#5
Des Schattens Ranken trieben aus, als der Fremde dort stand, verschleierte den Blick auf ihn und ließ den Menschen selbst in der Distanz gefährlich über ihr thronen. War er nur eine weitere Klaue, die nach ihr zu greifen versuchte? Keuchend stemmte sie eine Hand auf den Boden und richtete sich allmählich auf, etwas beschwerlicher als ihr lieb war. Das verschlingende Monster war fort, doch Abgründe erschienen nicht nur in Monstern, sondern mitunter auch in einfachen Menschen.

Die Lippen des Mannes begannen sich zu bewegen, hallten beschwerlich in ihrem Kopf wider, was sie schwieriger zu sortieren machte. Aber als die einzelnen Worte sich in ihren Gedanken zu Sätzen verbunden werden konnten, schien sich ihre Körperhaltung zu verändern. Ihr schweißgebadetes Gesicht mochte an ihm vorbeizusehen, eine Zeit zu lang ohne zu blinzeln. Die Frage schien zu schmerzen, oder jedenfalls einen Punkt zu treffen, der die unklaren Nebelschwaden in ihrem Inneren irritierte. Und wahrscheinlich war es nicht leicht zu beantworten – aus welcher Sicht man es auch immer betrachten mochte. Aus ihrem Gesicht verschwand merklich binnen einiger Sekunden die Farbe, wirkte dadurch noch farbloser zu werden als zunächst, als sie nachdachte. Die blauen Augen ruhten offenbar im Nichts, beinahe als hätte die Frage sie erschüttert. Doch es war mehr die Realisierung dessen, dass man von sich selbst nicht mehr klar sagen konnte, wer und was man nun eigentlich war. Vielleicht ein Problem, dem sie sich bereits auf Firrerre nicht gestellt hatte. Doch zu dem Zeitpunkt, jedenfalls während der Bekämpfung der Seuche und der Quarantäne, hatte es alles einen Zweck gehabt – ein Ziel, auf das es sich hinzuarbeiten lohnte. Dies war schlussendlich nun fort, dauerhaft. Und so mochte das Schicksal, das prophezeit war von der dunklen Seele eines noch dunkleren Planeten, ein unklares und womöglich unbeständiges zu sein.
„Eine Frage für weisere Gelehrte als ich es bin“, gab die Frau dem Menschen daher durchaus wahrheitsgemäß zur Antwort, wenn auch womöglich unbefriedigend für den Fragesteller, während ihr Blick allmählich in Richtung des erdigen Bodens abdriftete. Freundin, Feindin. Schlussendlich war das alles in letzter Zeit mehr ein semantischer Unterschied gewesen denn ein tatsächlicher. Wenn selbst eine Inquisitorin keine Feindin sein musste, schienen die Grenzen hierzu zu verschwimmen und waren womöglich auch nicht mehr von Bedeutung. Niemals konnte sie bestreiten, dass Reah ihr im Ergebnis das Leben gerettet hatte und umgekehrt. Dies mochte der eine verstehen können, viele andere vermutlich nicht. Vielleicht nicht einmal die beiden selbst. Andere mochten es als Verrat und falsches Verhalten ansehen. Nichtsdestoweniger oder geradezu deswegen war das Ergründen des Wer und des Was eine Frage, die sich zu stellen lohnte und irgendwann auch beantwortet werden musste – von ihr selbst. Aber der Tag würde nicht der heutige sein. Und die Antwort, so es überhaupt eine gab, vermutlich auch keine einfache.

Ihr Blick hob sich langsam ein Stück weit an, um ihren Gegenüber wieder zu betrachten, fror hier jedoch sichtlich erneut auf etwa halber Strecke ein. Die Augenbrauen senkten sich ein Stück weit. Der Schatten wölbte sich in ihrem Inneren, stach dornenreich mit spitzer Panik an ihre Gedanken. Seine Hand war direkt auf eine Waffe gerichtet, vielleicht instinktiv, vielleicht aus Erfahrung. Es war einerlei. Ganz gleich, wer der fremde Menschenmann war – es machte ihn potentiell gefährlich. Wie ein Raubtier fuhr die Finsternis ihre Krallen aus und wollte verteidigen, was sie zu vereinnahmen suchte. Verwirrt zog sich das scheue Licht zurück, als bräuchte es den Schutz. Ein Windhauch ließ ihre weißen Haare unkontrolliert umher wehen, wusch das Grün aus den Bäumen und das Braun aus der Erde, tauchte die Welt erneut in vertrauteres rostbraunes Licht, die Pupillen schienen kurz zu zucken. Im aschfarbenen Boden, der mehr und mehr Risse bekam, lugten die Gebeine neu hervor, kämpften sich hervor.
„Und dennoch…“
Ihre linke Hand erhob sich merklich und ein zittriger, blutiger Zeigefinger deutete beinah anklagend auf seine Hand und seinen Gürtel, an dem ein nur allzu vertrautes Objekt befestigt war.
„… mag die Antwort auch von Euch und Euren Absichten abhängen“, fuhr sie daraufhin fort und entgegnete den informellen Ton des Mannes nicht, sondern hielt auch sprachlich Abstand von ihm.
„Zu viele legten bereits leichtfertig die Hand daran und waren nicht mehr in der Lage, sie wieder davon zu lösen“, sagte sie schließlich mit etwas kratzigerer Stimme, schien dabei jedoch in ihrem Tonfall keineswegs zu implizieren, dass dies eine Warnung ihrerseits an den Menschen war, sondern vielmehr eine allgemeine Feststellung, deren Inhalt sie offenkundig missbilligte. Sie hob beide Hände langsam an als wolle sie ihrem Gegenüber symbolisch aufzeigen, dass sie leer waren.
„Seid Ihr einer davon?“
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Yavin - von Protokolldroide - 19.03.2020, 01:13
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