#19
Der Blick der Frau war starr auf das absolute Nichts gerichtet, schien so als wäre er nur teilweise anwesend. Soweit sie die Gedanken noch zu sortieren vermochte, empfand sie die Haltung, die Macht so einzusetzen, als nur oberflächlich unschädlich. Es verbarg unter einer hübsch anmutenden Verpackung die Gefahr, eigene Freundschaften nach dem eigenen Gutdünken zu formen, sie zu verändern und dadurch mehr den eigenen Willen daran wertschätzen zu können und anderen entgegenstehenden Willen eines Anderen wiederum als hinderlich. Eine schwierige Herangehensweise also, so einmal die Hemmschwelle erst durchbrochen war. Nun musste darin weder böse Absicht noch ersuchte Dominanz liegen, wie Sedrael es auch hier nicht unterstellen würde – womöglich sogar eher im Gegenteil. Und dennoch.
„Das solltest du nicht tun“, sagte sie leise, ohne sich ansonsten zu bewegen. „Nicht für jemanden, den du nicht kennst. Und auch nicht für jemanden, den du kennst.“
Die Macht zur für einen selbst einfacheren Gestaltung einer sozialen Interaktion zu nutzen, war aus ihrer Sicht nicht zielführend. Je mehr man selbst von der Macht einforderte, desto mehr nahm sie sich auch wieder zurück; irgendwann, in irgendeiner Form. Das mochte schlussendlich die einzige gewisse Konstante innerhalb dieser Galaxis sein. Natürlich verstand sie durchaus, dass er dies im Hinblick auf ihre Lage getan hatte und sie kam daher nicht umhin, innerlich dafür eine gewisse Form subjektiver Dankbarkeit zu empfinden – doch selbst ein kleiner Stoß in der Macht konnte am Ende erhebliche Auswirkungen haben, die sich vielleicht nicht jetzt oder bald, doch aber irgendwann erst zeigen mochten.

Der Mann neigte auf ihre Bemerkung hin den Kopf leicht zur Seite und betrachtete sie.
„Ja, du hast Recht. Man sollte es nicht tun“, stimmte er ihr in diesem Punkt zu. „Doch ist es nicht mindestens genauso falsch, die Bedürfnisse von Freunden über das Leben selbst zu stellen?“
Ein vertretbarer Einwand, wie sie befand, wenn auch keiner, dem sie zustimmen würde. Als Heilerin hatte sie sich selbst zweifellos in gewisser Form der Rettung des Lebens verschrieben, soweit das möglich war, womit er durchaus an einen Teil in ihr appellieren konnte. Gleichsam jedoch machte die Heilung in der Macht nicht etwa weltliche Medizin oder Krankenhäuser entbehrlich, sondern wurde nur jenen zu Teil, die ihr eben bedurften; dort also, wo sie sonst nicht gewährt wurde oder werden konnte. Die Heilkunst in der Macht empfand sie nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung. Der Weg ohne die Beeinflussung der Macht war grundsätzlich der bessere, weil der vorhersehbare. Denn mal gab die Macht, und mal nahm sie. Dunkle Fetzen vor ihren Augen trübten ihre Wahrnehmung und sie schien in ihre unbestimmte Gedankenwelt abzudriften, doch sie schüttelte kurz den Kopf, um sich ihrer gewahr zu bleiben. Es gelang, für den Moment. Doch die Hand, die auf ihrer verletzten Seite lag, war inzwischen vollständig rot gefärbt, was ihr ein Ächzen entlockte. Sie antwortete daher nicht. Möglicherweise schien aber ihre Wahrnehmung doch für einige Sekunden ausgesetzt zu haben, da ein Heben ihrer blutunterlaufenen Augen ihr zeigte, dass sich der Mann inzwischen vor sie gesetzt hatte. Etwas, von dem sie nicht realisiert hatte, wie es passiert war, geschweige denn, dass er an sie herangetreten war. Wortlos richteten sich die Augen auf die durch ihn ihr dargebotenen Hände, taxierten sie wie ein pirschendes Tier, das sich einer Beute annäherte. Seine Worte hallten dumpf in ihren spitzen Ohren wieder, mussten dort verarbeitet werden. Aber sie verstand seinen Plan nicht. Doch, schlussendlich musste sie das wohl genau, nämlich sich den Bildern stellen und lernen, was sie bedeuteten – oder genauer gesagt, warum sie sie weiterhin peinigten und die Höllenqual auch nach dem Verlassen dieser verdorbenen Welt nicht vorüber war. Ja, wie sie damit umgehen sollte und überhaupt konnte. Wenn es dafür überhaupt einen Weg gab. Womöglich war es auch genau das, wie es sein sollte nach dieser Erfahrung. Wenngleich sich das als erbärmlicher Zustand darstellen mochte, auch wenn es eine beängstigende Vorstellung war. Sie blinzelte, sah erneut, wie die Unschärfe vor ihr sich nach einem Moment zu den Händen des Mannes scharfstellte. Die Angst kroch als Insekt auf einer Ranke an ihr empor. Sie hatte keine Vorstellung davon, was geschah, wenn die Macht ihre Botschaft teilte, mit ihm, mit wem auch immer. Was das für die Psyche von ihr sowie die der anderen Person bedeuten mochte.
„Was hast du vor?“, fragte sie mit weit geöffneten Augen, drückte sich mit dem Rücken stärker gegen den Felsen hinter ihr, der jedoch kein Stück auf den Druck hin nachgab.
„Du sagtest, dass du es nicht kontrollieren kannst“, antwortete der Mann auf ihre Frage hin, weiterhin in dem ihm eigenen Tonfall der Ruhe und des Friedens. „Aber ich bin überzeugt davon, dass wir es gemeinsam schaffen können. Überzeugt davon, dass – wenn wir uns in der Macht verbinden – die Dunkelheit zurückgedrängt werden kann.“
Sollte es möglich sein, dass sich ihre Augen noch mehr weiten konnten, so geschah es. Ihr Mund stand halb geöffnet, während ihr Blick sich langsam wieder auf sein Gesicht richtete und sie ihn zunächst nur anzustarren vermochte.
„Wahrscheinlich nicht für immer“, ergänzte er dann, während er seine Geste der offenen Handflächen aufrecht hielt, was in Einklang zu den zwar einschränkenden, aber sicherlich ehrlichen Worten zu stehen schien. „Doch selbst wenn es nur für eine kurze Zeit ist, haben wir mehr gewonnen als wenn wir es nicht tun.“
Es lag wohl eine nicht bestreitbare Wahrheit in seinen Worten, obwohl Sedrael es mehr als den ihren Kampf interpretierte als den seinen. Es war jedoch nicht nötig, Kämpfe allein bestreiten zu müssen, selbst wenn sie sich vielleicht mehr um die eigene Person drehen mochten. Womöglich eine der Lehren, die sich in ihrer Zeit mit Reah ergeben hatten. So entging ihr jedoch nicht die seltsame und in Teilen auch bittere Ironie nicht, dass jedenfalls in mancher Sicht die Rollen im Vergleich hierzu vertauscht schienen. In Situationen wie diesen ließ die Macht sie schlichtweg ratlos zurück. Aber sie hatte keinen Zweifel daran, dass der junge Mann ihr tatsächlich helfen wollte. Die Farbe in ihrem Gesicht schien sich leicht zu wandeln, etwas kühler zu werden, als klar schien, dass er nichts ohne ihr Zutun vorhatte, sondern ihr die Entscheidung überließ, was getan werden sollte. Das bereits war eine Freiheit, die länger als gedacht, nicht mehr zurückgekehrt war.
„Ich weiß nicht, ob es gefährlich ist. Was es mit den Leuten macht.“
Wollte er helfen, so sollte er dies wissen. Denn auch wenn das stimmte, was sie sagte, war dennoch ein Zeuge hier, der davon kündete, dass Reaktionen passieren konnten, die unvorhersehbar waren. Sie drehte den Kopf leicht zur Seite, offensichtlich bemüht, sich dabei so wenig wie möglich bewegen zu müssen, ehe ihre blauen Augen die rauchende Raumfähre ansehen konnten. Einige Sekunden lang betrachtete sie das Objekt – etwas, das sie offenbar hervorgerufen hatte. Und das war eine schwere Last. Wahrscheinlich war es nur Glück, der Bauweise und dem Geschick der Piloten zu verdanken, dass sie den Absturz überhaupt überlebt hatten. Der Bürde ihrer Verantwortung sollten nicht noch weitere Tote hinzukommen. Ein Planet war bereits genug.


[In Kooperation mit Dreja]
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Yavin - von Protokolldroide - 19.03.2020, 01:13
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