#21
Von Mytrias anfänglicher Zurückhaltung war nichts mehr zu spüren. Doch vielleicht suchte sie gerade auch nur seine Nähe, um sich nach den schrecklichen Bildern und Gefühlen im Praxeum nicht ganz alleine zu fühlen. Es war noch immer seltsam und wirkte unpassend für eine künftige Jedi, doch der Kel Dor kannte dieses Verhalten von seiner Cousine Roa. Wenn draußen ein besonders heftiger Sturm tobte, hatte sich das Mädchen auch oft an ihn gekuschelt und darauf gewartet, dass der Zorn der Windgeister von Dorin verflogen war. Ihre im Brustton der Überzeugung gesprochenen Worte gaben ihm zu denken, aber er konnte ihnen nicht ganz zustimmen. Schon gar nicht, als Mytria indirekt behauptete, dass auch er der dunklen Seite anheimfallen könnte. Seine Antiox-Masken verhinderten dabei, dass Koryns Mimik allzu offensichtlich wurde. Der Schock über die Ereignisse saß Koryn trotz Meister Skywalkers beruhigender Ausstrahlung noch in den Knochen und es gab vieles, über das er sich erst noch klar werden musste. Der heutige Tag würde seine Zukunft entscheidend formen, auch wenn der Jedi-Schüler die Tragweite der Ereignisse nicht einmal erahnen konnte.

Er war mit Meister Skywalker einer Meinung, dass man sich nicht zu viele Gedanken über den möglichen Ausgang einer Situation machen sollte, die bereits geschehen war. Man konnte hinterfragen, wie es dazu gekommen war – und was man hätte tun können, um sie zu verhindern. Man konnte sich Vorwürfe machen, wenn man falsch gehandelt hatte. Doch letztlich ging es nur darum, was man aus ihnen für die Zukunft lernen konnte. Ein verschnittenes Stück Holz würde man nie wieder in die richtige Form bringen, doch vielleicht konnte man noch einen anderen Nutzen daraus ziehen. Luke Skywalkers Worte zum Tod brachten ihn dagegen wieder ins Grübeln. Er hatte sich nie wirklich Gedanken gemacht, ob er den Tod fürchtete. Sein Leben lag noch vor ihm und er würde den Tod eines anderen Wesens sicherlich nie als eine Kleinigkeit abtun. Zu entsetzlich war die Vorstellung, Personen zu verlieren, die er liebte. Genau darum wollte Koryn sie ja auch als Jedi-Ritter beschützen. Spätestens heute wurde ihm jedoch klar, dass er nicht immer da sein konnte und dass seine edlen Absichten alleine nicht genug waren. Nein, er fürchtete nicht den Tod selbst – aber die Lücke, die nach einem Verlust zurückblieb. Und er konnte, wie er zu seiner eigenen Schande gestehen musste, nicht mit Sicherheit sagen, ob ihn im entscheidenden Moment nicht auch die Tapferkeit verlassen würde…

Die Lektion zur Macht wurde von Koryn wissbegierig aufgenommen. So hatte er es bisher auch immer betrachtet – was unter anderem daran lag, dass seine geistigen Machtfähigkeiten nur wenig ausgeprägt waren und er sich daher ohnehin auf seinen eigenen Verstand verlassen musste. Seiner Ansicht nach gab es keine Rechtfertigung für ungerechte Taten. Lee Valen hatte seine eigene Gemeinschaft hintergangen und eine tiefe Wunde geschlagen. Aus welchem Grund? Offenbar hing seine Tat mit einer anderen Jedi zusammen, die vor einer Weile aus ihrer Gemeinschaft verschwunden war. Doch das war wohl kaum die Schuld von Meister Skywalker oder den anderen Bewohnern des Praxeums! Ruhe über Zorn, Ehre über Hass, Stärke über Angst. Mit diesem einfachen Mantra hielt Koryn seine eigenen Emotionen im Zaum, wenn ihm der Jedi-Kodex gerade zu wenig … greifbar erschien. Sorge, Wut, Enttäuschung – das alles waren legitime Emotionen. Doch sie durften nicht dazu führen, dass man anderen Wesen Schaden zufügte! Sie gaben einem nicht das Recht, das eigene Leid auf andere zu übertragen.

Koryn fühlte sich unerwartet betroffen, angesprochen von dem, was Meister Skywalker sagte. Der schnelle Weg… Er selbst war oft ungeduldig mit seinem eigenen Fortschritt und wusste, dass er deutlich emotionaler war, als es sich für einen Jedi gehörte. Die Gelassenheit, die anderen im Praxeum so leicht zu fallen schien, hatte sich bei ihm und Mytria noch nicht angefunden. Nach wie vor wollte er nicht glauben, dass die Dunkle Seite ihn übermannen konnte. Er hatte eine klare Vorstellung von richtig und falsch, wollte Gerechtigkeit verbreiten und die Schwachen beschützen. Sein Bild von einem Jedi – dem Jedi, der er sein wollte – lag so klar und deutlich vor seinem inneren Auge, dass es gar keine anderen Wege gab, die er beschreiten konnte. Und doch, obwohl Luke ihn nicht direkt angesprochen hatte, fühlte er sich mit einem Mal wie ein dummes Kind, das man zurechtgewiesen hatte. Seine Gefühle verrieten ihn und mischten sich mit dem Schmerz, den er durch den Verlust empfand. Der Kel Dor zweifelte nicht an seinem Weg. Nur daran, wie nahe er seinem Ziel, ein Jedi-Ritter zu werden, eigentlich schon gekommen war…

Befangen und in sich gekehrt hörte er Meister Skywalker weiter zu, der sich an einem Gleichnis versuchte. Zumindest dieser Aspekt ihres Lehrer-Schüler-Verhältnisses funktionierte einwandfrei. Selbst wenn Luke den jungen Kel Dor auf Fehler hinwies oder ihm bestimmte Dinge verweigerte, reagierte der junge Mann nicht mit Trotz, sondern versuchte die Sichtweise des Jedi-Meisters mit seiner eigenen in Einklang zu bringen. Was nicht immer einfach war, so auch jetzt. Doch es hinderte ihn nicht daran, Luke Skywalker weiter zuzuhören. Bei seinen abschließenden Worten nickte Koryn und fand auch wieder etwas Selbstvertrauen. Es würde nicht noch einmal vorkommen – was auch immer das bedeuten mochte. Sie würden wachsamer sein, nach innen und nach außen. Und auch er würde helfen, so gut er konnte. Indem er mehr auf die anderen Bewohner des Praxeums achtete, so wie er es mit Mytria getan hatte, und sein Lichtschwerttraining noch disziplinierter angehen. Damit war er einem Dunklen Jedi vielleicht noch immer nicht gewachsen, aber zumindest auch nicht mehr ganz wehrlos.

„Danke, Meister“, sagte der Kel Dor fast schon kleinlaut. Eine für ihn unerwartete Frage formte sich in seinem Geist, die er ebenfalls mit seinem Weltbild nicht ganz in Einklang bringen konnte. Es ging um Lee, dessen Urteil er bereits gefällt hatte. Doch die Art, in der Luke seinen Wechsel auf die Dunkle Seite erklärt hatte, ließ in seiner felsenfesten Überzeugung Risse auftauchen. „Meister Skywalker? Auch wenn es dazu geführt hat, dass er sich gegen die Jedi gestellt hat… Glaubt Ihr, Lee Valen hat gefunden, was er gesucht hat?“
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