#8
Die Stimmung innerhalb des Stabs war gedrückt. Noch war die Wunde Eriadu frisch und für manche Neuen war es die erste große Niederlage gewesen, die sie hautnah erlebt hatten. Vielleicht war es eine traurige Erkenntnis, doch für Cassio war es nicht die erste und so wie er es einschätzte, würde es auch nicht die letzte sein. Einer strategischen Niederlage wie über Eriadu folgten in aller Regel zahlreiche taktische Niederlagen, wenn der Feind die für ihn vorteilhafte strategische Verschiebung ausnutzte und daraus militärisches Kapital zog. Was konnte er dagegen tun? Nun, nichts. Das war ein Fakt, der zwar resignierend klang, letztlich aber unumstößlich war. Er konnte nur hoffen, im besten Fall. Hoffen, dass der Schaden, den sie dem Feind selbst zugefügt hatten, so schwerwiegend war, dass er in seiner Schlagkraft doch stärker beeinträchtigt war und sich nicht erlauben konnte, eine eigene Offensive zu führen. Doch nüchtern die Fakten beurteilend erschien ihm diese Hoffnung als geradezu kindisch. Die Rebellen konnten sich nicht erlauben, lange mit einem Schlag in Richtung des Kerns zu warten. Früher oder später mussten sie ihn riskieren, wenn sie nicht zeitnah im Rüstungswettstreit gegen das Imperium untergehen wollten. Und sei es nur aus Verzweiflung. Ja, die Rebellen würden den Kern attackieren. Es gab keinerlei Zweifel daran. Im Stab machte sich niemand darüber Illusionen. Illusionen waren für Politiker, nicht für Militärs. Die einzige Frage, die einzige Unwägbarkeit daran war, ob das Imperium für einen solchen Angriff bereit war. Und die Antwort auf diese Frage war ebenso einfach wie ernüchternd. Nein, das Imperium war nicht bereit. Und es würde Monate dauern, den Kern so zu festigen, dass ein republikanischer Angriff vermutlich aussichtslos sein würde. Aus genau diesem Grund musste Cassio damit rechnen, dass die Rebellion dieses enge Zeitfenster lieber früher als später nutzen würde. Im Grunde war jeder verstrichene Tag für das Imperium ein Gewinn und für die Republik ein Verlust, wenn auch nur im Kleinen.

Nun war der Kern nicht wehrlos, im Gegenteil. Eine Offensive würde teuer werden, ohne jede Frage. Aber in der Summe aller Umstände, aller Abspaltungen, aller Revolten und in Anbetracht der schlechten imperialem Kampfmoral in den letzten Monaten war eines festzuhalten: Niemals zuvor in der Geschichte des Imperiums war der Kern verwundbarer als jetzt. Und das größte Problem war nicht einmal das militärische Halten des Kerns. Rein objektiv war das Imperium schließlich noch immer weit überlegen. Doch wenn die Republik erst Fuß gefasst hatte im Kern, würden zahlreiche Systeme umfallen, daran gab es wenig Zweifel. Manche Welten wie Chandrila vielleicht schon aus Überzeugung, andere weil sie auf der Seite der vermeintlichen Sieger stehen wollten. Opportunismus würde eine große Rolle spielen. Stand die Republik im Kern, würde die Einheit des Imperiums, die bereits bröckelte, teilweise auseinanderfallen. Das war der viel größere Sprengstoff. War der Kern selbst nach Endor bislang weitgehend geschlossen auf imperialer Seite gestanden, würde dies durch eine Offensive zerrissen werden. Ordnung und Disziplin würden erheblich erschüttert. Im besten Fall bedeutete das, dass die imperialen Planeten wieder härter für den Sieg kämpfen würden. Im schlechtesten Fall war es das Ende eines Imperiums. Und diese Analyse des schlechtesten zum besten Fall zeigte bereits, dass der potentielle Gewinn der nächsten Monate äußerst gering sein würde, der mögliche Verlust aber umso größer sein konnte. Falls Cassio also eines aus dem Ganzen gelernt hatte, dann mochte es sein, dass die Rebellion spätestens jetzt zur Republik geworden war. Endor war kein Zufall gewesen – und Endor war nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart.

Beiläufig nahm Cassio einen Schluck stilles Wasser, während er das Flimsiblatt vor sich betrachtete. War etwas anders als sonst? Eigentlich nicht. Die Stimmungslage des Stabschefs hatte sich seit dem Tag der Niederlage wieder normalisiert. Wenn er ehrlich war, ging es ihm jetzt sogar besser als noch während der Offensive. Das war in Anbetracht der Toten und Verwundeten zwar ein Stück weit höhnisch und respektlos, doch konnte Cassio nicht abstreiten, dass es zutraf. Die Anspannung und Unsicherheit war abgefallen. Die Niederlage war schmerzhaft gewesen. Schmerzhaft für das Militärmaterial. Doch wer einen galaktischen Krieg führte, den konnten auch hunderttausende Tote nur schwerlich erschüttern. Dass das eine verabscheuungswürdige Haltung war, war dem Stabschef bewusst. Aber nur so entging man dem Wahnsinn, ohne von der Bürde der Aufgabe zermahlen zu werden. Schöngeister zerbrachen an dieser Verantwortung. Nur jemand, der Aufgabe von Emotion trennen konnte, konnte an so etwas bestehen – ganz gleich, wie herablassend und menschenverachtend das nach außen hin wirkte. Es gab keine Alternative. Wer Cassio dafür kritisierte, den mochte er als naiv ansehen. Und während er in den Gesprächen und den Gesichtern seines Stabes merkte, wie sehr diese Niederlage an ihnen zehrte, so regulär und unbescholten ging er weiter seinem Dienst nach. Irgendwann würde man die Toten ehren und vielleicht auch betrauern. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Wahrscheinlich würde sie für ihn ohnehin nie kommen. Die kalten Zahnräder der Militärverwaltung standen nie still.

Der Stabschef überflog die Einladung zur Teilnahme an einer Militärparade nächste Woche, die ihm eben erst zugestellt worden war. Ja, sollten sie doch Paraden abhalten. Haltet den Schein aufrecht, solange ihr noch könnt. Cassio zerknüllte das Flimsiplast mit einer Hand und ließ neben seinen Stuhl in den Mülleimer fallen. Das interessierte ihn nicht. Stattdessen nahm er erneut seinen Stift in die Hand und setzte die Arbeit an seinem Bericht fort. Wenn auch nur für kurz. Es dauerte nicht lange, ehe sich die Türe öffnete und einer seiner Stabssoldaten hereintrat.
„Moff Tyvos Corno von Anaxes, Herr Admiral“, sagte der Mann, als er ein paar Schritte in das Büro gemacht hatte. Cassio hob kurz die Augen von dem Flimsiblatt, um den Stabssoldaten einen Augenblick lang überrascht zu mustern, anschließend nickte er wortlos. Daraufhin schlug der Mann leise die Hacken aneinander, deutete eine knappe Verneigung an und lud daraufhin den Gast in das Büro ein. Innerlich fragte sich der Stabschef, was für den Moff von solcher Relevanz war, dass er ihm spontan einen Besuch abstattete. Hatte er Angst um seinen Sektor? Angst um seine Macht, seine ganz persönliche Macht? Cassio erinnerte sich noch sehr gut an die Zeit, in der die Moffs nur das waren, das sie eigentlich sein sollten: Verwalter, Bürokraten und Aufseher ihrer Regionen. Nach der Auflösung des Senats noch unter Palpatine hatte man ihnen jedoch mehr und mehr Kompetenzen zugeordnet und viele maßen sich nun auch militärische Kompetenz an, auch wenn einige offenkundig keinerlei besaßen. Tyvos Corno hatte dagegen Kenntnis vom Handwerk, hatte eine hervorragende Ausbildung durchlaufen und mit Stabsarbeit auch die strategische Weitsicht erlangt, die über Sektorgrenzen hinaus Sachverhalte beurteilte. Und dennoch hatte Corno in gewisser Weise die Seiten gewechselt. Nun konnte Cassio nicht bestreiten, dass es ihm zweifellos lieber war, als Moff einen Militär zu sehen denn einen militärischen Laien. Doch diese Vermengung von politischer und militärischer Autorität empfand der Vizeadmiral immer als etwas problematisch. Politische Entscheidungen wurden aus anderen Motiven, aus anderen Sachzwängen heraus getroffen als militärische. Und beide Arten der Entscheidungen standen sich manchmal im Wege. Eine politisch richtige Entscheidung konnte militärisch eine Katastrophe sein – und umgekehrt. Es war daher schwer nachzuvollziehen, wie das Amt eines Moffs beiden Verantwortungen gerecht werden wollen, ohne zwangsläufig beständig einen moderaten, ausgleichenden Mittelweg zu gehen.

Schließlich trat der angekündigte Gast ein und positionierte sich vor Cassios Schreibtisch.
„Ich grüße Sie, Moff Corno“, sagte der Vizeadmiral mit ruhiger Stimme, während er weiter seiner Arbeit nachzugehen schien und mit dem Stift weiter ungestört einen Buchstaben nach dem anderen setzte. Mit der freien Hand bot er ihm anschließend den Sitz auf der anderen Seite des Tisches an. Tyvos Corno ließ daraufhin bereits ansatzweise den Grund für sein Erscheinen durchscheinen. Dass sich in den Sektoren eine gewisse Beunruhigung über Eriadu ausbreitete, war nachvollziehbar. Und zeugte wohl letztlich auch nur von einer gesunden Einschätzung der Lage.
„Die Lage ist, wie sie ist“, entgegnete Cassio etwas aussagelos, während er die Kappe des Stifts auf diesem platzierte und ihn danach neben seiner Schirmmütze auf der Tischplatte ablegte. Erstmals hob er auch seinen Kopf an und blickte seinen Gegenüber an.
„Ein eigener offensiver Stoß ist derzeit nicht durchführbar. Solange keine anderslautenden Ordern aus dem Palast eintreffen, werden wir uns für die zu erwartende Offensive der Rebellen wappnen. Das heißt, Stellungen befestigen, Knotenpunkte sichern, Festungswelten aufstocken und in Einsatzbereitschaft halten.“
Der Stabschef war sich darüber im klaren, dass das eine blumige Umschreibungen dafür war, dass man letztlich nichts tat – weil einem schlicht die Möglichkeiten fehlten. Das war etwas, was einem Moff vielleicht nicht gefallen würde, doch blinder Aktionismus war das Falscheste, das man tun konnte. Der Blick auf das Rationale durfte nicht von der Angespanntheit der Situation beeinträchtigt werden. Man war für den Moment zur Reaktion und nicht zur Aktion verdammt.
„Der Geheimdienst wird Bericht erstatten, sobald größere Flottenverschiebungen auf republikanischem Gebiet bekannt werden. Derzeit steht noch kein Angriff auf den Kern zu befürchten. Das kann sich jedoch stündlich ändern.“
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