#2
Rückblende, während der Schlacht von Corellia (4,4 NSY)

Der Wind strich durch jede einzelne Haarsträhne. Cassio Acchetia stand auf dem Balkon des einhundertdreißigsten Stockwerks des Oberkommandos, die eine Hand in der Hosentasche verstaut, während die andere auf das Geländer vor ihm gestützt war. Er sog den Duft der Cigarra, den der Wind ihm aus seiner Hand entgegenbrachte, für einen Moment ein. In der Ferne machte er die Abfangjägerpatrouille aus, die sich von einem Ende der Sicherheitszone zum nächsten bewegte. Aus dem charakteristischen Kreischen der Ionentriebwerke war in der Entfernung nur ein dumpfes Grollen geworden. Ansonsten mochte es vielleicht einer der ruhigsten Orte des Planeten sein, war doch der gesamte zivile Luftverkehr in der Zone um das Oberkommando untersagt. Fast als schliefe der sonst so geschäftige Planet, was ansonsten eigentlich niemals zu passieren schien.

Cassios Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Das erklärte die Cigarra. Der Vizeadmiral verabscheute Laster, aber dies war einer der Momente, in denen sie das geringere Übel darstellten. Warten. Die zweite Angriffsspitze, bestehend aus der Flotte der Annihilator und der Sektorgruppe von Großadmiral Grant, hatte vor mehreren Stunden den Hyperraum verlassen und den Corellia-Sektor betreten. Pitta musste bereits reagiert haben, um seine Torpedosphäre zu schützen. Der schwerste Widerstand ging erwartungsgemäß von Pittas Sektorgruppe entlang der Handelsstraße aus, die von Grant attackiert worden war. Dort hatte es schon am ersten Tag erbitterte Kämpfe Sternenzerstörer gegen Sternenzerstörer gegeben. Ein entscheidender Durchbruch war dort bislang nicht gelungen, aber auch nicht erwartet worden. Jetzt, an Tag Zwei der Großoffensive, war vor wenigen Minuten der imperiale Flankenangriff von Admiral Gaarn um den Kirisgürtel , der Pittas eigenes Geschwader mit dessen Flaggschiff – der Imperator-Klasse Sternenzerstörer Impenetrable – davon abhalten sollte, die Sphäre zu schützen, begonnen worden. Das Warten auf das Resultat exakt dieses Manövers am zweiten Tag der Operation Morgendämmerung führte zu Cassios Nervosität, beinhaltete es doch das neue Symbol imperialer Stärke, ja den neuen Stolz der imperialen Sternenflotte: Das Schlachtschiff Annihilator. Als wäre dieser Umstand allein nicht bereits genug des Ansporns gewesen, so hatte sich der Kaiser außerdem entschieden, die Feuertaufe des Schiffes persönlich zu verfolgen. Cassio empfand die Geste, dass jeder Renegat damit rechnen musste, sich vor dem persönlichen Zorn des neuen Herrschers zu rechtfertigen, als durchaus gelungen, auch wenn die Entscheidung militärisch gesehen keinerlei Bedeutung spielte. Die Rolle des Schlachtschiffes war klar definiert.

Die Streitmacht des einstigen Großadmirals war alles in allem von beachtlicher Stärke. In einer normalen Planung hätte Cassio daher vorgeschlagen, Pittas Reich schlichtweg zu umgehen und direkt in Richtung Yag’Dhul und Thyferra vorzustoßen, doch der Imperator wollte Corellia um jeden Preis haben. Es war die letzte bedeutende Kernwelt, die sich noch nicht dem Sith-Imperium angeschlossen hatte. Mit der kompletten Vereinigung der Kernwelten unter Vesperums Banner schien die imperiale Frage nach dem wahren Imperium geklärt. Ja, es war Politik. Wieder einmal. Und so erzwang Politik den vielleicht kompliziertesten Part der Operation Morgendämmerung. Die zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber Pittas Abtrünnigen lag nach Bildung der Angriffsspitzen insgesamt bei etwa drei zu eins. Beachtlich, aber Cassio war sich darüber im Klaren, dass es dennoch ein extrem verbissener Kampf werden würde, solange Pitta am Leben war. Rund zehn Prozent aller schweren imperialen Kriegsschiffe waren für den Angriff bereitgestellt worden. Eine massive Streitkraft. Machtdemonstration. Auch wenn dafür im Galaktischen Norden die Reihen ausgedünnt waren. Die Kernwelten sollten erkennen, dass sie auf der richtigen Seite standen und es nur eine militärische Macht in der Galaxis gab, die es mit jedem aufnehmen konnte. Zumindest alleine. Cassios Sorge galt weiterhin der theoretischen Möglichkeit, dass sich einer oder gar mehrere der Kriegsherren während der imperialen Offensive zu einer militärischen Intervention entschloss. Die nördlichen Gebiete wären in ihrer jetzigen Lage nicht zu halten gewesen. Zweifellos wäre ein solcher kombinierter Vorstoß erst unter großem Aufwand in den Kolonien zu stoppen gewesen. Der Geheimdienst hielt ein solches Arrangement jedoch für kaum möglich. Ungeduldig zog der Flottenstabschef ein letztes Mal an der Cigarra und schnippte sie dann achtlos mit dem Finger über das Geländer in die Tiefe. Die Uhr tickte in seinem Kopf, gut hörbar. Sekunden wurden zu Minuten. Fünf. Zehn. Fünfzehn. Cassio ging auf dem Balkon langsam auf und ab. Warten.

Irgendwann sprang plötzlich die Türe hinter dem Stabschef auf.
„Meldung von Gaarn!“, platzte es förmlich aus Tasha heraus. Sie drückte ihm ein Datapad in die Hand. Aus Sicherheitsgründen wurden Nachrichten während Schlachten üblicherweise nur schriftlich versandt, weil es die Chiffrierung deutlich vereinfachte und dadurch schneller und sicherer war als eine direkt geschaltete Holoverbindung, die – einmal abgefangen und decodiert – das größte Sicherheitsleck war, das überhaupt vorzustellen gewesen wäre und jegliche Manöver dem Feind bekannt würden. Bei kleineren, weniger fortschrittlichen Gegnern mochte ein solches Sicherheitsleck nicht bestehen, aber bei einem Fuchs, wie Pitta einer war, war Vorsicht geboten. Doch als der Flottenstabschef die Meldung überflog, weiteten sich seine Augen.

Torpedosphäre nach heftigem Kampf zerstört --- Impenetrable bei Kiris gestellt. Pitta mit Schiff untergegangen. Narkos und Doom zerstört. --- 2. Flotte: vier schwere Verluste gemeldet, mehrere beschädigt --- 1. Flotte: leichte Schäden, Jägerflotte dezimiert. --- Teilen Flotte und setzen Vorstoß zu Grant fort. Aktualisierte Koordinaten anbei. Adm. Gaarn

Der Plan war... er war aufgegangen! Pitta hatte sein nahes Geschwader bei Kiris zur Verteidigung der Torpedosphäre herangezogen und war somit direkt in die Fänge der kurz darauf hinter ihm eintreffenden 1. Flotte unter Admiral Gaarn geraten. Der Kriegsherr hatte mit seinem Schiff so nicht den Hauch einer Chance. Die Sphäre hatte zwar für Verluste gesorgt, die aber die zahlenmäßige Überlegenheit an dieser Front war größer als an jeder anderen und so war es am Ende nur eine Frage der Zeit gewesen. Insgesamt waren die Verluste vertretbar, befand Cassio.
„Kommen Sie.“
Er schob sich direkt an Tasha vorbei, die ihm durch sein Büro und den Korridor zurück in den Besprechungsraum folgte. Cassio räusperte sich, um die angeregten Diskussionen der Militärchefs zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit zu erlangen, die die Meldung zweifellos erforderte.
„Meine Herren, Gaarn meldete soeben die Zerstörung der Torpedosphäre und den Tod von Pitta.“
Anerkennendes, positives Raunen im Raum. Jubel gab es keinen, dafür war es letzten Endes doch keine allzu große Überraschung, obwohl es sicherlich erst später erwartet worden war. Offenbar hatte Pitta nicht mit einem weiteren, konzentrierten Manöver am zweiten Tag gerechnet. Cassio beugte sich über die auf den Tisch projizierte Holokarte und setzte die Speicherkarte des Datapad in den Leser hinein, um sämtliche neuen Koordinaten sofort zu transferieren. Der Holoprojektor las die Daten innerhalb eines Sekundenbruchteils ein und vollzog die Flottenbewegungen in Beschleunigung nach.
„Gut, Gaarn ist also mit der 1. Flotte auf dem...“
Der Stabschef stockte. Die Animation endete. Auf einmal war es wieder völlig still. Es gab... Auffälligkeiten bei den Koordinaten der imperialen Schiffe.
„Was macht die Annihilator denn da direkt über Corellia?“, sprach der Vizeadmiral sehr lax das aus, was jeder im Raum in diesem Augenblick dachte. Betretenes Schweigen. Umsehen. Niemand hatte eine Antwort parat. Eigentlich sollte sie auf dem Weg weiter in Richtung Galaktischer Süden sein, um zu Grants Sektorgruppe und dem Rest von Pittas Raumflotte zu stoßen, befand sich aber stattdessen planwidrig mit ihrem Geleit im Orbit Corellias. Nach wenigen, aber äußerst lang anmutenden Sekunden der Stille brach ein eintretender, junger Stabssoldat die Ruhe und schob sich an Cassio heran.
„Sir?“
„Was?“, knirschte Cassio unversehens, ohne dabei wirklich den Mund zu öffnen.
„Es gibt ein Problem.“
„Was für ein Problem?“
„Sie... sollten es sich ansehen. Auf dem corellianischen Kanal.“
Der Vizeadmiral wölbte die Brauen und musterte den Soldaten mit halb zusammengekniffenen Augen. Dieser fasste das zu Recht als Aufforderung fortzufahren auf und aktivierte am Tisch den Holonetprojektor. Nach dem Tode Palpatines hatten sich die vormals unterdrückten Kanäle nun wieder in das Netzwerk gedrängt. Es baute sich ein Videobild auf, das einen corellianischen Reporter inmitten einer hysterisch umherirrenden Menschenmasse zeigte. Der Mann war unter großer Anspannung, seine Bewegungen wirkten hektisch.
„... ein totales Chaos. Scharenweise flüchten Raumschiffe aus ihren Verkehrsrouten um den Planeten, um sich in Sicherheit zu bringen. Das riesige Schiff blockiert die wichtigen Linien und scheint wahllos alles unter Feuer zu nehmen, das sich in den Orbit wagt.“
Im Hintergrund rammte etwas, das ehemals ein Frachter gewesen sein musste, in eines der Hochhäuser von Coronet, dessen Spitze zu brennen begann. Der Reporter drehte sich kurz um, ehe er in beschleunigter, zusehends nervöser Geschwindigkeit mit seiner Berichterstattung fortfuhr.
„Wie Sie sehen, stürzen immer wieder brennende Wracks auf den Planeten zurück und verirrte Laserstrahlen schlagen auf der Oberfläche ein. Seit Minuten ist der Luftverkehr um den Planeten inzwischen nahezu zum Erliegen gekommen. Fassungslosigkeit und Entsetzen prägt das Bild der corellianischen Bürger, die sich fragen, was hier gerade passiert. “
Fassungslosigkeit und Entsetzen nicht nur auf Corellia, sondern herrschte auch in diesem Moment im Oberkommando vor. Wie gebannt folgte jeder den Bildern. Kaum ein Mund der Anwesenden schien geschlossen. Es dauerte nahezu eine halbe Minute, ehe Cassio imstande war, darauf zu reagieren. Sein Unterkiefer schob sich bedenklich weit nach vorne und er atmete dabei lautstark aus. Was. Zum. Teufel! Das kostet Gaarn den Kopf. Das waren die ersten Gedanken, die ihm in diesem Moment durch den Kopf rasten. Ruhig. Routine. Durchatmen.
„Schalten Sie mir sofort die Brücke der Annihilator zu“, warf er betont leise in den Raum.
„Halten Sie das für klug, Sir? Falls Pittas Schiffe...“
„Sofort.“
Es galt nun, den Schaden zu minimieren. So bald wie nur irgendwie möglich. Den Schaden an der Offensive, nicht an Corellia, verstand sich. Selbst wenn es über eine unsichere Direktverbindung geschehen musste. Geschwindigkeit. Geschwindigkeit war der Schlüssel. Solche Unwägbarkeiten waren nicht kalkuliert. Sie würden zu eigentlich vermeidbaren Verlusten in Grants Flotte führen, die sich noch immer an der Handelsstraße von Süden langsam vorankämpfte. Was auf Corellia selbst veranstaltet wurde, interessierte Cassio in diesem Moment eigentlich indes nur beiläufig. Primär ging es darum, den Vorstoß fortzusetzen. Nach wenigen Sekunden erlosch die Holonetübertragung und an ihrer statt öffnete sich eine flüchtig codierte Direktverbindung auf die Brücke des Schlachtschiffes, die nach einem Augenblick direkt von der anderen Seite entgegengenommen wurde. Bevor Cassio jedoch aufbrausend den Kommandanten des Schiffes tadeln konnte, zeigte sich auf der Holodarstellung unterwartet nicht Admiral Gaarn – sondern Imperator Vesperum persönlich. „Politik“ war das erste Wort, das sich abfällig, wenn auch unbewusst in seinem Mund bildete, aber nicht hervordrang. Seine Augen weiteten sich überrascht.
„Eure Majestät“, brachte er zunächst etwas überfordert hervor, während er zwei Mal in kurzer Frequenz blinzelte. Es war beinahe eine Frage. Zwar war bekannt gewesen, dass der Kaiser die Offensive von Gaarn selbst beaufsichtigen würde, doch dass er dabei auch das Kommando führte, war in der Tat von ihm nicht erwartet worden. Offensichtlich war dies aber der Fall. Das vermochte gleichsam zu erklären, wo die Abweichungen herkamen.
„Das Oberkommando beglückwünscht Euch zunächst zur Vernichtung des Renegaten Pitta. Wir haben die Bestätigung hier vor wenigen Minuten erhalten“, begann Cassio das Gespräch. Es erschien angebracht, zunächst auch für den durchaus großen Sieg zu erwähnen, wenngleich er nun etwas bemakelt durch das Verstreichenlassen der unmittelbaren Initiative war.
„Indes, wir haben auch Informationen über gewisse unerwartete Abweichungen von der Plannorm erhalten, die Euer Schiff, die Annihilator, und ihr Geleit betreffen. Der Stab rät zu einer militärischen Weiterverwendung dieser Flotte gegen die Reste von Pittas Streitkräften, sollte sie für Euch im Orbit Corellias nicht... unabdingbar sein.“
Cassio entschloss sich, das Thema Corellia und die Ursache dieser Abweichungen noch nicht direkt anzusprechen, wenngleich er mittelbar im letzten Teil darauf Bezug nahm. Schließlich konnte sich durchaus auch eine militärische Zweckmäßigkeit dahinter verbergen, die es aus der Ferne nicht zu überblicken gab. Jedenfalls – theoretisch. Er würde es erfahren.
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