#28
→ von Großer Festsaal, S. 3 (Imperialer Palast)


Die Nacht des künstlichen Regens auf Coruscant schien ein guter Abschied von dem zu sein, was einst war, was vielleicht schon viel zu lange gewesen war. Die Fähre ließ den Palast hinter sich, etwas, das Cassio aus dem Passagierraum zwar nicht sehen, aber in seiner Magengegend doch spüren konnte, als das Raunen der Triebwerke sich mit dem hydraulischen Schwenken der nach unten klappenden Tragflächen verband. Nutzlos brachte die Lambda ihre Flügel in Position, für eine Flugdauer, die so kurz war, dass es beinahe lächerlich wirkte. Hauptsache das Protokoll wurde noch eingehalten. Manchmal war das Imperium ein wahrlich seltsames Gebilde. Cassio hatte keine Ahnung, wo Tiberius Vaash geblieben war, musste diesen im Laufe der Veranstaltung aus den Augen verloren haben. Ehrlicherweise... war ihm das aber auch gleichgültig. Er lehnte sich zurück, gegen die Lehne seines Passagiersitzes im Hinterraum der Fähre, legte die Beine hoch auf die Sitzfläche einer der längsseitigen Stühle. Nicht unbedingt die Haltung, die sich für einen Offizier ziemte, aber auch das schien viel zu belanglos. Keiner beobachtete ihn, warum also die Fassade wahren? Der Flug dauerte nur wenige Minuten, ehe die Fähre auf einer der Landeplattformen des Oberkommandogebäudes aufgesetzt hatte. Cassio nickte dem Piloten im Cockpit weiter vorne nicht einmal zu, als er die sich öffnende Rampe hinunterschritt und den Mann im Shuttle zurückließ. Leichter Wind blies ihm ins Gesicht und ließ die Regentropfen kühl auf seine Haut fallen. Nur kurz jedoch, dann bot der Turbolift bereits Zuflucht vor der Witterung.

Absolute Stille, das Flottenoberkommando schien ausgestorben. Die Sicherheitsstationen waren zweifellos besetzt, doch die Stabsebene war gerade völlig entleert. Cassio schritt durch leere Gänge, beinahe gespenstisch. Und doch amüsant, wenn man bedachte, was zur gleichen Zeit an diversen Fronten vermutlich passierte. Aber solange sich kein dringlicher Notfall oder unvorhergesehener neuer Zustand ergab, konnte auch das Oberkommando der Flotte ruhen. Eigene Fortschritte an Offensivoperationen waren ohnehin nicht zu verfolgen, denn – es gab keine. Wie auch. Ein weiser Oberbefehlshaber in der antiken Kriegsführung, Turus Pax, dessen militärisches Erbe noch aus historischen Gründen an der Flottenakademie rudimentär gelehrt wurde, hatte in Anbetracht einer sich abzeichnenden Niederlage gegen die überlegenen Streitkräfte Atrisias einst gesagt: Wenn ich unser Gegner wäre, könnte ich den Krieg binnen eines Monats beenden. Der Krieg war noch mehrere Jahre gegangen. Dutzende Planeten waren weiter verheert und weitere Millionen Einwohner dem Tod überantwortet. Am Ausgang des Krieges hatte es nichts geändert. Natürlich nicht. Militärs erkannten dies früher als alle anderen. Früher als jene, die Kriege begannen und sie auch wieder beenden sollten. Cassio watete etwas ziellos durch das leere Geschoss, nur hin und wieder erinnerten ihn Kontrollposten mit je zwei Flotteninfanteristen daran, dass es in dem Gebäude noch andere Menschen gab. Er ignorierte sie und sie ihn. Erst an seinem Büro verlangsamte er den Schritt. Denn dann war da plötzlich doch noch ein anderer Schatten, der sich im Korridor bewegte. Cassio blieb kurz stehen, irritiert. Offensichtlich machte er dabei aber irgendein hörbares Geräusch, denn der Schatten zuckte kurz zusammen und wandte sich dann betont langsam zu ihm herum.
„Admiral Kallice“, stellte Cassio mit gehobener Augenbraue fest, während er ein paar Schritte näher trat. Der Konteradmiral stand dort im Korridor, etwas steif, die Hände sorgsam hinter ihrem Rücken platziert.
„Acchetia? Was machen Sie hier?“
Kallices Stimme schien ehrlich überrascht und sie nahm Cassio die gleiche Frage direkt aus dem Mund. Nach kurzem Nachdenken erschien es ihm aber so, dass die Frage aus Kallices Mund weitaus mehr berechtigt war als aus seinem. Sehr berechtigt sogar, eine Frage, auf die er keine wirkliche Antwort hatte. Die Gala sollte sein letzter Auftritt gewesen sein, dennoch hatte er sich noch einmal hierher fliegen lassen anstelle direkt in die paar Tage Urlaub, die man ihm für die Zwischenzeit der Versetzung gewährt hatte.
„Hm“, machte er zunächst. War es schlicht Gewohnheit? Vermutlich. Oder der Gedanke, dass sich das Ganze am Ende doch nur als schlechter Scherz oder Fehler entpuppte oder irgendein anderer seltsamer Zufall oder ein glückliches Ereignis noch einmal alles änderte. Natürlich würde nichts davon passieren. Und so hob Cassio kurz die Schultern an, stellte den Kopf leicht schräg.
„Nichts, schätze ich“, antwortete er dann mit platter Offenheit, so dass das Wort nicht einmal nach einer Ausrede klang, sondern eben genau das, was es war – das einfache Eingeständnis, dass er hier tatsächlich nichts mehr verloren hatte. Kein Schönreden, direkt zum Punkt, eigentlich also alles wie immer. Und doch waren einige Dinge so anders als sonst. Da schon Mitternacht vorüber war, hatte Kallice seinen Posten jetzt auch ganz offiziell übernommen und er selber war… nun, eben einfach nur noch ein Offizier. Ein Offizier im Urlaub. Einen Teil von Cassio machte dieser Umstand noch immer wütend, aber auf der anderen Seite schien diese Realisierung doch auch plötzlich eine Menge Last von seinen Schultern zu nehmen. Verantwortung – fort. Rechtfertigung – fort. Kompromisse – fort. Von nun an waren die Dinge klar… und einfach. Grunger gegenüberstehen und ein Wunder erleben oder sterben. Die eine, die weitaus wahrscheinlichere Option mochte eine unbehagliche Endgültigkeit bedeuten, aber vermutlich war es diese… Planungssicherheit, die eben auch dazu führte, dass Cassio sich andere Variablen leisten konnte. Und so seltsam das war, bot es auch einen ungewöhnlichen Hauch von Freiheit, eine kleine Kostprobe eines Guts, das man lange nicht mehr geschmeckt hatte. Anstelle weiterzugehen wie sonst, fiel sein Blick darauf, wie Kallice sehr offensichtlich etwas hinter ihrem Rücken verbarg. Im Normalfall hätte ihn das nicht interessiert. Warum auch? Aber Variablen wurden nun ja akzeptabel.
„Und was haben Sie da?“, fragte er in das betretene Schweigen und nickte in ihre Richtung, während er sie skeptisch musterte.
„Ah. Das?“ Kallice blickte kurz seitwärts, wirkte einen Moment lang ertappt, ehe sie fortfuhr. „Auch nichts. Nur ein… Souvenir von der Gala.“
„Souvenir.“

Zunächst etwas zögerlich, dann aber doch mit diebischer Leichtigkeit holte Kallice eine kunstvoll verschnörkelte Flasche mit lilafarbener Flüssigkeit hinter ihrem Rücken hervor und präsentierte sie ihrem Gegenüber. Cassio staunte nicht schlecht, als sich seine Augen auf das Etikett richteten. Kaum etwas, das sich in der Offiziersmesse finden oder gar anfordern ließ.
„Kuatischer Jarri. Vom Diplomatentisch? Etwas nobel für einen Militär.“
„Etwas“
, antwortete sie. „Ratchet meinte, die Flasche ist teurer als einer unserer Defender. Aber…“
„… er wäre ansonsten nur im Rachen von Bürokraten gelandet“
, erwiderte er trocken und ließ die Ironie, dass sich das Getränk jetzt im Flottenstab befand, dahingestellt. Kallice blickte von der Flasche hoch, hob einen Zeigefinger in Cassios Richtung.
„Exakt. Welch Verschwendung das wäre“, entgegnete sie ebenso trocken. Dann verspannte sich ihre Miene aber wieder etwas. Sie tippte mit dem Zeigefinger auf die gläserne Flasche und wurde etwas ernster. „Für einen besonderen Anlass.“
Beinahe wäre Cassio spontan in Gelächter ausgebrochen, als hätte die Frau gerade einen unglaublichen Witz gemacht. Falls es so einen überhaupt noch einmal geben sollte, meinte sie wohl, dachte er. Was war eigentlich im Militär der letzte „besondere Anlass“ gewesen? Etwas, das eine Feier nach sich gezogen hatte? Er erinnerte sich nicht mehr daran, es musste gefühlt eine Ewigkeit her sein. Seit Endor brachten auch vereinzelte Siege oder die erfolgreiche Operation Morgendämmerung keine Feierlaune mehr auf. Dafür war die Situation einfach zu kompliziert geworden. Dass Kallice einen derartigen Tropfen für ein vielleicht nie kommendes Wunder aufhob, sprach Bände, doch vermutlich konnte man einen besonderen Anlass auch darin sehen, wenn die ersten Schiffe der Republik über dem Zentrum lagen. Dann war es vielleicht der letzte Anlass, aber viel mehr konnte das Oberkommando in solchen Stunden dann auch nicht mehr tun. Das vergebliche Warten auf das letzte Wunder war es wohl auch, warum er gerade überhaupt hier im Oberkommando stand. Statt dem Gelächter nickte Cassio daher bloß, etwas abwesend. Kallice war bisher immer im Hintergrund gewesen, verstand die Dinge aber offensichtlich richtig und ließ sich nicht von der eigenen Propaganda beeindrucken. Immerhin. Wird ihr aber nicht viel nützen.
„Warten Sie nur nicht zu lange darauf“, sagte Cassio etwas kryptisch nach einer Weile und wandte sich dann in Richtung seines Büros um, in der Art, wie er Gespräche mit Untergebenen immer beendet hatte.

Diesmal jedoch nicht. So war es dann eben, wenn man plötzlich nicht mehr das Sagen hat, sondern jemand anderes. Schon nach wenigen Schritten drang Kallices Stimme von hinten noch einmal in sein Ohr.
„Ich wollte Ihnen noch sagen, dass Ihre neue Verwendung nicht von mir ausgehen wird, auch wenn ich sie unterzeichnen muss.“
Ein gefühlter Stich in Cassios Innerem veranlasste ihn zum kurzen Stehenbleiben. Er drehte sich nicht um.
„Ist mir bewusst“, entgegnete er knapp, scheinbar wieder ohne jede Emotion.
„Ich weiß. Aber mir schien, ich sollte das Ihnen gegenüber noch festhalten.“
Schien ihr das so? Erstaunlich genug. Cassio war kein Mann, der sonderliche Loyalitäten weckte. Technokraten besaßen diese Fähigkeit für gewöhnlich nicht. Sie galten anderen Leuten als langweilig, standen für den stupiden Dienst nach Vorschrift, für den Irrsinn komplexer Bürokratie in sonderbarer Sprache. Empfand Cassio sich so? Vermutlich, ja, wenn er ehrlich war. Fernliegend war es nicht. Zumindest in Ansätzen. In jedem Klischee war jedenfalls dieser kleine Funken an Wahrheit. Kaum jemand schätzte die Arbeit der Verwaltung – und der Sache nach war sein Posten nicht viel mehr als Militärverwaltung gewesen. Im Prinzip war Cassio das auch gleichgültig, Anerkennung durch Personen, die er ohnehin nicht leiden konnte oder nicht leiden mochte, hatte ihn nie gekümmert. Nach Anerkennung und Bestätigung zu gieren, hatte er immer als Charakterschwäche angesehen – denn sie bedeuteten Eitelkeit. Dennoch kam er nicht umhin zuzugeben, dass Kallices Worte einen Effekt auf ihn hatten. Er hatte sie auf der Gala gemieden, da er vermutet hatte, dass entweder Mitleid oder Genugtuung auf ihn hereinprasseln würde – und für beides hätte er ihr vermutlich am liebsten einen Drink ins Gesicht geschüttet. Dass sie sich aber einfach nur von dem Umstand als solchen distanzierte, war etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Natürlich würde sie die Anordnung von oben ausführen, wozu sie eben verpflichtet war – aber sie missbilligte sie. Aus welchen Gründen auch immer. Sympathie konnte es kaum sein. Kollegialität vielleicht, bestenfalls. Kollegen aus abgeschotteten Abteilungen und mit eigenen Kodizes wie der Flotte sah man nicht gerne ausgebootet. Es bedeutete Verwirrung, Unklarheit in der gesamten Abteilung. Diffuse Ängste. Eine Säuberung? Wie sicher waren alle anderen im Sattel? Wie privat waren manche privaten Gespräche geblieben? War man nun verdächtig? Im Wanken traf eine Kreatur auch schnell solche, die es unter anderen Umständen nicht hätte treffen wollen.
„Danke“, erwiderte Cassio brummend und ging dann weiter. Er erinnerte sich daran, dass er nicht davon ausging, seine eigentlich künftige Kommandeurin Daro Zen noch einmal zu sehen. In irgendeine Form würde sie sich nun sicherlich aus dem Staub machen. Er würde es an ihrer Stelle, vermutlich. Aber anhand dieses Gedanken wurde ihm klarer, dass er vermutlich auch Sentryn Kallice nicht noch einmal sehen würde – eine Person, die er kaum besser kannte als Zen, obwohl er mit ihr nun über Jahre zusammengearbeitet hatte. Ein Armutszeugnis eigentlich, wenn auch eines, das er immer plausibel hatte erklären können. Kallice hatte ihre Arbeit stets ordentlich gemacht – nicht unbedingt bemerkenswert oder spektakulär, aber ordentlich. So wie er also, eine Technokratin. Sehr undankbar. Er beneidete sie nicht. Früher oder später würde man auch sie ausbooten, wenn es so weiterging. Es war also nur eine Frage der Zeit. Aber wenn Kallice so empfand, mochte das unter anderen Technokraten auch so sein? Würden sie, das pulsierende Innenleben des Imperiums, es vielleicht irgendwann einfach nicht mehr dulden, dass man sie ausbootete? Mit dem Gedanken im Kopf blieb Cassio wieder stehen. Kurz blickte er die Wand neben sich an, dann drehte er sich erneut zu der Frau herum.
„Wissen Sie, Tryn. Ich denke, das ist ein besonderer Anlass.“


Irgendwann wachte Cassio auf. Er kniff die Augen zusammen, plötzlich geblendet durch scheinbar grelles Licht, das sich jedoch bald schon als einfaches morgendliches Sonnenlicht herausstellte, welches ihm brutal ins Gesicht strahlte und in diesem Moment gefühlt viel heller schien als sonst. Etwas desorientiert blickte er auf, wodurch er feststellte, dass er sich zumindest in seinem Appartement im Oberkommando, genauer gesagt in seinem dortigen Bett befand. Das zweite, was er feststellte, war, dass ihm beißender Geruch in die Nase stieß. Mit nur einem halb geöffnetem Auge sondierte er die etwaige Richtung des Appartements. Auf dem Boden lag neben zwei Gläsern die kunstvolle Flasche Kuat-Jarri. Umgefallen, der Rest der lilafarbenen Flüssigkeit hatte sich in den hellen Teppich gesaugt und diesen vermutlich auf ewig ruiniert. Aha. Wie auch immer. Nicht sein Problem. Es war seine letzte Nacht hier. Verschwendung? Egal. Weitaus relevanter war das Vakuum in Cassios Schädel. Oder besser gesagt der schmerzhafte Kampf zwischen Vakuum und Erinnerungsfetzen. Abseits des Fluges zurück zum Oberkommando hatte er nur noch seltsame Gespräche über Sinn und Unsinn dieses Krieges, wobei er nicht wusste, welche Position oder Argumente er dazu beigetragen hatte, sowie ein paar sprunghafte Bilder vor Augen – von einigem davon hoffte er, dass sie im Zweifel mehr Traum als Realität waren, doch eine trennscharfe Unterscheidung schien nicht mehr nachvollziehbar. Cassio entschied, dass das auch besser so war. Vieles davon ergab keinen Sinn und wahrscheinlich war es nicht die beste Idee zu versuchen, diese Puzzlestücke zu rekonstruieren und so womöglich zu Erkenntnissen zu gelangen, über die man besser nicht mehr genauer nachdachte. Nachdenken war ohnehin kaum möglich, da da dieser Bergbaulaser war, der offenbar gerade in Cassios Kopf zu arbeiten schien und mit penetranter Sorgsamkeit seinen Schädel zertrümmerte. Übles Zeug. Der Vizeadmiral blickte mit einem zugekniffenen Auge müde auf das digitale Chrono an der Wand. Kurz vor Elf. So viel zum morgendlichen Sonnenlicht. Ein Augenrollen. Ein kurzes Schnauben. Mehr war nicht drin. Er musste schon einige Jahre zurückdenken, um sich annähernd an einen Tag zurückerinnern zu können, an dem er möglicherweise so spät aufgestanden war. Offenbar hatte es auch niemand für nötig befunden, ihn zu wecken – was andererseits aber dadurch nur wenig überraschend war, dass die Gala an seinem letzten Tag hier gewesen war und somit vermutlich ohnehin niemand damit rechnete, dass er gerade überhaupt hier lag. Und so war es das dann also. Urlaub? Durchaus ein treffender Start hiervon. Schon fühlte man sich wie ein Zivilist. Er stellte einen süßlichen Geschmack auf seiner Zunge fest, womöglich irgendwelche Aromastoffe. Stöhnend grub er seinen Kopf zurück in das Kopfkissen. Natürlich würde er nicht einfach hier liegen bleiben können, aber selbst ein paar Sekunden waren es wert. In Anbetracht des peniblen imperialen Bürokratismus war Cassio ohnehin überrascht, dass die Reinigungsdroiden noch nicht hier waren, um das Appartement zu reinigen, ehe es einen neuen Besitzer fand. Er widersetzte sich daher dem drängenden Protest seines Schädels, weiter im Bett liegen zu bleiben, wankte in Richtung des Kleiderschranks und kramte eine frische Uniform hervor. Seine alte lag verteilt neben dem Bett und Cassio beschloss, sie ebenfalls den Droiden zu überlassen, welche praktischerweise zur Diskretion programmiert waren und sämtliche Spuren von was auch immer klinisch sauber eliminieren würden. Nach kurzem Badezimmeraufenthalt und einer gruseligen Begegnung mit dem Spiegel sah er wieder mehr nach Offizier aus, die Haare wieder streng gebändigt und die Augen nach kaltem Wasser wieder etwas wacher wirkend, wenn sie es schon nicht wirklich waren. Mit etwas langsameren, kürzeren Schritten zugunsten der Balance trat er schließlich aus dem Appartement heraus in den Korridor, verriegelte die Tür mit seinem Codezylinder, so dass außer den Droiden auch wirklich niemand mehr hineinkam.

Cassio trat die Stufen hinunter in die Gabelung des Korridors, bis er am Turbolift ankam. Er brauchte jedoch in eigener Einschätzung mindestens eine Ewigkeit, ehe er aus dem Bereich der Appartements in der Büroabteilung des OKF ankam, obwohl nur ein Stockwerk dazwischen lag. Das Tacken seiner Stiefel in seinem Kopf tat sein Übriges, um den Weg noch unangenehmer als ohnehin schon zu machen. Dieses Mal hatte er zumindest wirklich noch ein Ziel. Auf dem Gang der Hauptbüros herrschte mehr Treiben als einige Stunden zuvor; das übliche Gemisch aus Uniformen, Mannschaften und Droiden. Er selbst senkte den Kopf unwillkürlich etwas, so dass seine Verfassung etwas weniger offenkundig wurde, auch wenn dieses Spiel kaum Aussicht auf Erfolg haben würde. Kurz neben dem Turbolift standen schon Kallice und, mit ihr in eine Unterhaltung vertieft, ihr Stellvertreter, der schneidige Konteradmiral Xann Ratchet, welcher erhaben wie immer in der Gegend stand und alle anderen neben ihm dabei provinziell aussehen ließ. Kallice nickte knapp. Cassio nickte knapp zurück und ging wortlos weiter, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. Professionell. Die Gleittüre zum Vorzimmer von Cassios Büro schnellte auf.
„Achtung“, rief einer der schwarzen Flotteninfanteristen im Inneren aus und die Anwesenden von Cassios Stab schnellten von ihren Stühlen hoch. Sofern Verwirrung vorhanden war, zeigte sie sich ihm gegenüber jedenfalls nicht offen.
„Herrschaften“, brummte er als grüßende Erwiderung, während er die laute Stimme des Mannes verfluchte und sogleich an den Tischen vorbei in Richtung seines Büros verschwand.
„Rushfort“, beorderte er im Vorbeigehen einen der Lieutenants mit sich mit. Der Mann folgte ihm in gebührlichem Abstand in das Büro des Vizeadmirals hinein, wo Cassio sich hinter den Tisch begab und in den Stuhl fallen ließ. Rushfort blieb auf der vorderen Seite des Tisches stehen.
„Besorgen Sie mir einen Piloten nach Anaxes. Flug so bald wie möglich“, fuhr Cassio fort, während er einen Ellenbogen auf der Tischplatte platzierte und eine Wange mit der zur Faust geballten Hand abstützte. Der Leutnant beobachtete ihn nur kurz, ehe er antwortete, dennoch übersah Cassio es nicht.
„Liner oder Shuttle?“, fragte Rushfort in tadellosem, vermutlich angelernten Coruscant-Akzent.
„Shuttle.“ Cassio deutete dann mit der freien, nicht abstützenden Hand auf eine mittelgroße Box rechts neben ihm auf dem Tisch. „Das kommt mit.“
Der Lieutenant blickte auf die Box, nur oberflächlich. Die wenigen persönlichen Sachen aus dem Büro waren kaum geordnet darin abgelegt, nur das eingerahmte Foto von Cassios Frau und Tochter standen noch auf dem Tisch. Er fixierte das Bild einen Moment lang, eventuell aber länger als beabsichtigt.
„Keine weiteren Befehle?“, fragte Rushfort zögerlich. Cassio blickte kurz von dem Bild auf, etwas irritiert von der Frage. Dann legte er es auch in der Box ab, schüttelte lediglich müde den Kopf und entließ den Mann dadurch. Dieser nahm die Sachen an sich, blieb jedoch noch mit der Box unter dem Arm vor dem Schreibtisch stehen.
„Sonst noch was, Leutnant?“, entgegnete Cassio seufzend, als sich Rushfort auch nach ein paar Sekunden nicht bewegte. Trotz Müdigkeit erkannte er anhand der Körperspannung, dass offenbar noch eine drängende Frage im Raum stand.
„Verzeihen Sie die Frage, Sir. Bleibt der Stab hier?“
Ah. Darum ging es. Die eigene Zukunft, wenn der Chef gehen musste. Verständlich. Falls Cassio sich trotz seines Zustand korrekt an das erinnerte, was er bestenfalls mit halbem Ohr verfolgt hatte, so war Rushfort mit einer Coruscanti verlobt und somit im Zweifel sehr daran interessiert, hier bleiben zu können. Ein flüchtiger Blick Cassios auf die tragende Hand bestätigte diese vage Erinnerung. Krieg und Beruf waren das eine. Für viele jedoch nur ein Teil, vielleicht nicht einmal der entscheidende.
„Bleibt er. Soweit Kallice keine Änderungen vornehmen und mit Teilen ihres Stabs ersetzen wird.“
Der Leutnant ließ sich nicht anmerken, ob ihn die Antwort wirklich freuen konnte oder nicht. Stabsdienst war auch nicht gerade ruhmreich, andererseits aber wohl – noch – eine der sichersten Verwendungsmöglichkeiten, die junge Offiziere überhaupt erhalten konnten. Mit Cassios Abschied bestand die theoretische Möglichkeit, dass einige dieser Offiziere auch in die Linie versetzt wurden, um auf Kriegsschiffen zu dienen. Allerdings empfand Cassio das als unwahrscheinlich. Früher waren Stabs- und Liniendienst häufig turnusweise, um Stabssoldaten auch die Perspektive vor Ort zu bieten, aber seit Beginn des Krieges passierte das kaum mehr, da man keine etablierten Gefüge aufbrechen wollte. Etablierte Teams brachten immer eine bessere Leistung als ein neu zusammengewürfelter Haufen, insbesondere wenn es Soldaten gab, deren Stärken erkennbar im jeweils einen oder anderen Bereich lagen. Sehr viel wahrscheinlicher war daher, dass die von Kallice Ersetzten in den Stabsbehörden auf Ebene der Regionskommandos landen würden. Cassio hätte natürlich auch beantragen können, dass sein Stab ihm folgt – ein eingespieltes Team war auch für ihn weitaus effizienter und zeitschonender als vor Ort ein altes übernehmen oder ein neues zusammensetzen zu müssen. Aber im Gegensatz zu seinem Stab wusste Cassio, wo er hin sollte. Im Hinblick auf Grunger schien ein Mitnehmen seines Stabs, den er im Laufe der Zeit weitgehend persönlich zusammengestellt hatte, daher eine seltsame Idee, würde er sie doch aus dem sicheren Oberkommando direkt an eine Hochrisikofront nehmen. Das mochte eventuell einem Machtmenschen wie Pestage zusagen, den meisten anderen jedoch kaum.

Irgendwann war Rushfort mit den Sachen gegangen, um seinem Auftrag nachzugehen, doch Cassio hatte nicht lange Zeit, sich sein jetzt nahezu völlig leeres Büro anzusehen.
„Ich hatte gehofft, Sie nehmen Ihren Stab mit“, sagte Tasha, die nun in der Tür lehnte.
„Nein“, entgegnete er lediglich, in einer Art und Weise, die nicht zuließ zu glauben, dass damals je ein Zweifel bestanden hatte. Noch einmal jung und naiv sein, welch Segen wäre das.
„Ist das ein Problem?“
Tasha sah ihn kurz an, wich dann aber dem Blick schnell wieder aus. Etwas, das sie erfahrungsgemäß nicht häufig tat.
„Nicht für mich, schätze ich“, sagte sie in den Raum hinein. Cassio verengte die wegen Müdigkeit schon nicht gerade weit aufgerissenen Augen noch ein Stück. Vielleicht doch nicht so naiv. Es hatte für Cassio ohnehin wenig Sinn ergeben, dass sie hätte hoffen sollen, das Zentrum zu verlassen, nachdem sie an sich immer noch Teil von Coruscants Limmie-Team war. Offensichtlich ging sie also davon aus, dass es gute Gründe geben musste, dass er seinen Stab nicht mitnahm.
„Vermuten Sie das?“, fragte er. Da sie auch auf der gestrigen Gala gewesen war, mochte in der Aussage weniger Spekulation und mehr Faktenwissen stecken als es zunächst den Anschein hatte.
„Ich vermute.“ Sie nickte knapp, Grund genug für ihn, diese Annahme bereits wieder zu verwerfen und ihr zu glauben. Es ergab keinen Sinn, unwissend zu tun, wenn man ihr auf der Feier etwas gesagt hatte.
„Guter Instinkt, hatten Sie immer schon“, murrte er. Es war einer der Gründe, warum sie überhaupt hier war. Tasha hatte immer schon eine sympathische Ausstrahlung und wusste, wie sie mit welchen Menschen umzugehen hatte, wenn man sie mit kleinen, unwichtigeren Aufgaben betraute, war erfinderisch, unkonventionell, sorgte außerdem für gute Laune. Mannschaftssport eben, kein Zweifel. Sie fing die Defizite, die Cassio als Person im Umgang mit seinem Stab hatte, auf. Es blieb abzuwarten, wie gut ihm das gelang, wenn er erst zuhause war.
„Ich wollte Ihnen noch etwas mitgeben.“
Erst jetzt fiel Cassio durch ihren Hinweis auf, dass sie etwas in der Hand hielt. Ein weiteres Indiz dafür, dass seine Aufmerksamkeit zu wünschen übrig ließ, und er das betäubende Gefühl in seinem Kopf mit Aussicht auf Bett und Ruhe ruhig stellen sollte. Er hob seine Brauen dezent an und begann, den Kopf zu schütteln.
„Ich denke nicht, dass...“
„Doch, doch“
, unterbrach sie ihn aber sofort wie völlig selbstverständlich – entweder ein weiteres Indiz, dass sie sich seines Zustands völlig bewusst war oder eines, dass sie die Hierarchie jetzt durch seinen Urlaub nicht mehr so streng nahm. Beides gefiel ihm gleichermaßen nicht. Mehr als ein Brummen als Protest unterließ er jedoch. Sie platzierte ein Holofoto auf dem Tisch, rotierte es um hundertachtzig Grad auf der Tischoberfläche und schob es zu Cassio heran. Ein Bild mit ihrer Limmie-Mannschaft, Team Coruscant, unterschrieben von jedem. Ein gemischtes Team, Männer, Frauen. Inzwischen ganz ohne Aliens, wie Cassio bemerkte. Dagegen viele Sportsoldaten mittlerweile. Das Imperium nutzte alle Möglichkeiten. Es war kein Topteam, würde es auch nie werden, aber im Vergleich zu früher zumindest eine Steigerung. Das war in Anbetracht der früher schwachen Leistung aber auch zu erwarten.
„Können Sie Chalya mitbringen“, sagte Tasha. „Ich weiß sie mag Limmie.“
Tat sie das? Nicht dass er wüsste. Seine Tochter war in all der Zeit nur ein paar Mal hierher zu Besuch gekommen, ein paar Mal häufiger als er nach Anaxes. Wie Tasha das wissen sollte und er nicht, schien seltsam. Auf der anderen Seite – nein, eigentlich nicht. Eigentlich war es tatsächlich überhaupt keine Überraschung.
„Ich gebe es Rushfort mit“, fuhr sie dann fort und deutete mit dem rechten Daumen aus der Tür hinaus, aus der der Lieutenant vor kurzem herausgegangen war. Cassio antwortete zunächst nicht, sondern schaute sie nur einen langen Moment an. So lange, bis ihr begreiflich wurde, dass gleich etwas wichtiges kommen würde.
„Machen Sie keinen Mist, Tasha.“
Das kam vielleicht härter aus seinem Mund als beabsichtigt und im ersten Moment blinzelte die Frau überrascht vom abrupten Themenwechsel und dem eindringlichen Appell, unklar, wovon er überhaupt redete.
„Wenn die wirklich bis zum Zentrum vorrücken, haben Sie hier nichts verloren. Wenden Sie sich an Kallice oder Ratchet oder bei wem auch immer Sie jetzt landen.“
Cassio erinnerte sich noch gut an den Überraschungsangriff durch Tiberius Vaash auf Geheiß von Vesperum. Es hatte Monate gedauert, die vergleichsweise geringen Schäden beheben zu können. Und das war nicht einmal eine richtige Bodeninvasion gewesen. Auf die Republik wäre man vorbereitet. Das Zentrum würde nicht ohne einen zähen Kampf fallen und der militärische Sperrbezirk, der alle Schaltzentralen von Flotte bis Armee verwaltete, würde zweifellos eines der ersten und wichtigsten Ziele der Republik werden, um die effektive Kriegsführung des Imperiums endgültig brechen zu können. Bomberangriffe, Bodenstreitkräfte. Kein Vergleich mit der Schlacht vor über einem Jahr. Rebellensoldaten waren für gewöhnlich keine Schlächter, aber auch von ihnen gab es mehr als genug Kriegsverbrechen. Nach einer langen Kampagne gegen Coruscant konnten die Nerven rasch blank liegen und genau die Rache nach sich ziehen, die viele Imperiale von ihnen erwarteten. Die Schuld für alles wurde auf jenen projiziert, den man eben gerade vor sich hatte. Ob Admiral oder Leutnant – es spielte dann keine Rolle mehr.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die mich... einfach so gehen lassen würden“, entgegnete sie ausweichend.
„Glauben Sie mir, die haben schon in den Wochen davor genug andere Probleme. Bei dem, was ansteht, sind Sie keine Hilfe. Sie stören dann eher. Gehen Sie nach Hause.“
Und kommen Sie erst wieder, wenn der Krieg vorbei ist. Das Cronesische Mandat war weit weg und so uninteressant, dass es dort kaum zu größeren Gefechten kommen würde. Abgelegen und ruhig. Manchmal eine weitaus schönere Vorstellung. Dieses Mal antwortete Tasha nicht und blickte etwas ziellos den Tisch vor Cassio an. Offensichtlich war sie nicht vorbereitet auf dieses Thema und hatte sich darüber auch noch keine Gedanken gemacht. Coruscant Ziel einer Invasion? Das schien aktuell weit weg. Denn die Republik war fern, nicht wahr? Ja, war sie auch. Noch. Und niemand konnte wirklich abschätzen, wie lange dieses Noch Bestand haben würde.
„Ich meine es ernst“, bekräftigte er. „Nur für den Fall. Zögern Sie dann nicht zu lange, sonst ist es zu spät.“
Cassio erwartete keine wirkliche Antwort ihrerseits. Er sprach etwas an, das er so in der Öffentlichkeit nie hätte tun können, ohne dass selbst die beiden Flotteninfanteristen draußen an der Vorzimmertüre dazu verpflichtet gewesen wären, ihn direkt festzunehmen. Das Imperium schätzte solche Unterredungen nicht. Aber wenn die Republik erst vor Coruscant stand, war von einem Imperium nicht mehr viel übrig. Sofern es jetzt überhaupt noch da war. Um der Frau die Notwendigkeit einer Antwort zu ersparen, stand Cassio kurz auf. Mit strengem Blick streckte er ihr eine Hand entgegen, vielleicht als Bestätigung dessen, was er ihr sagte, oder aber auch einfach als das, als was er es eigentlich empfand – als Abschied. Tasha betrachtete die Geste einen Augenblick lang, dann trat sie schweigend ein paar Schritte vorwärts und schüttelte seine Hand, ganz gleich, was es aus ihrer Sicht auch bedeutete.
„Alles Gute Ihnen“, schloss er darauf und deutete, nachdem die Geste vorüber war, dann zur Tür hinaus, um anschließend wieder Platz zu nehmen. Sie lächelte etwas, ein bisschen gezwungen vielleicht, aber Cassio merkte, dass es nicht ganz unecht war. Sie setzte an, etwas zu sagen, dann fielen ihre braunen Augen aber in Richtung Boden, als müsse sie kurz überlegen.
„Auf Wiedersehen“, kam es dann mit leichter Verzögerung zurück und die beiden Worte schienen ihm fast zu widersprechen. Dann war der Vizeadmiral allein. Die Gleittüre fiel zu, nachdenklich betrachtete er sie. Vier große Wände, ein Tisch, ein Stuhl. Und sonst nichts. Es endete hier so, wie es begonnen hatte. Nur dass er in seiner Zeit hier einen Imperator und vielleicht ein Imperium verloren hatte.


→ nach Haus der Acchetias, S. 1 (Anaxes)
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