#8
Die Belastung derartiger Veranstaltungen lag sicherlich nicht nur in der Summe und Qualität anwesender Personen, sondern unter anderem auch an der generellen Steif- und Korrektheit. Was ihr fehlte war die typische Bar, die grellen Neonfarben mit denen kreative (und vor allem auch hartnäckige) Cantinabetreiber den tristen imperialen Alltag etwas auflockerten. Das ging hier selbstverständlich nicht, immerhin war es der imperiale Palast, Symbol und Moloch der Perfektion und für gewöhnlich ging man hier zum Lachen in den Keller - wenn überhaupt das. Stellvertretend stand dieser Galaabend in seiner Inszenierung für so ziemliches alles, dass Daro Zen am Imperium hasste und dies war wiederum, wie sie verwundert feststellen musste, eine ganze Menge. Von eitlem Geschwätz über lächerlichen Speziesmus über mangelnde Moral und gewalttätige Unterdrückung und dann errichtete man auf den Rücken der blutenden, geschundenen Gesellschaft Prunkfeste wie diese, bei denen sich all die Monster noch einmal gegenseitig zu ihrer Grausamkeit beglückwünschen durften. Aber sie war auch keine richtige Verräterin, dazu machte sie diesen Job bereits zu lange, dafür war sie in mancherlei Hinsicht bereits zu abgestumpft. Schwierig waren nur die Phasen zwischen den Kämpfen, die an ihrem Geist nagten und die marode Selbstlüge langsam zum Einsturz brachten. Nach heutiger Sicht, wäre Daro gewiss nie in das Militär eingetreten, viel zu euphorisch war sie gewesen eine bedeutende Aufgabe zu übernehmen. Vielleicht wäre sie als Frachtercaptain sogar ein ganzes Stück weit glücklicher, als auf der Brücke eines Sternenzerstörers. Denn dort gab es noch die Unreinheit, das Unperfekte, den romantischen Traum des Weltraumabenteurers der ziellos zwischen den Sternen hin- und hersprang. Mancher Tage, so dachte sie, käme es vielleicht sogar einem Traum gleich in die weiten der Unbekannten Regionen entsendet zu werden. Es war die stetige Flucht ins Ungewisse, die Hoffnung nach Vergessen, vielleicht sogar nach einem Neuanfang, ohne jene Fehler, jene amoralischen Verbrechen, die in dieser Galaxis an ihr hafteten. Es gab auch keine Entschuldigung, nein, die Aufhebung der Sünde endete erst mit dem Tod - doch wer schon sprang dem Sensenmann eigenständig vor sein grässliches Schlachtwerk? Wie so viele war auch Daro Zen in ihrem Herzen feige und hatte Angst. Weglaufen als Flucht vor der Verantwortung.

Wie Mücken surrten die Kellnerdroiden zwischen den Gästen umher und achteten sorgsam darauf, dass auch ja kein Gast von ihrer Freundlichkeit, gar Aufdringlichkeit, ausgeschlossen wurde. Aber das sollte sie im Moment gar nicht stören, denn letzten Endes war es der Alkohol allein, der diesen Abend erträglich machen würde. Eines der, wie leider zugeben musste, doch recht hübschen Gläser fand ihre Hand, mit der prickelnden, blass goldenen Flüssigkeit darin. Vorsichtig balancierte sie danach in die lichteren Außenbezirke, dort, wo das Gedränge und Gerede der Menschen ein erträgliches Niveau hatte, dort, wo der Transparisstahl ihr einen Blick in die Welt unter ihnen gönnte, dorthin wo sie glaubte ihre Ruhe zu haben. Ihr Interesse an Gesprächen war eher gering - es gab nur wenig zu sagen und was es auch war, es würde über kurz oder lang in einer Konfrontation enden. Das mochte weniger an ihrem impulsiven Wesen liegen, als vielmehr an der Tatsache, die Dinge beim Namen zu nennen. Eine Eigenschaft, die jedoch nicht immer sonderlich geschätzt wurde. Verständlicherweise.

Manchmal aber, war selbst der Transparisstahl ihr Feind, manchmal, gönnte selbst das tote Material ihr keinen Frieden, sondern peinigte sie mit hochglänzender Reflektion, mit unwirklichen Schemen, die sich immer noch in den Saal drängten und die natürliche Neugier entfachten, dieser ständige Drang sich doch wieder umzudrehen, zu beobachten. Schließlich musste auch sie diesem Druck nachgeben und wünschte sich keine zwei Minuten später, sie hätte es nicht getan. Dort kam er eingefahren. Er, der Geliebte, der Gelobte, der Gepriesene. Wie eine Salzsäule stand sie fest, unfähig sich zu bewegen, unfähig sich abzuwenden. Lediglich das Glas zitterte in ihren Händen, ließ die Flüssigkeit darin wanken. Da saß der Krüppel in seinem Hoverstuhl und forderte Mitleid für seine Misere, einen letzten Tribut für seinen angeblichen Heldenmut, für seine Ehre. Aber Vaash war nichts anderes als ein Verräter und er hätte ihnen einen Gefallen getan, wäre er bei Eriadu einfach gestorben. Das Problem war nicht die politische Ambition, natürlich war Vesperum ein besserer Herrscher als Pestage. Das Problem ist, wenn politische Ambition militarisiert wurde. Wenn Soldat auf Soldat schoss für den Idealismus eines alten Mannes, für das egoistische Ziel dahinter. Tiberius war kein Held mehr, bestenfalls eine tragische Legende. Er stand nun als Symbol dafür, wie tief ein Soldat fallen konnte, mehr noch, verkörperte er letzten Endes sogar den Werteverfall im Imperium selbst. Nun heuchelten sie Respekt für jemanden, griffen nach einem kleinen Stück Ruhm des einstigen Helden, der noch wenige Monate zuvor ohne Reue den Schussbefehl auf diese Männer erteilt hätte. Seine Ehrengarde schien indes nur aus einem Mann zu bestehen, den Daro als Cassio Acchetia identifizieren konnte. War nun selbst der Stabschef so prinzipienlos? Der einzige Mann im imperialen Kern dem dieser verlogene Respekt noch weniger Zustand, war wohl Blitzer Harrsk selbst.

Ihre Augen hielten die Szene über mehrere Momente hinweg fest, die Zeit selbst schien stillzustehen, als sie den Mann gesehen hatte. Und doch war sie nicht bereit den ersten Schritt zu tun, nicht bereit weiter auf den geschundenen Vaash einzutreten. Aus Gnade? Wohl kaum. Doch da ein Großteil der Verblendeten zu ihrem geliebten Flottenadmiral aufsah, wäre eine verbale Konfrontation mit ihm Selbstmord - zumindest in diesem gut gefüllten Saal und als eindeutig in der Minderheit befindliche Frau. Beinahe auch, hatte sie das Glas in ihrer Hand vergessen, das sie nun schnell hob, um die vergangene Szene hinunterzuspülen. Vielleicht würde sie diesen Abend nicht mehr von Vaash ertragen müssen - dies wäre zumindest zu hoffen. Doch kaum war dieser Gedanke ausgesprochen, schaltete sich bereits der angehende Imperator Pestage ein, mit hohlen Worten, die auf einige der Offiziere zweifelsohne wie Spott wirken mussten. Dies war die Henkersmahlzeit, der Zusammenhalt die Vereinigung im Tode. Das letzte Zusammentreffen bevor man eine Vielzahl von ihnen in ihre Gräber entließ. Zusammen mit gefallenen Republikanern. Und mehr hatte Pestage nicht zu sagen? Mehr fiel diesem greisen Idioten nicht ein? Es war sein dürrer Hals, sein knochiges, beinahe verfallenes Gesicht, für dass sie kämpften, sein zukünftiges Imperium. Aber lohnte es sich? Nein, für Pestage würden sie die Idee der Ordnung begraben. Soldaten kämpften für ihre Familien und Freunde, nicht für einen senilen Diktator. Für mehr konnten sie ihre Waffen nicht erheben, denn seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges war die imperiale Scheinwelt zusammengebrochen, das Trugbild vom idealen Staat.

Was blieb war also das letzte Mahl vor dem großen Tod, den sie wie die Wilden und Barbaren vor sich hertrieben, im Irrglauben daran, er würde sich an der Republik laben. Daro nahm sich einen Tisch unweit des großen Fensters, das den Blick hinaus in die Freiheit, ihr Herz mit Schwermut und Sehnsucht erfüllte. Denn war es nicht so, dass sie hier nur in einem goldenen Käfig saßen, wie gefangene Nachtigallen? Spielzeuge für eine ausgewählte Gruppe mächtiger und wer das Lied des Krieges nicht mitsang, der wurde zerschlagen. Was blieb war der Trost der Einsamkeit und ein weiterer Schluck Alkohol. Denn wie lange mochte man es ihr gönnen? Wie lange blieb die Stille, bis sich wieder jemand erdreistete sie zu durchbrechen mit unsäglichen Worten? Dies hier war nicht Ord Mantell. Nicht der Ort, wo sie die Leute kannte und ihnen vertraute. Dies hier war ein Zirkus der Fremdlinge, in der Attraktion und Zuschauer dasselbe Individuum verkörperten.

Wie prophezeit hielt die Ruhe nicht lange an, es war nicht einmal das störende Geräusch der Glocke, das ihren Magen daran erinnerte, dass es vielleicht Zeit wurde für eine Mahlzeit - selbst wenn ihr gedanklich schlecht war und sie diesen Ort lieber wieder verlassen würde. Essen konnte man auch anderswo. Nein, ihre süße Einsamkeit, das kleine Reich der Entspannung wurde jüngst eingerissen, als jemand in diesem außerordentlich großzügigen Festsaal sich dazu entschied sich ausgerechnet neben ihr zu setzen. Das allein mochte kein Verbrechen sein, selbst wenn ihre natürliche Abwehrreaktion darauf bestand, einen halben Zentimeter abzuweichen, dezent wegzurücken. Nein, was sie etwas verdutzte war wohl die fälschliche Annahme des Mannes, sie hätte Redebedarf oder wurde zumindest gerne angesprochen. Nun, faktisch mochten seine Beobachtungen sogar korrekt sein, denn Daro war nie eine Person gewesen, die einen außerordentlichen Anspruch an Essen gestellt hatte und dementsprechend sich auch nie großartig dafür interessiert hatte, was genau sich nun auf ihrem Teller befand - nicht solange es genießbar war. Das mochte weniger ihrer Faulheit geschuldet sein, als der simplen Tatsache, dass imperiales Militäressen keine Kost für Feinschmecker war und auch nicht sein sollte. Infolgedessen starben nicht nur kulinarische Geschmacksknospen ab, sondern auch das allgemeine Interesse an Debatten zum Thema Delikatessen und exotische Gerichte. Mit anderen Worten hätte es auch gammoreanischer Gulasch oder Quarreneintopf sein können - solange man nicht wusste was genau drin war und es schmeckte, schien der menschliche Körper ebenso wenig Anspruch auf Art der Nahrung zu erheben, wie die Admiralin selbst. "Schön für die Suppe.", kommentierte sie ebenso knapp wie tonlos. Solange das, was dort drin herumschwamm und in das ihr Löffel ein wenig lust- und appetitlos herumstocherte nicht irgendwie Teil eines Selkath war, mochte das wohl erträglich sein.

Doch konnte sich ein Mann damit allein begnügen? Selbstverständlich nicht. Es benötigte mehr Worte, mehr Eindringlichkeit, sie irgendwie in ein Gespräch zu verwickeln und zu verfangen. Einzig abzuurteilen schien er sie nicht, was vielleicht irgendwo eine positive Eigenschaft sein mochte, sie aber gleichsam auch skeptisch machte. Aber es interessierte sie nicht. Er war also ein Schoßhündchen Varpasis, eines weiteren Verlierers von Eriadu. Sollte sie ihn nun beglückwünschen? Oder war das noch echter Stolz, der Irrglaube in einer prestigeträchtigen Flotte zu dienen. Aber Prestige war so belanglos wie vergänglich, es interessierte für den kleinen Moment und verschwand dann im endlosen Strom der Zeit.
Letzten Endes aber, musste der Mann, der sich als Cadera vorstellte, seine Verwunderung kundtun. Er kannte also andere Frauen? Andere weibliche Offiziere? Beinahe hätte Daro spöttisch gepfiffen, konnte sich aber noch beherrschen. Glücklicherweise besaßen sie sogar herausragende Fähigkeiten - aber was sollte ihr das nun sagen? Dass die Hand voll Frauen, die im imperialen Militär etwas zu sagen hatten nun alle herausragend waren und die übrigen Millionen schlichtweg unfähig? Eigentlich interessierte sie das wenig und genau so, war es ihr egal. Wenn ein Offizier seine Arbeit ordentlich tat war er gut, unabhängig vom Geschlecht - dies war die einfache Rechnung. Sie musste deswegen niemanden mehr oder weniger loben oder bevorzugen und musste es erst recht nicht erwähnen um damit... nun... was eigentlich? Was bezweckte Cadera damit? Scheinheilig könnte sie nun den Finger an das Kinn legen und minutenlang darüber sinnieren und rätseln - so offensichtlich es war, konnte sie es aber auch einfach lassen. "Zen", gab sie als ebenso knappe Antwort zurück, verzichtete dabei aber wissentlich sowohl auf Vorname, sowie auf Flottenzugehörigkeit. Cadera war kein Freund, weshalb es ihm schlussendlich auch nur wenig anging, mehr noch, unterstrich es ihre Auffassung, dass sie von solch hohlen Floskeln und Phrasen nur wenig hielt, sie eher als vernachlässigbares Übel und nicht als wahres Gespräch ansah. Als Daro ihren Kopf hob um eine Strähne hinter ihr Ohr zu streichen, dass der Suppe gefährlich nahe gekommen war, durfte sie endlich einen Blick auf den imperialen Strahlemann, als der er sich entpuppte werfen. Ja. Cadera war äußerlich das, was sich hier zu Hauf im Saal tummelte: verblendet vom Militär, vom Staat, von sich selbst. Jemand der auf Kommando jubelte und auf Kommando feuerte, jemand der handelte, aber die Beweggründe für dieses Handeln nicht verstand. Ein schwermütiger Seufzer verließ ihren Mund. "Hören Sie, Cadera: was wollen Sie eigentlich?", fragte sie gleichermaßen resigniert wie genervt.
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