#7
Da war es wieder. Das Echo der Macht. Bekannt und doch unbekannt. Vertraut und doch fremd. Irgendetwas war anders. Irgendetwas unterschied das pulsierende Glühen vom letzten Mal. Nichts, das Sedrael an irgendetwas festmachen konnte. Es war nur das Gefühl, ja, es war immer das Gefühl, das dem Jedi seine Einschätzung beibrachte und ihn urteilen ließ. Und Sedraels Gefühl sagte ihr, dass sich diese Aura anders bemaß als noch vor kurzem. Nicht viel. Aber dennoch. Wie wenn sie seit Jahren Tag für Tag durch die gleiche Landschaft gestreift hatte, ein Bild von der Umgebung im Kopf hatte. Und dann, eines Tages war irgendein Detail verändert. Irgendein kleiner Fleck, der einem nicht auffiel und den man nicht fand, selbst wenn man begann, aktiv danach zu suchen. Es war einfach nur dieser eine Moment der Erkenntnis, dass sich etwas geändert hatte. War es entscheidend? Das war nicht zu beantworten, die Landschaft war noch da. Die Frage war lediglich, wie entscheidend das Detail für das Gesamtbild sein würde, ob sich der persönliche, subjektive Genuss des Panoramas nun auf Grund dieses Details ändern würde, ob es eine Verbesserung oder Verschlechterung darstellte, wenn man erst realisiert hatte, was sich geändert hatte. Das Ganze konnte aber auch irrelevant sein und keinen Einfluss auf das Erlebnis haben. Für Sedrael würde sich erst noch zeigen müssen, ob diese merkwürdige, schwer greifbare Form der Änderung eine Bedeutung haben würde, oder nicht.

So wusste sie bereits, wer eintrat, ehe die Zellentüre nach oben schoss. Ein paar Schritte. Die Sephi saß im Schneidersitz auf ihrem kargen Bett, die Hände auf den Knien abgelegt und die Augen geschlossen. Ruhig und friedlich verfolgte sie die Strömungen der Macht, die sich auch in allen Ritzen dieses Schiffes ihren Weg bahnte. Und doch brandete auch etwas anderes in Sedrael auf, als sich Nigidus in der Macht vor ihr manifestierte. Hass? Nein. Wut? Nein. Es war Ärger, ein Ärger über die Macht, die ihr diesen Schmerz zugefügt hatte, der jetzt wieder aufkam, als die Mörderin ihrer Welt wieder vor ihr stand. Die Macht hatte wieder eine hässlichere Seite gezeigt. Nigidus war dagegen nur die Inkarnation, sie war das Werkzeug. Wie der Chirurg sein Skalpell nutzte, um einen bösartigen Tumor herauszuschneiden, so hatte die Macht Nigidus genutzt, um etwas aus der Galaxis zu schneiden. Das Skalpell war nicht haftbar zu machen. Es war allenfalls fehlerhaft und besaß somit einen Mangel, den man reparieren konnte. Auf den Mangel selbst konnte man aber nicht wütend sein, man konnte ihn nicht hassen. Ein Teil von Sedrael wünschte sich zwar, es wäre so und ein anderer Teil mochte sich vielleicht sogar einreden, dass es so war. Es wäre so viel einfacher gewesen. Doch es war nur natürlich, dass sie dieser Fall etwas mehr einnahm und vor die Probe stellte als die vorherigen. Das Schicksal ihrer Heimat war ihr nicht gleichgültig, nur weil sie nicht mit fletschenden Zähnen auf die so verloren scheinende Gestalt losging. Wer das dachte, war dumm. Sie war traurig, sehr sogar. Traurig darüber, dass es so weit gekommen war, frustriert, dass sie es nicht hatte verhindern können. Nicht zuletzt deshalb war ihre Aura unausgeglichen und sie lauschte jetzt den sanfteren, gemäßigten Wogen der Macht, um wieder ein Gleichgewicht finden zu können, das ihr Urteilsvermögen nicht beeinträchtigte. Es war schwierig genug, auch ohne die beißende Aggressivität in der Macht, die wie ein angeketteter Hund aus der Richtung der Inquisitorin kam. Und doch war es auch gut, dass sie wiedergekommen war. Ganz gleich in welcher Form.

Einen Augenblick lang öffnete Sedrael ihr rechtes Auge zu einem knappen Schlitz, legte ihren Blick auf die Gestalt vor ihr. Einiges war gleich, anderes nicht. Am offenkundigsten war, dass auch ihr Gesicht nun hinter eine weißen, toten Fratze verborgen war, als wolle sie verhindern, dass man in ihr Gesicht sehen und möglicherweise darin lesen konnte. Sedrael hatte keine Erklärung für diese eher grotesk wirkende Umgestaltung, doch letztlich war es nicht entscheidend. Dennoch schloss sie nach kurzem Studium der Fratze das Auge wieder und ihre Haut wechselte in einen kühlen Blauschimmer. Vielleicht weil sie es schätzte, einen Gegenüber ähnlich unverfälscht betrachten zu können, wie er sie betrachten konnte. Es dauerte nicht lange, bis die Stimme der Inquisitorin die Stille zerschnitt, einerseits so präzise wie ein Rapier – und gleichzeitig dann doch so grobschlächtig wie eine Keule. Die Situation war also amüsant? Unerwartet, ja. Aber amüsant? In gewisser Weise vielleicht. Und dennoch nicht so, wie es die Inquisitorin darstellte. Tatsächlich war die Aussage sogar ein Stück weit zynisch. Aus einer isolierten, rein theoretischen Betrachtung heraus mochte Nigidus‘ Feststellung stimmen, aber die praktische Situation stellte Sedraels Anwesenheit in der Zelle doch weit weniger fragwürdig oder überraschend dar.
„Ich hatte nicht erwartet, Euch leicht erheitern zu können“, begann sie leise mit geschlossenen Augen. „Amüsanter ist jedoch, dass Ihr mir einen Schlüssel anbotet, der mich anschließend vor die Mündung der Gewehre Eurer Soldaten geführt hätte.“
War das die Absicht dahinter gewesen? Sedrael zu einer Reaktion zu veranlassen, die zwangsläufig in ihrem Scheitern, ja wahrscheinlich in ihrem Tod geendet hätte? Die Herausforderung und der Test, ob Firrerre sie geändert hatte oder ob sie so viel Vertrauen in das, für das sie stand, besaß, dass sie die Situation – erneut – ertrug, obwohl sie sie auch hätte beenden können? Nun, hätte sie das wahrgenommen und sich befreit, wäre das – selbst im Falle eines Erfolgs – letztlich nur das Eingeständnis gewesen, dass sie nicht mehr die war, die die Hexe auf Firrerre kennengelernt hatte. Und wäre, weil sie laut Aussage der Hexe nicht tun sollte, vermutlich überflüssig geworden. Insoweit… mochte sie eine krude Art von Test bestanden haben. Oder die Inquisitorin mochte es schlichtweg, Personen zu locken und ihnen eine bestimmte, von ihr definierte Reaktion abzutrotzen. Vielleicht war Sedrael aus Nigidus‘ Sicht gerade deswegen amüsant, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass die Sephi sich nicht darauf einlassen würde. Nun, es wäre nicht das erste Mal, dass jemand Sedraels Reaktionen falsch einschätzte. Denn Sedraels Schwert hatte noch nie ein Problem gelöst und es schien unwahrscheinlich, dass sich dies bald ändern würde.

„Und Ihr?“, fragte sie und nickte der Maske, die bar jeder menschlichen Emotion war, zu, ohne dabei die Augen zu öffnen. „Seid Ihr neuerdings der Ansicht, dass Euer Erscheinen der Verschleierung bedarf? Ihr verbergt dahinter nichts Sichtbares, das ich nicht bereits kenne.“
Das Verstecken hinter einer Maske bedeutete letztlich immer nur eines. Scham. Es war das Eingeständnis, nicht als Individuum mit dem identifiziert werden zu wollen, was man früher gewesen war, jetzt gerade in diesem Moment darstellte oder vielleicht einmal werden würde. Die innere und äußere Verantwortlichkeit des Handelns wurde auf die Maske projiziert, sie wurde zum Anlass, zum Nutzen und zur Rechtfertigung. Wer selbstbewusst war und mit sich im Reinen stand, benötigte keine Maske. Er präsentierte sich der Welt feierlich, er stand zu sich und dem, was einen auszeichnete. Zum Guten wie zum Schlechten, zum Vorteil wie zum Nachteil. Jedes Erlebnis zeichnete das Gesicht mit neuen Narben, prägte die Züge aus und stand für die Identifikation mit sich selbst. Wer trug Masken?

Die weißen Fratzen. Uniforme Soldaten, bar des Charakters als Einzelperson, wo auf Gefühle und Gedanken im Militär keine Rücksicht genommen werden konnte und sollte, sondern nur die unmittelbare Gleichförmigkeit gewünscht war, um Anordnungen umzusetzen und effizient zu sein. Die Maske funktionierte aber auch umgekehrt, sie machte den Einzelnen gesichtslos, rechenschaftslos. Wer nicht als Individuum zugeordnet werden konnte, der konnte tun und lassen, was er wollte. Er würde nur schwerlich zur Verantwortung gezogen werden können. War Nigidus nur die Soldatin ihres Herrn, unterwerfend, ohne Dynamik? Es mochte sein, wenn Sedrael sich zurückerinnerte, wie die Hexe vor dem Hologramm pariert, ihm unterwürfig die Kehle gezeigt hatte und offenbar unverzüglich gehorchte, wenn er sie zu sich rief.

Gaukler und Darsteller. Wer seine Rolle im Theater spielte, dessen Maske war vielleicht individueller, und doch blieb sie eine Maske. Ein Spiel, ja, dass man etwas zeigte, was man nicht war und auch nicht werden wollte. Man täuschte vor und der Darsteller wollte niemals verwechselt werden mit der Rolle, die er verkörperte. Sobald das Stück vorüber war, streifte man die Maske ab und fort war die Verkörperung der Illusion. War Nigidus eine Darstellerin, vorspielend und nur auf den Moment bedacht, die Maske wieder ablegen zu können?

Die Zeit würde zeigen, was davon zutraf und was nicht. Früher oder später zeigte sie ihr Gesicht, welches es auch war. Und am Ende mochte es vielleicht auch eins sein, dass sich hinter der Scharade dann etwas verborgen hatte, mit dem zum jetzigen Zeitpunkt noch niemand rechnete. Im einen wie im anderen Extrem.
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