#24
Die Reaktion von Tiberius Vaash kam für Cassio überraschend. Er hatte was? Entlassung? Der frühere Stabschef blinzelte ein paar Mal erstaunt und eine bedächtige, bald schon sehr unangenehme Stille füllte den Raum an. Es war schwer zu sagen, wie lange sie dauerte, weil weder Cassio noch Vaash zunächst etwas daran änderten.
Der Alte ist fertig, dachte der frühere Stabschef, während er sich mit der freien Hand übersprungshaft am Nacken kratzte, weil ihm die Situation unangenehm wurde. Aber glaubte Vaash wirklich, dass das Imperium einen seiner bekanntesten Flottenkommandeure jetzt, so kurz vor der größten Offensive gegen das Reich, in den Ruhestand gehen lassen würde? Das erschien unwahrscheinlich. Zumal Tiberius Vaash in der öffentlichen Wahrnehmung der militaristischen Gesellschaft fraglos zerrissen werden würde. Die Hetze gegen von der Norm Abweichende konnte üble Ausmaße annehmen – und ein Rücktritt im imperialen Militär war sehr von der Norm abweichend. In aller Regel wurde man früher oder später aus dem Dienst entlassen – oder man fiel irgendwann in der Schlacht. Aufgrund von Vaash Reputation glaubte Cassio jedoch nicht daran, dass man ihn entlassen würde. Vor Endor hätte man es vielleicht noch getan. Aber jetzt, nach Endor, nach Eriadu. Das Imperium konnte es sich gar nicht leisten. Schon aus politischeren Maßstäben, weil sich dann bald eine weit größere Anzahl an Offizieren ebenfalls davonmachen würde. Davonstehlen. In Cassios Auffassung war es nichts anderes. Er ging von Bord, er wollte das imperiale Militär in seiner größten Krise im Stich lassen. Natürlich war Cassio klar, dass das ein hartes Urteil war, aber war es deswegen falsch? Der Vizeadmiral mochte die Resignation vielleicht irgendwo verstehen, nachdem er Vaashs Optionen überdacht hatte, um festzustellen, dass keine davon etwas Gutes versprach. Aber so war das Leben nun einmal. Es gab Zeiten, die schlecht waren. Und es gab noch schlechtere Zeiten, so wie jetzt. Den Soldaten zeichnete es aus, in solchen Zeiten nicht zu weichen, sondern seine Steherqualitäten zu zeigen, sich selbst zurückzunehmen und sich an das große Ganze zu erinnern, dem man diente. War das propagandistisch? Natürlich. War es deswegen falsch? Nein. Cassio hatte auch nicht seine Entlassung eingereicht, als es nicht gut für ihn aussah. Er hatte es erduldet. Er war nur eine einzelne Person, ein Nichts, nicht einmal ein winziges Zahnrad im Getriebe des Imperiums.

Für einen Moment öffnete Cassio den Mund, setzte an, etwas Hartes zu sagen. Sagen, dass Vaash damit nicht nur das Imperium, sondern jeden Einzelnen seiner Männer und Gefallen verriet. Doch brachte er die Worte nicht heraus. Auch Vaash hatte das alles akzeptiert, war beinahe in den Tod gegangen für das Imperium. Nun schien er gebrochen. Und auch wenn Cassio diese vermutliche Kurzschlusshandlung von Vaash missbilligte, so war sein Gegenüber immer noch ein verdienter Offizier, der weder Schimpf und Schande noch Hohn und Spott verdient hatte. Schon gar nicht von einem Mann, der den Krieg über in seinem Büro saß und die Heldentaten anderer Menschen als nüchterne Kurzfassung auf einem Flimsiblatt las, als seien es antike Epen. Es fühlte sich falsch an, heuchlerisch. Cassio presste die Lippen schließlich aneinander und nickte etwas sinnlos. Offensichtlich brachte auch er als eher unangenehmer Zeitgenosse es nicht übers Herz, die vernichtete Person vor ihm zu tadeln. Tatsächlich empfand er im Moment nur eines. Mitleid. Ein seltenes, nahezu fremd gewordenes Gefühl, das sich im Imperium nicht mehr häufig zeigte. Cassio wandte sich um, mit dem Rücken zu Vaash, fast als wäre ihm seine eigene Emotion dem Flottenadmiral gegenüber peinlich. Er lehnte sich etwas nach vorne, stützte sich mit beiden Händen gegen den Tisch, auf dem der Whiskey stand, und seufzte kurz.
„Ich denke nicht, dass Sie das wirklich wollen“, murmelte Cassio schließlich vielsagend, aber doch so, dass es zu verstehen war. Vaash hatte in der Vergangenheit viel aufgegeben, buchstäblich seit Jahrzehnten. Er konnte sein gesamtes Leben nicht wegen dieses Moments wegwerfen. Oder doch? Cassio jedenfalls konnte es nicht. Alles, wirklich alles wäre umsonst gewesen. Milliarden toter imperialer Soldaten wären verhöhnt, wenn man jetzt schwach wurde. Das konnte, das durfte nicht das Ende dieses Krieges sein. Die Verluste waren schrecklich, ja. Man konnte schon ganze Planeten mit Gefallenen bevölkern. Aber sie waren auch unausweichlich. Ein Krieg forderte Opfer. Jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde. Vaash glaubte immer noch, jeden retten zu können? Eine ehrenwerte Motivation, aber eine, die das Unmögliche einforderte. Es oblag einfach nicht nur Vaash, dies zu entscheiden. Selbst der begnadetste Kommandeur musste mitunter Truppen opfern, wenn es der Sache diente. Tausende. Zehntausende. Das war der Preis der Verantwortung, die jeder Offizier in der Flotte trug, wenn er ein Schiff an der Front kämpfen ließ. Es war eine Verantwortung, die sich nicht geändert hatte und die auch Vaash bereits seit Jahrzehnten getragen hatte. Der Unterschied war nur, dass sich jetzt die Anzahl der Verluste, die sich nicht vermeiden ließen, weitaus höher war als früher. Das war hart, aber war es wirklich ein großer moralischer Unterschied? Man verdammte eine immense Anzahl an Menschenleben mit einer einzigen Entscheidung zum Tode – und ob es nun dreißigtausend oder fünfzigtausend waren. Eine solche Größenordnung war bereits schwer vorstellbar und das Prinzip war immer das Gleiche. Es war ein Entscheid über Leben und Tod. Hätte ein Kommandeur ein anderes Schiff nach vorne beordert, wären diese Männer gefallen und nicht die auf dem geschonten Schiff. Eine perverse Entscheidung, die nicht selten von reinem Zufall oder Bauchgefühl abhing. Doch so war dieses Handwerk eben, das war allen klar.

„Wollen Sie, dass Ihre Geschichte so endet, Vaash?“, fragte Cassio nach einer Weile, während er sich wieder zu seinem Gast umdrehte. „Wir gehen in die Geschichte ein, so oder so. Die Frage wird lediglich sein, wie man uns in Erinnerung behalten wird. Als jemand, der zur Pflicht steht, oder als jemand, der sich ihr entzieht.“
Vielleicht wollte Cassio den Admiral damit bei der Ehre packen. Menschen liebten Geschichten mit Konsequenz. Leute, die sich für ihre Ideologie aufopferten. Ja, sie schätzten sie, selbst wenn sie die Ideologie dahinter vielleicht ablehnten. Soldaten, die sich für eine korrupte und marode Alte Republik aufgeopfert hatten, waren heute Helden. Die Geschichte zerriss dagegen Feiglinge und Opportunisten, stellte sie als verachtenswerte und charakterschwache Geschöpfe dar. Und die Bewertung hing fast immer mit einer Frage zusammen: Wie endet eine Geschichte? Wie verhielt sich diese Person im Angesicht ihres Endes? Cassio hatte sich entschieden, welchen Weg er gehen würde. Er würde zweifellos nicht als Held in die Geschichte eingehen, aber zumindest als jemand, der sich nicht drückte, als es zum ersten Mal brenzlig für ihn wurde. Er würde stehen. Vielleicht ein Charakterzug, der in den Augen anderer eine seiner massivsten Schwächen war, aber zumindest würde er ihm Respekt einbringen. Der frühere Stabschef interessierte sich nicht für den Ehrgeiz Einzelner, nicht für das, was andere Einzelpersonen von ihm hielten. Was die Geschichte aber schreiben würde, war wieder etwas ganz anderes.

Plötzlich zischte die Tür auf. Cassio drehte den Kopf seitwärts und sah, wie Leutnant Maryll eintrat. Fragend hob er eine Braue und forderte sie zu einer Erklärung auf.
„Verzeihen Sie die Störung, Sir“, begann sie höflich und blieb kurz hinter der Gleittüre stehen. „Aber der Stab hat sich jetzt im Shuttle versammelt und ist bereit, zum Palast abzufliegen. Ich wollte mich nur vergewissern, ob Sie es sich nicht doch anders überlegt haben.“
Einen Augenblick lang sah Cassio die junge Frau lediglich an, mit einem merkwürdigen Blick, der ihr bald unangenehm wurde und dem sie daher bald auswich. Der Offiziersball, natürlich. Cassio hatte keinerlei Interesse daran gezeigt und die Einladung ungeöffnet in den Abfalleimer geworfen und somit seine Position auch Tasha gegenüber mehr als deutlich gemacht. Dieser Pestage sollte sich zum Teufel scheren, ihm noch einen heuchlerischen Abschied bereiten zu wollen.
„Ich sagte doch…“, brummte der Vizeadmiral schließlich zunächst als Antwort, hielt dann aber inne. Sein Blick fiel langsam auf Vaash, der traurig und verlassen in seinem Repulsorstuhl saß. Als Folge richtete sich auch Tashas Blick auf den verwundeten Admiral. Erneut spürte Cassio, dass er nicht so reagierte, wie er eigentlich wollte. Eigentlich wollte er nicht auf diesen Ball. Er wollte seine Ruhe, die letzte Zeit hier im Zentrum nutzen und vielleicht früher oder später noch kurz nach Anaxes zu kommen, ehe er an die Front musste. Aber wieder schaltete irgendetwas in Cassios Gehirn um, als er Vaash so dort sitzen sah. Fühlte er sich Vaash gegenüber schuldig? Nein, das konnte eigentlich nicht sein. Nicht mehr als jedem anderen gegenüber. Mit dem Unterschied, dass jeder andere nicht in seinem Büro saß. Nervös kratzte er sich erneut den Nacken.
„… dass Sie noch warten sollen“, fuhr er dann fort, bemüht um einen ähnlich barschen Tonfall, mit dem er begonnen hatte. Tasha blinzelte ein paar Mal mit großen Augen und schien für einen Moment widersprechen zu wollen. Doch nachdem sie den Blick mehrfach zwischen Cassio und Admiral Vaash gewechselt hatte, schien sie zu verstehen.
„Ja. Natürlich. Entschuldigung.“
Ein kurzes, verlegenes Lächeln huschte über ihr Gesicht, anschließend verneigte sie sich knapp und wartete auf die Erlaubnis, sich entfernen zu können, die ihr der Vizeadmiral mit einer angedeuteten Handbewegung erteilte. Die Tür glitt hinter ihr zu und die beiden Admirale waren wieder allein, für den Moment. Zunächst herrschte kurz wieder Stille, ehe Cassio wieder das Wort ergriff.
„Was meinen Sie, Vaash? Ein letztes Mal, der besseren Zeiten willen? Noch ein Stück altes Imperium, bevor wir es nicht mehr wiedererkennen?“
Ja, es war vielleicht ein Ball auf die alten Zeiten. Die Unbekümmertheit des Zentrums, als das Imperium machtvoll und unangefochten war, hatte nichts verloren und sich nicht dem Zustand des Krieges angepasst. Heute war es mehr Schein als Sein, aber auch den Schein konnte man wahrnehmen, solange er noch da war. Beide Admirale waren nicht gerade bekannte Gäste auf derartigen Veranstaltungen, aber es war eine besondere Situation. Für beide. Der Abschied von der großen Bühne. Und wahrscheinlich war es für beide das letzte Mal, die - wie sie wussten - letzte Gelegenheit, ehe das Imperium wohl wieder seine hässliche Seite beiden gegenüber zeigen würde.
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