#34
Plötzlich stand jemand in der Tür. Die eine Hand noch in der Luft an einer Schüssel mit blauem Salat starrte sie den geradezu hünenhaften Menschen für einige Sekunden lang an. Offenbar eine wichtigere Person, so zumindest der Eindruck. Auf der Brust des hochgewachsenen Offiziers thronte das größte Rangabzeichen, das sie bislang je gesehen hatte. Diverse der prägnanten Quadrate, die sich seit der Zeit der Republik optisch offenbar nur geringfügig verändert hatten. Es war etwa zwei bis drei Mal so breit wie das Abzeichen anderer Offiziere. Ihr eigenes, was auch immer es sein mochte, denn für sie war das nur eine sinnlose Anordnung farbiger Quadrate, bestand nur aus einer einzelnen Reihe aus je zwei roten und blauen Quadraten und wirkte im Vergleich geradezu armselig. Viel zu spät zwang sie sich dazu, den Blick stur geradeaus zu richten und stellte die Schüssel endlich auf ihrem farblosen Tablett ab. Nun gut. Früher oder später musste es passieren und sie hatte ohnehin nicht damit gerechnet, die Messe für sich alleine zu haben. Nichtsdestotrotz fühlte sie sich nun erstaunlich schlecht vorbereitet, insbesondere da sie sich nun einer Person gegenübersah, die man – nach menschlichen Maßstäben – wohl nur als alten Haudegen bezeichnen konnte. Der Mann trat an ihr vorbei und begann zu plaudern, was sie in Anbetracht der sehr akkuraten und präzisen Menschen, die sie bislang im hiesigen Militär kennengelernt hatte, auch eher überraschte. Vermutlich hatte sie aber hier einfach den – wenn auch naheliegenden – Fehler gemacht, vom Anschein des Einzelfalls auf eine eiserne Regel zu schließen.

Irgendetwas jedoch stimmte an der Person nicht. Zwar hatte auch er das durchaus dominante Auftreten eines typischen Militärs, stapfte lautstark neben sie, bestimmend, selbstbewusst. Einerseits also ganz die Militärdrohne, die sich am besten gar nicht von Droiden unterscheiden sollte. Andererseits aber lächelte er dann, nickte entgegenkommend, schien insgesamt – im Vergleich zu den anderen Soldaten, denen sie bislang begegnet war – relativ freundlich zu sein und dies nicht bloß vorzugeben. Das allein war auf seine Weise bereits merkwürdig genug und dass ihr das Verhalten merkwürdig vorkam, zeigte schon, dass ihr scheinbar normale Interaktion auf diesem Schiff beinahe fremd geworden war, schlicht dadurch, dass sie sich hier wie eine Ausgestoßene fühlte. Allerdings war dieser ungewohnte Umstand auch nicht alles, was an dem Mann merkwürdig schien. Ja, auch er gab irgendetwas vor, etwas anderes nur, etwas, das Sedrael vielleicht nicht eingrenzen konnte, aber das sich dieses Mal zumindest nicht gegen sie als Person richtete. Ihn umgab der merkwürdig nagende Schleier des Zweifels, der sich in der Macht durch sein Innerstes schlang, eine Form der Unzufriedenheit, der Gebrochenheit. Vielleicht versteckte er seine Gefühle aus anderen Gründen als die anderen Soldaten an Bord, nichtsdestotrotz tat er es aber auch. Ebenso schien sein Körper etwas verbergen zu wollen, also handelte es sich hierbei nicht nur um eine Wunde des Geistes, obwohl möglicherweise das eine mit dem anderen zusammenhängen konnte. Die körperliche Wunde war jedoch weitaus einfacher in der Macht zu lesen als die komplexe Psyche eines Menschen, zumindest wenn man, wie Sedrael, gezielt dafür ausgebildet worden war zu erkennen, wenn irgendetwas in einem Körper nicht stimmte und Anomalien vom gesunden Körper vorlagen. Aus frischen Narben des alten Körpers strömte die jüngere Vergangenheit heraus, erzählte die Geschichte der dazugehörigen Person. Eine schwere Verletzung, gar nicht so lange her. Tatsächliche Knochenbrüche an den Beinen. Dieser Körper war noch immer in einer Form des Heilungsprozesses und der Regeneration. Vielleicht nicht sichtbar, aber manche Verletzungen mochten außen vielleicht nicht mehr zu sehen sein, im Inneren jedoch eine Person ihr Leben lang begleiten. Wie ein gebrochener Knochen nach seinem Zusammenwachsen schließlich auf ewig einen sichtbaren Abdruck darauf hinterließ, der sich auch nach dem Tode noch erkennen ließ, so hatte auch eine kürzliche Verletzung diesen Mann auf ihre Art und Weise gezeichnet, vielleicht auch sein Leben lang. Ganz im Gegensatz dazu stand seine überaus freundliche Art und Weise, die jedoch hier eine Form des Überspielens sein mochte, während ihm sein Schatten der Bitterkeit folgte. Denn dieser Mann hier war nicht per se ablehnend ihr gegenüber, nein, eher das Gegenteil. Er bemühte sich immerhin trotz dieser anderweitigen Befindlichkeiten aus anderen Gründen eine gewisse Freundlichkeit zu wahren. Das bedeutete aber, dass selbst solche Leute, die man an anderer Stelle vielleicht als normal oder sogar als sympathisch angesehen hätte, hier dennoch vor diesem System des Hasses und des Abscheus zu Boden waren und es tolerierten. Wenn auch widerwillig. Der jungen Sephi entging es nämlich in ihrer ungebrochenen Aufmerksamkeit, die sie Körper und Geist des Mannes widmete, nicht, wie sich – wenn auch nur für einen kleinen, unauffälligen Moment – das Innere des Offiziers zusammenzog, um Galle in die Macht auszustoßen und ihn in pulsierende Schwaden zu tauchen. Nur kurz, nur diesen einen Moment lang, während er ein fast unhörbares abfälliges Geräusch machte, doch lange genug, um die im Vergleich zu ihrem Geist geradezu träge Materie ihres Körpers darauf reagieren zu lassen. Sedrael blickte binnen des Moments kurz zur Seite, um den Menschen zu betrachten, folgte dann dessen fixiertem Blick auf ein Bild an der Wand. Das Bildnis einer ihr unbekannten Person, gekleidet in eine vergleichsweise bescheidene schwarze Robe, das Gesicht starr und erfolgsverheißend, in die Zukunft gerichtet, fast monarchisch. Ewige Treue. Die Ewigkeit war eine lange Zeit. Wer vermochte es schon sicher beurteilen zu können, sich bis ans Ende aller Zeit an etwas zu binden? Treue bedeutete Loyalität aus Überzeugung, die Überzeugtheit aus Taten oder Werten, die etwas vertrat und endete dort, wenn diese hinterlaufen wurden. Ewige Treue bedeutete dagegen letztlich nur eines – nämlich blinden Gehorsam um jeden Preis. Und den mochte nur einfordern, wer wusste, dass er Treue aus Überzeugung nicht auf Dauer erlangen würde. Vermutlich war es das, was der Offizier erst jetzt erkannt hatte, zu spät vielleicht, so dass es ihn nun reute.

„Guten Tag, Sir“, antwortete Sedrael dem Mann schließlich etwas ungelenkig, was vermutlich merkwürdig anmutete, wenn man bedachte, dass die eigentliche Schiffszeit gerade noch immer in der Nacht war. Allerdings zeigte sie keinerlei der ansonsten vermutlich typischen Symptome, als Mitglied einer herrischen Hierarchie einen hohen Offizier anzutreffen. Weder schien sie zu versteifen noch sich in Gegenwart des Offiziers merklich unwohler zu fühlen, fast so als wäre sie das Dienen in einem hierarchischen System nicht gewohnt – was natürlich auch der Grund dafür war. Es mochte aber sicherlich auch an der Person des Menschen liegen, der schlichtweg keine unangenehme Präsenz in der Macht ausstrahlte, abgesehen von der nagenden Verbitterung, die er aber nach außen hin perfekt verbergen konnte. Sie ließ den prüfenden Blick des alten Menschen über sich ergehen, ohne den ihren jedoch von ihrem Tablett zu nehmen, mehr oder minder reglos. Inzwischen war sie es beinahe gewohnt, auf diesem Schiff wie ein Stück Vieh auf dem Markt betrachtet und nach Wert oder Unwert beurteilt zu werden. Eigenartigerweise jedoch wurde die Macht hier nicht mit einer Welle der Entrüstung oder des Abscheus erfüllt, weder zu Beginn also noch bei seinem genaueren Studium ihrer Person. Sicherheitsbüro? Das mochte Sinn ergeben, wenn sie sich daran erinnerte, dass der junge Offizier, der sie in ihre neue Unterkunft geführt, in Verbindung mit ihr von einem „ISB“ gesprochen hatte. Vermutlich hatte die Uniform also hiermit zu tun, auch wenn sie sich unter dem Begriff Sicherheitsbüro nur abstrakt etwas vorstellen konnte. Die Art und Weise, wie er die Frage stellte, war jedoch interessant. Es klang in gewisser Weise verwundert, irgendetwas an ihr schien also nicht typischerweise zu diesem Büro zu passen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob auch genau das wiederum ein bewusster Zug der Inquisitorin gewesen war, ein weiterer ihrer vielen unterschwelligen Tests. Möglich. Da Sedrael aber derzeit noch nicht genügend Informationen besaß, nickte sie auf seine Frage hin zunächst. Es schien zu stimmen, war aber notfalls auch interpretierbar und konnte somit vielerlei bedeuten als eine wörtliche Aussage. Nichtsdestotrotz entschied sie sich dazu, der Sache auf Umwegen auf den Grund gehen zu wollen.
„Das irritiert Sie“, sprach Sedrael mit einem nur diskreten Hauch von Amüsiertheit das aus, was der Mann ihr als Emotion entgegenführte, während sie ihr nahezu farbloses Gesicht für einen kurzen Moment zu ihm herüberdrehte. Natürlich spielte sie damit ein wenig mit der Erwartungshaltung des Mannes, indem sie seine innere Irritation aufnahm, ihn aber andererseits dazu verleitete, eben jene Irritation nun zu erläutern.

Der alte Offizier stellte sich schließlich als Tiberius Vaash vor, wobei sie davon ausging, dass von ihr eigentlich ohnehin erwartet worden wäre, diese wichtige Person von sich aus zu kennen. Auch wenn der recht normale Habitus des Mannes es zweifellos gut kaschierte, hatte Sedrael den Eindruck, dass die Person es dennoch gewohnt war, erkannt zu werden. Sie überlegte kurz, ob und inwieweit es angemessen war, sich vorzustellen, insbesondere unter ihrer vorläufigen Tarnung, entschied sich dann jedoch dafür.
„Maledice“, entgegnete sie die Vorstellung nicht unfreundlich, wobei ihre Gesichtsfarbe einen dezenten Rotschimmer bekam. Es war sehr ungewohnt, diesen Namen wirklich auszusprechen, insbesondere auch im Hinblick auf sein Zustandekommen und weil er schließlich an sich eine völlig andere Person bezeichnete.
„Ich kenne Sie“, sagte sie dann etwas abwesend. Das war vielleicht weniger wahr als es klang, aber auch nicht gelogen. Personen, die in der Macht nicht trainiert waren, waren mit genug Empathie nicht schwer zu verstehen, zumindest in ihren einfachen Grundzügen. Die komplette Persönlichkeit war dagegen den weitaus fähigeren Machtbegabten vorbehalten und so waren dies Gefilde, die die Sephi nie betreten hatte und vielleicht auch nicht betreten wollte. Zu tief ohne Kenntnis einer Person in die private Gedankenwelt einzudringen, schien einfach nicht richtig, so dass Sedrael ihre Limitierung in dieser Form durch mangelnde Ausbildung als geradezu nützlich empfand. Etwas ganz anderes war es jedoch, ein Gefühl für eine Person zu erlangen – und dieses Gefühl verbarg der Mensch neben ihr nicht, konnte es auch gar nicht. Der Mann hatte klare, drängende, inzwischen aber auch unterdrückte Bedürfnisse nach einem Ausweg aus einem selbstverschuldeten Gefängnis, aus dem es jedoch kein Entkommen zu geben schien. Das war eine Situation, die Sedrael in der Tat nur zur Genüge kannte und verstand – weshalb ihre Aussage aus dieser Sicht heraus für sie irgendwie Sinn ergab, auch wenn der Mann sie vermutlich ganz anders verstehen musste. War es so unterschiedlich gewesen in ihren letzten Monaten im Orden der Jedi? Oder später, auf Firrerre? Nein, nur die Situation mochte anders sein, aber die Symptome schienen sich zu ähneln. Eines der drängendsten Bedürfnisse war es ursprünglich, nicht ignoriert, nicht vergessen zu werden und in aller Entbehrung irgendeinen Sinn sehen zu können. Sedrael musterte seinen Körper kurz, insbesondere die Beine, die vor nicht langer Zeit noch in fürchterlichem Zustand gewesen sein mussten. Vermutlich hatte er kaum noch Schmerzen, verspürte aber immer noch ein gelegentliches Ziehen an der Stelle, an der der Knochen gebrochen und nun wieder zusammengewachsen war, wie es bei Frakturen auch nach Jahren noch üblich war.
„Ihre Verletzung scheint gut zu verheilen.“
Sie nickte knapp, erforschte die Bruchstelle interessiert in ihren Gedanken mithilfe der schier unbeschränkten Macht, die ihre schützende Hand über alles zu halten schien. Der Heilungsvorgang musste aus menschlicher Sicht ungewöhnlich schnell gewesen sein, was sich anhand der Art des Zusammenwachsens der Knochen leicht erkennen ließ. Ein natürlicher Nebeneffekt von Bacta, das annähernd so gut war wie die Heilung, die vor vielen Jahren das Medi-Korps im Jedi-Tempel angeboten hatte. Sie unterdrückte ein Seufzen. Viel hatte sie damals gelernt, auch über Biologie und insbesondere Anatomie der häufigsten Spezies der Galaxis, also gerade auch Menschen, die ohnehin die Neigung zu haben schienen, erstaunlich oft in knochenbrecherische Konflikte zu geraten. Jeder Einzelfall war auf seine Art nicht nur aus medizinischer Sicht damals interessant gewesen, es war damals einfach eine sinnvolle Beschäftigung gewesen, die ihr seither fehlte. Sedrael selbst war während ihrer Gedanken gar nicht klar, dass sie sich unbewusst gerade eben sehr laienhaft ausgedrückt hatte, indem sie nicht das für Soldaten geläufige Wort „Verwundung“ benutzte – ein dezenter Lapsus, der allerdings rein objektiv entlarvte, dass sie ihn und seine Geschichte wohl doch nicht so gut kannte, wie sie vielleicht zunächst impliziert hatte, und dass sie womöglich noch weiter weg vom Soldatentum entfernt war als ohnehin der Fall schien.
„Was ist geschehen?“, verdichtete sie diesen Eindruck schließlich weiter, aber sie kam nicht umhin zuzugeben, dass sie die Geschichte dahinter neugierig machte. Körperliche Verletzungen konnten vielleicht für Bitterkeit sorgen, meistens aber waren es eher die Begleitumstände, aufgrund derer man sie sich zugezogen hatte, die die tatsächliche Ursache für diese Gefühle waren - und waren gleichzeitig die schwerwiegendere Diagnose als eine bloße Fraktur. Ob der alte Mann wohl seine Geschichte zumindest in Teilen zu erzählen bereit war, zumal jetzt schon, selbst wenn er gesprächig erschien?
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