#16
Sie haben die Zeit.
Irgendetwas lösen diese Worte Vaashs in dem entlassenen Stabschef aus. Ja, er hatte die Zeit. Mehr Zeit als ihm vielleicht lieb war. Cassio hatte wahrscheinlich zum ersten Mal, seit er Stabschef war, überhaupt so etwas wie Zeit. Er hatte nichts zu tun. Nichts zu erledigen in diesem Moment, keine Pflichten. Das war… ungewohnt. Es fühlte sich schlecht an, einfach nicht richtig. Er fühlte sich abgeschoben, abgeräumt von oben, von einem Mann, der ihn als Bauernopfer für sein eigenes Versagen über die Klinge springen ließ. Sicherlich spürte Cassio Wut darüber, nicht gering sogar, aber vor allem eines breitete sich in ihm aus, das Gefühl, das gefährlicher war als Wut, weil es schleichender an einem nagte und man erst erkannte, dass man es empfand, wenn es bereits zu spät war. Cassio empfand Resignation. Lange Zeit hatte er sich der Illusion hingegeben unantastbar zu sein. Er hatte alle Krisen des Imperiums überlebt, hatte Endor überstanden, hatte Coruscant überstanden. Irgendwie schien es so, als hätte bislang niemand seine Person in Frage gestellt oder vielleicht überhaupt wahrgenommen. Cassios Job ließ ihn stets im Windschatten anderer, er war die Schnittstelle zwischen oben und unten, war derjenige, der entweder die eine oder die andere Ebene für das Scheitern verantwortlich machen konnte, ohne die Schuld auf sich zu nehmen. Vielleicht wurde Cassio erst jetzt klar, wie bequem sein Posten eigentlich gewesen war. Oder begann etwa jetzt schon die Verklärung? Er hatte Menschen – zwar nicht beabsichtigt, aber letztlich hatte er es natürlich billigend in Kauf genommen – zu Millionen in den Tod geschickt, schicken müssen. Er hatte sich aufopfern müssen für den Dienst, war rastlos und arbeitswütig geworden. Nur um jetzt, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, fallen gelassen zu werden, als wäre er ein kleiner, naiver Hund, der dennoch immer schwanzwedelnd vor seinem Herrchen einknickte und diesem jeden Tritt vergab, welchen dieser ihm gab. Und das Bemerkenswerte war, dass ihm klar war, dass er auch genau das tat. Cassio gehorchte, bis zum Ende, wenn es dazu kam. So war er geprägt, so war er erzogen, so war seine Moral. Oder? Ja. Politik war grausam, menschenverachtend und allein interessensgesteuert. Er wollte sich nicht vor sich selbst herabwürdigen, in dem er sich damit auf eine Stufe stellte und selbst Politik machte und entschied, was mit seiner Person geschah. Cassio verabscheute Politik, in diesem Falle zwangsläufig auch aus Eigennutz. Aber es änderte nichts daran, dass er und das Militär dennoch beständig am Tropf der Politik hingen und ihrem Muster unterworfen war. Doch was nützte diese Erkenntnis? Es würde immer so bleiben, niemand würde etwas daran ändern können. Und vermutlich auch gar nicht wollen. Und letztlich, was erwartete er? Dankbarkeit? Wohl kaum. Ein Staat wie das Imperium war nicht dankbar. Man durfte keine Gnade, keine zweite Chance erwarten. Das Imperium war, was es war: Ein hartes Regime, das keinen Fehler dulden konnte, wenn es den mörderischen, zerreibenden Krieg gegen eine aufstrebende Republik gewinnen wollte. Cassio hatte das in der Regel genau so gehandhabt. Es war wenig überraschend, dass sich dieser Mechanismus nun auch gegen ihn selbst richtete.

Gedankenversunken realisierte er erst nach einer Weile, dass er nicht mehr in seinem Bürostuhl saß, sondern sich immer noch im Gespräch mit Admiral Vaash befand. Dieser berichtete ihm, von seiner Situation zu wissen. Darum ging es also. Cassio verengte die Augen zu engen Schlitzen, als Vaash ausgesprochen hatte. Wollte dieser ihn jetzt noch verhöhnen? Ihn daran erinnern, dass der Alte während der Vorbesprechung der Offensive bereits Zweifel an ihr kundgetan hatte? Möglich. Er stellte sich jedenfalls dem Vizeadmiral mit seinem Stuhl so in den Weg, dass dieser kaum mehr entkommen konnte. Also verschränkte er immer noch mit verengten Augen die Arme vor der Brust, ging auf Abwehrhaltung. Vaash wirkte zwar nicht aggressiv oder herausfordernd, auch nicht in seinem Tonfall, aber welchen anderen Grund konnte er sonst haben, Cassio aufzusuchen? Vermutlich nicht, um ihn für seine ordentliche Arbeit zu preisen, nachdem Vaash in der Schlacht beinahe sein Leben hatte lassen müssen und nicht nur sein Schiff, sondern auch den Großteil seiner Flotte verloren hatte. Letztlich hätte Vaash wohl froh sein sollen, dass der Stabschef nun dafür seinen Posten verloren hatte. Froh, seinen Sieg auszukosten, wirkte er indes aber auch nicht.
„Verstehe. Und was möchten Sie mir nun auf Basis dieses Kenntnisstandes sagen?“, fragte Cassio geradeheraus. Er war kein Rhetoriker, jemand, der nicht mit geschliffenen Formulierungen aufwartete, sondern präzise und klare Worte vorzog. Ihm war im Grunde gleichgültig, aus welcher Quelle Vaash bereits diese Information erfahren hatte, dass Cassio gefeuert worden war. Früher oder später würden es ohnehin die meisten Admirale erfahren, daher war das für ihn ohne Belang. Relevant war, dass Vaash diese Information besaß und daher war an dieser Stelle nicht das Ob oder das Wie relevant, sondern lediglich das Warum. Weniger verwirrte ihn also dieser Umstand als vielmehr, dass Vaash das nicht einfach bestätigend zur Kenntnis genommen hatte, sondern nun hier, vor ihm, in seinem Stuhl saß, um mit ihm zu sprechen.
„Die Operation ist gescheitert und dafür wurden nun Konsequenzen gezogen. Scheinbar war es wohl notwendig, in diesem Fall die Konsequenzen innerhalb der Planungsbehörde zu ziehen. Mir bleibt keine Wahl als diesen Urteilsspruch gegen mich hinzunehmen.“
Da war sie wieder, die Resignation. Cassio hatte kein Feuer in den Augen, keinen Willen, dagegen etwas zu tun, sich aufzulehnen, zu kämpfen. Ein kurzes, eigentümliches Schulterzucken deutete an, dass es nichts gab, das er hätte tun können oder vielleicht tun wollen. Ja, er akzeptierte es. Zwar war anhand seiner Mimik und Gestik die Missbilligung über die Personalentscheidung, mit all ihren Konsequenzen, zu erkennen, zu sehen, dass er sich ungerecht behandelt fühlte, doch schien sich der Ärger darüber nach dem Gespräch mit seiner Adjutantin für den Moment wieder gelegt zu haben. Der Ärger würde nichts ändern und stattdessen schien etwa mit dem Schulterzucken in Cassios Habitus mehr und mehr ein schleichender, bitterer Zynismus mitzuschwingen.
Offline
Zitieren
 


Nachrichten in diesem Thema