#4
Pestage registrierte wie die schwere Tür mit einem dumpfen Knall ins Schloss fiel, doch er drehte sich nicht um – metaphorisch gesehen tat er dies nie. Es war ein schmaler Grad zwischen Loyalität und Respekt, ein Spagat zwischen politischen Kalkül und pragmatischer Notwendigkeit. Eriadu war ein Fehlschlag und im Grunde gab es diesbezüglich keine großen Analysen zu tätigen. Die imperiale Flotte wurde geradezu übertöpelt, in die Falle gelockt wie ein naiver Haufen frischer Absolventen der Akademie. Verrat – wie ihn Delvardus begangen hatte – war für Pestage kein Grund – keine Erklärung der Niederlage - denn Hinterlist und Tücke gehörten zum Alltag und ständigen Begleiter des Großwesirs und zukünftigen Herrscher über das Reich.

Trotzdem fielen ihn solche Entscheidungen nicht leicht, nicht weil er Mitleid um den ehemaligen Stabschef hatte, sondern weil er wusste wie dünn gesäht sein Ansehen beim Militär war und solche Schritte fundierten nicht gerade seine Reputation.

Erst jetzt bemerkte Sate, dass sein Diener immer noch lautlos im Raum stand. Die Unauffälligkeit dieser Gestalten war bemerkenswert, andererseits war sie wohl nichts weiter als eine natürliche Reaktion auf ihr eintönige Lage. Zuviel Aufmerksamkeit konnte bei einem Lakaien schnell zum Tode führen – die Gründe dafür waren vielfältig. Pestage aber sah keinen Anlass dem Diener gegenüber unfair zu sein und so entließ er ihn mit einem kurzen Wink seiner Hand und spürte fast die Dankbarkeit der faden, kleinen, Kreatur.

Schließlich war er wieder – abgesehen von den gesichtslosen imperialen Wachen – allein. Ein Umstand der ihm nicht unbekannt war, sowohl in physischer als auch in psychologischer Sicht. Müde blickte er auf den leeren Thron der einerseits einladend wirkte, andererseits auch wie ein bedrohliches Mahnmal im Raume stand. Plötzlich wirkte der Thronsaal bedrohlich groß und schien Pestage mit seiner Größe zu verschlingen. Langsam – der Versuchung zu hasten widerstehend – verließ Sate den Saal in Richtung seiner privaten Räumlichkeiten. Die Wachen folgten ihm unauffällig.

Seine Gedanken kreisten als er durch die Flure schritt und der geheuchelten Freundlichkeit der anderen mit kurzen Blicken seine Beachtung schenkte. Nach wenigen Minuten erreichte er sein Büro – die letzte Bastion seiner Persönlichkeit. Ein Ruhepol wo er Kraft und Energie sammeln konnte, ein Ort um seine Gedanken zu fokusieren. Als er die Tür hinter sich verriegelte und sein Blick über die unterschiedlichen Kunstwerke und Gemälde wandern ließ, kehrte eine gewisse Zufriedenheit in ihm zurück. Es gab viel zu tun und kaum Zeit. Das Imperium befand sich auf einer Weggabelung und es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder würde die Ära hier und mit ihm enden, so sie würde mit ihm an der Spitze zu neuer Herrlichkeit erwachsen. Zweifellos war die zweite Option die verlockendere.

Pestage ging zu seinem Schreibtisch, nahm sich beiläufig eine Flasche aus einem der Regale und fingerte geschickt nach einem Glas. Großzügig goß er sich etwas von dem Getränk ein, nahm einen Schluck und stellte es dann, während er sich setzte, neben die unzähligen Unterlagen und Dokumente die sich vor ihm stapelten. Überall gab es Zwist und Fragen. Unsicherheit und Fragilität – nicht Sicherheit und Ordnung – schienen aktuell auf dem Imperialen Banner zu stehen. Ein Umstand der sich schnellstmöglich mit allen notwendigen Mitteln ändern musste.

Bittschreiben, Anträge, Formulare... Pestage lächelte müde aufgrund der Ironie, dass er als zukünftiger Herrscher offenbar von der Tätigkeit her die gleichen Angelegenheiten zu erledigen hatte, wie er es einst als Großwesir tun musste. Inadäquate Frage huschten plötzlich durch seinen Kopf,.. musste oder sollte er sein eigenes Essen vorkosten?
Wohl kaum – auch um diese unsinnigen Gedankenfetzen zu vertreiben leerte er sein Glas mit einem kräftigen Schluck. Es gab viel zu tun, viel zu planen und neben alle der Verantwortung für das Reich musste er vor allem seine eigene Zukunft planen und alle Eventualitäten abwägen.
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