#23
„Das Gleichgewicht der Macht“, sprach Nashira leise und ihre Stimme klang dabei beinahe schon andächtig. Ihr Blick glitt zu einem unsichtbaren Punkt, verweilte dort einen kleinen Moment, ehe er wieder in das Jetzt zurückkehrte. „Ein Zustand, den so viele begehren und der doch so wenig erstrebenswert ist.“ Es war ein kleines Lächeln, welche ihre sonst so hart wirkenden Lippen umspielte und doch war nicht erkennbar ob es sich um ein Lächeln des Mitleids oder des der Erheiterung handelte. „Das Licht, die Zeiten des Friedens, führt zu kulturellem Wachstum und zu Vermehrung von Leben“, begann Nashia mit ruhiger Stimme zu sprechen. „Die Evolution beginnt zu stagnieren und die Stärke des Einzelnen ordnet sich der Schwäche des Kollektivs unter. Das Leben verliert seine Anpassungsfähigkeit und seine Individualität und doch bringt es Bewegung in die Galaxis. Aber es bringt auch Enge mit sich und die Bewegungen beginnen einander zu überlappen. Werden die Überlappungen zu groß, die Enge zu gewaltig, so läuten sie die Zeit der Dunkelheit ein. Die Bewegungen sind wie viele übereinandergelegte Farben, die irgendwann einmal Schwarz ergeben.“ Nashira mochte nie als großartige Denkerin in Erscheinung getreten sein, sondern hatte sich meist als eine junge realistische Frau offenbart, die sich mehr an harten Fakten orientierte und nicht besonders viel von philosophischen Theorien hielt. Aber auch sie hatte einmal ein Leben vor diesem Leben gehabt. Ein Leben in einer offenen und dem Leben gewidmeten Gemeinschaft.

„Die Dunkelheit, die Zeiten von Krieg, führt zu einer Verminderung von Leben“, führte sie ihre Erörterungen weiter fort. „Die Evolution beginnt wieder ihre Arbeit auf zu nehmen und dafür zu sorgen, dass die Stärke eines Einzelnen dem Kollektiv seine Schwäche aufzeigt. Diese Zeiten sorgen dafür, dass sich das Leben seiner Umgebung anpasst, es entwickelt sich weiter und wird zu einer verbesserten Version seines früheren Seins. Doch das Vergehen von Leben führt zu einer kulturellen Stagnation, zu Stille bis hin zu einer alles umfassenden Stasis. Die Bewegungen kommen zur Ruhe, die Überlappungen werden weniger und das Licht beginnt wieder zu erstrahlen.“ Nashira warf einen kurzen Blick auf den Mann vor sich. Es war schwer zu entscheiden, ob er derartige Worte aus ihrem Munde überhaupt hören wollte oder ob sie sich nicht in Gefahr gebracht hatte, ihre ganz persönliche Ansicht über die Wechselwirkungen der Macht vor ihm zu offenbaren. Doch sollte es ein Fehler gewesen sein, so war er jetzt nicht mehr rückgängig zu machen.

„Licht und Dunkelheit ist der uralte Kreislauf des Lebens. Ein Gleichgewicht würde nichts anderes bedeuten, als dass sich die Wirkungen beider Pole gegenseitig aufheben würden“, kam es weiterhin mit absolut ruhiger und gefasster Stimme von der jungen Frau. „Es wäre das Ende alles Lebens, so würde nur noch ein Nichts herrschen. Altes Leben könnte nicht vergehen und Neues nicht erschaffen werden. Die Macht weiß das, so zieht sie ihre Kraft aus beiden Polen. Aus dem Pol des Lichts, des Lebens und dem Pol der Dunkelheit, des Todes.“ Ihre Worte beinhalteten viel von dem, wie man in ihrem Volke auf das Wirken der Macht deutete. Alles Lebende besaß eine Form von Energie, oftmals auch als lebende Macht bezeichnet. Viele andere machtbegabte Völker zogen ihre Kräfte aus dieser lebenden Macht. Doch wenn ein Leben verging, so wurde seine Energie freigesetzt und fügte sich der kosmischen Macht hinzu, aus welcher wieder neues Leben geboren werden konnte. Alles was diesen Kreislauf in Gefahr brachte, versuchte ihn zum Stillstand zu bringen, würde eine Gefahr für alles Lebende in dieser Galaxis bedeuten und nicht alleine nur, wie von vielen gedacht, intelligentes Leben.

„Die Macht strebt kein Gleichgewicht an, so kennt sie seine Gefahren und aus diesem Grund verändert sie die Waagschalen mal auf die eine oder die andere Seite“, äußerte Nashira und ihr Blick glitt wieder für einen Moment zu einem unsichtbaren Punkt in längst vergessener Zeit. „Doch kann sie die Auswirkungen ihres Handelns nicht vorhersehen, nicht kontrollieren. Es ist wie ein Stein der in einen See geworfen wird. Um ihn herum bilden sich nur winzig kleine Wellen, doch sie ziehen weitere nach sich. Sie vereinen sich, werden größer und irgendwann kann keiner mehr vorhersagen was als nächstes passieren wird. Also ist sie immer wieder gefordert die Auswirkungen ihres Handelns zu berichtigen.“ Nashira lenkte ihren Blick auf den selbsternannten Imperator. Er mochte gewiss größeres Wissen über den dunklen Pol der Macht besitzen als sie jemals in der Lage sein würde, doch war es zugleich dieses Wissen was seinen Blick trübte. Er hatte seine Zeit, sein Selbst, alles was er war, den Studien dieses einzelnen Pols gewidmet, während sie ihren Geist und Verstand allen Aspekten der Macht offen gehalten hatte. Ihr Volk war ähnlich engstirnig gewesen und hatte immer nur eine Seite, ihre Seite, an etwas betrachtet und nie versucht etwas in seiner Gesamtheit zu verstehen. Sie hatte diese Denkweise noch nie besonders gemocht, doch als diese Denkweise ihr Leben zerstört hatte, war nur noch Abscheu dafür übrig geblieben. Abscheu, die Nashira sich selbst hatte schwören lassen, stets allem offen gegenüber zu sein was ihr im Leben begegnet, auch wenn es bedeutete bis zu ihrem letzten Atemzug Schüler von etwas zu sein.

„Eine Rettungsmission?“, fragte Nashira und ihre Augen veränderten sich kaum sichtbar. Rettungsmission waren nicht gerade das, was bisher in ihr Aufgabengebiet gefallen war, so war sie doch eher jemand, der ausgesandt wurde, wenn niemand mehr gerettet werden können sollte. Man mochte nun vermuten, dass sie über den Befehl Vesperums verwundert war, doch das war sie nicht. Es war nicht Verwunderung, es war Misstrauen. Dieses unterschwellige, nicht greifbare Gefühl, dass diese Aufgabe nicht ganz koscher war. „Wie eure Lordschaft wünscht“, sprach sie dann und neigte leicht ihren Kopf.
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