#3
Die düsteren Schatten der Hauptstadt wirkten dieses Mal noch weitaus bedrohlicher als sonst. Echos von Militärstiefeln hallten im großen Saal eine gefühlte Ewigkeit wider. Es war lange her, dass Cassio Acchetia hier gewesen war. Sehr lange. Vieles hatte sich seither geändert. Der Herrscher hatte gewechselt, zwei Mal seither. Eher ungewöhnlich für einen Staat, dessen Oberhaupt auf Lebenszeit ernannt war. Lautstark schlossen zwei Diener die schweren, mehrere Meter hohe Türen und stahlen somit das Licht, das aus dem Korridor in den Saal geworfen war. Dämmriges Licht aus archaisch wirkenden Fackeln erhellte flackernd den Raum und gab dem Flottenstabschef den weiteren Weg preis. Er schlug einige Schritte vor den Stufen zum Thron die Hacken förmlich aneinander und neigte den Kopf knapp in Richtung des Bodens hinab. Mehr aus militärischer Gepflogenheit. Sate Pestage besaß derzeit im Grunde genommen nur temporär Autorität, als Stellvertreter eines verschollenen Imperators. Dennoch würde es zweifellos nicht mehr lange dauern, bis er den Senat konstituieren und sich dort offiziell als neuer Galaktischer Kaiser wählen lassen würde. Es würde nur wenige Gegenstimmen geben. Die Vorbereitungen liefen bereits. Als der Vizeadmiral Position eingenommen hatte, verschränkte er in obligatorischer Offizierspose seine Hände hinter dem Rücken. Sein Gastgeber stand seinerseits mit dem Rücken zu ihm, und betrachtete den leeren imperialen Thron. Wie üblich war Großwesir Sate Pestage in ein purpurfarbenes Gewand gekleidet, dessen Farbwahl ganz bewusst Macht und Dominanz suggerierte. Nun, so wie es schien, würde er dieser Farbe mit seiner Ernennung zum Herrscher über das Imperium bald auch gerecht werden. Für einen Moment herrschte Stille zwischen den beiden Männern, aber Cassio beging nicht den Fehler, anmaßenderweise als erster das Wort zu ergreifen.
„Sie sind gekommen“, stellte Sate Pestage schließlich fest, ohne sich zu bewegen, Aufmerksamkeit und Blick weiterhin auf den Thron gerichtet.
„Wie kann ich Euch zu Diensten sein, Exzellenz?“
„Ziehen Sie ein persönliches Resümee über Operation Festung, Admiral.“
Die etwas ungewöhnliche Aufforderung überraschte den Vizeadmiral zunächst. Ein entsprechender offizieller Bericht war bereits längst abgefasst worden und Cassio hatte seinen geschriebenen Worten keine weiteren mündlichen hinzuzufügen. Er pflegte die Berichte gewissenhaft zu formulieren. Das war Pestage natürlich klar, dennoch stellte er eine erneute Anfrage diesbezüglich. Wenn er hier auch eine persönliche Einschätzung einforderte. Aus Cassios Perspektive machte das letztlich keinen Unterschied. Die objektiven Fakten wurden nicht durch einzelne Personen beseitigt. Daher gab der Stabschef letztlich nur seinen Bericht in anderen Worten wieder.
„Zusammengefasst war die Operation trotz der Befreiung der Todesschwadron eine strategische und taktische Niederlage. Es gab zahlreiche Faktoren, die letztlich in diese Niederlage führten. Das Herausrücken der Abfangschiffe von Sullust bis an die Rimma-Route war uns vorab nicht bekannt und muss daher kurzfristig von der Republik vorgenommen worden sein, da es auf unseren Späh- und Geheimdienstberichten nicht auftauchte. Ob es sich um Zufall handelt oder um ein Durchsickern von Informationen lässt sich noch nicht sagen. Darüber hinaus reagierte der, wie wir jetzt wissen, Verräter Delvardus irrational und sabotierte unsere Bemühungen vor Ort so, dass ein Gelingen der Militäroperation für die Truppe faktisch unerreichbar werden musste.“
„Möglicherweise. Halten Sie es für erforderlich, dass ich bestimmte Konsequenzen aus dieser Angelegenheit ziehe?“
Cassios Blick bewegte sich für einen Moment seitwärts, offenbarend, dass er die Frage in seinem Gehirn eine Zeit lang überschlug, ehe er dem Großwesir antwortete.
„Meiner Einschätzung nach hat die Flotte unter den gegebenen Umständen noch das Beste aus den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gemacht.“
„In diesem Falle ist die Flotte offensichtlich in ihren Möglichkeiten nicht mehr leistungsfähig genug. Vielleicht bedarf es… Veränderungen.“
Cassio schüttelte den Kopf. „Nein, es war keine Frage von doktrineller oder technischer Unterlegenheit. Das aktuelle Material und dessen Einsatz ist ausreichend, wenn…“
„Gut. Ich denke da auch eher an personelle Veränderungen“, unterbrach ihn Sate Pestage, während er eine beiläufige Geste machte. Cassio hob sein Kinn um einige Grad merklich an und schien seinen Gegenüber somit beinahe von oben herab zu betrachten. Doch der designierte Herrscher stand noch immer mit dem Rücken zu ihm, so dass ihm diese Geste zu entgehen schien. Irgendetwas in Pestages Stimme ließ den Vizeadmiral aufhorchen. Die verzehrenden Schatten der massiven Säulen schienen ihn zu belauern, um seiner habhaft zu werden. Skeptisch verengte Cassio die Augen zu engen Schlitzen.
„Ich verstehe nicht?“
Sate Pestage hob seine rechte Hand ein Stück weit an. Auf das Zeichen hin trat ein Diener neben Cassio und trug diesem auf beiden Händen ein versiegeltes Dokument an. Der Stabschef musterte den jungen Diener einen Moment lang, ehe sein Blick auf das noch ungebrochene imperiale Siegel in roter Farbe stieß. Als Cassio schließlich erneut seine Augen auf den unterwürfigen, schweigsamen Diener richtete, hob sich merklich eine seiner Brauen an, doch er machte keine Anstalten, das Dokument entgegenzunehmen, solange ihm nicht bekannt war, worum es sich handelte. Es dauerte jedoch nicht lange, ehe Pestage das auch bemerkte.
„Das ist Ihre Entlassung als Stabschef“, sagte der Großwesir ruhig.
In diesem Moment schien Cassio der Blitz zu treffen. Ungläubig blinzelte er ein paar Mal, als schien er überprüfen zu wollen, dass er sich das Gehörte nicht eingebildet hatte.
„Wie bitte?“, presste der Vizeadmiral schließlich aus sich heraus, fast so als interpretiere er das Gesagte als einen Scherz.
„Sie haben das schon richtig verstanden.“
Es dauerte eine Zeit lang, bis Cassio das verarbeitet hatte. Erneut kopfschüttelnd suchte er kurz nach den richtigen Worten. „Bei allem gebührendem Respekt, Exzellenz, aber dies ist nicht die Zeit für personelle Schnellschüsse. Der Kern ist unmittelbar bedroht und es wird nicht lange dauern, bis die Rebellion nun selbst in die Offensive geht. Bis sich jemand Neues in unser Arsenal eingearbeitet hat, vergehen Monate. Das bedeutet mittelfristig eine bedeutende Schwächung unserer Verteidigungsfähigkeit.“
„Das ist mir durchaus bewusst, aber Sie missverstehen mich. Ihr Stab wird vor Ort bleiben und Ihr Stellvertreter, Admiral Kallice, wird Sie beerben und diesen übernehmen. Ich denke, dann es bedarf keiner intensiven Einarbeitung. Zwar bin ich damit auch nicht glücklich, doch kann ich nicht zwei Flotten über Eriadu verlieren, aber keine Konsequenzen daraus in der Führungsebene ziehen. Diese ganze Operation war eine Farce.“
Die vorübergehende Leere in Cassios Körper füllte sich allmählich mit Wut an.
„Soweit ich mich erinnere, hattet Ihr Euch für diesen Weg zur Lösung der Eriadu-Frage entschieden.“
Erstmals fuhr die umhüllte Gestalt zu ihm herum und streckte ihm einen knöchernen Finger entgegen. „Vorsicht, Acchetia“, zischte der Großwesir bedrohlich, ehe er seine Hand wieder hinter dem Rücken verschränkte und begann, den Vizeadmiral zu umkreisen wie ein hungriger Aasfresser.
„Ich hatte nicht entschieden, dass wir zwei unserer Flotten auf die Schlachtbank führen lassen, nur um eine nahezu kampfunfähige Schwadron zu retten. Wäre ich besser darüber aufgeklärt worden, hätte ich diese Operation nicht genehmigt.“
„Eine Niederlage ist das Risiko einer jeden gewagteren militärischen Operation“, entgegnete Cassio deutlich unterkühlt.
„Ich kann Ihr Missfallen nachvollziehen, Admiral. Doch vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben. Bald schon gebiete ich auch offiziell über dieses Reich und ich muss jede meiner Handlungen und Nichthandlungen sorgfältig abwägen. Diese Situation nötigt mich zum Handeln. Ein Untätigbleiben wäre ein falsches Signal für die Soldaten, gerade vor einer feindlichen Offensive. Auf Ihre persönlichen Befindlichkeiten kann ich dabei bedauerlicherweise keinerlei Rücksicht nehmen.“
Cassio kam nicht umhin zuzugeben, dass ihn diese Stellungnahme argumentativ entwaffnete, als ihm bewusst wurde, dass er seinen Stab im Prinzip genauso führte. Mit dem Unterschied, dass er selbst den Luxus besaß, sich nicht um Politisches sorgen zu müssen. So mochte es schon eine gewisse Ironie sein, dass ihn Pestage nun mit seinen eigenen Waffen schlug und Cassios Persönlichkeit in diesem Moment somit nicht in der Lage war, etwas Überzeugendes entgegenzubringen. Auch wenn Cassio bewusst war, dass Pestage dies zweifellos ganz bewusst auch so formuliert hatte, in dem Wissen, dass der Vizeadmiral darauf nicht reagieren können würde. Irgendwann begann er daher halb abwesend zu nicken, als die Wut bereits wieder verrauchte und nun mit der harten Realität ersetzt wurde.
„Sie werden an die Front versetzt werden. Ich bin mir sicher, Sie werden dem Imperium dort am besten dienen“, sagte Pestage schließlich.
Irgendetwas zog dabei in Cassios Magen, während er die verschwommene Silhouette seines Gegenübers ansah.
„Ich verstehe.“
Dem Vizeadmiral war durchaus klar, was Sate Pestage damit zum Ausdruck brachte und was von ihm erwartet wurde. Diesem war sich zweifelsohne mehr als bewusst, dass Cassio an der Front kein Gewinn sein würde, sondern er sollte dort nur eines suchen. Nun, so sollte es denn sein. Irgendjemand musste wohl immer das Bauernopfer werden und wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es ihn selbst erwischte.
„Sie können gehen.“
Ausdruckslos sah Cassio den alten Mann vor sich an und dachte sich seinen Teil. Er war professionell genug, seinem Ärger hier kein Ventil zu geben. Das würde er an anderer Stelle tun. Zumindest an dieser Stelle sollte in den Geschichtsbüchern stehen, dass der Stabschef des Galaktischen Bürgerkriegs aufrichtig sein Los akzeptiert hatte. Cassio riss dem Diener abfällig das Dokument aus dessen dürren Händen und drehte sich wortlos zur Tür um. Erst als die Tür vor ihm wieder schwerfällig geöffnet wurde, wurde dem Vizeadmiral bewusst, dass es vielleicht die letzte Gelegenheit war, dass er einen Blick auf den imperialen Thron hatte werfen können. Bedauern? Keineswegs. Wenn es so weiterging, würde Pestage sich ohnehin nicht lange an seinem Thron erfreuen können. Dann war es mit der Selbstherrlichkeit vorüber. In gewisser Weise gönnte Cassio dem Großwesir und baldigen Kaiser in diesem einen Augenblick den Untergang seines Imperiums.

Statt sich noch einmal zum imperialen Thron umzudrehen, durchschritt Cassio also die Tür und stieß amüsiert etwas Luft durch die Nase aus. Noch wähnt er sich als Herrscher. Doch bald schon wird er der Nächste sein.
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