#3
Der Begriff 'Zeit' schien für Galen jegliche Bedeutung verloren zu haben. Wie viel Zeit war vergangen, seitdem er das letzte Mal bewusst auf das Verstreichen eben dieser geachtet hatte? Wochen? Monate? Jahre? Dass Zeit vergangen war, stand zweifellos außer Frage, so merkte man es doch deutlich an seinen Haaren und seinem Bart, den er mehrfach schon hatte rasieren müssen, bevor er auch das aufgegeben hatte. Er selbst hatte sich mit Bart nie gefallen, Lyra war es vor langer Zeit gewesen, die ihn dazu angehalten hatte den Bart nicht nur wachsen, sondern auch stehen zu lassen. Lyra. Selbst nach all den Jahren vermisste er sie. Schmerzlich sogar. Und doch wusste er, dass sie weder seine Situation, noch seine Entscheidung die Arbeit fortzusetzen, gutheißen würde. Aber die Situation war eine andere als damals.
Galen war müde. Nicht die Art von müde, die durch einen ausgedehnten Schlaf beseitigt werden könnte, denn erholsamer Schlaf war ohnehin zu einer Seltenheit geworden, nein, seine Müdigkeit war nicht physischer, sondern psychischer Natur und geprägt von dem ständigen Zwiespalt, in dem er sich befand. Seine Arbeit, die er zum Schutz seiner Tochter verfolgte und sein Gewissen, das mit jedem weiteren Tag, jeder weiteren Berechnung, Kalkulation und voranschreitenden Fortschritten, lauter zu schreien und zu protestieren vermag. Zwei Komponenten, die es ihm wahrlich schwer machten zur Ruhe zu kommen. War es also so verwunderlich, dass man ihn ständig über seinen Aufzeichnungen gebeugt fand?

Das Dasein, das er hier in diesen Räumen fristete, war einsam. Er war nie jemand gewesen, der viele Menschen um sich gebraucht hatte, ganz im Gegenteil, aber hier... der Kontakt zu anderen Lebensformen, egal welcher Art, war beschränkt und der beste Kommunikationspartner war ein Protokolldroide, der dafür zuständig war seine Fortschritte, Notizen und Memos festzuhalten. Eine Aufgabe, die vor vielen, vielen Jahren einmal Lyra erfüllt hatte. Womöglich widerstrebte es ihm deswegen so sehr, sich mit seinem rein mechanischen Mitarbeiter gebührend auseinanderzusetzen. Eine andere Daseinsberechtigung schien der Droide nicht zu haben, denn jegliche Versuche ein Gespräch außerhalb des Forschungsbereiches anzufangen, wurde entweder ignoriert oder aktiv abgeblockt.
Mit einem Datapad in der Hand, begann Galen erneut rastlos vor der großen Projektion von künstlichen und chemisch generierten Verbindungen - dargestellt durch eine Anzahl von scheinbar unzähligen Linien und Zahlensträngen - auf und ab zu laufen. Irgendwo tief in seinen Gedanken hatte sich die Hoffnung verfestigt, dass seine Arbeit am Ende doch dafür genutzt werden konnte den Ärmsten der Armen zu helfen. Er würde einen Weg finden. Irgendwie. Er musste nur...
Die Schritte, die sich ihm unweigerlich näherten, ließen ihn innehalten und die Bestimmtheit, mit der sie näher kamen, ließen kaum einen Zweifel daran wer ihn beehren würde. Beinahe demonstrativ wendete er dem Eingang den Rücken zu, damit sein Besucher auch bloß nicht auf den Gedanken kam, er würde sich über dessen Erscheinen freuen. Nein, er freute sich nicht. Auch wenn es vor vielen Jahren andere Zeiten gegeben hatte. Aber diese Zeiten waren vorbei, lange vergangen und Galen glaubte nicht, dass es in dieser Hinsicht so etwas wie ein 'zurück' gab.

Es dauerte einen Augenblick, bis er sich dazu durchringen konnte sich Orson Krennic zuzuwenden, wobei er das Datapad in seiner Hand auf der Tischplatte an seiner Seite ablegte. "Krennic," erwiderte Galen ähnlich tonlos, wobei es ihm nicht gänzlich gelang seine aufkochenden Emotionen in seinem Inneren aus seiner Stimme zu verbannen, während sein Blick auf den Händen seines Gegenübers lagen, die gerade aus den Handschuhen befreit wurden. Krennic. Er wusste noch nicht einmal, wann er damit begonnen hatte seinen ehemals besten Freund lediglich mit seinem Nachnamen anzusprechen. "Hast du dich etwa in der Abteilung geirrt oder womit habe ich die Ehre deines Besuches verdient?" Erst jetzt blickte er ihn gänzlich an und gab sich noch nicht einmal Mühe die aufkommende Kälte in seinem Blick zu verbergen. Nein, die Zeiten für freundschaftlichen oder auch nur freundlichen Austausch zwischen ihnen war lange vorbei. Galen wusste, dass Krennic ihn in der Hand hatte und ihn jederzeit mit seiner Tochter unter Druck setzen konnte, nein, im Grunde war seine Tochter der überhaupt einzige Grund, warum er hier war und sich gezwungenermaßen der Arbeit widmete, also konnte man nicht von ihm erwarten, dass er mit Jubel reagierte, wenn man ihm hier in seinem Labor einen Besuch abstattete, denn das konnte gar nichts gutes bedeuten. Nicht für ihn, denn man würde ihn wohl kaum aus dieser Situation entlassen. "Falls du hier sein solltest, um dich nach den Fortschritten zu erkundigen... ich arbeite daran." Mit einer ausschweifenden Geste deutete er auf die Projektion, die er nur zu gerne vor Krennics Eintreten deaktiviert hätte, da dieser aber ohnehin sicherlich permanent über seine Arbeit in Kenntnis gesetzt wurde, machte es wohl keinen Unterschied mehr ob er hier im Labor vor Ort in Kenntnis gesetzt wurde oder die Daten zu sich übermittelt bekam.

Er tat das, was er tun musste. Nicht mehr und nicht weniger, aber das, was man von ihm erwartete war schon genug. Galen fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, das deutlich von grauen Strähnen durchzogen war und wendete sich von dem Mann ab, dessen Auftauchen einfach kein gutes Gefühl auszulösen vermochte.
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