#20
Keine Reaktion. Ein erneuter Druck auf die Taste.

Verbindung wird hergestellt…

Es passierte nichts. Minutenlang.

Verbindung fehlgeschlagen.

Wieder ein Druck auf die Taste, mehrfach diesmal, fester.

Verbindung wird hergestellt…

Verbindung fehlgeschlagen.

Mehrfaches lautstarkes Hämmern auf die Taste.

Verbindung wird hergestellt…

Verbindung fehlgeschlagen.

Keine Reaktion. Cassio saß mittlerweile auf dem Bett in seinem Gastquartier, als der letzte Fehlschlag gemeldet wurde. Stumm starrte er mit bis zur Schmerzgrenze aufeinandergepressten Kiefern in die Leere des Zimmers hinein, sein Körper zittrig. Ein brodelnder Vulkan vor dem Ausbruch. Das Datapad in seinen Händen nahe am Zerbrechen festgeklammert.
„Diese verdammten Schweine“, knurrte er ziellos in den Raum, in einer üblen Mischung aus Abscheu und Fassungslosigkeit. Das Datapad bog sich leicht in seinen Händen. Sein Mund verzog sich und machte sein Gesicht zu einer bloßen wütenden Fratze. Im nächsten Moment donnerte das Datapad auf den Boden und zersprang dort in tausend Teile. Er wusste nicht, wie lange er auf dem Bett saß und die Scherben uneingedenk seiner Umgebung betrachtete. Vielleicht eine halbe Stunde, vielleicht länger. Irgendwann musste er, wenn auch ohne jeden konkreten Plan, jedoch aufstehen, und ging gedankenlos durch das Quartier. Das Glas des Displays knackte unter seinen Stiefeln, immer wieder, während er im Zimmer herumkreiste. Doch die Zeilen vor seinen Augen verschwanden nicht, ganz gleich wie viele Kreise er zog. Etwas später fand er sich wieder auf dem Bett sitzend wieder, fast so als hätte er einige Minuten gar nicht realisiert. Er fühlte sich erbärmlich. Schwer zu sagen, wie lange er da so saß, nach vorne gebeugt, die Hände in den Haaren vergraben. Verzweiflung breitete sich in ihm aus, ein Gefühl, das er sehr lange nicht mehr gespürt hatte, zumindest nicht in dieser Form. Und doch kam es sofort wieder, die Erinnerung daran. Er stieß etwas Luft aus, vielleicht um diese abzustoßen, doch wenn das der Versuch war, so scheiterte er. Im Gegenteil, beim darauf folgenden Einatmen roch er die Luft von Anaxes wieder, das Haus an der Klippe, der Duft hölzerner Wände. Cassio biss sich auf die Lippe, als seine Gedanken auf den dunklen Schemen einer verbotenen Erinnerung abdrifteten, der an einem Tisch saß und zu ihm hoch sah.
„Schon zurück?“, hörte er sich selbst fragen, freudig überrascht.
Der Schemen öffnete den Mund zur Antwort.

Cassio riss sofort die Augen auf, zwang sich dazu. Sein Herz pochte unregelmäßig, die Augen fühlten sich wie aufgequollen an, während ihm der Schweiß über die Stirn zu laufen begann. Sein Unterkiefer schob sich unwillkürlich ein Stück nach vorne. Mit dem Ärmel fuhr er sich über die feuchten Augen, während er aufstand und in Richtung der Kommunikationskonsole an der Wand ging. Er musste etwas tun, ohne Zweifel. Doch sein Handlungsspielraum war klein. Er nahm Abstand von den vorherigen erfolglosen Versuchen, Anaxes zu kontaktieren und ließ über seinen Codezylinder stattdessen eine Verbindung ins Zentrum öffnen. Es dauerte nicht lang, ehe die Verbindung hergestellt und angenommen wurde. Auf dem Bildschirm der Konsole erschien Konteradmiral Sentryn Kallice, seine Nachfolgerin als Chef des Flottenstabs. Etwas zerfurchter im Gesicht als er sie kannte. Dennoch war sie es, die zunächst genau hinsehen musste.
„Cassio?“, sagte die uniformierte Frau dann im Bildschirm, Überraschung in ihrer Stimme. Ein kurzer Blick auf ihre Uniform verriet ihm, dass man sie wohl noch nicht befördert hatte, obwohl sie seine Position eingenommen hatte. Sie blinzelte einige Mal und ihm wurde erst recht klar, dass er offensichtlich übel aussah, wodurch sie offensichtlich Mühe hatte, ihn überhaupt zu erkennen. Einerlei.
„Wir müssen reden“, erwiderte er lediglich, ohne jede Anstalten einer Begrüßung.
Sie sah ihn weiter an, nickte dann knapp, ehe sie sich kurz umblickte.
„Ich verstehe. Einen Moment.“
Die Verbindung riss ab. Es dauerte einen langen Augenblick in der Dunkelheit seines Quartiers, ehe die Verbindung von außen erneut hergestellt wurde. Er nahm das Gespräch mit einem Knopfdruck an.
„Nun können wir reden“, sagte Kallice dann, nachdem ihr Bild wieder auf dem Bildschirm erschienen war. „Ich nehme an, es geht um…“
„Ja. Genau darum.“
Erneut nickte sie, sah betreten dabei aus, aber sagte zunächst nichts. Offensichtlich schien sie nach Worten zu suchen. Als keine folgten, schob sich Cassio näher an die Konsole heran, spürte, wie es in seinem Gesicht kurz zuckte.
„Mir wurden Zusicherungen gemacht, Tryn. Dass meine Tochter da herausgehalten wird.“
„Ich weiß. Die Sache… liegt anders.“
„Dass sie jetzt doch eingezogen wird, erscheint mir nicht anders.“

Kallice wich dem Blick einige Sekunden lang aus, ließ einen langen Atem folgen, ehe sie leise antwortete.
„Sie wurde nicht eingezogen.“ Ihr Blick hob sich wieder zu ihm. „Sie hat sich freiwillig gemeldet.“
Diese Worte trafen ihn härter als ein Schlag mit Durastahl es hätte können. Wie betäubt starrte er sie einfach nur an.
„Was?“, brachte er gerade so in völliger Fassungslosigkeit hervor. „Das… kann unmöglich stimmen. Ich habe es…“
Ihr verboten?
Cassio brach ab. Welch Anmaßung. Welch dumme Anmaßung überdies. Als wäre dies allein der Weisheit letzter Schluss und eine unumstößliche, allgemeingültige Tatsache, der nicht zu widersprechen sei. Er verstummte, stützte seinen absinkenden Kopf mit einer Hand auf der Computerkonsole, massierte die noch immer feuchte Stirn. Resignation?
„Es tut mir leid“, entgegnete die Frau. „Wirklich. Aber was soll ich machen, wenn sie es selbst tut? Ich kann den Offizieren vor Ort nicht sagen, dass sie eine Rekrutierung ablehnen sollen. Das weißt du selbst.“
Er nickte stumm, sichtbar, auch wenn der größte Teil seines Gesichts von der Hand verdeckt wurde. Eine unangenehme Stille breitete sich über dem Gespräch aus. Sie schien ihm diese Zeit zu geben. Erst nach längerem fuhr er daher mit einer Antwort fort.
„Ich möchte, dass du sie dann zu dir holst. In den Stabsdienst.“
Kallice starrte ihn an, überrumpelt von der Anfrage, schüttelte aber bereits nach einem Augenblick den Kopf.
„Zu mir? Cassio, das kann ich nicht machen…“
„Ich weiß, dass du es kannst. Die Frage ist nur, ob du es willst.“
Sie antwortete nicht. Ein Fortschritt, wie er befand. Zumindest kam kein Widerspruch mehr. Ein Stück näher an der Wahrheit demnach. Ohne Zweifel verstand er das Problem, in das er sie damit brachte. Sollten solche Vorgänge die Runde machen, erhielt sie jeden Tag derartige Anfragen. Und andererseits Beschwerden. Rückfragen. Es war viel verlangt. Aber viel würde er ohnehin nicht mehr verlangen können. Er würde es ihr nicht übelnehmen, wenn sie ablehnte. Dennoch musste er es versuchen.
„Das ist nicht so einfach“, entgegnete sie schließlich ausweichend. Er beugte sich dem Bild entgegen, noch näher an den Bildschirm heran.
„Tryn. Bitte. Sie ist keine Soldatin. Wem soll das nützen? Du weißt doch genau, wie das ausgeht.“
Seit Beginn der republikanischen Offensive im imperialen Süden hatte die Überlebensrate insbesondere der neuen Rekruten dramatisch abgenommen. Darin wurden zwar auch unbekannte Zahlen wie solche derer, die vor der Republik kapituliert hatten, eingerechnet, aber die Statistik war nicht alleine dadurch erklärbar. Entweder war die Ausbildung schlechter geworden, was infolge des Verlustes von Prefsbelt keine Verwunderung wäre, oder aber das Offiziersmaterial war vor allem daran interessiert, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, um ihr Imperium mit alleiniger Hand zu retten. Unwillkürlich musste er einen Moment lang an Admiral Sloane denken. Hirnrissige Menschen mit übersteigertem Ego und dem irren Glauben, mit genug Opferbereitschaft ließen sich sämtliche Wunder erreichen. Sie mochte zwar Grundvoraussetzung sein, ersetzte aber nicht sämtliche andere Parameter einer erfolgreichen Operation. Wer das nicht verstand, trug früher oder später zur Statistik bei. Und jeder davon fehlte dadurch an anderer Stelle für aussichtsreiche Unterfangen. Es war Wahnsinn. Er vernahm ein Seufzen aus dem anderen Ende der Verbindung.
„Will sie das denn? Stabsdienst?“, fragte Kallice. Seine Stirn legte sich daraufhin in ernste Falten.
„Es spielt in dieser Sache keine Rolle, was sie will.“
„Ich verstehe. Ich will nichts versprechen. Aber ich werde sehen, was sich machen lässt.“

Die Konsole neben ihm begann, einen Ton von sich zu geben. Eine Audio-Erinnerung an die Einladung von Admiral Vaash. Ärgerlich. Nichts lag ihm aktuell ferner als gesellschaftliches Zusammenkommen. Aber es war keine Einladung, die abgelehnt werden konnte, ohne den Admiral zu brüskieren.
„Termin mit dem Admiral. Tut mir leid, ich muss aufhören. Danke, Tryn.“
„Alles Gute“, sagte Kallice abschließend und trennte die Verbindung direkt danach. Das Zimmer wurde beinah wieder stockfinster, als das künstliche bläuliche Licht der Übertragung wegfiel. Einen Moment lang saß er noch dort, atmete langsam wieder aus. Er verabscheute, das tun zu müssen, aber schlussendlich hatte er keine Alternative mehr. Trümpfe gab es längst keine mehr. Schließlich stand er auf.

Kurze Zeit darauf folgte er dem Gang weiter durch den Zerstörer, in den Raum hin, der ihm gewiesen wurde. Vielleicht lag sein Quartier näher als das anderer, jedenfalls aber war er der erste, der in dem Raum ankam. Die kleine Offiziersmesse also, der Raum für Gespräche in kleinerer Runde. Häufig genutzt für Versammlungen der Kommandierenden Offiziere eines Verbands oder einer Flotte, wenn es um den Austausch untereinander ging. Ein seltsamer Duft lag indes in der Luft, unabhängig von denen der dargebrachten Speisen und denen, die noch von Droiden gereicht wurden, aber er konnte ihn nicht zuordnen. Den Tisch im Blick saß der groß gewachsene, kräftig gebaute alte Admiral, der einer von denen war, die zumindest verstanden, dass man ihnen Befehle gab, die gar nicht erfüllbar waren. Erstaunlich genug, dass dieser also überhaupt noch in der Lage war, hier und heute zu stehen. Wenn auch nur knapp. Er hatte Glück gehabt über Eriadu. Es hätte auch genauso gut vorbei sein können. Aber manche besaßen dieses Glück, das irgendwann vielleicht weniger zu Glück denn zu Instinkt wurde. Ob dies genügen würde, um das alles zu überleben, war fraglich. Cassio zweifelte daran. Wenn es überhaupt sein Ziel war.
„Admiral Vaash“, sagte Cassio schließlich, respektvoll darum bemüht, die Fassung aufrechtzuerhalten, und blieb ein Stück weit neben der Tür stehen, legte seinen Blick auf den bedeutend älteren Offizier. Cassio hatte sich zumindest noch vor dem Verlassen kurz frisch gemacht, die Haare korrekt gescheitelt und eine gewaschene Uniform angelegt. Dennoch hatte ihm bereits der Spiegel in dem Quartier zu verstehen gegeben, dass das nicht ausreichend kaschierte, was sich in seinem Gesicht abspielte. Es war ein erschreckender Moment, wenn man an sich selbst erkannte, wie tot der eigene Blick tatsächlich wirkte – in aller Regel neigte das eigene Auge nicht dazu, einem diese Wahrheit so mitzuteilen. Zwar mochte der Blick nun etwas lebendiger als vor dem Gespräch mit Kallice sein, aber nichtsdestoweniger müde und antriebslos. Als er die Speisen auf dem Tisch sehen lag, hätte er sich am liebsten übergeben. Es war abstoßend. Nicht das Essen selbst, mit Sicherheit hohe Qualität. Vielmehr die Situation. Nicht nur hier, vor Ort.
„Ich möchte mich bereits für eine gewisse Appetitlosigkeit entschuldigen“, fuhr er fort, beinahe roboterhaft, wenn auch ein sehr kleinlautes Exemplar, das es nicht einmal wagte, derweil seinen Master anzublicken. „Schlechte Neuigkeiten.“
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Ithor - von Protokolldroide - 02.05.2020, 17:18
RE: Ithor - von Tiberius Vaash - 02.05.2020, 17:47
RE: Ithor - von Cassio Acchetia - 13.05.2020, 19:57
RE: Ithor - von Tiberius Vaash - 16.05.2020, 17:58
RE: Ithor - von Cassio Acchetia - 29.05.2020, 21:43
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RE: Ithor - von Cassio Acchetia - 27.06.2020, 21:21
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RE: Ithor - von Tiberius Vaash - 10.02.2023, 23:00
RE: Ithor - von Cassio Acchetia - 06.05.2023, 23:40