#9
Entspannung fand man hier nicht. Es war nicht der Moment, an dem man entspannt, sondern eher unangenehm nachdachte. Zeit war der schlimmste Feind eines Soldaten. In allen Belangen spielte die Zeit immer gegen einen. Sei es als Freizeit, die Gedanken zuließ oder auch die Zeit im Gefecht, die gnadenloß verstrich. Reflektion war der kleine Tod. Sie entlarvte die eigene Unfähigkeit, den eigenen Kurs zu verändern. Sie offenbarte die Größen dieses Spieles und die eigene Nichtigkeit. Was war ihr Makel? Vaash versuchte Varpasi zu verstehen, warum dieser erstaunlich leichtfüßig erschien. Es lag nicht daran, dass dieser laufen konnte und er sich im Hoverstuhl befand. Varpasi antwortete klar, sachlich und definiert. Immer wieder schien er seine Worte zu überdenken. Der Eindruck des Alten war eingefahren. Was sollte er antworten? Der geschlagene Feldherr saß in einem Gefährt der körperlichen Schande und war allein. Seine Familie war weit weg. Alles, was er war, saß in diesem Stuhl. Ein alter Mann, der gerne folgte. Scheinbar folgten Imperiale gerne und verschoben ihre eigene moralische Unfähigkeit auf andere Stellen. Verantwortung war für sie immer nur die Verantwortung des Staates, niemals die eigene. In diesem Sinne schrien sie nach Führung und Kurs; einer Figur sowie Götzen, der sie richtete und bestimmte. Es war so leicht, diesen Nimbus des Befehlsnotstandes vor sich selbst aufrecht zu erhalten. Es war so einfach, weiter zu machen und nicht hinzublicken. Es gab keine Verbrechen, da der Staat sie begang und das Gesetz eindeutig auf der Seite der Imperialen war. Konnte ein Staat, der eigene Gesetze erlässt, die Gewalt immer legitimieren, Verbrechen begehen? Dies war immer ein moralisches Urteil und somit immer eine persönliche Entscheidung. Überzeungen brauchten keine Gesetze. Und Imperiale brauchte keine Überzeugung, sondern schlichte Folgsamkeit gegenüber einer Obrigkeit. Dies war ihr Imperativ. Verantwortung abschieben, eine bequeme Moral finden, die man aussitzen konnte. Es war ihre Moral des guten Soldaten, das treue Beamten, der all dies möglich machte. Diese Gala war genau das. Eine Illusion vermeindlicher Überzeugung, wo schlicht blanke Loyalität lag. Man ertrank in diesem Kadavergehorsam, welcher das Imperium erhielt. Besser ein Staat als die traurige Erkenntnis, falsch gehandelt zu haben. All die Jahre für nichts. All das Leiden und Sterben für einen Staat, dessen Gesetze Unrecht zu Recht machten. Tiberius Vaash wollte antworten, klare Worte zurückwerfen, wie Raketen. Doch seine Seele hatte Ladehemmung. Wäre sein Körper ein Turbolaser, er hätte sein Herz auf die Anwesenden geschossen.

Varpasi war kalte Pflichterfüllung und Vaash der alte Geist, der das Imperium mitgeschaffen hatte. Fanatismus gepaart mit technokratischer Loyalität - eine herzlose Allianz der Kräfte, die Untaten immer möglich machten. Warum brauchten sie immer jemanden, der sie befahl und lenkte? Warum waren sie so? Warum war es diesen gebildeten Männern so schwer, ihren Kurs zu ändern? Lieber zogen sie den Tod in der Schlacht vor, als sich einzugestehen, dass sie gescheitert waren. Hielt sie ihre moralische Unfähigkeit oder auch die Angst vor sich selbst zurück? War es die Urangst die innere Sicherheit, das eigene Spiegelbild als Fratze zu sehen, die sie strafte mit dieser Folgsamkeit? Klug genug waren sie, um zu verstehen aber niemals zogen sie Schlüsse daraus, die notwendig waren. Es waren immer nur Entschlüsse das Alte zu bewahren, darin, wo sie sich bewegten und auskannten. Vaash und Varpasi waren seltsame Figuren in diesem Spiel der Götter. Diesem diabolischen Schach, gespielt von Vesperum und seinen Handlangern, die sich willfährig überall fanden.

Man verbrachte sich an die Esstische. Vaash wurde geholfen, indem zwei jüngere Offiziere ihn behutsam an einen Tisch bugsierten. Es begann also. Der bärtige Kriegsheld legte seine Hände auf den Tisch vor sich, ließ sich Wein einschenken, nachdem er sein leeres Glas Spirituose einem Droiden auf das Tablett gestellt hatte. Der Blick war leer, fast direkt auf den Tisch gerichtet. Diese Gespräche waren die Dolche, die er nun nicht brauchte. Schließlich erschien der Gastgeber des Abends per Holographie. Der Alte blickte ihn nicht an. Diese Person war nicht die Person, die er als würdevoll empfand. Pestage war all das, was er eigentlich auch war; nur differenzierte sich der Veteran stark ab. Beide dienten sie der Sache und beide hatten dafür auf ihre Art Opfer gebracht. Natürlich unterschieden sich weitesgehend in einigen Charakterzügen aber im Endeffekt leisteten sie dem System Vorschub und dies unbarmherzig. Die Rede war schwerfällig und Vaash drehte sich dann doch zur Varpasi.

"Ehre rettet unseren Fronten nicht," war der trockene Kommentar, der fast geflüstert in Varpasis Ohr floss.
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