#53
Kraft aufzubringen in dieser Situation war schwer. Sedrael kam aus einem Moment, der sie jederzeit wieder in Panik versetzen konnte – der Alptraumwelt aus der Hand eines Geistes. Sie versuchte die Implikationen, die diese Erkenntnis oder Fasterkenntnis am Ende bedeuten mochte, so gut es geht aus den aktiven Teilen ihres Gehirns zu verdrängen. Eine Aufarbeitung dieser Situation musste passieren; Verständnis dafür, was eigentlich geschehen war. Doch so schwer es war, diese Gedanken nicht zuzulassen, verstand die Sephi dennoch, dass dies hier nicht der Zeitpunkt dafür war. Später irgendwann, vielleicht in einer erholten Phase der Meditation konnte dies etwas Aufschluss bieten, aber ein ruhiger Zugang zur Macht war derzeit ohnehin nicht möglich. Ob aber nun wirklich das imperiale Schiff ihr unmittelbareres Problem war oder nicht, schien die Hexe klar zu beantworten – Sedrael selbst hatte nach ihrer letzten Erfahrung eine ganz andere Meinung. Sie hatte nie ganz verstanden, warum sie eigentlich mit hier auf dem Planeten war und nicht in einer Zelle auf dem Schiff im Orbit Korribans. Alles in allem wäre das rückblickend betrachtet vielleicht sogar die bessere Alternative gewesen. Freiheit war schön, gerade nach dem Käfig Firrerre hatte sie diese Freiheit rasch wertzuschätzen gelernt, selbst wenn sie ihr auch seither nur beschränkt möglich gewesen war; aber einfach das Gefühl davon war bereits ein angenehmer Anfang gewesen. Sofern sie dieses Abenteuer irgendwie überstanden, war es an der Zeit, dies auszukosten. Sofern. Es mochte vielleicht auch gar nicht so weit kommen.

„Es scheint allerdings so, als will sie es nicht“, entgegnete Sedrael Reah mit etwas, das beinahe trockener Sarkasmus sein mochte, während sie an Reahs Oberkörper zerrte, um diese auf die Beine zu bekommen und dabei zu stabilisieren. Hätte die rote Frau diesen Plan, hätte sie diesen bereits lange in die Tat umsetzen können – es schien daher aus Sedraels Sicht und Erfahrung mit Korriban nicht wahrscheinlich, dass das Schiff ihre größere Gefahr war. Die Sephi wusste allerdings noch nicht, ob Reah überhaupt in der Lage war zu gehen, aber es musste rasch herausgefunden werden. Die Frage war, was sie tun würde, sollte sich das als unmöglich herausstellen. Nagend fraß sich die Angst vor dem Geschehenen durch ihren Körper. Ja, der ganze Ort machte ihr Angst. Vielleicht der ganze Planet. An diesem Umstand änderte auch der Kodex nichts. Natürliche Gefühle wie Angst waren eben nicht kontrollierbar, sie bahnten sich ihren Weg von ganz allein. Es war sinnlos, dies abzustreiten. Was auch immer der Zweck von all dem war, Sedrael hatte nicht die Absicht, ihre restliche Lebenszeit hier zu verbringen. Alles war besser als hier. Fast alles.
„Komm.“
Sie betrachtete, ob Reah trotz ihrer Verletzungen in der Lage war, alleine zu stehen, blieb allerdings in ihrer Nähe, ehe es zu einem Sturz kam, um dabei notfalls eingreifen zu können, da ein solcher sie nur weiter aufhalten würde. Ihr Blick ruhte eine Zeit lang auf ihrer Gegenüber, die ihrerseits in ihrem Zustand kaum dazu fähig sein würde, sich gegen welche Bedrohungen auch immer zu verteidigen. Dann wechselte sich Sedraels Blick zu sich selbst hinab; auf die zerschnittene, verdreckte purpurne Robe und ihre in Mitleidenschaft gezogenen Hände. Es erging ihr selbst also nicht anders. Ihr Körper schmerzte, nicht im klassischen Sinne Schmerzen dank der Schmerzblocker, aber gegen das endlose Gefühl von schabenden Scharnieren ihrer Gelenke oder einer nicht enden wollenden Müdigkeit waren auch diese machtlos. Aber irgendwie musste sie vorangehen, wenn sie beide nicht hier im Dunkel einer eingestürzten Zelle zugrunde gehen wollten. Eine ihrer Hände landete an der grauen Steinwand, rauer, nur krude bearbeiteter Fels, gerade so in Form gehauen, um diesen Raum abzustecken. Wahrscheinlich Tausende Jahre alt. Sie strich die Wand entlang, bis sie bei dem verstaubten Bedienfeld ankam. Hoffentlich war die Beschaffenheit der Technik in besserem Zustand als die Treppen. Sie drückte vorsichtig den Knopf.

Die Tür knarzte leicht verzögert nach oben hin auf. Die Zelle entpuppte sich als kleine Kammer vor einer großen Halle, womöglich früher einmal ein Lager oder eine Abstellkammer. Sedrael machte ein paar Schritte in die Halle hinein, die Schritte hallend auf dem harten Boden. Große, stilisierte Statuen pflasterten den Weg, jeweils abwechselnd mit mehreren brennenden Fackeln. Es schien unklar, wer diese entzündet haben mochte, aber sie machten einen gleichermaßen irrealen Eindruck. An den Wänden waren alte Schriftzeichen, offenbar so etwas wie Runen erkennbar, allerdings nur fahl im Schein der Fackeln zu erahnen und daher kaum wahrnehmbar. Dennoch ein mächtiger Raum, der eine anmaßende Aura des Machtanspruchs besaß. Im Vergleich zu den übergroßen Statuen fühlte man sich klein und bedeutungslos, gleichzeitig schien es der Anspruch zu sein, selbst einmal zu denen zu gehören, deren Größe über das Fassbare hinausging.

„Das ist es“, sagte plötzlich eine männliche Stimme irgendwo neben ihr. Sedrael fuhr herum. Nichts. Vor ihren Augen flimmerte es. Die Dornen der Macht rankten sich erneut um ihre Sicht. Zwei dunkle Schemen bildeten sich; flackerten im Schein der seltsamen Fackeln. Die eine finstere Robe, nur schwer zu sehen, schob die andere Figur in die Halle hinein – eine junge Frau, weitaus weniger zielstrebig und nicht so gefestigt wie er selbst, der Meister, der von sich selbst Getriebene.
„Ilara, sichere die Umgebung. Warne mich, falls etwas Unerwartetes geschieht!“, sagte die erwartungsvolle Stimme zu der Frau, während beide weiter in die Halle traten. Er nahm die Kapuze ab. Und Sedrael blickte in das Gesicht des Mannes aus ihrem Traum. Aber nur teilweise, nicht ganz vollständig. Die Grundzüge waren gleich, und doch war dieses Gesicht weit weniger furchterregend; nicht eingefallen, ohne sich abschälende Leichenhaut. Ein menschliches Gesicht mittleren Alters, abwesend zwar, in Gedanken, beschäftigt und aufarbeitend im Hinblick auf die düsteren Eindrücke, die sich ihm boten. Aber beinahe… normal? Das Gesicht eines Mannes, nicht das eines Totenschädels. Kurz war die Person stehengeblieben, aber nicht lange. Er kam auf sie zu. Instinktiv machte sie sofort einen Schritt zurück.
„Ich werde stärker. Stärker als das Leben“, murmelte er dann, während er sie anzuschauen schien, und schritt weiter auf sie zu. Panik. Ihre Augen weiteten sich. In einem Anflug plötzlichen Zwangs zur Handlung fasste sich Sedrael reflexartig an ihren Gürtel, um ihr Schwert zu zünden und sich des Mannes zu erwehren. Aber ihre Hand griff dabei ins Leere. Sie blickte hinab, erinnerte sich dann daran, dass ihr das Schwert schon lange auf dem Schiff abgenommen worden war. Hastig blickte sie wieder auf.

Der Mann und seine Begleiterin waren fort. Sedrael blickte hektisch durch den Raum, blinzelte, atmete durch, und hatte dabei das Gefühl, ihr schwerer Atem hallte gleichermaßen durch die große Halle. Ihre Stirn war schweißgebadet. Die Teile setzten sich allmählich zusammen. Erst das Basislager in der Schlucht, dann die Ankunft hier in der großen Halle. Hier war etwas geschehen – etwas, das am Ende in dem Ritual mündete, dessen Vision den Geist auf sie aufmerksam gemacht hatte.
„Ich glaube, hier hat er ihn gefunden“, sagte sie langsam zu Reah, während sie sich über das Gesicht strich und dann wieder durch den Raum blickte. „Seinen Schlüssel… der ihn wahnsinnig werden ließ.“
Es war eine gruselige Atmosphäre, hier in diesem Raum zu sein, in dem eine andere Person ihre eigene Vernunft verloren hatte. Ein Gefühl ließ Sedrael sich umdrehen, dorthin, in dessen Richtung auch der Mann gegangen war. Am Ende der Halle waren ein paar Stufen, die zur größten Statue des Raumes führten. Sedrael blieb unten an den Stufen stehen und blickte zu dem steinernen Abbild hinauf. Eine schlichte Statue eines Mannes in Robe. Es war fast eine Ironie, dass die Statue selbst auch nahezu aus dem Jedi-Tempel hätte stammen können, da sie sich nicht merklich von dem unterschied, was die Jedi als Kunst angesehen hatten. Und dennoch wirkte sie hier im Kontext der anderen Statuen völlig anders, beinahe als knechte dieses großes Bildnis einer ihr unbekannten Person alle anderen Statuen dieses Raums unter sich. Ihr fiel dabei auf, dass die Schriftzeichen an den Stufen vor ihr mittlerweile glühten, oder besser gesagt rege pulsierten – sie strahlten allerdings keinerlei merkliche Wärme ab, sondern wirkten noch immer so kalt wie vorher.
„Spürst du es?“, fragte sie nur, als sie sich mit ein paar Schritten erneut neben die Hexe stellte. Ihr Blick wanderte kurz zu der Wand an ihrer Linken, dann nach rechts und auch dort glommen die Runen inzwischen gespenstisch. Trockener, aber modriger Nebel schien sich auszubreiten, kaum merklich zunächst. Irgendetwas schien zu passieren.
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