War dies so? Eine willentliche Rückkehr in den Käfig, aus Angst vor dem Unbekannten, vielleicht auch vor der Notwendigkeit, eine eigene, freie Entscheidung zu treffen? Sicherlich vermochte die Vorstellung eines obskuren Unbekannten Furcht auszulösen und die wohlig warme Gewissheit schien im Vergleich hierzu wenig attraktiv.
Cassio seinerseits hatte das Imperium selbst jedoch nie als Käfig empfunden, selbst wenn er diesem diente. Er und seine Familie vermochten ein, vergleichsweise, normales Leben zu leben und waren letztlich vom Imperium in Friedenszeiten nicht behelligt worden, vielleicht auch weil man wusste, was man sagen konnte und was nicht. Nun war das nicht viel mehr als anekdotische Evidenz; und trotzdem hatte es dadurch wenig Grund für ihn gegeben, das System fundamental in Frage zu stellen oder sich dadurch eingesperrt zu fühlen. Die klaren Hierarchien, die das Imperium stufenweise auch im Zivilen etabliert hatte, waren für ihn, der diese als Soldat ohnehin gewohnt war, nicht als einschränkend empfunden worden – ja, selbst wenn sie dies im Rückblick betrachtet objektiv sogar gewesen sein mochten. Doch die Schaffung einer klaren Führungsstruktur und der Zuweisung von Verantwortlichkeit an andere Personen konnte durchaus auch auf eine Form befreiend sein; Verantwortung über Entscheidungen und somit auch deren Konsequenzen schlichtweg an Dritte auszulagern. Bis zu einem gewissen Punkte lebte es sich damit bequem, unschuldiger vielleicht, wenn auch nur auf dem Papier. Insoweit war die Analogie mit dem Käfig für Cassio wiederum durchaus plausibel. Und doch ließ sie tief blicken, tiefer vielleicht als der alte Mann damit beabsichtigt hatte. Denn was Vaash damit zum Ausdruck brachte, war, dass das gesamte imperiale System als solches schon ein kritikwürdiger Zustand war und der Käfig, an sich, entfernt werden musste. Das war eine sehr problematische Aussage, die praktisch nicht innerhalb des Käfigs zur Diskussion stehen durfte und dadurch ein breites Schweigen Cassios zur Folge hatte. Die Worte des alten Mannes lagen dadurch schwer innerhalb des Raums, hallten dadurch immer wieder in den eigenen Gedanken hervor, während Cassio ihn wortlos und ohne weitere Regung im Gesicht anblickte.
Die Worte brachten den jüngeren Offizier ersichtlich zum Nachdenken, doch nur zum Teil darüber, was der Flottenadmiral konkret impliziert hatte und vielleicht sein konkretes Anliegen gewesen war. Cassio sah sich, anders als Vaash, eher in der Position des geprügelten Akk-Hunds, der doch immer wieder an die Seite seines Herrchens zurückzukehren schien, sei es womöglich auch nur aus stumpfsinniger Treue zu etwas, das sich diese weder erarbeiten noch jemals verdienen musste, sondern lediglich durch seine bloße Existenz für sich beanspruchen konnte. Doch schlussendlich war der Akk-Hund eben, was er war. Cassio war seinerzeit in Pestages Ungnade gefallen und nun aus dem sicheren Imperialen Zentrum hier, am Rande des Imperiums, gelandet und sich – gleich auf welche konkrete Art – im Gefecht mit einem überlegenen Gegner zu rehabilitieren. Doch Arten von Treuebeweisen und Möglichkeiten zur Rehabilitation gab es in einem Staat wie diesem in mehrerer Hinsicht, sofern die eigenen Skrupel einen nicht daran hinderten. Zweifel an der Loyalität eines hochrangigen Offiziers geltend zu machen, beförderte die meldende Person in der Gunst wieder nach oben. War schlussendlich eine Denunziation von Tiberius Vaash das Ticket aus diesem Alptraum hier an einer nutzlosen Stelle an einer sinnlosen Front? Vorstellbar war es. Ehrlos sicherlich auch, jedenfalls auf einer persönlichen Ebene. Doch Cassio war an sich im Offizierskorps nicht dafür bekannt, übermäßig an persönlichem Ruhm interessiert zu sein; sondern ein recht ambitionsloser, relativ grober, unpolitischer Technokrat, den es eher nicht scherte, was andere von ihm hielten. Es erschien erstaunlich, dass er und der alte Mann derart offen miteinander zu kommunizieren vermochten. Am Ende hatte es Gründe, warum dies in der Regel nicht passierte – die hängenden Leichen der letzten Monate waren eines der vielen Zeugnisse dessen. Cassio konnte sich nicht ganz von diesem Gedanken, der irgendwo in seinem Gehirn hauste, lösen, auch wenn er ihm Unbehagen bereitete. Letztlich war Tiberius Vaash einer der Offiziere, die die persönliche Integrität besaßen, um ein professionell arbeitendes Offizierskorps zu gestalten – anders als aufstrebende Krisengewinnler wie Sloane. Und doch war vielleicht eben gerade die Zeit der fanatisierten Krisengewinnler und die der alten Garde zog vorüber. Es zeugte schließlich auch nicht von Klugheit, auf das falsche Pferd zu setzen. Ein einzelner, wenn auch unangenehmer Akt, der ihn vielleicht wieder näher ans Zentrum brachte.
Vielleicht war es Cassios unerträglich langes Schweigen auf den Vergleich oder auch die eigene Ratio des Tiberius Vaash, die diesen schlussendlich dazu brachte, seine Worte mit solchen der Pflichterfüllung aufzuwiegen und somit wieder in das zuvor von Cassio geäußerte Narrativ einzusteigen, um wenigstens einen gewissen, wenn auch pessimistisch gestimmten Anschein zu wahren. Das Problem an der Pflicht war, dass persönliche Pflicht und berufliche Pflicht auseinanderfallen konnten. Die eine forderte nun von Cassio das eine, die andere das andere Handeln. Und während Tiberius Vaash davon sprach, dass sie keine Wahl hatten, rätselte der Akk-Hund darüber, welche Wahl er gerade zu treffen hatte. Der Akk-Hund blickte aus der Distanz zurück zu seinem Herrchen. Machte er den Schritt zurück, auf Kosten eines Rudelmitglieds?
Umso erstaunlicher war das, was der alte Mann daraufhin tat. Er sprach ihm, vielleicht aus Ermangelung an Alternativen, das Vertrauen aus. Das war… töricht? Auf eine unangenehme Art und Weise, wenn Cassio seine letzten Gedanken Revue passieren ließ. Und insbesondere in einer Hackordnung wie der, in der sie nun einmal lebten. Etwas zwickte in Cassio, als Tiberius Vaash ihm in gewisser Weise den Rücken zum Dolchstoß entblößte – und nicht einmal mit einem Dolch in der Hand des anderen rechnen mochte. Die Arglosigkeit, mit der Vaash hier vor ihm stand, war erstaunlich, nun, unimperial – wenn man bedachte, dass er sich seit zwei Jahrzehnten in diesem System bewegte und die Spielregeln hätte verstanden haben müssen. Noch dazu bei Cassio, der als Eigenbrötler galt, im Wesentlichen uninteressiert an persönlichen Beziehungen oder Kontakten innerhalb des Systems. Doch vielleicht war es auch gerade das: Vermutlich waren genau deswegen wenige Personen sogar besser geeignet, da Vaash – jedenfalls in der Theorie – weniger Sorge haben musste, dass problematische Aussagen nach außen, an Dritte getragen wurden, wenn Cassio solche dritten Kontakte gar nicht pflegte. Der Punkt jedoch, an dem Vaashs Vertrauen auf dünnem Fundament gebaut war und der sich diesem Haudegen von Offizier wahrscheinlich gar nicht mehr erschließen konnte, war, dass er nicht sah, dass Cassio vielleicht zum ersten Mal in seiner militärischen Laufbahn in ernsthafter, persönlicher Lebensgefahr war und dies ein Zustand war, den Cassio daher weder als normal empfand noch davon im Laufe der Zeit abgestumpft war. Noch dazu in einer Situation, die so aussichtslos schien, dass bereits das Führen der Schlacht sinnlos war und keinen nennenswerten Effekt auf das weitere Kriegsgeschehen haben würde – und dann betraf es nicht einmal die Rebellen, sondern einen Mann, den Cassio kannte und durchaus in seiner militärischen Kompetenz zu schätzen gelernt hatte. Die Vorzeichen für Cassio, diese Aufgabe mit großem Eifer anzugehen, waren nach alledem ziemlich schlecht. Und dennoch schien Vaash zu glauben, ihm vertrauen zu können. Torheit oder Verzweiflung? Jedenfalls die Worte eines brechenden Mannes, dessen Zukunft ebenso schwand wie seine eigene.
Cassio konnte andererseits auch nicht bestreiten, dass dieses… Gefühl des Untergangs dennoch in gewisser Weise verbindend war. Am Sterbebett sprach es sich wohl leichter offen als zuvor. Es gab schließlich nicht mehr viel, was man verlieren konnte. Zumindest war es dem Verhalten und der Bedeutungsschwere des Admirals zu entnehmen, dass dieser ihre Situation korrekt einschätzte. Ein Teil von Cassio… ja, schämte sich beinahe für die Gedanken, denen er zuvor erlegen war – doch war es nur menschlich? Es war in dieser generellen Ausnahmesituation indes nicht immer leicht, ein Gefühl für richtig und falsch zu erhalten, auch wenn Cassio wohl einräumen musste, auch in der Vergangenheit sich über derartige Kategorien keine erheblichen Gedanken gemacht zu haben. Schlussendlich wurde Dienst geleistet und dabei spielten sie in der Regel auch keine relevante Rolle, gerade nicht in einer abstrakten Tätigkeit wie die, der er nachgegangen war. Doch ein Tiberius Vaash, der hier vielleicht bereits gebrochen, vielleicht kurz davor, vor ihm stand, vermochte schwerlich kein gewisses Mitgefühl zu entfachen – gerade wenn er die Situation verstand. Etwas unangenehm berührt fasste sich Cassio an den Stehkragen seiner Uniform. Vertraute er wiederum dem Flottenadmiral? Das war eine komplexe Sache. Prinzipiell wohl schon; Vaash war kein Mann, der Intrigen spann oder Komplotte schmiedete. Doch am Ende konnte es auch genau das sein, das ihm zum Verhängnis werden konnte. Denn andere taten es. Mal zielgerichteter, mal unbewusst. Cassio glaubte nicht daran, dass in Vaashs Flotte jedermann so verlässlich war wie der alte Mann dies wohl annahm. Dafür befeuerte das Imperium den Opportunismus und den Nutzen, den man persönlich hieraus ziehen konnte, zu stark – vielleicht nicht mit Absicht, jedenfalls aber war er die Folge des etablierten Systems. Und nun, spätestens mit der Einberufung von Rae Sloane unter Vaashs Kommando, war dies klarer demonstriert. Cassio blickte stirnrunzelnd zu ihr herüber, musterte sie einmal von oben bis unten und ihm entglitt ein kurzes Übersprungslachen auf ihre Bemerkung zu seinem Geschwader hin. Zu einer weiteren Reaktion kam es nicht, zumal der Flottenadmiral direkt intervenierte. Sloane war für Cassio inzwischen zu einer absurden Person geworden, die in ihrem Wesenstypus viel chaotischer war, um mit dem geordneten imperialen Denken, wie Cassio es empfand, kompatibel zu sein. Er verstand nicht, was eine Person wie Sloane im imperialen Dienst zu suchen hatte, da es ihr dafür offenkundig an Ernsthaftigkeit und Disziplin mangelte. Und nicht zuletzt an Respekt ihrem Vorgesetzen gegenüber, den sie ebenso herausforderte – wenn auch auf andere Art – wie Cassio. Vaash jedoch erschien dem Vizeadmiral in der Situation eher resigniert, ermattet und in gewisser Weise fast vor ihr kapitulierend. Wahrscheinlich war er in seiner Flotte diesen neuen Typus von Offizier ebenfalls nicht gewohnt und wusste nicht mit ihr umzugehen. Es war schwer abzuschätzen, was es langfristig für das Imperium wohl bedeuten würde, wenn sich am Ende diese Charaktere durchsetzen und mehr und mehr die alte Riege verdrängten – doch andererseits war unklar, wie langfristig das Imperium in seiner jetzigen Form überhaupt noch denken konnte.
Nach dem Austausch zwischen dem Flottenadmiral und seiner Untergebenen saß Cassio etwas unbehaglich in seinem Stuhl neben Sloane und blickte eher teilnahmslos in den Raum hinein. Um etwas Aktivität vorzutäuschen, räusperte sich Cassio nur leise und schenkte sich aus der anderen, nicht von Sloane in Beschlag genommenen Karaffe, Wasser in das etwas beiseite gestellt Glas in seiner Nähe. Er wusste nicht, auf welche konkrete strategische Entscheidung der Flottenadmiral Bezug nahm – aber zumindest würde diese das Gespräch bald wieder auf die professionelle Ebene bewegen, ein Terrain, auf dem sich Cassio erfahrungsgemäß heimischer fühlte und sich somit für ihn als ein vertrauteres Schlachtfeld darstellen sollte. Somit wartete er auf das Eintreffen der anderen geladenen Gäste und darauf, dass der Flottenadmiral die neue Entwicklung, die sich ihm wohl feilbot, anpreiste.
Cassio seinerseits hatte das Imperium selbst jedoch nie als Käfig empfunden, selbst wenn er diesem diente. Er und seine Familie vermochten ein, vergleichsweise, normales Leben zu leben und waren letztlich vom Imperium in Friedenszeiten nicht behelligt worden, vielleicht auch weil man wusste, was man sagen konnte und was nicht. Nun war das nicht viel mehr als anekdotische Evidenz; und trotzdem hatte es dadurch wenig Grund für ihn gegeben, das System fundamental in Frage zu stellen oder sich dadurch eingesperrt zu fühlen. Die klaren Hierarchien, die das Imperium stufenweise auch im Zivilen etabliert hatte, waren für ihn, der diese als Soldat ohnehin gewohnt war, nicht als einschränkend empfunden worden – ja, selbst wenn sie dies im Rückblick betrachtet objektiv sogar gewesen sein mochten. Doch die Schaffung einer klaren Führungsstruktur und der Zuweisung von Verantwortlichkeit an andere Personen konnte durchaus auch auf eine Form befreiend sein; Verantwortung über Entscheidungen und somit auch deren Konsequenzen schlichtweg an Dritte auszulagern. Bis zu einem gewissen Punkte lebte es sich damit bequem, unschuldiger vielleicht, wenn auch nur auf dem Papier. Insoweit war die Analogie mit dem Käfig für Cassio wiederum durchaus plausibel. Und doch ließ sie tief blicken, tiefer vielleicht als der alte Mann damit beabsichtigt hatte. Denn was Vaash damit zum Ausdruck brachte, war, dass das gesamte imperiale System als solches schon ein kritikwürdiger Zustand war und der Käfig, an sich, entfernt werden musste. Das war eine sehr problematische Aussage, die praktisch nicht innerhalb des Käfigs zur Diskussion stehen durfte und dadurch ein breites Schweigen Cassios zur Folge hatte. Die Worte des alten Mannes lagen dadurch schwer innerhalb des Raums, hallten dadurch immer wieder in den eigenen Gedanken hervor, während Cassio ihn wortlos und ohne weitere Regung im Gesicht anblickte.
Die Worte brachten den jüngeren Offizier ersichtlich zum Nachdenken, doch nur zum Teil darüber, was der Flottenadmiral konkret impliziert hatte und vielleicht sein konkretes Anliegen gewesen war. Cassio sah sich, anders als Vaash, eher in der Position des geprügelten Akk-Hunds, der doch immer wieder an die Seite seines Herrchens zurückzukehren schien, sei es womöglich auch nur aus stumpfsinniger Treue zu etwas, das sich diese weder erarbeiten noch jemals verdienen musste, sondern lediglich durch seine bloße Existenz für sich beanspruchen konnte. Doch schlussendlich war der Akk-Hund eben, was er war. Cassio war seinerzeit in Pestages Ungnade gefallen und nun aus dem sicheren Imperialen Zentrum hier, am Rande des Imperiums, gelandet und sich – gleich auf welche konkrete Art – im Gefecht mit einem überlegenen Gegner zu rehabilitieren. Doch Arten von Treuebeweisen und Möglichkeiten zur Rehabilitation gab es in einem Staat wie diesem in mehrerer Hinsicht, sofern die eigenen Skrupel einen nicht daran hinderten. Zweifel an der Loyalität eines hochrangigen Offiziers geltend zu machen, beförderte die meldende Person in der Gunst wieder nach oben. War schlussendlich eine Denunziation von Tiberius Vaash das Ticket aus diesem Alptraum hier an einer nutzlosen Stelle an einer sinnlosen Front? Vorstellbar war es. Ehrlos sicherlich auch, jedenfalls auf einer persönlichen Ebene. Doch Cassio war an sich im Offizierskorps nicht dafür bekannt, übermäßig an persönlichem Ruhm interessiert zu sein; sondern ein recht ambitionsloser, relativ grober, unpolitischer Technokrat, den es eher nicht scherte, was andere von ihm hielten. Es erschien erstaunlich, dass er und der alte Mann derart offen miteinander zu kommunizieren vermochten. Am Ende hatte es Gründe, warum dies in der Regel nicht passierte – die hängenden Leichen der letzten Monate waren eines der vielen Zeugnisse dessen. Cassio konnte sich nicht ganz von diesem Gedanken, der irgendwo in seinem Gehirn hauste, lösen, auch wenn er ihm Unbehagen bereitete. Letztlich war Tiberius Vaash einer der Offiziere, die die persönliche Integrität besaßen, um ein professionell arbeitendes Offizierskorps zu gestalten – anders als aufstrebende Krisengewinnler wie Sloane. Und doch war vielleicht eben gerade die Zeit der fanatisierten Krisengewinnler und die der alten Garde zog vorüber. Es zeugte schließlich auch nicht von Klugheit, auf das falsche Pferd zu setzen. Ein einzelner, wenn auch unangenehmer Akt, der ihn vielleicht wieder näher ans Zentrum brachte.
Vielleicht war es Cassios unerträglich langes Schweigen auf den Vergleich oder auch die eigene Ratio des Tiberius Vaash, die diesen schlussendlich dazu brachte, seine Worte mit solchen der Pflichterfüllung aufzuwiegen und somit wieder in das zuvor von Cassio geäußerte Narrativ einzusteigen, um wenigstens einen gewissen, wenn auch pessimistisch gestimmten Anschein zu wahren. Das Problem an der Pflicht war, dass persönliche Pflicht und berufliche Pflicht auseinanderfallen konnten. Die eine forderte nun von Cassio das eine, die andere das andere Handeln. Und während Tiberius Vaash davon sprach, dass sie keine Wahl hatten, rätselte der Akk-Hund darüber, welche Wahl er gerade zu treffen hatte. Der Akk-Hund blickte aus der Distanz zurück zu seinem Herrchen. Machte er den Schritt zurück, auf Kosten eines Rudelmitglieds?
Umso erstaunlicher war das, was der alte Mann daraufhin tat. Er sprach ihm, vielleicht aus Ermangelung an Alternativen, das Vertrauen aus. Das war… töricht? Auf eine unangenehme Art und Weise, wenn Cassio seine letzten Gedanken Revue passieren ließ. Und insbesondere in einer Hackordnung wie der, in der sie nun einmal lebten. Etwas zwickte in Cassio, als Tiberius Vaash ihm in gewisser Weise den Rücken zum Dolchstoß entblößte – und nicht einmal mit einem Dolch in der Hand des anderen rechnen mochte. Die Arglosigkeit, mit der Vaash hier vor ihm stand, war erstaunlich, nun, unimperial – wenn man bedachte, dass er sich seit zwei Jahrzehnten in diesem System bewegte und die Spielregeln hätte verstanden haben müssen. Noch dazu bei Cassio, der als Eigenbrötler galt, im Wesentlichen uninteressiert an persönlichen Beziehungen oder Kontakten innerhalb des Systems. Doch vielleicht war es auch gerade das: Vermutlich waren genau deswegen wenige Personen sogar besser geeignet, da Vaash – jedenfalls in der Theorie – weniger Sorge haben musste, dass problematische Aussagen nach außen, an Dritte getragen wurden, wenn Cassio solche dritten Kontakte gar nicht pflegte. Der Punkt jedoch, an dem Vaashs Vertrauen auf dünnem Fundament gebaut war und der sich diesem Haudegen von Offizier wahrscheinlich gar nicht mehr erschließen konnte, war, dass er nicht sah, dass Cassio vielleicht zum ersten Mal in seiner militärischen Laufbahn in ernsthafter, persönlicher Lebensgefahr war und dies ein Zustand war, den Cassio daher weder als normal empfand noch davon im Laufe der Zeit abgestumpft war. Noch dazu in einer Situation, die so aussichtslos schien, dass bereits das Führen der Schlacht sinnlos war und keinen nennenswerten Effekt auf das weitere Kriegsgeschehen haben würde – und dann betraf es nicht einmal die Rebellen, sondern einen Mann, den Cassio kannte und durchaus in seiner militärischen Kompetenz zu schätzen gelernt hatte. Die Vorzeichen für Cassio, diese Aufgabe mit großem Eifer anzugehen, waren nach alledem ziemlich schlecht. Und dennoch schien Vaash zu glauben, ihm vertrauen zu können. Torheit oder Verzweiflung? Jedenfalls die Worte eines brechenden Mannes, dessen Zukunft ebenso schwand wie seine eigene.
Cassio konnte andererseits auch nicht bestreiten, dass dieses… Gefühl des Untergangs dennoch in gewisser Weise verbindend war. Am Sterbebett sprach es sich wohl leichter offen als zuvor. Es gab schließlich nicht mehr viel, was man verlieren konnte. Zumindest war es dem Verhalten und der Bedeutungsschwere des Admirals zu entnehmen, dass dieser ihre Situation korrekt einschätzte. Ein Teil von Cassio… ja, schämte sich beinahe für die Gedanken, denen er zuvor erlegen war – doch war es nur menschlich? Es war in dieser generellen Ausnahmesituation indes nicht immer leicht, ein Gefühl für richtig und falsch zu erhalten, auch wenn Cassio wohl einräumen musste, auch in der Vergangenheit sich über derartige Kategorien keine erheblichen Gedanken gemacht zu haben. Schlussendlich wurde Dienst geleistet und dabei spielten sie in der Regel auch keine relevante Rolle, gerade nicht in einer abstrakten Tätigkeit wie die, der er nachgegangen war. Doch ein Tiberius Vaash, der hier vielleicht bereits gebrochen, vielleicht kurz davor, vor ihm stand, vermochte schwerlich kein gewisses Mitgefühl zu entfachen – gerade wenn er die Situation verstand. Etwas unangenehm berührt fasste sich Cassio an den Stehkragen seiner Uniform. Vertraute er wiederum dem Flottenadmiral? Das war eine komplexe Sache. Prinzipiell wohl schon; Vaash war kein Mann, der Intrigen spann oder Komplotte schmiedete. Doch am Ende konnte es auch genau das sein, das ihm zum Verhängnis werden konnte. Denn andere taten es. Mal zielgerichteter, mal unbewusst. Cassio glaubte nicht daran, dass in Vaashs Flotte jedermann so verlässlich war wie der alte Mann dies wohl annahm. Dafür befeuerte das Imperium den Opportunismus und den Nutzen, den man persönlich hieraus ziehen konnte, zu stark – vielleicht nicht mit Absicht, jedenfalls aber war er die Folge des etablierten Systems. Und nun, spätestens mit der Einberufung von Rae Sloane unter Vaashs Kommando, war dies klarer demonstriert. Cassio blickte stirnrunzelnd zu ihr herüber, musterte sie einmal von oben bis unten und ihm entglitt ein kurzes Übersprungslachen auf ihre Bemerkung zu seinem Geschwader hin. Zu einer weiteren Reaktion kam es nicht, zumal der Flottenadmiral direkt intervenierte. Sloane war für Cassio inzwischen zu einer absurden Person geworden, die in ihrem Wesenstypus viel chaotischer war, um mit dem geordneten imperialen Denken, wie Cassio es empfand, kompatibel zu sein. Er verstand nicht, was eine Person wie Sloane im imperialen Dienst zu suchen hatte, da es ihr dafür offenkundig an Ernsthaftigkeit und Disziplin mangelte. Und nicht zuletzt an Respekt ihrem Vorgesetzen gegenüber, den sie ebenso herausforderte – wenn auch auf andere Art – wie Cassio. Vaash jedoch erschien dem Vizeadmiral in der Situation eher resigniert, ermattet und in gewisser Weise fast vor ihr kapitulierend. Wahrscheinlich war er in seiner Flotte diesen neuen Typus von Offizier ebenfalls nicht gewohnt und wusste nicht mit ihr umzugehen. Es war schwer abzuschätzen, was es langfristig für das Imperium wohl bedeuten würde, wenn sich am Ende diese Charaktere durchsetzen und mehr und mehr die alte Riege verdrängten – doch andererseits war unklar, wie langfristig das Imperium in seiner jetzigen Form überhaupt noch denken konnte.
Nach dem Austausch zwischen dem Flottenadmiral und seiner Untergebenen saß Cassio etwas unbehaglich in seinem Stuhl neben Sloane und blickte eher teilnahmslos in den Raum hinein. Um etwas Aktivität vorzutäuschen, räusperte sich Cassio nur leise und schenkte sich aus der anderen, nicht von Sloane in Beschlag genommenen Karaffe, Wasser in das etwas beiseite gestellt Glas in seiner Nähe. Er wusste nicht, auf welche konkrete strategische Entscheidung der Flottenadmiral Bezug nahm – aber zumindest würde diese das Gespräch bald wieder auf die professionelle Ebene bewegen, ein Terrain, auf dem sich Cassio erfahrungsgemäß heimischer fühlte und sich somit für ihn als ein vertrauteres Schlachtfeld darstellen sollte. Somit wartete er auf das Eintreffen der anderen geladenen Gäste und darauf, dass der Flottenadmiral die neue Entwicklung, die sich ihm wohl feilbot, anpreiste.