#22
Es war schwierig festzustellen, was es bedeutete in all diesem Wahnsinn überhaupt weiterhin Mensch zu sein. Im Guten wie im Schlechten. Es war so viel einfacher, keiner sein zu wollen. Und doch war es schwierig, keiner sein zu können. Die Maschine bekam Risse, mehr und mehr. Der harte Schutzpanzer, der so viel erleichtern sollte. Nein, nicht nur sollte… er hatte es auch. Aber es war unklar, wie es möglich sein sollte, ihn in dieser Situation weiterhin tauglich als Schild zu verwenden.

Cassio atmete tief durch, als Admiral Vaash auf den einen freien Stuhl deutete. Anders als der Admiral dachte, hatte Glück damit nichts zu tun. Ihm war der Appetit vergangen. Irgendwann mochte der Hunger so weit Überhand nehmen, dass das keine Rolle mehr spielte und es zur freudlosen Notwendigkeit wurde, doch dieser Moment war nicht jetzt. Womöglich im Laufe des Abends. Oder im Verlauf des morgigen. Wer wusste das schon. Dennoch trat Cassio an den ihm dargebotenen Stuhl am Tisch heran, den Droiden an seiner Seite völlig ignorierend. Er nahm jedoch zunächst noch nicht Platz, stattdessen stützte er sich mit beiden Händen nach vorne gebeugt auf dem Tisch ab, den Blick eisern auf die Tischplatte gerichtet. Der Tonfall des Admirals war ihm nicht entgangen. Abscheulich. Ein weiterer Stich in die Wunde. Die Maschine wollte nicht umsorgt werden, sie wollte kein Mitleid, kein Verständnis. Sie hatte zu funktionieren, von selbst. Es war der denkbar schlechteste Augenblick für dieses Treffen. Cassio wusste um seine offene Flanke – und alles und jeder würde damit seine gesamte Schlachtordnung aufräumen können, ehe die Lücken wieder geschlossen werden konnten.

Dann jedoch geschah etwas Unerwartetes. Jemand… bot Verstärkung an. Cassios Blick hob sich zunächst nur ein marginales Stück von der Tischplatte an, noch nicht auf den Admiral gerichtet. Irgendetwas passierte dabei aber merklich in Cassios Gesicht, wenngleich zunächst nicht klar schien, was es war. Nur einen kurzen Moment hoben sich seine Augen weiter an, umfassten das Gesicht von Tiberius Vaash in diesem Moment. Der alte Mann. Er hatte seinen Blick offenbar durchgehend auf ihm gehabt. Ein kurzes, wortloses Nicken Cassios. Doch nach einem Augenblick war seine erste Reaktion eine andere.
„Raus“, befahl er nämlich den Droiden in den Raum hinein, durchaus lautstark, sie geradezu anherrschend, beinahe so als hätte er selbstverständlich die Befehlsgewalt über diese inne. Diese ließen anfänglich etwas irritiert von ihren Tätigkeiten ab und drehten ihre Rezeptoren zuerst auf Cassio, dann auf Admiral Vaash. Als keine Widerrede hierzu kam, brauste ein Droide nach dem anderen schließlich aus dem Raum heraus. Die Tür schloss sich zischend, für den Moment. Es dauerte im Anschluss einige Atemzüge lang, ehe Cassio sich nach dem Abklingen des Zischens der Türe wieder bewegte, sich gesammelt hatte, um das heikle Thema anzusprechen. Er musste jetzt äußerst aufpassen, nicht etwas Falsches zu sagen – so hatte er kein Interesse daran, dass irgendein Droide hiervon gegebenenfalls noch etwas aufschnappte und im Speicher sicherte, um später ausgelesen zu werden. Deren Anwesenheit war daher unerwünscht gewesen. Paranoia womöglich – doch das war etwas, das man sich durch die Dienstzeit im Imperialen Zentrum wohl notwendigerweise allmählich aneignete.
„Familie“, antwortete er zunächst nur bitter. Er spürte, wie seine Zähne übereinander mahlten in Frustration. Cassio wusste von früher, dass der Admiral selbst Familie und Kinder hatte, wenn er auch mit diesem seiner Erinnerung nach nie selbst darüber gesprochen hatte. Allerdings, soweit sich insoweit nichts geändert hatte, keines davon unmittelbar bedroht, direkt in den Krieg ziehen zu müssen. Dennoch verstand er vermutlich Dinge deswegen anders als eine Einzelgängerin wie Sloane. Er klopfte einmal mit den Fingerknochen gegen die Tischplatte, nicht fest allerdings.
„Meine Tochter hat sich für Anaxes eingeschrieben.“
Er schnaubte kurz, als würde ihn dieser Fakt amüsieren – was es, vielleicht, in gewisser Hinsicht sogar tat, weil er es in dieser Situation schlichtweg als absurd empfand. Aber nachdem Vaash bereits zuletzt eine zuvor nicht vorhandene zynische Ader bei Cassio entdeckt hatte, war für ihn wohl nicht überraschend, dass es stattdessen mehr in eben diese Richtung abdriftete.
„Obwohl ich es verboten hatte. Man könnte meinen, sie möchte unbedingt den Heldentod sterben, solange es noch Gelegenheit dazu gibt.“
Wenigstens würde eine leichte Sehschwäche auf einem Auge wohl dazu führen, dass sie nicht für die Piloten in Betracht kam. Hier sah man in letzter Zeit den größten Absturz der Überlebensrate, vermutlich aus dem Grund heraus, dass die Anforderungen an das Bestehen der Flugschulen drastisch reduziert werden mussten. Doch ob man andererseits alternative Verwendungen wirklich als sicherer ansehen konnte, war fraglich. Sein Mund veränderte sich etwas, als müsse er etwas ausspucken.
„Dieses…“
Er stoppte im Satz noch einmal, musste dann aber den Kopf schütteln und schien es doch nicht zurückhalten zu können.
„Dieses dumme Kind“, fuhr er dann also unverblümt fort, wobei seine Derbheit durch einen verbitterten Tonfall zumindest ein wenig relativiert werden konnte. Es schien ihn mehr zu ärgern, dass sie diese Entscheidung getroffen hatte, als es wortwörtlich zu meinen. Aus dem Grund senkte er seinen Blick auch wieder vollständig in Richtung der Tischplatte, beugte sich weiter nach vorne und stützte sich nun mit beiden Unterarmen auf den Tisch. Eine Weile verblieb er so in dieser Position, gedankenverloren. Dann schloss er kurz die Augen. Er war Militär. Er war eigentlich dafür bekannt, sich keine politischen Entscheidungen anzumaßen oder diese zu bewerten. Doch vielleicht war es keine Überraschung, dass es, hier und jetzt, in dieser Situation einmal anders war. Sein Blick hob sich zu dem älteren Offizier, seinem Vorgesetzten bis auf Weiteres, an, die Augenbrauen in einen strengen Gesichtsausdruck angewinkelt.
„Vaash“, begann er langsam. „Meinen Sie, es ist langsam an der Zeit, Schluss zu machen? Solange wir überhaupt noch so etwas wie eine Verhandlungsbasis gegenüber dem Feind besitzen?“
Einen kurzen Moment fielen seine Augen wieder ab, als er einen Gedanken fasste und ihn sortierte. Dann erneut richteten sich die Augen wieder auf den Admiral.
„Oder haben wir diesen Zeitpunkt bereits verpasst?“
Manche Wege war man schon so weit gegangen, dass ein Umkehren nicht mehr in Frage kam, vielleicht auch schlechterdings einfach nicht mehr möglich war, selbst wenn er in den Abgrund zu führen schien. Die Frage war, selbst wenn die Rebellen sich auf einen Waffenstillstand einlassen würden – wer wäre aus imperialer Sicht überhaupt berechtigt, einen solchen auszuhandeln? Zweifellos der Imperator selbst und doch schien es nur schwer vorstellbar, dass die Rebellion einen Frieden unter seiner Prämisse überhaupt aushandeln würde, wenn man insbesondere die Vorkommnisse der letzten Monate bedachte. Die Exekution von Kriegsgefangenen, die auch noch von Ishin-Il-Raz geradezu zelebriert worden war, dürfte kaum dazu führen, dass ein Frieden mit der aktuellen imperialen Regierung noch möglich war oder allenfalls unter Übergabe und anschließender Strafverfolgung eben dieser Regierung wegen Kriegsverbrechen. Das machte aber den Anreiz für diese, einen Frieden zu schließen, sicherlich nicht gerade attraktiv. Und die Folge daraus war: Es gab nur die Möglichkeit eines totalen Sieges und parallel dazu der totalen Niederlage einer der beiden Kriegsparteien. Das war nun aus imperialer Perspektive sicherlich nichts Neues: Natürlich war die vollständige und nachhaltige Zerschlagung aller aufständischen Elemente immer schon als Maßgabe für das Ende des Krieges ausgegeben worden. Und doch waren diese Kriegsziele in anderen Zeiten festgelegt worden. Wahrscheinlich sprengte eine Anpassung eben dieser Ziele aber auch das Imperium auseinander, das aktuell der Kampf gegen die Rebellen und das Versprechen der Sicherheit in einer vereinten Galaxis zusammenhielt. Wenn es das nicht mehr gab, was hatte das Imperium den Bürgern noch anzubieten? Allein, es war Aufgabe der Politiker, dieses Problem im Sinne des Imperiums lösbar zu machen. Wenn nicht noch ein Wunder geschah, war die Vorstellung vom vollständigen Sieg gegen die Rebellen militärisch nicht mehr haltbar, so sie das – rückblickend betrachtet – überhaupt einmal gewesen war. Spielte das aber aktuell überhaupt für die Entscheidungsträger eine Rolle? Niemand wusste es.
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Ithor - von Protokolldroide - 02.05.2020, 17:18
RE: Ithor - von Tiberius Vaash - 02.05.2020, 17:47
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