#19
Das Gute an Situationen wie diesen war, dass der erste Moment schon so schockierend war, dass es von da an eigentlich immer nur besser werden konnte, weil man ohnehin vom Schlimmsten ausging. So oder so ähnlich hatte es Trous bei den Reparaturen von kleineren Raumern stets nörgelnd ausgedrückt. Wenn Trou ehrlich mit sich selbst war, war er von der Masse an Meldungen zunächst einmal überfordert – er hatte zwar gelernt, selbst Dinge wieder zusammenzuschrauben und zum Funktionieren zu bringen, aber die Organisation einer so gewaltigen Aufgabe schien da ganz andere Qualifikationen zu erfordern als selbst grob zu wissen, wo welches Kabel hingehörte. Abgesehen davon war dieses Schiff im Vergleich zur Hinterhofwerkstatt seines Vaters einfach gewaltig groß. Vielleicht nicht im galaktischen Maßstab, aber im Vergleich zu dem, was er bisher gewohnt war. Welch Albtraum es erst sein musste, einen imperialen Sternenzerstörer am Laufen zu halten, wollte er sich gar nicht ausmalen. Geschah den Verrückten, die versucht hatten, sie zu rammen, ganz recht, dass sie sich nun wahrscheinlich ebenso mit langatmigen Reparaturen herumplagen mussten.

Auf der Brücke waren immerhin allmählich alle notwendigen Informationen eingetroffen – und das Schiff war in einem offensichtlich jämmerlichen Zustand. Auch von der kleinen Jägereskorte war nur ein einzelnes Schiff annähernd flugfähig, allerdings selbst das auch nur händisch und ohne Navigationscomputer. Dadurch dauerte die optische Begutachtung der Fregatte von außen länger an als geplant – zumindest aber ließ sich feststellen, dass es keinen kritischen Hüllenbruch gegeben hatte. So war die Descryer also in der Theorie bewegungsfähig. Nun waren Theorie und Praxis aber… unterschiedliche Dinge. Der Hyperantrieb war ohne neue Bauteile nicht mehr viel wert – die Wetten darauf, ob Sublicht funktionierte, wenn man den Antrieb wieder hochfuhr, liefen noch. Allerdings hatte sich bisher noch niemand Wagemutiges gefunden, der auf den Antrieb gesetzt hatte. Das mochte auch damit zu tun haben, dass der Jäger einen riesigen Riss durch die hintere Antriebssektion entdeckt hatte, wo also vermutlich der Bug des imperialen Schiffes an ihnen vorbeigeschrammt war und sie aus dem Kurs geworfen hatte. Die Chance, dass die Triebwerkgondeln auf dieser Seite noch einmal zum Leben erwachten, waren daher besonders schlecht. Wer darauf wetten würde, wurde nicht mehr als wagemutig, sondern direkt als verrückt angesehen. Das größte Problem derzeit schien Trou aber zu sein, dass die Kommunikation nach außen nicht funktionierte und es auch nicht so schien, als ließe sich das provisorisch mit etwas Klebeband und zusammengebastelten Ersatzsendemasten an der Hülle reparieren, um wenigstens ein SOS-Signal in die Weite des Raums zu senden. Daher konnten sie also auch über keine Funkkanäle um Hilfe suchen, sondern mussten es auf andere Weise versuchen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer war, dass der Raumjäger bei seinem vorsichtigen Ausflug nach draußen in der Ferne etwas im Sonnenlicht hatte reflektieren sehen – nun war das keine große Hoffnung, aber wenn es sich dabei um etwas Metallisches handelte, war die Chance zumindest da, dass es dort Lebensformen gab und man zumindest damit Kontakt aufnehmen konnte. Auf der anderen Seite war auch das immer eine Form von Risiko, doch im Endeffekt hatten sie in ihrer jetzigen Situation kaum eine Wahl. Trou hatte daher den Jäger losgeschickt, damit dieser dem nachgehen konnte, um anschließend zurückzukehren und Bericht zu erstatten. Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, dass es noch immer das gleiche Schiff war wie das, das sie gerammt hatte. In diesem Fall hatten sie ein sehr, sehr ernstes Problem – und dann würden auch alle eiligst durchgeführten Reparaturen nichts mehr nutzen. Entkommen könnten sie diesem Schiff nicht. Daher hatte Trou auch befohlen, möglichst viele der wenigen Transporter im kleinen Hangar der Descryer einsatzfähig zu bekommen. Reichen würde das nicht, aber es war sicherlich besser als nichts. Solange jedoch unklar war, um was es sich handelte, würde er nicht das Risiko eingehen und den Antrieb wieder versuchen hochzufahren, denn wie das Schiff darauf im jetzigen Zustand reagieren würde, war unklar. In den letzten zwei Stunden hatten er und Kvilsh Reparaturteams durch die beeinträchtigten Sektionen des Schiffes geleitet, um die Schäden selbst zu überprüfen, aber es war noch immer schwer einzuschätzen bei einem derartig großen Schiff. Wirklich betroffen schien nur das Heck des Schiffes zu sein, mit Hangar, Antrieb und Generator – zumindest hatte die Frontsektion außer den Erschütterungsschäden relativ wenig Schaden davon getragen, somit hatte es hier auch kaum Prioritäten zur Reparatur gegeben. Das Technikerteam versicherte, dass sie das Schiff wieder so weit zusammenbauen konnten, dass es fliegen konnte, zumindest sofern eben der Antrieb mitmachte, und so wurde hieran auch fieberhaft gearbeitet.

Nach etwa zwei Stunden hatte Trou schließlich mit Kvilsh die Stellung unten im Generator getauscht und schleppte sich dann die Treppen einzeln nach oben. Das Hungergefühl im Magen war irgendwann nicht mehr ignorierbar geworden und so tastete er sich durch die vielen Taschen seines verschmutzten Overalls, fand aber nicht mehr als ein paar Pfefferminz für den Moment.
„Hm“, machte er nur, dann zuckte er die Schultern. Es war besser als nichts. Er schüttete sich damit den Mund zu und trottete weitere endlose Minuten durch das Schiff, bis er schließlich in der Messe ankam, deren Tür sich bereitwillig für ihn aufschob.
„Nette Versammlung hier“, sagte er noch immer Pfefferminz schmatzend in den Raum hinein. „Immer gut zu sehen, wer alles fleißig beim Aufräumen sind.“
Er stand ein paar Augenblicke weiter kauend in der Tür mit leicht verengten Fischaugen und sondierte den Raum und wie sich der eine oder andere ertappte Müßiggänger dabei anschickte, nun besonders geschäftig zu wirken, etwa indem es spontan drei Leute erforderte, um ein scheinbar äußerst gefährliches Objekt, das harmlos von der Decke baumelte, einzufangen. Er zuckte kurz erneut mit den Schultern, dann trat er weiter in den Raum hinein, ehe er bemerkte, dass von Seiten der Caf-Maschine der Blick auf ihn gerichtet war. Dort tummelten sich zwei Personen – eine, die er kannte, und jemand Neues. Neue Leute waren generell immer erst einmal verdächtig.

Daher nahm Trou aus einem der Iso-Behälter etwas, das man als einfaches belegtes Sandwich bezeichnen konnte, wenn man Optimist war, und ging damit bewaffnet zu den beiden Personen herüber. Erwartungsgemäß hielt er sich dabei zunächst an die Person, die er kannte, selbst wenn es sich bei der anderen Person offenbar um einen Offizier handelte, der offensichtlich auf der Krankenstation behandelt wurde. Allerdings war Trou von dem Anblick des geklonten Sanitäters tatsächlich etwas überrascht. Nur ein paar Schritte blieb er von dem Mann entfernt stehen, musterte diesen zunächst wortlos einmal von oben bis unten.
„Mr. Beskhar“, begann er überzogen förmlich, nur um damit dann wieder zu brechen. „Bis eben dachte ich, von allen sieht Schiff am übelsten aus, aber Sie gewinnen mit leichtem Vorsprung.“
Im Endeffekt war das nicht einmal übertrieben. Trou selbst hatte außer einem großen Pflaster auf der Stirn keine sichtbaren Verletzungen davon getragen, aber dem Mann vor ihm war anzusehen, dass er völlig überarbeitet war und voraussichtlich nun versuchte, dies mithilfe von Caf in den Griff zu bekommen. Das war einerseits allzu verständlich, andererseits war ein überarbeiteter Arzt auf Aufputschmitteln ein weitaus größeres Risiko für die Behandlung als ein ausgeruhter. Nur bedingt im Scherz fuhr er also fort.
„Hauen Sie sich ins Bett, Doc. Das ist ein Befehl!“
Er klopfte dem Klon bei den Worten mit der freien Flosse leicht auf eine Schulter, während er begann, mit der anderen, mit dem Essen bewaffneten Hand auf den uniformierten Menschen zu deuten.
„Und wer ist Ihr Freund hier? Sagt mir nichts, also einer von unseren neuen Alui-Leuten?“
Ein Nicken in Richtung des Mannes wandte die Aufmerksamkeit des Captains fort von dem Sanitäter und hin zu der neuen Person, so dass dieser auch sogleich selbst antworten konnte. Trou hatte nur kurz die Liste der Namen gelesen derer, die sie kürzlich von der Alui-Miliz zum Zusammenflicken aufnehmen sollten, allerdings sich nicht intensiver mit den Namen oder ihren Hintergründen befasst. Es machte alles in allem auch keinen Unterschied für ihn, wen sie hier an Bord ihrer Lazarettfregatte versorgten. Denn alles in allem war jenen Verletzten und Verwundeten gleich, dass an ihrer Misere das Imperium direkt oder indirekt Schuld war. Und für solche würde die Fregatte immer ein sicherer Hafen sein, solange er das Kommando hatte – ganz gleich, ob sie Republikaner waren oder nicht.
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