#10
Die Atmung fiel schwer, während der Alte einen seiner dunkelsten Momente erlebte. Plötzlich war da diese Stimme, welche dröhnend durch den diesigen Nebel aus Erinnerungsfetzen drängte. Irgendetwas hatte ihn gefunden. Es war diese Stimme, die ihm Angst machte und die er nur zu gut kannte. Das kalte Interesse und die gespielte Höflichkeit, welche sich selbst Verräter war, waren erkennbare Facetten einer geheimen Macht, welche sich entschlossen hatte, den alten Mann zu besuchen. Vaash, unter Hilfe der Arztes, wandte sich um. Dort saß es. Das Monster in den Schatten, welches auf diesen Moment gelauert hatte. Der Schleier um sein Bewusstsein lichtete sich und ihm fiel der Name dieser Person, die mit ihrer markanten roten Uniform , auf Anhieb ein. Es war ein Name des Terrors und der paranoiden Furcht. Ysanne Isard war hier. Tiberius Vaash konnte nicht sofort antworten; nicht nur weil seine Lippen noch schläfrig waren, sondern auch weil er entsetzt war, dass diese Person sich hier befand. Man vergaß Isard nicht. So schwieg der erfahrene Flottenbefehlshaber für mehrere Atemzüge des stillen Entsetzens. Das medizinische Personal entfernte sich auf den kalten Fingerzeig der Direktorin, so dass Vaash mit ihr allein war. Die Tür schloss sich, so dass der alte Mann frierend vom Fenster abgewandt zu Isard blickte. Sein Stand war stabil, wenn auch nicht elegant, da er leicht gekrümmt um seine Haltung rang. Die Patientenkleidung würdigte den einstigen Kriegshelden zusätzlich herab, machte ihn zu einer imperialen Ware mit einem Speichenlogo und Barcode. "Direktorin," zischte Vaash zum Gruß, nachdem er endlich seine Sprachfindung abgeschlossen hatte. Die Medikamente verlangsamten die Sprachfindung erheblich. So war seine Aussprache auch schwer von einer metaphorischen Decke umhüllt. Seine Zunge bewegte sich nur bleiernd. Warum war sie hier? Was wollte sie? Wo sie war, war nichts Gutes. Vaash kannte das Imperium und wenn die Direktorin des mächtigen imperialen Geheimdienstes auftauchte, gab es ernste Probleme - und irgendwie war er davon betroffen. Tiberius Vaash war kein Narr oder Dummkopf und so konnte er die Situation richtig einschätzen. Seine noch leicht glasigen Augen hatten Schwierigkeiten das Gesicht der parasitären Frau zu erfassen. Immer wieder kniff er beide Augen zu, um seinen Blick besser kontrollieren zu können. Es half nur wenig. Vielleicht wünschte sich der Alte auch einfach, dass Isard mit einem Augenkniff verschwunden war und sobald er sie wieder öffnete sie nicht mehr erblicken würde.

"Ich bin hier," stammelte seine Stimme belanglos umher, damit sein Verstand Bedenkzeit erringen konnte. Er wollte wissen, warum sie hier sein konnte. Doch dort war keine Erinnerung. Schließlich offenbarte die Direktorin einen Namen, der etwas in Vaash weckte. Nigidus, ein wohlklingeder, wenn auch böser Name. Für ihn war er böse. Der Alte verband etwas damit, dass ihm Schmerzen bereitet hatte. Waren es diese Schmerzen und dieser Zustand, den er gerade erduldete? Es lichtete sich wenig im Dickicht seines Unterbewusstseins. In der Tat hatte sein Gehirn in dieser Sache Schaden genommen. Er litt an konkreter Amnesie, die nur langsam ihre Mauern einriss. Puzzlestück für Puzzlestück, Bild für Bild und Wort für Wort setzte sich die Erinnerung in kriechender Bewegung zusammen. Doch scheinbar wollte Isard keine Geduld für diesen Prozess aufbringen und forderte direkt seine Mithilfe ein.

"Ich diene dem Imperium," formulierte der alte Mann schwergängig, um jedes Wort ringend. Dies war die Antwort , die er geben konnte. Ein Schleimbrocken löste sich, fiel in den Rachen des Mannes, so dass dieser keuchen und erbrechend husten musste. Mit seiner Linken fing er einen herausgeworfenen Brocken an schwarzgrünem Schleim auf, um diesen zu betrachten. Es ging ihm garnicht gut. Der Brocken zerlief in seiner Hand, wie seine Erinnerung. Beschämt berührt, dass er dieses Bild vor Ysanne Isard abgab, versuchte er die Substanz in einem Tuch zu entsorgen, welches er unweit aus einem Spender gezogen hatte. Nach einer heftigen Wischbewegung auf seiner Hand, zerknüllte er das Papier, um es in seiner Faust zu behalten. Sein Gang war nicht mehr gelenkt genug, um es zum Mülleimer zu schaffen. Auch konnte er so seinen geheimen Zorn verbergen, indem er das Papier weiter in der Faust zerdrückte. Es war eine Wut über sich selbst, dass sein Verstand nicht das erinnerte, was er nun brauchte und auch eine Wut über die Direktorin, die ihn in diesem Moment beobachtete. Es war nicht nur unangenehm, sondern völlig ehrlos für einen altgedienten Veteranen, der als Militarist auf persönliche Ehre einen gewissen Wert legte. Natürlich war dies im Anbetracht seiner Vergangenheit und seiner Taten für das Reich selbstgerecht aber Ehre war ein aufrichtendes Gefühl, welches ein Militär, wie Vaash, nicht aufgeben konnte. Ehre war alles, was er noch hatte. Irgendwie dieser letzte Anstand, dass man sich immerhin dem Krieg und somit seiner Pflicht gestellt hatte. Hier war er nur Patient: ein Kriegskrüppel ohne entscheidende Erinnerung, wie er dazu geworden war. Sein Rang, vor wenigen Augenblicken scheinfroh von einer berechnenden Frau in diesen Raum gezimmert, war bedeutungslos in diesem Zustand. Er war kein Admiral, kein Mann der Uniform, sondern derzeit nur ein Mann ohne Erinnerung. Ob er überhaupt als Flottenadmiral reaktiviert werden würde, stand in den Sternen und war der üblichen Willkür des OK unterworfen. Innerlich wollte Vaash nicht mehr reaktiviert werden, obwohl er bei Befehl in Tradition folge leisten würde. Es war seine Pflicht und was waren Soldaten ohne Eid? Sie waren ohne Eid nur Söldner. Ein Soldat diente einer festen Macht, gebunden durch ein unbrechbares Versprechen. Dieses Versprechen nahm Vaash ernst, um seinem eigenen Ehrbegriff genüge zutun.

"Der Name sagt mir etwas...," suchte der Alte nach einer weiteren Antwort auf das Interesse der Direktorin. Vaash wollte nicht in ihren Fängen bleiben, da jeder wusste, dass es nicht nur unangenehm werden konnte, sondern auch tödlich. Wenn es nur seinen eigenen Tod betreffen würde, würde Vaash dies mitunter sogar akzeptieren können. Soldaten hatten ihren eigenen Tod sicherlich schon durchdacht. Nur ging es ihm hier um seine Familie. Die Sippenhaft, die Sklaverei oder auch Massenhinrichtung war dem Imperium nicht unbekannt. Er musste seine Familie vor falschen Anschuldigungen und falschen Prozessen schützen. Isard war eiskalt und würde alles tun, um ihr Imperium zu erhalten. Vaash, lange gedient in diesem Imperium, wusste um die Schattenseiten dieser einstig umfassenden Ordnung. Sie kannte keine Abweichler. Egal, wie weit oder kurz man abgewichen war; eine Abweichung, war eine Abweichung und würde sofort bestraft. "Ich bitte um Verzeihung, Direktorin. Mein Geist arbeitet noch nicht so, wie ich es mir wünsche," erklärte der Mann wieder mit etwas sicherer Wortwahl und Sprechweise. Angestrengt überlegte Tiberius Vaash weiter, tief in den Minen seines Geistes schürfend, woher dieser Name kam und warum er ihm immer noch ein schlechtes Gefühl bescherte. Isard konnte dies sehen, da sich seine Augen zur Raumdecke bewegten und seine Stirn in grabenhaften Falten lag. Er dachte wirklich nach, um diesen stillen Vorwurf zu entkräften, den er als erfahrener Militär erahnte. In Gedanken ließ er das Papier aus seiner Hand fallen, welches ein Stück über den Boden in Richtung Isard rollte, um dann unter dem Bett zu verschwinden.
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