#18
Es war ein eigenartiges Gefühl, Sedraels eigenen Namen aus dem verborgenen, blechernen Mund der Hexe zu hören, vielleicht prophetisch, vielleicht bedeutungslos und vergänglich. War es wichtig gewesen, ihn zu nennen? Natürlich nicht, sie hätte der Frage auch anderweitig ausweichen und weiterhin namenlos bleiben können. Sedrael dachte nach. Sie selbst hatte Reah Nigidus bereits bei deren Namen genannt, etwas, das weniger eigenartig gewesen war als soeben ihren eigenen zu vernehmen. Nicht zuletzt, weil die Person vor ihr einerseits von einem der gesichtslosen Männer, aber auch von der Hexe selbst so genannt worden war. Doch erst jetzt wurde der Sephi eigentlich bewusst, dass daran durchaus etwas seltsam war. Reah Nigidus. Es war ein Name, ein richtiger, ein tatsächlicher Name. Sedrael konnte sich daran erinnern, dass ein Sith seine frühere Identität als bedeutungslos ansah und den eigenen Namen zu Gunsten der völligen Hingabe an seine Ideologie aufgab. So wie die Jedi schließlich noch zu Beginn der Klonkriege damals erfahren hatten, dass sich der Graf Dooku fortan Darth Tyrannus genannt hatte. Obwohl – paradoxerweise – auch dieser einzige Sith, von dem Sedrael bislang in persona gewusst hatte, dass es sich um einen solchen handelte, seinen alten Namen weiterhin nutzte. Aber das konnte sich immer noch dadurch erklären lassen, dass Dooku selbst nichts weiter als eine notwendige Rolle war, ja, eine Maske, die seinerzeit getragen werden musste, aber dennoch bedeutungslos war. Doch war nicht auch der umgekehrte Fall denkbar, dass Maske und wahre Identität die Rolle getauscht hatten? Die Hexe hatte sich als Sith bezeichnet, gleichzeitig Sedrael aber nicht ihren Sith-Namen, sondern augenscheinlich den ihrer wahren Identität offenbart. Es war gleichsam rätselhaft, ein Rätsel, von dem sie ausging, dass ihre Gegenüber wohl auch gar nicht wollte, dass es sinnvoll ihrerseits gelöst werden sollte. Mit erhobener Braue blickte Sedrael auf und ihre Augen folgten der maskierten Gestalt. Nun, was davon ist also Eure Maske? Was seid Ihr, rätselhafte Reah Nigidus, und was gebt Ihr lediglich vor?

Weder ihre Worte noch ihre Taten gaben ein eindeutiges Zeugnis darüber ab. Einerseits war hier Firrerre, das Mahnmal und der Wall zwischen den beiden, den die Hexe mit ihrer Handlung errichtet hatte und der sich auch nicht wegdiskutieren ließ. Dies würde die Hexe verstehen müssen, begreifen müssen, dass ihre Handlungen nicht im Nichts standen, sondern jede Aktion zu einer Reaktion führte. Sedrael hatte nicht verkannt, dass ihr eigenes Zögern vorhin eine Reaktion und einen Funken bei der Hexe ausgelöst hatte, doch noch war es der Frau offenbar entweder gleichgültig oder – noch schlimmer – möglicherweise gar nicht bewusst, was sie der Sephi angetan hatte. Die Hexe machte es sich leicht, vielleicht zu leicht. Auch ihre wenig erfreute Antwort schien anzudeuten, dass sie nur Produkt einer Aktion war, anstelle selbst die Aktion zu sein. Das mochte in manchen Dingen sicherlich zutreffen, in Umständen, die aufgezwungen worden waren und mit denen nun zu existieren war – es schloss aber beileibe nicht aus, dass man selbst auch eine Ursachen setzte. Denn Firrerre war nicht die Ernte, Firrerre war die Saat. Eine eigene, neue, unabhängige Saat, die jeder jederzeit wieder ausstreuen konnte. Das Heilmittel war nur noch eine Frage der Zeit gewesen, mit etwas mehr Geduld und etwas mehr Zeit hätten noch immer Tausende gerettet werden können. Stattdessen war ihre Existenz nun vorüber, nur aufgrund der Handlung einer Person. Das war die ureigene, originäre Saat der Reah Nigidus. Diese Saat war nicht universal, sie wurde nur dazu gemacht, durch die Synergie aller einzelner, persönlicher Saaten, die jeder Einzelne aus welchen Gründen auch immer in die Galaxis entsandte. Ihre Gegenüber würde zu allererst akzeptieren müssen, dass sie nicht nur erntete, sondern gleichsam auch säte. Dass sie gezielt Leid gebracht hatte, ohne Gegenwert, ohne Frucht, ein Leid des Leides wegen, das nun als Schmerz in Sedrael zehrte. Das war die Ernte, die Reah Nigidus erlangt hatte.

Und doch war es nicht so einfach. Denn andererseits war hier der Umstand, dass sie Sedrael am Leben und – in gewissen Maßen – Freiheiten ließ, die alles in allem als ungewöhnlich bezeichnet werden mussten. Vielleicht war die Sephi aber auch einfach nur Objekt in einem großen Panoptikum, das die Inquisitorin einfach gerne betrachtete. Um sich zu informieren? Um sich zu amüsieren? Niemand konnte es wissen. Doch es oblag nicht Sedrael selbst, dieses Misstrauen und die Ursache dafür zu beseitigen – denn sie konnte es gar nicht. Das Misstrauen war keine Erfindung aus dem Nichts, nichts, das Sedrael sich erdacht hatte, nein. Schließlich war es Reah Nigidus selbst gewesen, die mit der Zerstörung der Welt erst dafür gesorgt hatte, dass dieses Misstrauen überhaupt existieren musste. Ehrlichkeit allein war kein Garant für Vertrauen, auch Taten konnten Misstrauen schaffen, Misstrauen darüber, wie eine Person dachte, wie sie handelte. Misstrauen konnte niemals die Person beseitigen, die misstrauisch war, sondern immer nur die Person, die Anlass dazu gegeben hatte – sofern sie es wollte.

Und so schwieg Sedrael erneut, ließ ihre Gedanken frei zugänglich in der Macht schweben, vielleicht auch in der Suche nach einem Impuls, der Handlungsanweisung, die sie darin bestätigte, dass sie hier war – oder sie davor warnte. Nichts. Eine Leere bedeutete immerhin kein Alarmsignal, jedoch auch keine Bestätigung ihres Wegs. Ein Weg, der durch graue, tote, kalte Korridore führte, bis sie an einer Andockschleuse ankamen. Sedrael selbst schien weitgehend uninteressiert am leblosen, stupiden Metall um sie herum, doch sie kam nicht umhin zuzugeben, dass sich dieses in die Atmosphäre der Funktionalität, die – vielleicht mit Ausnahme von der Hexe – allgegenwärtig ausgestrahlt wurde, letztlich gut einpasste. Und solange sie eine Führerin hatte, die ihr den Weg durch die immer gleichen grauen Wände zeigte, mochte es so sein, dass sie sich mit diesem Labyrinth gar nicht wirklich befasste. Erst als Reah sich wieder zu ihr herumdrehte, schärfte sich ihr Blick und ihre Aufmerksamkeit wieder, glitt fort von den Verführungen der abseitigen, paradiesischen Welt, dessen Nektar man immer wieder für kurze Zeit kosten durfte, und wieder zurück in die messbare, physische Realität. Doch die Worte der Frau verdutzten sie vielleicht mehr als dieser trennscharfe Übergang zwischen den Welten, ließ ihre Augen sichtlich anschwellen.
„Es war nicht meine Absicht, Euch zu belehren. Das möchte ich mir gar nicht anmaßen“, entgegnete sie und blinzelte einige Male überrascht, ja beinahe als wäre sie ganz die unsichere Schülerin und soeben von einem alten Meister getadelt worden. Wäre sie aber der Ansicht, weiser als ihre Gegenüber und somit belehrungsbefähigt zu sein, wäre das ganze Arrangement zwischen den beiden aus ihrer Sicht schließlich vergleichsweise überflüssig geworden. Sedrael war hier, um zu lernen – nicht um selbst zu lehren. Hatte sie einen Punkt getroffen, der die Frau nun einmal ihrerseits zu einer Reaktion verleitet hatte? Zu einer Antwort, die zwischen Rechtfertigung und Selbstbekräftigung zu schwanken schien, eine Erklärung über eine Tatsache, die Sedrael selbst bisher überhaupt nicht – weder nach innen, noch nach außen – in Frage gestellt hatte. Das Bewusstsein über die Handlungen war ohne Zweifel vorhanden, fraglich mochte nur die gleiche Wertung verschiedener Faktoren sein.
„Ich war lediglich interessiert an Eurer Haltung, Reah.“
War es nicht auch das, worum es ging? Um Austausch? Welchen konkreten Wert die Hexe ihr auch beimaß – denn diesen konnte Sedrael auch nach ihrer Frage nicht fassbar einordnen –, es war vermutlich nicht der gleiche, den Sedrael der Hexe beimaß. Sie war nicht primär hier, um etwas zu tun, nicht um ihren Teil an irgendetwas beizutragen, insbesondere nachdem die Hexe ihrerseits nicht spezifiziert hatte, woran sie nach Auffassung von Reah Nigidus überhaupt beizutragen hatte. Ja, sie hatte sich verkrochen, seit Jahren schon. Aber jene, die sich nicht verkrochen hatten, waren nun tot, zerschlagen von den Häschern, denen die Inquisitorin diente. Wie konnte gerade sie der Sephi es vorwerfen, sich vor dem Angesicht der Galaxis verbergen zu wollen? Es war letztlich immer eine Sache der Perspektive und ohne Austausch würde Sedrael die der Hexe niemals begreifen können. So wenig wie Sedrael voraussetzen konnte, dass Reah Nigidus ihre Perspektive von vorneherein verstand, so wenige konnte diese es ihrerseits voraussetzen. Das Wissen der Sephi um die unter den Jedi geächteten Methoden, ja letztlich gar verbotenen Gedanken war äußerst beschränkt, schließlich war sie auch nur eine Schülerin gewesen, wie die Hexe bereits zutreffend selbst erkannt hatte. Letztlich hatte sie nicht einmal die gängige Jedi-Ideologie vollständig begriffen, vielleicht auch, weil sie es nicht unbedingt gewollt hatte. Zuhören, begreifen und austauschen war der Stoff der Schülerschaft – doch ohne Meinung, ohne eine in den Raum eingeführte These wäre ein Austausch schließlich gar nicht erst möglich. Und hatte sie mit ihren Worten einen Weg verdammt? Letztlich nicht, im Gegenteil, sie hatte sie der Frau gegenüber lediglich eingeräumt, dass es mehrere Wege zum Ziel gab – und einen, der vielleicht sogar schneller ans Ziel führte als ein anderer, dafür jedoch davon unabhängige Begleitfolgen mit sich brachte, die langfristig möglicherweise problematischer werden mochten als das kurzfristige Erreichen eines beabsichtigten Ziels.

Schließlich öffnete sich die Schleuse und die beiden sahen sich einem der Zinnsoldaten und Roboterwesen gegenüber, vor dessen Selbstwerdung die Hexe vorhin eindrücklich gewarnt hatte. Keine Reaktion, weder in die eine noch in die andere Richtung. Und vermutlich war es genau das, dieses völlige Ignorieren der Person und die Reduzierung auf eine reine Funktion als kleines Zahnrad der großen galaktischen Mordmaschine, was Angst bereitete. Sedrael verfolgte das Gespräch zwischen Mensch und Roboter zunächst nur mit einem Ohr, schließlich schien es sich aus ihrer Sicht zunächst nur um belanglose Bürokratie zu handeln. Erst als Reah ihr ein Datapad zur Kenntnisnahme hinreichte und die es beinahe automatisch entgegennahm, reagierte sie sichtbar darauf. Vielleicht auch, weil ihr die Anwesenheit des Robotermenschen, der eigentlich so viel mehr hätte sein können, auf eine unbeschreibliche Art unangenehm war. Die Sephi blickte über das Datapad, studierte die Aufzeichnung, lief jedoch bald Gefahr, das Interesse daran zu verlieren. Die Informationen darauf waren ebenso zahlreich wie uninteressant – wären da nicht zwei kleine Wörter versteckt gewesen, zwei Wörter, an die sie sich noch gut erinnerte. Dunkle Macht.
„Katana…“, hauchte Sedrael, als der Robotermensch schließlich verschwunden war, und blickte unwillkürlich vom Datapad auf zu Reah hinüber. „Es scheint, dass sich jedes noch so wundersame Rätsel irgendwann lösen lässt.“
Wo ein Rätsel - das von Reah selbst - bis jetzt noch vor der Lösung verborgen blieb, zeichnete sich die Lösung eines anderen also ab. Es war ein ganzes Leben, vielleicht länger her, dass sie von der mysteriösen Flotte gehört hatte, aber damals, in der Republik war es lange Zeit ein großes Thema gewesen. Tatsächlich war es eine Art Skandal geworden, bald darauf zu einer Legende. Das Verschwinden einer ganzen Flotte klang heutzutage zu abenteuerlich, um wahr zu sein, richtig? Für manche war es jedoch damals äußerst wahr gewesen, Witwen waren zurückgelassen, Verantwortliche hatten Posten zu räumen. Das Holonet hatte einige Zeit darüber berichtet. Doch die allgemeine Erinnerung war kurz und schließlich hatten andere Probleme und Konflikte das Thema überlagert – wie so häufig. Auch Sedrael hatte sicherlich jahrzehntelang gar nicht mehr daran gedacht. Und nun, war alles wieder da? Waren die Flotte und ihre Besatzung wieder zurückgekehrt? Es war schwer zu glauben. Aber die Inquisitorin schien an der Richtigkeit dieser vorzüglichen Nachricht ihrerseits nicht zu zweifeln.
„Und welchen Vorzug besitzt eine Information über eine Flotte solchen Ausmaßes für Euch?“
Einfluss? Macht? Ein Ding blieb nun einmal ein Ding, auch wenn es hunderte Meter lang sein mochte. Auch wenn es hunderte Dinge sein mochten. Die Weltlichkeit wurde durch Imposanz nicht eindrucksvoller. Was also gedachte Reah damit zu tun? Würde sie die Flotte ihrem einzigen Zweck widmen und damit Krieg befeuern - und so also lediglich das beschleunigen, wovor die Inquisitorin sich eigentlich fürchtete? Würde sie den gleichen Fehler machen wie Sedraels alter Orden? Der Fehler, der letzten Endes dafür gesorgt hatte, dass Sedrael sich von ihm abgewandt hatte. Geschichte wiederholte sich manchmal, möglicherweise waren sie jetzt wieder am Scheideweg der Frage, ob eine Person einen Zyklus weiterführen oder einen neuen einleiten würde.
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