#9
Er sagte nur, was sie schon wusste. Aber mit diesen paar Worten Es gibt keinen Ausweg machte er ihr klar, dass sie sich hier nun für etwas entschieden hatte, was sie nicht wieder rückgängig machen konnte. Sie musste den Rest ihres Lebens damit klarkommen. Mit der Kälte, der Angst, der Dunkelheit, der Enge in der Brust- und seiner wirren Art. Noch war in ihr der Keim des Widerstandes. Sie würde alles schaffen. Alles. Sicher. Auch wenn sie hier fast unterging würde sie wieder hochkommen, sich gegen die Macht, all das Dunkel stemmen können. Es war ein kindlicher Trotzgedanke, aber er gab ihr gerade so viel Kraft, dass sie eine innere Ruhe fand, klar überlegen konnte und sicherer schien. In ihrem Leben war so manches schief gelaufen und doch stand sie eben hier. Doch würde sie im Geld schwimmen, Luxus haben, alles bekommen was sie wollte und viel mehr- Fakten, die sie nicht genau wusste, aber sich einfach einredete. Zudem würde die Enge in der Brust weichen, sobald sie hier raus waren, garantiert. Sie griff nach dem Wasser und wartete erst mal ab, ob das Wasser beim Lord etwas anrichtete. Am Ende war es nicht vergiftet sondern so abgestanden und sonst wie verunreinigt. Sie konnte warten, auch wenn sie kurz vor dem Abgrund stand. Als sie einige Sekunden gewartet hatte trank sie gierig einen Schluck. Dieses abgestandene Wasser erschien ihr gerade als das beste Getränk überhaupt. Es stärkte sie, sie fühlte beinahe, wie ihr Blut flüssiger wurde, auch ob der geringen Menge. „Es gab noch nie einen Ausweg.“, stellte sie schlicht fest. „Nur den Widerstand oder die Reise mit dem Fluss.“, damit trank sie den Rest aus und fühlte die totbringenden Augen auf sich. Sie sah ihn an, fühlte sich gleich wie versteinert, als er sie fixierte. Im nächsten Moment glaubte sie, er liesse einen grossen Teil ihrer selbst in diesem Moment sterben.

Sie leckte sich über die Lippen, die letzten, wichtigen Tropfen erheischend und konnte den Blick nicht von ihm nehmen. Seine Worte drangen tief in ihr ein und sie wollte sie sich merken, alles merken, jeden Moment, nichts, nie wieder vergessen. Nichts, was wichtig war. Was er sagte war wichtig, wenn sie überleben wollte. Wann hatte sie sich bitte entschieden? Sie war gefangen genommen worden, hatte opportun gehandelt und war nun hier, richtig? Sie war ihm gefolgt, weil es richtig schien, weil er ihr so schien, als ob sie bei ihm nicht nur die unterste Dienstmagd wäre- sondern vielleicht die, die der Dienstmagd zwischendurch den Kopf abschlagen durfte und dann ihren Platz einzunehmen. „Wie soll ich begreifen, wenn ich es für wichtiger halte, so schnell wie möglich hier wegzukommen?“, sie hatte keine Zeit dazu, sich philosophisch zu betätigen, verdammt! Wie er hier so schwärmerisch herumzog und immer durchgedrehter wurde, das konnte sie sich nicht leisten. „Ich will vorwärts.“, murmelte sie noch, ehe er weitersprach. Nun wollte er ihr scheinbar noch eine Geschichtslektion geben. Konnten sie das nicht tun, wenn sie hier rauswaren? Die Wände begannen immer mehr zu leben, sich zu regen, gaben Laute von sich und er redete hier übers Leben an sich? Sie sah sich jetzt um, musterte jede dunkle Ecke und war misstrauisch. Sie schnaufte nach seinen Worten und sah ihn erneut an. Der Wille zur Macht war wohl auch das, was sie hierhin getrieben hatte- und das, was sie nun so sehr fürchtete. Der Preis war immens. Sie wusste es ganz instinktiv, wusste aber genau so, dass sie verloren war, dass sie keine Chance hatte, etwas anderes zu erlangen wollte sie sich hier nicht zu den Skeletten legen. „Schöne Worte. Und was ist der Preis?“, fragte sie noch. Aber er redete scheinbar einfach weiter, faselte fast vor sich her, ging immer mehr in der Macht und seinem Wahnsinn auf, den sie schon gespürt hatte. Hier wurde er genährt, besser und schneller, als überall. Ihr altes Leben bedeutet ihr nicht viel. Es war sogar eine Last. Die Schuld, die sie auf dem Weg hierhin nochmals, erneut, eindringlich, immer wieder gesehen hatte machte das klar. Sie musste vergessen, legitimieren, sich lösen, autark werden, natürlich. Sie wollte das auch. Aber das erreichte man nicht darin, indem man in einer Grotte stand und Reden schwang, oder?

Seine Augen schienen immer dunkler, finsterer zu werden, so, wie ihr die blosse Angst vorhin vorkam. Sie blieb stehen und sah ihn an, bereit das anzugreifen, was Besitz von ihm ergriff. Nur sah sie im selben Moment ein, dass es nicht ging. Er wollte es, brauchte es. Irgendwo schien ihn das Ganze zu komplettieren, auf eine völlig falsche Weise. Heil und Rettung- sie konnte sich vorstellen, dass die dunkle Seite alles war. Aber kein Heil. Eine Rettung vor dem Tod vielleicht, eine Rettung vor sich selbst, aber Heil fand kein einziger Verdammter. Und Verdammte waren die, die mit der Macht geboren waren. Sie gab Macht, erfüllte, stärkte und bot neue Perspektiven. Aber zu einem horrend hohen Preis. Im nächsten Moment hörte sie die Wand in der Nähe und musste den Blick lösen. „Mylord, wir sollten verschwinden. Was braucht Ihr?“, versuchte sie rational zu sein. Er wollte hier sicher nicht andächtig über einen Ritualtisch streicheln und etwas abgestandenes Wasser trinken. Nun begann er auch noch zu Weinen! Und sie wusste gar nicht, wo sie hinsehen sollte. Sie blickte die Wände entlang, um ihn nicht anzusehen ehe er lachte. Er lachte! Der war vollkommen dem Durchdrehen verfallen. Das Lachen war laut, sureal, seine Tränen ebenso. „Wir sollten hier wirklich raus!“, das Ding flog gleich ein.

Als sie nun wieder zu ihm sah erstarrte sie. Was war das? Sie machte einen halben Schritt rückwärts. Der Wahnsinn kam immer tiefer in ihn und suchte sich ein neues Heim, was er nur zu gerne bot.
Sie wollte ihn gerade ziemlich grob am Arm packen und mitschleifen, als eine Stimme sie erzittern liess. Gut? Was war hier bitte gut?! Im nächsten Moment starrte sie in die erneute Dunkelheit. Staub traf auf ihr Gesicht, setzte sich an ihrem Mantel fest, der bald mehr Staub als alles andere war. Ilara konnte nichts anderes tun als trocken zu schlucken. Dass Vesperum weitergehen würde war klar. Das Lachen liess sie erbeben und sie schloss kurz die Augen, nur um die ihrer toten Schwester zu sehen. War sie bereit, alles aufzugeben? Sie musste es wohl sein. „Natürlich.“, murmelte sie nur und starrte zu den dunklen Lichtern. „Mylord, der Vortritt gehört Euch.“, ihre Hand legte sich vorsichtig an ihre kleine Klinge, die an ihrem Gürtel hing. Was auch immer hier vor sich ging, es würde angreifen. Das war vielleicht eine ihrer guten Seiten: gerade, wenn es am meisten um Angst und Zweifel ging konnte sie ihn kurzzeitig zur Seite stellen und halbwegs rational denken. Wenn andere vor Angst erbebten spornte es sie an, sich der Angst zu stellen. Nur der Korridor, der lange, der hatte ihrem inneren Gleichgewicht gar nicht gut getan. Ob sie sich befreien würden war eine andere Frage. Aber es war ein Weg. Immerhin, es ging gerade aus.
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