#6
Glaubte Orson, dass Galen ihn hintergehen würde? Womöglich. Vermutlich. Es gab aus seiner Sicht gute Gründe hierfür. Galen hatte ihn einmal hintergangen – wer einmal hinterging, tat dies auch ein weiteres Mal, sollte sich die Gelegenheit dazu bieten. Krennic war klar, wie die Dinge liefen. Er tat es schließlich genauso. Und würde es an Stelle seines Freundes auch genauso tun. Doch wenn man sich dessen bewusst war, konnte man diesen Faktor minimieren und trotzdem den Erfolg seines Gegenübers gewinnbringend abgreifen. Das barg zwangsläufig ein gewisses… Restrisiko, aber im Endeffekt war sich der Direktor im Klaren, dass er keine realistischen Alternativen dazu vorweisen konnte. Das Büro des Imperators verlangte binnen kürzester Zeit Ergebnisse – dieses Mal sogar ohne dass Krennic sie vollmundig und bar jeder Vernunft versprochen hatte. Das machte die ihm gesetzte Frist jedoch nicht einfacher. Voraussichtlich war der einzige Fortschritt, dass er sich nicht erneut vor einem Aufpasser wie Lord Vader rechtfertigen musste, sondern vielmehr mit Bürokraten. Bürokraten waren leichter um den Finger zu wickeln. Einige schöne Worte, einige technische Worthülsen und schon waren sie beeindruckt, ohne auch nur das Geringste verstanden zu haben; gaben vor zu verstehen, dass derart komplexe Begrifflichkeiten hin und wieder mehr Zeit benötigten. Das vereinfachte es Orson, etwas mehr Zeit herauszuschlagen, auch wenn andererseits manche Bürokraten nicht zu begreifen schienen, dass das aktuelle Projekt in Form eines bereits zu großen Teilen fertiggestellten Rumpfskeletts noch immer viele Monate, wenn nicht Jahre von dem Abschluss stand. Ohne Galens Expertise würde es bei diesem Rumpfskelett bleiben und das eigentliche Konzept der Waffe ein Fehlschlag.

„Ich bewundere deine Neugier und deinen Tatendrang, davon mehr wissen zu wollen, und gehe davon aus, dass er sich dann in raschen Ergebnissen bemerkbar macht“, antwortete er Galen und spielte damit dessen Sarkasmus als Aufhänger für eine erhöhte Erwartungshaltung seinerseits an Galen aus.
„Aber nein, der jetzige Imperator ist an konventionelleren, bodenständigeren Dingen interessiert. Du wirst bald mehr erfahren.“
Orsons Antwort war direkt lax und rasch abwiegelnd und dadurch sogar etwas unbedacht. Denn mit seiner Wortwahl deutete er unbeabsichtigt an, dass womöglich gar nicht mehr Palpatine Imperator war – ein Lapsus, der ihm offenbar nicht einmal auffiel, da er keinen entsprechenden Eindruck machte. Doch war die Wortwahl ein Einsprengsel aus der aktuellen Situation der Galaxis, die er sonst sehr behutsam vor Galen verborgen hatte, um ihn in Unkenntnis aller derzeitigen Rahmenumstände zu belassen. Aus gutem Grund. Krennic hatte kein Interesse daran, Galen zu zeigen, in welcher schwierigen – um nicht zu sagen erbärmlichen – Situation das Imperium sich gerade nach all den internen Kämpfen und Abspaltungen nun befand. Und dass es mit der Republik sogar inzwischen einen ernstzunehmenden und seinerseits geeint gegen das Imperium kämpfenden Konkurrenten in der Galaxis gab.

Hatte Krennic denn bekommen, was er wollte? In dieser kurzfristigen, von Galen angesprochenen Sache womöglich. Doch wie heuchlerisch, dies ausgerechnet aus Galens Mund zu hören – der Mann, der dafür gesorgt hatte, dass sich jahrzehntelange Arbeit binnen einer Sekunde wieder in Luft aufgelöst hatte. Böswillig, niederträchtig. Verschwendete Lebenszeit, die Orson nie wieder zurückbekommen würde. Galen wäre nicht hier, nicht in dieser Situation, hätte Krennic alles bekommen, was er wollte. Nein, er wäre jetzt hofiert, vermutlich Professor oder vielleicht gar Präsident der Universität des Zentrums mit Auszeichnungen, die nur für ihn ins Leben gerufen worden wären; beide wären jetzt anerkannte und eingesessene Männer, deren Meinungen und Entscheidungen Einfluss auf die Galaxis hätten haben können und beide ihre Vorstellungen und Projekte durchführen können, von denen sie immer geträumt hatten. Aber Galen hatte all das weggeworfen. Und das alles aus einer undefinierbaren Moral heraus und einer diffusen Hoffnung, dass was auch immer nach dem Imperium kommen mochte, besser war. Es fiel Krennic schwer, auf Galen nicht wütend zu sein. Manchmal fragte er sich, woher solche Wahnvorstellungen kamen. Nun konnte er solches Denken einem einfachen Mann auf der Straße nicht direkt vorwerfen. Der die Mechanismen der Galaxis nicht verstand, auch gar nicht verstehen wollte. Aber Galen? Ein brillanter Geist, der dennoch auf diese leichten Antworten hereinfiel und sich von uneinlösbaren Versprechungen ködern ließ? Und nun sah man ja schließlich, wozu es geführt hatte. Ein erneuter galaktischer Krieg. Der Todesstern hätte die einzige Möglichkeit sein können, diesen Krieg noch einmal abzuwenden; eine letzte Abschreckung vor der Massenvernichtung eines möglichen Krieges. So würde das Projekt am Ende in der Geschichte bestehen können, darin war Krennic sich sicher. Zumindest musste das das Narrativ werden, selbst wenn es sicherlich nur punktuell der Wahrheit entsprech. Denn natürlich wäre es ein Frieden unter Knechtschaft einer mächtigen Waffe geworden. Natürlich hätten hierfür Millionen sterben müssen. Doch war die Aussicht auf ein Leben in Frieden und Sicherheit nicht im Endeffekt jeden weiteren Preis wert, wenn dadurch Trillionen hätten gerettet werden können? Orson wusste, dass er seine Seele in dem Moment verkauft hatte, in dem er begonnen hatte, an sein großes Projekt zu glauben und es zum Erfolg bringen zu können. Ihm war letztendlich auch gleichgültig, ob nun Krieg oder Frieden herrschte – der Krieg vereinfachte einige Dinge, verkomplizierte dafür aber andere. So liefen Dinge eben. Er hatte das schon vor langer Zeit akzeptiert und es interessierte ihn auch nicht, dass ihn Leute dafür verabscheuen würden. Das war der Preis dessen, wenn man Visionär war. Man hatte Feinde. Mit Feinden ließ sich umgehen. Und in einer Galaxis wie dieser war sich ohnehin jeder selbst der nächste. Jeder musste sehen, wie er überlebte und wie er das Beste aus seiner Existenz machte. Es scherte ihn nicht, was der Bauer auf Abridon von ihm und seinem Projekt hielt. Und das Prinzip war bei der sogenannten Republik sicherlich nicht anders als beim Imperium.

Theoretisch hätte er Galens Forderung, seine Tochter zu sehen, entsprechen können. Allerdings stand das für den Direktor nicht zur Diskussion. Galen würde lernen müssen, dass er keine Forderungen stellen konnte. Er war nicht in der Position dazu. Allenfalls konnte er darum bitten. Einer Bitte eines alten Freundes konnte entsprochen werden. Der Forderung eines Gefangenen nicht. Nicht ohne Gesichtsverlust. Daher war es aus Krennics Sicht auch keine Entscheidung, sondern von vorneherein nicht wert, darüber nachzudenken. Er schürzte zu Boden blickend kurz die Lippen, als schiene er die Äußerung von Galen einen Augenblick lang zu überdenken. Was er nicht tat. Schließlich schüttelte er leicht den Kopf, während er zu antworten begann.
„Ich denke nicht“, entgegnete er beiläufig. „Ich denke, du tust, was ich dir sage und hoffst, dass ich meinen Teil der Abmachung einhalte.“
Eine kurze Pause, während der er wieder zu Galen herübersah.
„Nicht wahr?“
Es war nicht wirklich eine Frage, nicht bei dieser Betonung. Wie immer formulierte Krennic in seiner Antwort an Galen keine Drohung und auch keine konkreten Konsequenzen, wenn dieser sich weigerte. Doch wie ebenfalls immer ließen seine Mimik und seine Stimmlage beides durchaus leicht erkennen.
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