#22
Nachdenkliche Falten legten sich allmählich auf Sedraels Stirn. War es überhaupt möglich, keine Haltung zu haben? Schwer vorstellbar, zumindest für sie. Und letztlich nicht, denn das Beharren darauf, keine Haltung zu haben, war schließlich seinerseits auch nur eine Form von Haltung, von innerer Einstellung und Überzeugung. Insoweit mochte man darin ein Paradoxon erkennen, eine Realitätsferne, vielleicht die Verweigerung, sich selbst gewissen Umständen zu unterwerfen, die unveränderlich waren. Der Wunsch danach, keine Haltung zu haben, war wie der Wunsch, keine Person zu sein. Vielleicht würde man es sich selbst irgendwann einreden können, aber nach außen hin strahlte man dennoch immer zwangsläufig ein anderes Bildnis ab, selbst wenn man gerne etwas anderes vorzugeben dachte. Zu behaupten, selbst keine Haltung zu haben, war somit in gewisser Weise gar eine weitaus ideologischere Form der Haltung als irgendeine Haltung zu akzeptieren – denn schließlich bedeutete die Bekräftigung, keine Haltung zu haben, dass die Hexe nur um dieses einen Punktes willen keine Haltung haben wollte, während eine typische Person von Fall zu Fall entscheiden konnte, welche Haltung sie nun einnahm oder auch nicht. Allerdings mochten die Worte der Hexe auch nur eine eher semantische Beantwortung von Sedraels Äußerung sein – also ein erneutes Ausweichen, um sich weiter hinter der Scharade der Wörter verstecken zu können, die ihre Gegenüber so unzweifelhaft, wenn auch sehr geschickt spielte. Sie lockte Sedrael mit wolkigen Antworten aus der Deckung, vermied aber dennoch, selbst konkrete Aussagen zu treffen. An Selbstbewusstsein und Überzeugung schien es der Frau jedoch – soweit die Sephi dies aus den bisherigen Antwortfetzen und ihrem Auftreten entnehmen konnte – allerdings nicht zu mangeln. Insofern schien es offensichtlich, dass dieser Taktik erneut ein Plan zugrunde liegen musste, den die Inquisitorin noch immer sorgsam behütete. Irgendwann jedoch würde sie irgendeine Form von Stellung beziehen müssen und nicht mehr nur Sedraels Worte umgarnen können, um sie anschließend lediglich in neuer, aber doch gleicher Blüte erneut auszusprechen und so als unausgesprochene Frage wieder zur Absenderin zurückzuschicken. Alles, was die Hexe zu ihr sagte, wenn auch in stets geschickt verpackten, neuen Worten, war, dass Sedrael sich selbst ein Bild von ihr machen konnte, aber dabei nicht übersehen sollte, dass dieses eben auch nur ein Bild war, das letztlich aus ihrer eigenen Interpretation und nicht aus irgendeiner Form von Wahrheit bestand. Das war in der Sache zwar richtig, war allerdings ohnehin so selbstverständlich, als dass die junge Sephi daraus tatsächlich einen Erkenntnisgewinn hätte ziehen können – und änderte wenig daran, dass sie überhaupt nicht dazu in Lage war, sich selbst ein Bild zu machen, wenn ihre Gesprächspartnerin ihren moralischen Anliegen stets mit diesen Worten auswich. Sicherlich mochte das eine bestimmte Form von System sein, vielleicht bewusst, vielleicht unbewusst.

Doch bei der letzten Antwort der Frau nahm Sedrael das Datapad, das sie immer noch etwas sinnlos in der Hand hielt, quer in beide Hände und blieb dann einfach unvermittelt mehrere Meter vor dem Hangartor stehen. Da war es schon wieder. Anstelle die Antwort darauf preiszugeben, was die Frau mit ihrem ungeschliffenen Diamanten namens Katana anzustellen gedachte, umwölkte sie sich mit dem Nebel der Parabel, der dafür sorgte, dass die Worte im Unklaren verschwanden. Sie verschwammen und wer versuchte, sie zu greifen, der fasste ins Leere, nur in den beständigen Nebel, in dem sich vereinzelte Schlieren scheinbar zu Worten formten, es aber unmöglich machte, diese zu erreichen. Mit der Berührung stoben die Schlieren auseinander und verschwanden im Dunst der Ungewissheit. Sedraels Kopf senkte sich ein kleines Stück und die Körperspannung schien sich etwas zu lösen, während ihr ein leises Seufzen entglitt. Konflikt? Man konnte es schwer einen Konflikt nennen. Ein Teil von ihr hätte sich vielleicht sogar die Möglichkeit eines Konflikts herbeigewünscht. Denn ein Konflikt beinhaltete immer widerstreitende, aber zumindest klar definierte Interessen und Standpunkte. In Bezug auf die Inquisitorin war aber gerade das nicht vorhanden. Sedrael wusste schließlich einfach zu wenig über die Person, nicht um ihren Hintergrund, sondern um ihren Charakter, um sich eine ernsthafte Meinung zu bilden, geschweige denn zwei, die schließlich miteinander konkurrieren und somit einen Konflikt bilden konnten. Und genau das war es, was sie gerade frustrierte. Was sie an Reah gerade frustrierte. Ja, sie spürte keinen Konflikt in sich, sie spürte Frustration. Denn auch der Vergleich mit der Piraterie letztlich wieder nur die Flucht aus der Frage, um die eigentliche Antwort, die interessante und substanziierte Antwort, die, auf die Sedrael selbst etwas Konkretes von der Person und dem Antrieb der Frau vor ihr erfahren hätte, schuldig bleiben zu können. So war es schließlich gar nicht möglich, überhaupt eine Einschätzung vorzunehmen. War es das, was die Inquisitorin meinte? Keine Haltung haben? Nein. Sedrael tat das nicht vorsätzlich, sie wurde einfach nur gezielt im Dunkeln gelassen. Sie hielt ihr Urteil zurück, bis sie sich als genügend informiert ansah, um es fällen zu können. Und falls das nie passieren würde, war es eben so. Sie erhob es jedoch nicht zum System. Es war nicht ihr Plan, ihr Programm – es war das, was aus dem Verhalten von Reah Nigidus folgte. Und das war das Problem. Schon deshalb war davon auszugehen, dass all das kein Zufall war. Was diese Frau offenbar als Konflikt interpretierte, mochte daher einerseits eher Sedraels Frustration über die Worte der Inquisitorin selbst, und andererseits die zweifelnde Einstellung zur Verwendung der Katana-Flotte sein, der neue Brandherd, der mit seiner Entdeckung nun aufgeflammt war. Und die Verunsicherung dahingehend, was ihre Gegenüber mit dieser Entdeckung vorhatte. Verunsicherung, Beunruhigung. Ja, es war, als habe jemand das Chronometer zurückgestellt und nun war die Galaxis wieder hier angelangt, vor dem Sündenfall der Jedi, der dem Strudel der Abyss am Ende den Weg bereitet hatte. Und nun, wo sich die Wogen vielleicht zu glätten begannen, traten erneut Werkzeuge des Todes unvermittelt und unverhofft zutage, derer sich das Dunkel in jeder Seele bedienen und sich an ihnen laben würde. Es war direkt eigentümlich, dass sie einen ähnlichen Moment bereits einmal erlebt hatte und nun vielleicht erneut Zeugin einer ähnlichen Entscheidung wurde. Am Ende war sie wieder nur Beobachterin der Handlungsweisen anderer Personen, die sie betrachten und befragen konnte. Darum war Sedrael hier. Insoweit hatte die Inquisitorin Recht. Nur schien sie dem nach Sedraels bisheriger Erfahrung dennoch nicht so Rechnung tragen zu wollen, wie die Bemerkung eigentlich andeutete.
„Und dennoch weicht Ihr mir aus, Reah“, stellte sie daher fest, während sie ihren Kopf wieder anhob. Die Frau schien stattdessen mehr mit ihr zu spielen, zumindest ging es allmählich über den einfachen Zustand des Austestens hinaus. Dabei war eigentlich wenig Anlass gegeben, Sedraels Geduld auf die Probe zu stellen. Aus ihrer Sicht war keine Eile geboten. Sie hatte Zeit.
„Fürchtet Ihr Euch?“, fragte die kleine, unscheinbare Sephi das weitaus eindrucksvollere Nebelmonster vor ihr, wobei ihre Stimme weder herausfordernd, noch besorgt klang, sondern schlichtweg interessiert. „Vor dem Bekenntnis? Davor, auszusprechen, wohin Eure Gedanken und Handlungen führen sollen? Denn ich bin weder willens noch in der Lage, Euch von Euren Vorhaben abzuhalten.“
Schließlich sah sie sich kurz um, was in Anbetracht der völlig leeren Gängen vor dem Hangarschott fast schon eine symbolische Geste war, und breitete fragend die Arme aus.
„Und niemand sonst ist hier. Wozu also Verstecken? Die Frage bleibt, welche eigentlich begehrte Beute die Piratin Reah Nigidus so sehr herbeisehnt. Wenn Ihr mich bei Euch habt, müsst Ihr mir schon vertrauen. Denn es wird nicht möglich sein, dies hier…“ – sie machte eine knappe Geste, die sie selbst und die Inquisitorin einschloss – „… fruchten zu lassen, falls Ihr vor mir verbergt, was es ist, das Ihr eigentlich begehrt.“
Wofür hatte Firrerre sterben müssen? Konnte es dahinter überhaupt einen Sinn und Zweck geben, den man billigen konnte? Vielleicht, allerdings vermutlich nur, wenn man völlig moral- und empathiefrei war. Und es schien darüber hinaus nicht zu dem zu passen, was die Inquisitorin ihr in der Zelle von ihrer Angst berichtet hatte. Doch vielleicht war Sedrael dem ähnlicher, als sie sich bisher eingestand. Letztlich hatte sie ihren eigenen Planeten der Frau auf dem Altar geopfert, obwohl sie es hätte verhindern können. Krächzen. Auch wenn es Sedraels Hoffnung gewesen war, dass die Inquisitorin doch davon absehen würde, wenn sie mit ihr ging, am Ende hatte ein Teil von ihr doch gewusst, dass das nicht passieren würde. War es das wert gewesen? Konnte es das überhaupt wert sein? Was blieb, war Hoffnung. Hoffnung, dass es nicht umsonst gewesen war. Aber nichtsdestotrotz war die Entscheidung kalt und vielleicht falsch gewesen. Zumindest aus ihrer Sicht. Und wie war es aus der Sicht ihrer Gegenüber? Möglicherweise würde Reah jetzt nur wieder mit einer weiteren Parabel antworten. Nun, Sedrael würde sie nicht zu der Antwort nötigen können, wenn ihre Gegenüber sich nicht preisgeben wollte. Sie war ihr nicht verpflichtet, ebenso wie es umgekehrt war. Und dennoch. Das eigenartige Arrangement der beiden konnte nur unter gewissen Bedingungen funktionieren, nur wenn beide sich an bestimmte Parameter hielten. Doch welche das sein würden, mochte sich erst noch zeigen.
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