Die Rede von Rae Sloane nahm Cassio dergestalt auf, dass er – sobald er angesprochen worden war – zu ihr herüberblickte und dieser Blick auch bis zum Rest ihrer Worte auf ihr verweilte. An anderer Stelle, zu einer anderen Zeit hätte Cassio vermutlich anerkennend genickt, aber hier und jetzt kam der Vizeadmiral nicht umhin, einiges in ihrer Rede als Verkennung der Realität ansehen zu müssen. Nicht einmal aus Idiotie oder Wahnsinn, weder das eine noch das andere würde er Admiral Sloane unterstellen. Sondern vermutlich eben daher, weil die Realität schlichtweg unvorstellbar war. Vom beschworenen Kampfgeist konnte derzeit kaum eine Rede sein, wenn man nicht gerade den Reden von Ishin-Il-Raz anheimgefallen war. Noch nie hatte es so viele Erschießungen wegen Fahnenfluchts oder Feigheit vor dem Feind gegeben; nicht einmal annähernd. Und in Teilen des Reichs galt nun schon ein Aufruf zur Wehrpflicht. Nicht nur ganze Schiffe und deren Besatzungen, sondern ganze Großverbände waren so desillusioniert, dass sie nicht einmal mehr für die gemeinsame imperiale Sache kämpften. Cassio verzog kurz das Gesicht, nicht aus Abscheu, sondern es mischte sich eher etwas von Bitterkeit hinein. Er wünschte sich, die Realität, wie Sloane sie zeichnete, wäre die, in der sie jetzt lebten. Aber das waren Hirngespinste, Phantasie. Sicherlich war es einfacher, sich darin zu flüchten, in eine noch bequeme Welt, die so gut funktionierte wie früher. Doch am Ende war es eben doch nur das: eine Flucht und eine Einbildung. Die Frage war nur, wann man es erkannte. Cassio sah die Existenz des Imperiums auf dem Spiel, spätestens seit Endor in absolut realer Weise. Aber noch nie in der fundamentalen Form wie jetzt. Je früher sich alle darüber im Klaren waren, dass es bereits jetzt und hier um nichts anderes als das Überleben des Staates ging, desto früher konnte diese Realität sich auch in ihrer Politik und ihrer Militärstrategie niederschlagen. Solange es aber immer noch Leugner und Schönredner gab, die sich dem verweigerten, klammerten sich auch andere noch an diese Hoffnung, um die unbequeme Realität nicht sehen zu müssen.
Ein lautloses Seufzen schloss sich an. Betreten sah er in Richtung des Tisches vor ihm, als schließlich Admiral Vaash wieder das Wort ergriff, um schlussendlich beiden halbwegs zuzustimmen und sein eigenes Vorhaben zu erläutern. Cassio hörte sich auch das zunächst wortlos an. Vermutlich war es gut, dass Vaash als Vorgesetzter bei der Sache blieb und nicht auf die Haltung von Sloane konkret einging, auch wenn der ehemalige Stabschef aufgrund ihrer vormaligen Treffen insbesondere vor der Gala im Zentrum praktisch wusste, dass dieser die Lage eigentlich ähnlich schwierig einschätzte. Aber als verantwortlicher, guter Vorgesetzter ergab es wohl keinen Sinn, eine wenn auch übermotivierte, aber doch immerhin motivierte Kämpferin jetzt innerlich zu zerstören. Ihr Tatendrang konnte sich noch als hilfreich erweisen. Oder als tödlich.
Als Vaash sich Cassio zuwandte, damit dieser im Anschluss seine Meinung zu den Ideen sagte, nahm dieser zunächst seine Hand fort von dem Glas und fingerte nicht ganz elegant an seiner Brusttasche herum, von wo er eine Cigarra hervorkramte, nahm sie zwischen seinen linken Zeige- und Mittelfinger.
„Wenn Sie gestatten, Admiral?“, fragte er jedoch zunächst seinen Vorgesetzten der Höflichkeit halber und verzichtete auch darauf, diese vorher anzuzünden, so die Erlaubnis überhaupt erteilt werden sollte. Kurz dachte er über das Gesagte nach.
„Taktische Einschätzungen von mir sind lange her“, gestand Cassio unumwunden und ohne jede Scheu oder Scham ein. Letztlich war dieser Punkt aufgrund seines langjährigen Verwendungszwecks auch kein Geheimnis, doch anders als einige Frontoffiziere empfand er daran auch nichts Ehrenrühriges. Seiner Erfahrung nach schmiedeten viele Menschen gute Pläne. Oder besser gesagt solche, die im ersten Moment gut klangen gegen einen Gegner, der einem blind ins Messer lief und im Anschluss auch nicht adaptierte. Das würde hier aber nicht geschehen. Grunger hatte Kampferfahrung, vielleicht so viel wie Vaash selbst, und war niemand, der sich in einer Schlacht leicht in die Defensive drängen ließ. Der Name seines Flaggschiffes war Programm. Er zweifelte nicht daran, dass der Veteran Grunger – bei aller durchaus unbestrittenen Kompetenz Sloanes – aus dieser Hackfleisch machen würde, ohne sich allzu sehr anstrengen zu müssen. Und das mochte noch nicht einmal ihre Schuld sein.
„Doch ich gebe zu bedenken, dass – wenn ein Schiff umschlossen wird – eben dieses Schiff dadurch gleichzeitig in die Lage versetzt wird, seine volle Bewaffnung gegen uns einzusetzen. Das erscheint mir in unserer Situation nicht wie etwas, das für uns vorteilhaft ist.“
Er hob kurz die freie Hand an, um den aus seiner Sicht zweiten offensichtlichen Punkt zu unterstreichen.
„Außerdem bedeutet ein konzentriertes Vorgehen der gesamten Flotte für uns einen Vorstoß ohne jede Flankensicherung. Wenn uns seine Geleitschiffe in den Rücken fallen, können wir uns für den weiteren Kampf nicht einmal mehr formieren geschweige denn zurückschießen.“
Auffällig war womöglich, dass der Vizeadmiral zwar Probleme in dem Vorschlag einwarf, die beachtenswert sein konnten, andererseits aber keine Stellungnahme dazu abgab, wie dies besser gemacht werden könnte; das betrachtete er aber auch als nicht in seiner Kernkompetenz liegend.
Anders als Vaash war es Cassio jedoch ein gewisses Grundbedürfnis, Sloane noch etwas mit auf den Weg zu geben. Das Haifischbecken, in dem sie sich derzeit befand, sollte ihr sehr wohl bewusst sein.
„Admiral Sloane, ich bewundere Ihren Biss“, gab er schließlich noch zu, mit etwas gesenkterer Stimme als zuvor.
„Doch ich denke, Sie sollten vorsichtig sein, vor wem Sie solche Aussagen treffen. Manche würden sagen, Sie überschreiten damit Ihre Kompetenzen, und es als Aufruf zum Ungehorsam gegenüber dem Oberkommando interpretieren. Das ist momentan… keine kleine Sache.“
Der Vizeadmiral sah sie nicht an bei seiner Aussage. Sein Tonfall suggerierte eindeutig, dass das überhaupt keine Drohung, sondern eher ein gut gemeinter Ratschlag war, ohne sich dabei selbst zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Sloane kannte Cassio nicht, sprach hier aber offen davon, dass sie kein Vertrauen in das Imperiale Oberkommando besaß und die Dinge praktisch selbst in die Hand nehmen wollte. So etwas konnte gefährlich sein, gerade im Moment. Denunzianten und Agenten des ISB waren vielerorts zu finden. Da Cassio Sloane selbst nicht gut genug kannte, um sie einschätzen zu können, war es auch für ihn eine heikle Situation. Gerade nach seiner Versetzung würde er wohl nicht viele Fürsprecher besitzen, die sich bedingungslos für ihn einsetzten. Und theoretisch konnte Sloane auch ein Agent Provocateur sein, ein eingesetzter Spitzel, um untreue Elemente zu finden.
„Wir nehmen die Strategie an, die uns vom Oberkommando zugewiesen wird, und nicht die, die irgendein Geschwaderkommandeur gerade für richtig hält. Das ist das, was uns von denen unterscheidet.“
Vermutlich war es wenig überraschend, dass mit Cassios langjährigem Posten im strategisch-planerischen Bereich einherging, dass er auch tatsächlich wenig von zu hoher Eigeninitiative der Frontoffiziere und von Abweichen von vorgegebenen Parametern oder von dem Infragestellen der operationellen Vorgaben hielt. Sie waren ein hierarchisches Imperium und eben keine Bande von Rebellen, bei denen jede Zelle tat, wonach es ihr gerade beliebte. Sloanes Vorschläge waren, ganz gleich davon, ob sie inhaltlich Recht hatte oder nicht, motiviert aus Eigeninteresse und dennoch trotz ihrer Rede auf die Sicherheit für das Imperium wenig im Interesse des Militärs, in dem sie gerade diente. Wenn jeder Kommandeur eines Großverbands nun eigenmächtig von Vorgaben abwich, war von einer koordinierten Abwehrhaltung des Imperiums gegen abtrünnige Offiziere oder gegen die Rebellen gar nicht mehr zu reden. Was die Ruhmsüchtigen an der Befehlskette nicht verstanden, war, dass jede Unterbrechung der Kette eben diese schwächte und damit Einbußen bei der Kampfkraft zur Folge hatte.
Sollte so etwas wie eine Falle in der Tat geplant sein, war offensichtlich, dass gerade sie der Köder sein sollten – es half ihnen selbst daher nichts, dort zuschlagen zu wollen, wo der Gegner schwach war, da sie gar keinen solchen aktiven Gestaltungsspielraum besaßen, schon gar nicht auf Geschwadergröße. Diese Vorgabe galt es zunächst zu akzeptieren und im Rahmen dessen die taktisch korrekten Schlüsse zu erörtern – so jedenfalls hatte Cassio auch die Frage von Vaash verstanden. Sie würden schon durch ihre Positionierung an der feindlichen Grenze zwangsläufig der Ort sein, an dem der Gegner stark sein würde, da Grunger bei einem Vorstoß in den Kern aus logistischen Gründen praktisch an ihnen vorbei musste – so er nicht einen riskanten Überraschungscoup landen wollte. Aber Grunger war nicht unbedingt ein rücksichtsloser Spieler wie etwa Harrsk, sondern eher ein kluger Denker, wenn er auch den Sieg bedingungslos über alles stellte. Die einzige Möglichkeit, den Gegner dort zu stellen, wo er schwach war, dürfte sich daraus ergeben, bei einem Abzug von Grungers Flotte aus seinem Kerngebiet eine Offensive in eben dieses zu starten, dass dann zweifellos im Rahmen seines Angriffs entblößt werden musste. Doch Cassio zweifelte daran, dass Vaash von Großadmiral Takel derart weitreichende Kompetenzen eingeräumt bekommen hatte, sondern er vermutlich nur mit dem Halten des aktuellen Zustands beauftragt war, was einen eigenen Vorstoß – so er überhaupt mit ihren beschränkten Mitteln möglich gewesen wäre – praktisch ausschlösse. Vermutlich war daher die Form der Verteidigung die einzige von ihnen gestaltbare Variable.
Bezüglich des vorgeschlagenen Rammmanövers hatte Cassio Zweifel daran, dass dieses so umsetzbar war, wie Vaash es sich vorstellte. Ein solches Manöver könnte gegen einen solchen Koloss nur dann etwas ausrichten, wenn die Schilde bereits stark angeschlagen waren und es war Cassio derzeit unklar, mit welchen Kräften sie das erreichen sollten, außer mit viel Glück mit einem konzentrierten Angriff der gesamten Flotte wie von Sloane vorgeschlagen, der entweder aufgrund von Grungers Eskorte oder schon der Aggressor selbst praktisch gleichbedeutend mit ihrem Untergang sein würde. Abgesehen davon schien, selbst wenn es so weit kam, ein einziger Rammangriff nicht in der Lage, die Aggressor bewegungsunfähig zu machen. Die versetzt platzierten Antriebssektionen bedeuteten vermutlich, dass neben der zentralen Sektion vermutlich noch mindestens die beiden auf einer Flanke des Schiffes ausgeschaltet werden mussten, damit das Schiff nicht mehr sinnvoll navigieren konnte. Lag zu viel Zeit zwischen diesen Angriffen, dürfte Grunger das Vorhaben sofort erkennen, und entsprechend darauf reagieren.
„Ganz gleich, wie der Angriff geführt wird, ich stimme in einem Punkt nicht zu. Ich denke nicht, dass Grunger seine Flotte zurückziehen würde, wenn sein Flaggschiff kampf- oder bewegungsunfähig wird; eher im Gegenteil. Grunger wird die Aggressor nicht verwundbar lassen – er weiß, dass sie das Einzige ist, was ihn gefährlich macht. Seine strategische Lage steht und fällt mit diesem Schiff. Er wird in diesem Fall eher alles auf eine Karte setzen müssen und sämtliche seiner Reserven in die Umgebung beordern, wenn er sie schützen muss, da er ansonsten verloren hat. Im Endeffekt stünde mit einer gebundenen Aggressor der gesamte Sektor damit wohl faktisch unter seiner Blockade, bis er das Schiff wieder instandgesetzt hat – oder wir es zerstören.“
Cassio hob den Blick wieder zu dem größer gewachsenen Vaash an.
„Die Frage, die man sich stellen muss, ist, ob dieses Szenario für uns wünschenswert ist oder nicht – und wenn ja, ob es das im Hinblick auf anschließende Operationen der Flotte wert ist, hierfür das Risiko der Zerschlagung unserer gesamten Flotte zu rechtfertigen“, fuhr er fort, schien sich bei dieser Bewertung demnach selbst nicht klar zu sein. Einen Moment später hob er ein Stück weit die Schultern.
„Schwer zu sagen, da ich die Kapazitäten für einen Gegenschlag benachbarter eigener Kräfte nicht kenne, aber aus meiner Sicht ist das Kosten-Nutzen-Risiko zu unserem Nachteil.“
Aus Cassios Sicht schien mehr eine konservative Herangehensweise sinnvoll, die zwar weniger pompös als das von Sloane und Vaash Vorgeschlagene war, andererseits aber nicht das reale Risiko einer vollständigen Auslöschung der gesamten Flotte barg, dafür aber die Preisgabe imperialen Gebiets zur Folge hatte, was politisch nicht immer einfach umsetzbar schien.
„Ich halte hier eine Form der flexiblen Verteidigung und eines allmählichen Aufweichens der gegnerischen Flotte für sinnvoll. Zunächst also eine Konzentrierung auf die Eskorte der Aggressor, da Grunger diese in Zukunft nicht gleichwertig ersetzen können wird und diese uns bei einem Frontalangriff auf das Schlachtschiff erheblich gefährlich würden. Gelingt es uns, die Eskorte empfindlich zu schwächen, nutzt Grunger ein Pyrrhussieg an Ort und Stelle nichts. Der Ottega-Sektor ist strategisch gesehen nicht bedeutsam und erscheint daher wie ein guter Tausch gegen einen Teil von Grungers Eskorte. Es gibt also keinen Grund, hier eine Entscheidungsschlacht herbeizuführen, wenn diese unter besseren Vorzeichen für unseren Feind steht.“
Natürlich war Cassio aber nicht bekannt, wie streng Vaashs Vorgaben für dieses Unternehmen waren. Ein absoluter Haltebefehl von Takel an Vaash bezüglich des Sektors war theoretisch denkbar, wenn auch in der imperialen Doktrin eher die Ausnahme, die ja auf eine rasche Verschiebung von Kräften an schwache Positionen setzte. Schlussendlich glaubte Cassio aber auch nicht daran, dass Vaash seine Mannschaft sinnlos zur Schlachtbank führen würde. Bei Eriadu hatte das noch einem gewissen Zweck gedient. Hier dagegen würde es in einem sinnlosen Massaker enden – war Vaash hierzu bereit?
Ein lautloses Seufzen schloss sich an. Betreten sah er in Richtung des Tisches vor ihm, als schließlich Admiral Vaash wieder das Wort ergriff, um schlussendlich beiden halbwegs zuzustimmen und sein eigenes Vorhaben zu erläutern. Cassio hörte sich auch das zunächst wortlos an. Vermutlich war es gut, dass Vaash als Vorgesetzter bei der Sache blieb und nicht auf die Haltung von Sloane konkret einging, auch wenn der ehemalige Stabschef aufgrund ihrer vormaligen Treffen insbesondere vor der Gala im Zentrum praktisch wusste, dass dieser die Lage eigentlich ähnlich schwierig einschätzte. Aber als verantwortlicher, guter Vorgesetzter ergab es wohl keinen Sinn, eine wenn auch übermotivierte, aber doch immerhin motivierte Kämpferin jetzt innerlich zu zerstören. Ihr Tatendrang konnte sich noch als hilfreich erweisen. Oder als tödlich.
Als Vaash sich Cassio zuwandte, damit dieser im Anschluss seine Meinung zu den Ideen sagte, nahm dieser zunächst seine Hand fort von dem Glas und fingerte nicht ganz elegant an seiner Brusttasche herum, von wo er eine Cigarra hervorkramte, nahm sie zwischen seinen linken Zeige- und Mittelfinger.
„Wenn Sie gestatten, Admiral?“, fragte er jedoch zunächst seinen Vorgesetzten der Höflichkeit halber und verzichtete auch darauf, diese vorher anzuzünden, so die Erlaubnis überhaupt erteilt werden sollte. Kurz dachte er über das Gesagte nach.
„Taktische Einschätzungen von mir sind lange her“, gestand Cassio unumwunden und ohne jede Scheu oder Scham ein. Letztlich war dieser Punkt aufgrund seines langjährigen Verwendungszwecks auch kein Geheimnis, doch anders als einige Frontoffiziere empfand er daran auch nichts Ehrenrühriges. Seiner Erfahrung nach schmiedeten viele Menschen gute Pläne. Oder besser gesagt solche, die im ersten Moment gut klangen gegen einen Gegner, der einem blind ins Messer lief und im Anschluss auch nicht adaptierte. Das würde hier aber nicht geschehen. Grunger hatte Kampferfahrung, vielleicht so viel wie Vaash selbst, und war niemand, der sich in einer Schlacht leicht in die Defensive drängen ließ. Der Name seines Flaggschiffes war Programm. Er zweifelte nicht daran, dass der Veteran Grunger – bei aller durchaus unbestrittenen Kompetenz Sloanes – aus dieser Hackfleisch machen würde, ohne sich allzu sehr anstrengen zu müssen. Und das mochte noch nicht einmal ihre Schuld sein.
„Doch ich gebe zu bedenken, dass – wenn ein Schiff umschlossen wird – eben dieses Schiff dadurch gleichzeitig in die Lage versetzt wird, seine volle Bewaffnung gegen uns einzusetzen. Das erscheint mir in unserer Situation nicht wie etwas, das für uns vorteilhaft ist.“
Er hob kurz die freie Hand an, um den aus seiner Sicht zweiten offensichtlichen Punkt zu unterstreichen.
„Außerdem bedeutet ein konzentriertes Vorgehen der gesamten Flotte für uns einen Vorstoß ohne jede Flankensicherung. Wenn uns seine Geleitschiffe in den Rücken fallen, können wir uns für den weiteren Kampf nicht einmal mehr formieren geschweige denn zurückschießen.“
Auffällig war womöglich, dass der Vizeadmiral zwar Probleme in dem Vorschlag einwarf, die beachtenswert sein konnten, andererseits aber keine Stellungnahme dazu abgab, wie dies besser gemacht werden könnte; das betrachtete er aber auch als nicht in seiner Kernkompetenz liegend.
Anders als Vaash war es Cassio jedoch ein gewisses Grundbedürfnis, Sloane noch etwas mit auf den Weg zu geben. Das Haifischbecken, in dem sie sich derzeit befand, sollte ihr sehr wohl bewusst sein.
„Admiral Sloane, ich bewundere Ihren Biss“, gab er schließlich noch zu, mit etwas gesenkterer Stimme als zuvor.
„Doch ich denke, Sie sollten vorsichtig sein, vor wem Sie solche Aussagen treffen. Manche würden sagen, Sie überschreiten damit Ihre Kompetenzen, und es als Aufruf zum Ungehorsam gegenüber dem Oberkommando interpretieren. Das ist momentan… keine kleine Sache.“
Der Vizeadmiral sah sie nicht an bei seiner Aussage. Sein Tonfall suggerierte eindeutig, dass das überhaupt keine Drohung, sondern eher ein gut gemeinter Ratschlag war, ohne sich dabei selbst zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Sloane kannte Cassio nicht, sprach hier aber offen davon, dass sie kein Vertrauen in das Imperiale Oberkommando besaß und die Dinge praktisch selbst in die Hand nehmen wollte. So etwas konnte gefährlich sein, gerade im Moment. Denunzianten und Agenten des ISB waren vielerorts zu finden. Da Cassio Sloane selbst nicht gut genug kannte, um sie einschätzen zu können, war es auch für ihn eine heikle Situation. Gerade nach seiner Versetzung würde er wohl nicht viele Fürsprecher besitzen, die sich bedingungslos für ihn einsetzten. Und theoretisch konnte Sloane auch ein Agent Provocateur sein, ein eingesetzter Spitzel, um untreue Elemente zu finden.
„Wir nehmen die Strategie an, die uns vom Oberkommando zugewiesen wird, und nicht die, die irgendein Geschwaderkommandeur gerade für richtig hält. Das ist das, was uns von denen unterscheidet.“
Vermutlich war es wenig überraschend, dass mit Cassios langjährigem Posten im strategisch-planerischen Bereich einherging, dass er auch tatsächlich wenig von zu hoher Eigeninitiative der Frontoffiziere und von Abweichen von vorgegebenen Parametern oder von dem Infragestellen der operationellen Vorgaben hielt. Sie waren ein hierarchisches Imperium und eben keine Bande von Rebellen, bei denen jede Zelle tat, wonach es ihr gerade beliebte. Sloanes Vorschläge waren, ganz gleich davon, ob sie inhaltlich Recht hatte oder nicht, motiviert aus Eigeninteresse und dennoch trotz ihrer Rede auf die Sicherheit für das Imperium wenig im Interesse des Militärs, in dem sie gerade diente. Wenn jeder Kommandeur eines Großverbands nun eigenmächtig von Vorgaben abwich, war von einer koordinierten Abwehrhaltung des Imperiums gegen abtrünnige Offiziere oder gegen die Rebellen gar nicht mehr zu reden. Was die Ruhmsüchtigen an der Befehlskette nicht verstanden, war, dass jede Unterbrechung der Kette eben diese schwächte und damit Einbußen bei der Kampfkraft zur Folge hatte.
Sollte so etwas wie eine Falle in der Tat geplant sein, war offensichtlich, dass gerade sie der Köder sein sollten – es half ihnen selbst daher nichts, dort zuschlagen zu wollen, wo der Gegner schwach war, da sie gar keinen solchen aktiven Gestaltungsspielraum besaßen, schon gar nicht auf Geschwadergröße. Diese Vorgabe galt es zunächst zu akzeptieren und im Rahmen dessen die taktisch korrekten Schlüsse zu erörtern – so jedenfalls hatte Cassio auch die Frage von Vaash verstanden. Sie würden schon durch ihre Positionierung an der feindlichen Grenze zwangsläufig der Ort sein, an dem der Gegner stark sein würde, da Grunger bei einem Vorstoß in den Kern aus logistischen Gründen praktisch an ihnen vorbei musste – so er nicht einen riskanten Überraschungscoup landen wollte. Aber Grunger war nicht unbedingt ein rücksichtsloser Spieler wie etwa Harrsk, sondern eher ein kluger Denker, wenn er auch den Sieg bedingungslos über alles stellte. Die einzige Möglichkeit, den Gegner dort zu stellen, wo er schwach war, dürfte sich daraus ergeben, bei einem Abzug von Grungers Flotte aus seinem Kerngebiet eine Offensive in eben dieses zu starten, dass dann zweifellos im Rahmen seines Angriffs entblößt werden musste. Doch Cassio zweifelte daran, dass Vaash von Großadmiral Takel derart weitreichende Kompetenzen eingeräumt bekommen hatte, sondern er vermutlich nur mit dem Halten des aktuellen Zustands beauftragt war, was einen eigenen Vorstoß – so er überhaupt mit ihren beschränkten Mitteln möglich gewesen wäre – praktisch ausschlösse. Vermutlich war daher die Form der Verteidigung die einzige von ihnen gestaltbare Variable.
Bezüglich des vorgeschlagenen Rammmanövers hatte Cassio Zweifel daran, dass dieses so umsetzbar war, wie Vaash es sich vorstellte. Ein solches Manöver könnte gegen einen solchen Koloss nur dann etwas ausrichten, wenn die Schilde bereits stark angeschlagen waren und es war Cassio derzeit unklar, mit welchen Kräften sie das erreichen sollten, außer mit viel Glück mit einem konzentrierten Angriff der gesamten Flotte wie von Sloane vorgeschlagen, der entweder aufgrund von Grungers Eskorte oder schon der Aggressor selbst praktisch gleichbedeutend mit ihrem Untergang sein würde. Abgesehen davon schien, selbst wenn es so weit kam, ein einziger Rammangriff nicht in der Lage, die Aggressor bewegungsunfähig zu machen. Die versetzt platzierten Antriebssektionen bedeuteten vermutlich, dass neben der zentralen Sektion vermutlich noch mindestens die beiden auf einer Flanke des Schiffes ausgeschaltet werden mussten, damit das Schiff nicht mehr sinnvoll navigieren konnte. Lag zu viel Zeit zwischen diesen Angriffen, dürfte Grunger das Vorhaben sofort erkennen, und entsprechend darauf reagieren.
„Ganz gleich, wie der Angriff geführt wird, ich stimme in einem Punkt nicht zu. Ich denke nicht, dass Grunger seine Flotte zurückziehen würde, wenn sein Flaggschiff kampf- oder bewegungsunfähig wird; eher im Gegenteil. Grunger wird die Aggressor nicht verwundbar lassen – er weiß, dass sie das Einzige ist, was ihn gefährlich macht. Seine strategische Lage steht und fällt mit diesem Schiff. Er wird in diesem Fall eher alles auf eine Karte setzen müssen und sämtliche seiner Reserven in die Umgebung beordern, wenn er sie schützen muss, da er ansonsten verloren hat. Im Endeffekt stünde mit einer gebundenen Aggressor der gesamte Sektor damit wohl faktisch unter seiner Blockade, bis er das Schiff wieder instandgesetzt hat – oder wir es zerstören.“
Cassio hob den Blick wieder zu dem größer gewachsenen Vaash an.
„Die Frage, die man sich stellen muss, ist, ob dieses Szenario für uns wünschenswert ist oder nicht – und wenn ja, ob es das im Hinblick auf anschließende Operationen der Flotte wert ist, hierfür das Risiko der Zerschlagung unserer gesamten Flotte zu rechtfertigen“, fuhr er fort, schien sich bei dieser Bewertung demnach selbst nicht klar zu sein. Einen Moment später hob er ein Stück weit die Schultern.
„Schwer zu sagen, da ich die Kapazitäten für einen Gegenschlag benachbarter eigener Kräfte nicht kenne, aber aus meiner Sicht ist das Kosten-Nutzen-Risiko zu unserem Nachteil.“
Aus Cassios Sicht schien mehr eine konservative Herangehensweise sinnvoll, die zwar weniger pompös als das von Sloane und Vaash Vorgeschlagene war, andererseits aber nicht das reale Risiko einer vollständigen Auslöschung der gesamten Flotte barg, dafür aber die Preisgabe imperialen Gebiets zur Folge hatte, was politisch nicht immer einfach umsetzbar schien.
„Ich halte hier eine Form der flexiblen Verteidigung und eines allmählichen Aufweichens der gegnerischen Flotte für sinnvoll. Zunächst also eine Konzentrierung auf die Eskorte der Aggressor, da Grunger diese in Zukunft nicht gleichwertig ersetzen können wird und diese uns bei einem Frontalangriff auf das Schlachtschiff erheblich gefährlich würden. Gelingt es uns, die Eskorte empfindlich zu schwächen, nutzt Grunger ein Pyrrhussieg an Ort und Stelle nichts. Der Ottega-Sektor ist strategisch gesehen nicht bedeutsam und erscheint daher wie ein guter Tausch gegen einen Teil von Grungers Eskorte. Es gibt also keinen Grund, hier eine Entscheidungsschlacht herbeizuführen, wenn diese unter besseren Vorzeichen für unseren Feind steht.“
Natürlich war Cassio aber nicht bekannt, wie streng Vaashs Vorgaben für dieses Unternehmen waren. Ein absoluter Haltebefehl von Takel an Vaash bezüglich des Sektors war theoretisch denkbar, wenn auch in der imperialen Doktrin eher die Ausnahme, die ja auf eine rasche Verschiebung von Kräften an schwache Positionen setzte. Schlussendlich glaubte Cassio aber auch nicht daran, dass Vaash seine Mannschaft sinnlos zur Schlachtbank führen würde. Bei Eriadu hatte das noch einem gewissen Zweck gedient. Hier dagegen würde es in einem sinnlosen Massaker enden – war Vaash hierzu bereit?