#25
Wem gehörte die Galaxis? Wem gehörte ein Platz in der Geschichte? Den Mutigen oder Klugen? Wer mochte darüber urteilen, wo man stand oder besser stehen sollte? Es gab vielleicht keinen Sinn oder einen Unsinn. Man war einfach da. Hier - im Jetzt. Sie waren das, was sie geworden waren. Durch Krieg. Durch Vernunft oder Unvernunft. Vaash war alles, was einem Menschen übrig blieb, der gekämpft hatte. Sein Lamento blieb. Das Gefühl des Scheiterns. Einsam war der Alte. Der Frost der Zeit umschloss die verwundeten Glieder. Niemand ersparte ihm die Leiden aus dem Dunkeln seiner Verantwortung. Er wollte einfach gehen; aufhören. Doch niemand sah dies. Nicht einmal die Geschichte. Mut und Hingabe waren Tugenden dieser Zeit, die nur Krieg kannte. Tiberius Vaash wollte einen Platz, einen echten Platz im Leben, nicht nur als Randbetrachter aus dem Brückenfenster einer Vernichtungswaffe. Innerlich meuterte er, doch selbst für diesen Kampf war er zu schwach. Man fügte sich. Nur ein Wunsch war geblieben: frei zu sein. Einfach zu gehen. Cassio konnte nur erahnen, was dieser Mann durchgemacht hatte. Nur sehen, was übrig blieb. Die Sekunde des Sturzes war dem Vize-Admiral entgangen. Sie war für diesen nur ein Blinken auf einem Holo-Kartentisch gewesen aber für Vaash war es der Abgesang auf die Ehre und das Gefühl richtig gelegen zu haben. Paradox war es, dass er in der Tat Recht gehabt hatte, mit der Annahme der Fehlplanung der Operation Festung.

Er galt als begabter Offizier. Bester Absolvent. Gerade Karriere und statthafte Autorität. Doch - in diesem Moment ließ die Zeit ihn, wie ein Kind aussehen. In allem hatte er sich falsch entschieden. Pflicht vor Liebe gestellt. Einsatz vor Menschlichkeit. Blanke Ausführung vor den Grundwert des Lebens. Lügen - das hatte er gelebt. Vor seiner Familie, die er selten sah. Vor seinem Sohn und seiner Tochter, denen er nie von seiner Arbeit berichtete. Der gefühlt strafende Blick von Acchetia traf den Alten. Wie viele hatten mit ihm gesprochen, ihm etwas versprochen, was niemals Realität wurde. Frieden. Der Blick des Offiziers vor ihm, strafte all diese Ausreden Lügen. Der Blick strafte ihn, der alles geopfert hatte. Tausende Leben klebten an seinen Händen. Nachts in den Träumen kamen sie, verfluchten seinen Namen und nichts hatte es gebracht. Absolut nichts. Vaash schlug mit der Faust auf die Lehne seines Stuhles. Heftig und fest. Die Erkenntis erwog sich, dass er gefangen war. In seiner verdammten Verantwortung. Man hatte sich entschieden. Die Pflicht ersetzte Träume. Wo man einst überzeugt eintrat, den Weg ging und erst zu spät erkannte, dass der Weg in große Ketten führte. In diese große Zelle - Verantwortung.

Was er wollte? Frei sein. Von den Gedanken. Von der Verantwortung. Endlich nach Hause. Doch sein Willen spielte keine Rolle in einem Staat, der nur eines kannte: Ordnung. Jeder musste seinen Platz akzeptieren. Keine Zweifel hegen und einfach funktionieren. So gut er halt konnte. Wie gerne würde Vaash nun weinen, lachend weinen und irre kichern. Ihm war danach, einfach diese irrealen Ketten der Höflichkeit zu sprengen, die ihm antrainiert worden waren. Doch es ging nicht, wie eben nichts mehr ging. Außer vielleicht der Hebel seines Hoverstuhles, den er nun vorschub, um Cassio näher zu kommen. Einen gefühlten Schritt. "Was ich möchte, spielt in diesem Staat keine Rolle," war die Antwort, die er dem Vize-Admiral entgegen warf. "Wie Sie selbst sagten, nicht viel mehr Wert als ein Glas." Zerbrechlich, meist leer und durchschaubar. So wollte das Imperium seine Bürger. Das war dem Alten immer klar gewesen, doch man hatte es gut verdrängt. Jetzt war es wieder da. Der Gedanke, falsch zu sein. Sich selbst gegenüber und dem Leben. Wer kannte ihn schon? Nicht seine Karriere, sein Aussehen, sondern sein Herz. Seine Werte, die so alt waren, wie einst die Republik. Werte von Ehre, Hingabe und Aufrichtigkeit. Alles das war bei Eriadu gestorben.

"Man verlässt Eriadu nicht," floskelte der alte Herr, der seelisch immer noch in der Schlacht war. "Wer dort war, versteht, dass man nur lernt damit zu leben." In der Tat hatte jeder Veteran sein Eriadu mitgenommen. Dort lagen die Träume und Leben vieler junger Männer und Frauen begraben. Eingeäschert von wahnhaften Ideen und Turbolasern. Verdampft, zerfetzt, zerissen, erstickt, verbrannt, zerquetscht, geschlagen, verstrahlt waren sie alle. Nichts war geblieben außer dem Wort: Eriadu. Dieser Planet, der zum Symbol des totalen Versagens wurde. Diese Welt macht Vaash zu einem Kind. Zu einem Kind, welches einfach nach Hause wollte. Mensch sein - nicht mehr möglich aber das Kind wehrte sich mit Tritten, Hieben und Lachen. Das wollte er. Sagen, was ihn bewegte. Eriadu war hier, überall in den Herzen, die dort waren. Die Sterne verdunkelten sich um diesen Planeten, der tausendfachen Tod gesehen hatte, in wenigen Stunden und für was? Nichts. Nur leere Werte. Das Handwerk des Krieges war eben nur ein Handwerk. Ein Handwerk, welches erlernt wurde, ausgeführt worden war aber irgendwo erschöpfte der Meister. Nicht jeder Schlag mochte mehr sitzen und irgendwann erkannte jeder Meister eines Handwerks, dass seine Zeit gekommen war. Wenn die Kunst nicht mehr zu finden war, hörte man auf. Der Krieg hatte nie Kunst. Er war immer nur Selbstzweck, kalte Berechnung und immer nur eines: Macht streben. Wenige Menschen stellten sich über viele und schoben diese in ihr galaktisches Schach. Vaash war einer davon gewesen. Für was er das getan hatte? Spielte dies noch eine Rolle? Die alte Zeit starb. Leider war der Alte nicht mit ihr bei Eriadu gestorben. Der insgeheime Wunsch war da.

"Meine Geschichte endet nicht mit meinem Wunsch, sondern mit der Entscheidung eines Imperiums, welchem wir zu dienen pflegen." Ein Satz kalt gesprochen, wie Tiberius es fühlte. Ein Gesuch war ein Gesuch. Die Macht darüber lag bei anderen. "Wer behält meine Männer in Erinnerung in hundert Jahren? Eriadu - das bleibt." Vielsagend nickte er, kniff die Augen zusammen, um sich eine salzige Meeresträne zu verdrücken. Niemand verließ Eriadu. "Wir dienen. Auch mit unserem Ende, ob daheim oder an der Front." Dem Alten fiel es schwer zu atmen, da die Gedanken an die Schreie gingen, die ihn verfolgten. Dieser vorwurfsvolle Blick seines gefallenen ersten Offiziers, als dieser in den Weltraum hinausgerissen wurde. Der Blick blieb. Eingebrannt in seinen Geist. Der Blick sagte: Wofür? Vaash konnte nicht mehr zurück. Das Lamento war geschrieben und wurde bereits gesungen. Pflicht und Ehre waren darin wieder zwei verschiedene Dinge.

War Acchetia zynisch geworden? Vaash hatte sich Tasha gedreht, als diese eingetreten war. Ihre Stimme war schön, ein Durchbruch durch diese furchtbare Stille, die den Alten zu umnachten drohte. Er lächelte ihr väterlich zu, nickte und wandte sich dann zum Vize-Admiral, der in der Tat zynisch war. Immerhin wollte er ihn gerade einladen. Zu diesem Ball, der aus jungen Offizieren Helden machen sollte, damit diese ehrenhaft starben. Ein Gesang auf die Glorie eines sterbenden Reiches. Vaash wollte dort kein Held sein. Nicht mehr. Doch irgendwo hatte der junge Offizier vor ihm recht. Einmal noch die Fassade sanieren, einmal noch jemand sein, bevor man sich aufgab. Vielleicht gab es dort auch genug Alkohol, um die Gedanken und Gesichter zu töten. Bekümmert sagte der Alte: "Ja."
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