#25
Die Dinge, die er sah und erlebte prallten an ihr an die blanke Realität. Sie sah gerade nichts anderes als das, was hier war. Das war Eis und Kälte. Sein Seelenbildnis war immerhin von ihm geschaffen. Sie lebte in der Realität, in der sie nichts bewirken konnte als eben da zu sein. Seine geschaffene Welt verschlang ihn aber mit jedem Schritt scheinbar mehr. Sie besah ihn, Vesperum, wie er dalag, scheinbar reglos. Seine Augenlider begannen aber, sich langsam zu bewegen. Er schien zurückzukommen, von irgendwo weit weg. Seine Präsenz war eine kurze Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam abwesend. Das, was sie schützte war weg. Sie war schutzlos ausgeliefert- und diese Geister lachten noch über sie. Es war ein mieser Gedanke, der sie hinunterzog, aber es war einfach so: sie war von seinem verdammten Überleben abhängig. Würde er hier unten draufgehen, und es sah langsam danach aus, würde sie vermutlich gar nicht nach oben zur Oberfläche gelangen und wenn sie ankam, was dann? Sie war ein Nichts, wie sie es immer gewesen war. All das, was sie sich einbildete, war Illusion. Niemand brauchte sie, war auf sie angewiesen. Sie war ersetzbar wie einer dieser Droiden, die sie regelmässig trat, da sie nicht taten, was sie wollten oder zu langsam in ihrem Tun waren. Als er endlich zu neuer Kraft kam und scheinbar das Wetter kontrollieren konnte – glaubten daran nicht nur Naturvölker?- war sie doch erleichtert. Brachte er nun diese Geister um? Ja? Final? Oder schloss sie hier ein, für immer und ewig? Diese Gestalten waren definitiv unter ihrer Würde und zu nichts zu gebrauchen, schliesslich konnten sie sich nicht mal einigen und redeten kreuz und quer, gerade noch, dass sie sich nicht gegenseitig angriffen sprach für sie. Die elendige Kälte liess sie immer mehr erzittern, da sie merkte, was dieseMacht wirklich bedeutete.

Macht war für sie immer ein abstraktes Konzept gewesen, von dem Gelehrte etwas verstanden. In der Praxis half es nie viel. Entweder man gewann durch den Tod des anderen oder mal verlor durch den eigenen Tod oder konnte sich gerade noch so retten. Macht machte, dass sie wie ein Gummiball durch die Gegend springen konnte, ihr Laserschwert durch die Gegend schleudern konnte und dass es zurückkam, das sie Eingebungen hatte und das Wichtigste: sich in den Schatten verstecken konnte. Es war eine Fähigkeit, die eben da war, wie bei anderen Arten das Fliegen oder das Leben im Sauerstofffreien Raum. Woher sollte sie auch mehr davon wissen? Niemand hatte sie je gelehrt. Nur dabei zugesehen, wie sie eben überlebte, verwundet wurde, wieder angekrochen kam und geneste, dann wieder draufschlug und irgendwie wiederkam und zufriedenstellende Ergebnisse lieferte. Teilweise war Macht auch das, was sie entstellte. Es machte ihre Haut krank, liess ihre Augen ungut leuchten und auffallen. Sie war einfach da, brach, war nutzbar aber eben nicht entwicklungsbedürftig. Scheinbar aber gab es eine Welt dahinter. Vesperum schliesslich schien hier gerade die Geister und Umwelt zu verändern und das nicht dadurch, dass er alles demolierte wie sie es getan hätte sondern einfach mit seinem Sein, dem, was man wohl Macht nannte. Ihr Atmen bildete Wölkchen in der eisigen Kälte, die ihre blanke Haut traf. Ihr schützendes Oberteil war zerrissen, die Hose ebenso. Sie stand praktisch ohne jeglichen Schutz da, mit dem Rücken zu dem, was sie Feind nannte. Ihr Blick lag auf dem Wiedererstehenden. Wie etwas, was tief aus der Asche kroch und sich wiederformte, vorher noch von allen Wassern verweht, sich aber selbst wieder erschuf. Eine irrsinnige Macht ging von ihm aus, in dunklen Wellen, die alles einnahmen. War es das? Das, wovon alle redeten, was sie so verspottete? Dieses Gefühl, was einem wichtig das letzte zu nehmen drohte, zeigte, was man aus sich selbst heraus erreichen konnte?

In ihr selbst schien etwas, was vergraben lag, langsam zu erwachen und sich zu regen. Etwas, was ihr zu verstehen gab, dass es doch auch einen Weg für sie gab, der über dieses Schlachten ging. Einer, der das eleganter lösen könnte und ihr mehr Befriedigung verschaffen könnte als ein gezielter Hieb. Sie sah den noch am Boden liegenden ernst an und fühlte hinter sich die Präsenz der Geister. Sie wusste es nicht nur, sie fühlte es. So still sie stand, so sehr ging in ihr eine Unruhe los, die von einem Wachstum und Absterben ihrer Gedanken und Gefühle geprägt war. Unzählige kleine, nutzlose Gedanken strömten herum, verbanden sich mit grösseren zu Zielen, Plänen, die über das Überleben hinausgingen. Die Kälte nahm sie regelrecht ein, da sie sich nicht mehr dagegen wehrte. Ihre Knöchel traten weiss heraus, während ihr Herz in einem unregelmässigen Rhythmus schlug. Es tat weh, richtig weh. Ihre Lungen waren nur noch zu einem gewissen Grad fähig, eiskalten Sauerstoff, der sich fast verflüssigte, zu verarbeiten. Aber sie stand, fest, wie ein Felsen da und tat keinen Wank. Als sie den Schrei hörte zuckte sie, ging leicht in die Knie, erhob sich dann aber erneut ganz. Der Schrei schien nicht nur sie zu erschüttern, sie fühlte, dass die Geister mit ihrem Gefasel aufgehört hatten. Sie schluckte und sah zu ihm nach unten, wie sich seine Augen wieder in diese dämonischen wandelte und der abwesende Schleier schwand. Das alte Gemäuer, erschüttert von dem Schrei, bröckelte und bröselte, während sie fast wie Äther dastand. Durchsichtig, aber vorhanden. Es zog sie aber abrupt auf die Füsse mit einem enormen Gewicht, als sie seine trockene, heisere Stimme härte. Sie nickte auf seine Worte, auch wenn sie nicht verstand, was er meinte. Dass er weg war konnte sie sich vorstellen, nur wo er gewesen war, war ihr fremd. Sie stand vor ihm, die Füsse hüftbreit und sicher. Wie lange sie so dagestanden hatte vermochte sie nicht zu sagen. Langsam sah sie zu der Hand, die sich zu ihr bewegte. Noch immer stand sie regungslos da. Sollte sie ihm aufhelfen? Konnte sie ihn anfassen? Ging sie dann nicht drauf? Wenn er überlebte wollte sie es nämlich auch, sonst wäre das hier eine miese Farce des Schicksals. Sie musste sich leicht bücken, als sie sich näherte. Sie fühlte, wie eine Art eisiger Panzer um sie herum leicht knackte, aber nicht abfiel. Ihre kalte Hand- jedoch von der Umgebung gekühlt und mit blauen Spitzen versehen- griff nach seiner. Fast etwas zögerlich, so, wie sie sich selbst nicht kannte. Wenn sie etwas tat, dann immer mit vollem Einsatz, schnell und sicher, treffsicher und nicht fragend, vorsichtig, unsicher. Sie rechnete nicht mit Dankbarkeit, hatte niemals damit gerechnet und interpretierte das nun auch nicht so, sondern einfach als ‚Hilf mir auf‘. Das tat sie auch, wartete aber noch, bis er sich regen würde, ehe sie ihm in eine ehrwürdigere, aufrichtige Position verhelfen würde.
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