#11
Ohne besonderes Interesse oder erkennbare Scham für die Peinlichkeit der Situation, in der sich Vaash ihr gegenüber befand, lag Isards Blick regungslos auf dem alten Mann. Andere hätten seine Versuche, sich zu sammeln, als würdelos oder demütigend empfunden – und vermutlich tat er das selbst. Und sicherlich, das war durchaus Zweck des Ganzen. Hier war er eben nur das, was er war: losgelöst von seiner schneidigen Uniform und reduziert auf einen Fleischhaufen, der eben Dinge besaß, die sie wollte. Isard interessierte nicht, was er aus seiner Sicht wurde und für wen er sich hielt, sobald er die Uniform trug, die ihm für sich selbst anscheinend Bedeutung und Ehre gab. Aber das waren seine Illusionen. Wer seinen Wert nur am Tragen einer Uniform bemaß und keinen mehr hatte, sobald man sie ihm auszog, war nichts weiter als bedauernswert; eine Schnecke, die man mit ein paar simplen Griffen und ohne Mühe ihres Hauses berauben konnte, und die dann nackt vor einem stand. Es tat einem nicht einmal leid. Und es war eigentlich auch nicht von Interesse, was danach passierte. Leute wie Vaash… Leute mit Ehre und Anstandsgefühl, sie waren die einfachsten, bequemsten Kontrahenten. Leute wie Cronal waren weitaus schwieriger. Und so lief der alte Mann – anders als vermutlich Cronal es hätte – direkt durch das offene Scheunentor, dass sie Vaash bereitet hatte. Natürlich diente er dem Imperium. Wunderbar.
„Ah, gut, dass Sie das sagen“, entgegnete sie zweischneidig und ihre heterochromen Augen begannen kurz zu glitzern. „Denn wenn das so ist, werden Sie sicherlich verstehen.“
Was verstehen? Es blieb offen. Etwa nur das Gespräch – oder kam noch mehr? Sie ließ sich nicht in die Karten blicken, implizierte aber bereits, dass Dinge geschehen konnten, die es zu verstehen galt – Dinge, die also ein aufrechter imperialer Loyalist über sich ergehen lassen würde, ohne an ihr oder ihrem Staat zu zweifeln. Gewisse Dinge mussten getan werden, selbst bei loyalen Anhängern… um zu prüfen, zu testen, ob es wirklich alles so war, wie es schien. Doch war es alles stets im Interesse des Imperiums – wer also außer Verrätern konnte wirklich etwas dagegen haben? Nun, sicherlich mochten diese Dinge nicht immer angenehm sein, aber ihr vorzuwerfen, dass sie sie tat, tun musste, war heuchlerisch. Wer das Imperium am Laufen halten wollte, benötigte eine Person wie sie. Akzeptierte und stand man zum Imperium, musste man Ysanne Isard akzeptieren. Eines funktionierte denklogisch nicht ohne das andere. Menschen wie Vaash versuchten das stets zu trennen – und belogen sich ihr Leben lang. Vermutlich war es auch einfacher, das Unbequeme ihrer Staatsvision auf eine andere Person auszulagern, anstelle sich zu hinterfragen und festzustellen, dass die eigene Moral Personen wie Isard eben brauchte und geradezu zwingend hervorbrachte. Sie selbst… hatte kein Problem damit. Es war immer besser, gefürchtet, aber verachtet zu werden als geliebt, aber belächelt zu werden. Wenn sie das personifizierte Übel im imperialen Staat sein sollte, dann war es eben so. In dem Fall sollten sich Personen wie Vaash aber auch nicht wundern, dass sie diesem Ruf auch gerecht wurde… und gewissermaßen auch gerecht werden musste.

Nun gut, zumindest kannte sein allmählich eintretender Verstand also den Namen noch. Das war… ein Anfang. Natürlich war es nicht genug. Es genügte nicht, um die Direktorin zu befriedigen, denn im Rahmen ihrer Interessen spielte es keine Rolle, ob der Name ihm etwas sagte, sondern ob er ganz konkret die Informationen abrufen konnte, die sie benötigte. Das war relevant – nichts weiter. Sie unterdrückte innerlich ein Seufzen, wandte sich dem Datapad zu, das sich vor ihr auf dem Tisch befand. Ihn zum Sprechen zu bewegen war der einfache Weg, doch für den Fall, dass stimmte, was er sagte, dass sein dämmriger Verstand ihm also einen Streich spielte, mochte es effektivere Wege hierzu geben. Isard war auf diesen Fall durchaus vorbereitet, aber Vorbereitungen mussten nicht in Handlungen münden, sondern auch der einfachere Weg zum Ziel führen konnte.
„Gewiss“, antwortete Isard ihm achtlos, während einer ihrer Finger auf dem Datapad herumwischte, wobei es nicht schien, als würde ihre Nebenbeschäftigung tatsächlich ihre Aufmerksamkeit beeinträchtigen. „Lassen Sie uns doch mit dem anfangen, was wir haben, nicht wahr? Dann wird das Ganze nicht lange dauern… und Sie können Ihre Familie bald schon wieder ungestört sehen.“
Ihr Blick hob sich kurz an, zwei gehobene Augenbrauen linsten ihm entgegen. Andeutungen. Konnte er das derzeit also nicht? Vielleicht nur eine Floskel, vielleicht auch nicht. Es war das Spiel mit der Angst des Gesprächspartners, wenn dieser ständig mit Dingen rechnete, die passieren konnten – oder eben auch nicht. Psychoterror war ein mächtiges Instrument, das aber in mancher Situation wohlüberlegt und dosiert eingesetzt werden musste. Manchmal mehr, manchmal weniger. Dennoch gefiel ihr der Gedanke, dass jeder, der mit ihr sprach, jederzeit damit rechnen musste, dass alle offenen oder versteckten Drohungen, die sie machte, umgesetzt werden konnten, wenn ihr danach war – selbst wenn es gar nicht der Fall war oder sie es vielleicht gar nicht wollte. Allein die Vorstellung genügte häufig. Und wo nicht… nun, dann konnten sie eben wahr werden. Oder auch nicht. Unwägbarkeiten. Auf keinen Fall durfte sie sich von anderen in irgendeiner Form ausrechnen lassen. Andere mochten es Willkür nennen. Das war auch sicherlich nicht falsch. Nur war die Ironie, dass diese am Ende der Ordnung und Sicherheit diente.
„Können Sie sich noch daran erinnern, wie es zu diesem Vorfall mit Inquisitorin Nigidus gekommen ist?“, begann die Direktorin harmlos. Natürlich ließ sie nicht erkennbar werden, was ihre vorliegenden Informationen zu der gesamten Sache waren. Der zu Vernehmende war stets im Unklaren über die aktuelle Informationslage zu lassen. So wenig wie möglich sollte ihm am Anfang gefüttert werden, sondern er sollte erst einmal von selbst sprechen. Das verringerte seine Chance, sich an eine Version zu klammern, die ihm bereits serviert wurde, sondern so konnte jede einzelne seiner Aussagen später auf den Wahrheitsgehalt und die Fakten abgeklopft werden. Dass der Geheimdienst im Prinzip alle relevanten Informationen seit dem Vorfall gesammelt hatte, sollte Vaash schlichtweg nicht wissen. Ebenso wenig wie den Umstand, dass Isard noch keinerlei Informationen darüber hatte, was tatsächlich Grund und konkreter Auslöser dieser Auseinandersetzung gewesen war. Zeugen für einen Streit hatte es nicht gegeben, Überwachungsaufnahmen gab es keine. Nun war nicht ausgeschlossen, dass die offensichtlich verrückt gewordene Nigidus eben genau das war und einen Aussetzer hatte – aber daran zweifelte Isard. Denn auch im Gespräch mit der Inquisitorin war deren Aggression letztlich nicht völlig unprovoziert gewesen. Die Direktorin hatte zwar nicht damit gerechnet, dass Nigidus sich derart leicht zu einem Angriff hinreißen ließ, insbesondere nicht in der Situation, in der sie sich befunden hatte – umringt von Feinden. Es war eine aussichtslose Situation gegeben und idealerweise fügte sich eine Person dann dem Zwang. Nun, sie hatte es nicht und war dementsprechend entsorgt worden. Zumindest vorübergehend, bis Isard das hatte, was die Frau noch für sie finden sollte. Im Anschluss kniete sie entweder oder starb. Es gab keine Alternativen. Bei Tiberius Vaash war die Sachlage etwas unklarer. Aber er galt nicht als die Person, die hirn- und sinnlos andere Personen reizte. Insofern war Isard sich auf Grundlage der bisherigen Fakten relativ sicher, dass hinter dem Vorfall mehr steckte als ein bloßer, unprovozierter Ausraster von Traggis’ Tier, wie er sie immer nannte. Eine Rolle mochte hierbei am Ende die dritte relevante Figur im Spiel sein, die Jedi, die Isard selbst kurzerhand vernommen hatte – damals noch eigentlich in anderer Sache, als sie für Vesperum den Standort der Jedi hatte herausfinden sollen. Das war damals… über dem Interesse an Vaash gestanden. Kurz amüsierte Isard sich darüber, aber so waren die Dinge nun einmal. Interessen änderten sich, je nach Sachlage. Jetzt, nachdem Nigidus auch gegen sie rebelliert hatte, war weitaus relevanter, was mit Vaash seinerzeit passiert war.

Um dies genauer zu ergründen, tippte Isard während sie zuhörte noch einmal abschließend auf dem Datapad, winkte Vaash derweil mit der anderen Hand näher zu sich an den Tisch heran. Dann hob sie das Pad an, drehte es in seine Richtung, so dass er das Display selbst betrachten konnte. Dort waren zwei Bilder nebeneinander zu sehen, einmal die Jedi-Verbündete der Inquisitorin, die diese vor dem Imperator und dem Imperium selbst wissentlich verborgen hatte, wie sie in einer offenbar gestohlenen ISB-Uniform auf der Abaddon zu sehen war. Das Datum der Aufnahme, die aufgrund des Winkels offenbar aus einer Kamera an Bord des Schiffs stammte, war zeitlich recht kurz vor dem eigentlichen Zusammenstoß gewesen. Direkt daneben ein weiteres Bild von ihr, ein undatiertes, aber erkennbar viele Jahre älteres Bild, das die Sephi in einer purpurnen Jedi-Kluft zeigte, wobei sich Ort der Aufnahme hier nicht ableiten ließ.
„Und erkennen Sie diese Person wieder?“
Sie überließ ihm das Pad für den Moment, so, dass er es ihr aus der Hand nehmen konnte, falls er die Bilder dort genauer betrachten musste, forderte ihn aber auch nicht dazu auf. Sie machte aber auch keinerlei Anstalten aufzustehen und zu ihm herüberzugehen, sollte er das Pad nehmen wollen. Nein, er musste schon zu ihr herankommen, wenn er es brauchte. Der Geheimdienst gab nie einfach so. Nie ohne Zweck. Und schon gar nicht ohne Hintergedanken.
„Nehmen Sie sich Ihre Zeit“, schob sie schlussendlich nach, eine Hand offen in seine Richtung ausgestreckt. Aus ihrem Mund klang es dennoch eher wie eine Aufforderung, dass er sich idealerweise auch genau überlegte, was er ihr und wie er es ihr nun antwortete.
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