#3
Eine Frage verfolgte sie: wieso?, wieso sie? Wieso war sie hier? Wieso? Natürlich, weil sie eben zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war- aber dafür konnte sie doch nichts! Wer strafte sie hier? Jedes verdammte Mal, wenn sie ein Auge zumachen wollte fing es noch lauter an, als es im Wachzustand schon war. Jedes Mal, wenn sie verzweifelt versuchte, sich abzusondern, in einen Platz tief in sich zu ziehen ging es erst richtig los, als ob die Schatten nur darauf warteten, dass sie ihre weichste, verletzlichste Seite offenbarte und sie sie einnehmen konnten, den letzten Rest ihrer Seele zerschlagen konnten. Atmen fiel ihr seit Wochen schwer, sie konnte ihre Brust kaum mehr heben und senken und wollte eigentlich nur eines: Stille. Die Wände flüsterten, bewegten sich fast auf sie zu, griffen nach ihr. Vesperum nahm sie zeitweise kaum mehr war, sie war wie entrückt und wäre wohl schon lange zurückgeblieben und wirklich wahnsinnig geworden, hätte ihren Kopf an die Wand geschlagen, wenn er sie nicht mitzog. Wieso?! Immer wieder fühlte sie eine immanente Kraft nach ihr greifen, die sich auf ihre Schultern legte und ein leises Gib auf, du hast einfach nicht das Zeug dazu. Gib auf, und alles hört auf. Alles..., zeitweilig fühlte sie die Illusion, dass alles gut war. Wirklich! Alles war gut! Und sobald sie sich nur etwas entspannte ging das Spiel noch härter vor, pochte in ihrem Schädel, liess sie vergessen zu atmen, bis sie irgendwann nach stickiger Luft schnappte.

Dass es so etwas gab, eine Hölle, daran hatte die junge Frau nie glauben können. Aber das hier war die blanke Hölle. Ihr Blick war starr auf den dunklen Punkt vor sich gerichtet. Trotz allem hatte sich ein Sog aufgebaut, einer, der aus der Dunkelheit kam und auf den sie einfach zugehen musste. Manchmal ging sie sogar mit geschlossenen Augen weiter, lauschte auf die Schritte, was wohl das Einzige war, was sie an die Realität kettete. Schritte. Vesperums Schritte. Langsam öffnete sie die dunklen Augen. Sie kam wieder. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu und drückte ihre kalten Finger tief in ihr Fleisch, flüsterten ihr Worte ins Ohr. Worte, die an sie gerichtet waren. Von ihrer Mutter, dem verhassten Freund ihrer Mutter- und dann tauchte sie auf. Ilara wollte schreien, als sie ihre Schwester auf dem Boden liegen fühlte. Es war ein Fühlen. Aber es war so real, dass sie glaubte, über ihren Körper zu stolpern, als sie zusammenzuckte. Blitze. Ihr Körper spannte sich sofort an. Eigentlich wollte sie sich an die Wand drücken um etwas Deckung zu erhalten, aber die Wand schien giftig, tödlich, so dass sie einfach nur stand, bis sie eine Hand fühlte. Kurze Zeit glaubte sie es war ihre Schwester, wie sie nach ihr griff, ihr erstaunter Blick, als sie die Klinge im Bauch fühlte, ihr noch erstaunterer Blick, als sie nochmals zustach, weiter oben, Lungengegend, ihr Röcheln, als Blut aus ihrem Mund lief- sie sah es. Es war so real wie die vernarbte Hand, die sie ergriff. Angst... sie musste rennen, weit weg, schnell, sich nie wieder hier ran erinnern, es vergraben. Die Worte, die seit langem die ohrenbetäubende Stille und das ebenso laute Gemurmel der Wände durchbrachen spornten sie doch an. Schnell. Ja. Schnell, alles zu Ende bringen, was auch immer, verdammt!

Sie war kurz davor ihren Schädel an die Wand zu knallen um das Bildnis ihrer wunderschönen, blutenden, sterbenden Schwester zu vertreiben. Zudem wurde sie beobachtet. Immer mehr. Jemand sah ihr zu, wie sie ihre Schwester besah. Keine Regung. Nur ein Zusehen. Wortlos, regungslos.
Im nächsten Moment, bevor sie sich den Kopf an den Wänden aufschlug, fühlte sie, wie sie gepackt wurde. Sie wollte nach der Hand greifen, sie wegschlagen, da sie fühlte, dass es weiter in den Abgrund ging und dass es noch viel schlimmer würde und sie keine dieser tausend Höllen sterben dürfte. Sie musste aufrecht stehen, weiterziehen, immer weiter in diesen verdammten Abgrund. Das war hinrissig. Das war absoluter Wahnsinn! Die Angst ergriff ihr Herz und zeigte ihr alle ihre Facetten auf. Angst vor dem Tod, Leid, Hunger, Versagen, vor anderen Menschen, vorm Fliegen, sogar vor kleinen Insekten, Angst vor allem. Sie keuchte leise, als es einfach immer weiter nach unten ging, unfähig ein Wort zu sagen. Ihre Stimmbänder waren gelähmt und von der Angst eingenommen. Nicht mal ein stummer Schrei hätte sie verlassen können. Ihr Herz schlug ungewohnt schnell, jedoch flackernd, kraftlos, so dass ihr zusätzlich noch schwindlig wurde, als sie ein leises Gemurmel hörte. Bald?! Was war bald? Ende? Tod? Erlösung? Es gab keine Erlösung. Nicht mehr. Nicht für sie. Irgendetwas hatte bestimmt, dass sie alles haben dürften, fast alles, ausser einer Erlösung. Sie schluckte, ehe sie den Mund öffnete, wieder schloss, nochmals schluckte und dann ein leises “Wird Zeit.“, aus ihrem Mund kam. In diesem Moment als sie sprach hörte das Gemurmel kurz auf, nur um gleich wieder einzusetzen. Man hatte sie erkannt, enttarnt, sie war nicht mehr eins mit der Dunkelheit. Wieso? Sie ballte die Hand zu einer Faust und wollte sich von Vesperum losreissen, sich nicht mitschleifen lassen wie ein armseliges Tier, auch wenn das hiess, dass sie hier und jetzt zusammenbrechen würde, wo er aufblühte. Sie fühlte es. Er ging schneller, zog voran, er wirkte angespannt, so, als ob nun gleich eine Tür aufging und irgendetwas passierte. Ihre Füsse verfehlten hie und da Tritte, aber es war egal. Alles war egal. Sie sah nur in die Dunkelheit, die sich langsam auftat und mehr versprach. Viel mehr. Was war das?
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