmig. Aber doch ein seltener Fund, ein seltenes Gut, das vereinzelte Glückseligkeit versprach.

Das Eis seiner Hände kroch weiter durch den Körper, bis hinab in die Füße. Wie an Fäden, an welchen das Leben hing, das er ihr entriss, erhob sich die Puppe langsam. So weit verloren im Dunkeln, spürte der Schatten den Verlust kaum, die kleinen Teile die sich lösten, bis eines Tages nichts mehr übrig wäre. Doch im Beisein des Imperators verschwand ohnehin alles, hier verkroch sich das innerste, fürchtete die Kreatur, die um sie herumschlich, könnte urplötzlich zuschnappen. Was blieb war wieder nur Leere, nur ein Gefäß, das neu befüllt werden musste. Mit Gedanken, mit Blut, damit es weiterhin funktionierte. Nur einzelne Aspekte lugten von Zeit zu Zeit hervor, versprachen die Illusion davon, die Inquisitorin wüsste, was sie hier tat und ließ sich nicht einfach auf der schwarzen See treiben. Verloren für alle Zeit. Neugier flammte auf. Der glitzernde Edelstein unter der Wasseroberfläche, nur ein Tauchgang, noch einmal tief hinab ins Dunkel. "Die Wahrheit...?", hauchte sie erschreckend tonlos nach, neigte ihm ihr Haupt entgegen, um die große Weisheit zu empfangen. Es gab keine Wahrheit. Nicht hier. Und auch sonst nicht. Alles war eine Lüge. Wenn viele Leute jedoch der gleichen Lüge aufsaßen, entstand die fälschliche Auffassung, es könnte eine Wahrheit sein. Wahrheit war eine Illusion, wie Licht. Alles war eine Lüge, ein Theater, vom Dunkel geschaffen, sie alle an der Leine zu halten. Was blieb war der Nährboden der Dunkelheit, Angst und Verwirrung, Kraftspender in der Not und unzerstörbare Fesseln. Niemand entkam aus dem finsteren Schlund.
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