#62
Isard lächelte. So viele Speerspitzen, die ihr entgegengeworfen wurden, doch an ihrem Harnisch abprallten. Sogar eine versteckte Drohung - sogar eine, die die Chefin des Geheimdienstes ernster nahm, als sie nach außen hin zeigte. Ihr war nicht klar, welche seltsame Verbindung die Inquisitorin und ihr Gast hier eingegangen waren und alles in allem kümmerte es sie auch nicht. Zumindest nicht konkret, aber aus dem Auftreten und überhaupt dem bisherigen Verhalten der Inquisitorin war eindeutig, dass die Jedi irgendeinen Wert für die Frau haben musste. Dafür spielte gar keine Rolle, welcher es war – es war nur wichtig, dass es einen gab und dass Isard diesen nutzen konnte. Und würde. Auf die eine oder andere Art.
„Oh, ich schätze, das Konzept ist ihr durchaus vertrauter als Ihr vielleicht annehmt“, entgegnete die Direktorin. Allein in ihrer kurzen Anwesenheit bei der Jedi hatte diese versucht, sie zu täuschen – auf das Jämmerlichste zwar, aber versucht dennoch. Bereits der Versuch zählte, um die Gesinnung einer Person einschätzen zu können.
„Zumindest ist es ein interessanter Umstand, dass Ihr sie nicht als Jedi bezeichnen mögt. Hat sie Euch das erzählt? Die Tempelaufzeichnungen sprechen da eine andere Sprache“, fuhr sie fort und fingerte mit einer Hand kurz an ihrer Brusttasche herum, in der bei regulären Offizieren die Codezylinder befestigt waren. Heraus kam ein kleiner Datenstick, den sie kurz in die Luft hielt, dann einen Schritt nach vorne machte und ihn auf einem Computerbildschirm ablegte, der etwa auf halbem Weg zwischen ihr und der Inquisitorin lag. Die Tempelaufzeichnungen waren direkt mit dem Untergang des alten Ordens vom Imperium beschlagnahmt und zur Suche der noch verbliebenen Jedi genutzt worden, standen allerdings in vollem Zugang nur wenigen Personen offen. Vielleicht war Isard sogar neben Vesperum die einzige Person mit vollem Zugang. Sie bewegte sich langsam wieder in Richtung ihrer beiden schwarzen Wachen, wo sie erneut stehen blieb.
„Falls es Euch interessiert, mit wem Ihr es zu tun habt. Falls nicht, auch gut. Eure Entscheidung.“
Sie zuckte lediglich mit den Schultern. Es war für Isard keine relevante Information, keine, die in irgendeiner Weise etwas hätte ändern können. Im größeren Maßstab war sie wertlos, hatte allenfalls persönlichen Wert für Nigidus. Doch nicht genug, um daraus Kapital schlagen zu können. Ein kleiner Köder. Einer, der nichts kostete. Dieser zumindest nicht.

Dann aber gelang es der Inquisitorin doch, eine Reaktion Isards zu provozieren. Zum ersten Mal begann Isard tatsächlich zu lachen und nicht eines ihres undurchschaubaren Lächeln zu zeigen. Kurz, aber – soweit ersichtlich – ehrlich erheitert. Natürlich konnte sie von einer Inquisitorin nicht erwarten, die Feinheiten der Politik zu begreifen – Inquisitoren waren Killer, nicht mehr und nicht weniger. Lebende Werkzeuge, die von ihrem Herrn, dem Imperator, so gefesselt waren, dass sie nie frei nach Luft schnappen sollten, aber brutal und hemmungslos genug waren, dreckige und lästige Pflichten zu erledigen. Sie waren nicht dazu gedacht, noch dazu gemacht, politische Schachzüge zu verstehen. Cronal? Ein Mann, der seit jeher wieder Direktor des IGD werden wollte und jede Schwäche von Isard gnadenlos ausnutzen würde, um sich selbst in besseres Licht zu rücken? Einem direkten, vielleicht dem einzigen Konkurrenten anzuvertrauen, dass sie den Imperator für verrückt hielt? Das wäre ihr sicheres Todesurteil gewesen. Und Lumiya? Die stand derzeit nicht im Verdacht, mit Vesperum überhaupt Probleme zu haben, schien daher nicht aufschlussreich im Hinblick auf die Frage, warum man etwas gegen diesen unternehmen müsste. Nein, die einzige Person, die in letzter Zeit in Kontakt mit Vesperum gestanden hatte und gegen ihn intrigierte, war Nigidus. Und einer Verräterin gegenüber konnte auch Isard problemlos an Verrat grenzende Gedanken anvertrauen – denn einer Verräterin, die sie jederzeit enttarnen konnte, glaubte ohnehin niemand. Nicht zuletzt, wenn ihre eigenen Männer es waren, die das Verhör leiteten. Dennoch streckte Isard eine Hand nach vorne, mit der Handfläche nach oben, und deutete der Inquisitorin somit an fortzufahren, ohne auf diese durchaus bemerkenswert offene Kritik abseits ihres Lachens reagieren zu wollen. An anderer Stelle hätte sie diesen tollkühnen Mut bewundert, denn in der Tat wagten es nur wenige, sich offen gegen sie zu stellen, ihr es gar ins Gesicht zu sagen. Das hatte eine ehrfurchtgebietende Position wie die ihre so an sich. Sie konnte sehr vielen Menschen sehr schaden oder ihnen körperliche und seelische Qualen verordnen, die über jedes Fassungsvermögen hinausgingen. Nur wenige gingen das Risiko ein, sich den Missmut des Eisherzes einzufangen.

Die Analyse von Nigidus war in Teilen interessant, wenn Isard auch einige Schlussfolgerungen nicht teilte. Insbesondere nicht, dass Irre keine Gefahr darstellten. Gerade Irre stellten eine Gefahr dar. Denn Irre waren nicht berechenbar, handelten nicht nach verständlichen Motiven, ihre Aktionen nicht vorherzusehen, schwankten nach Stimmungslage und Grad der aktuellen Verrücktheit. Nein, gesunde Personen stellten keine Gefahr dar. Mit ihnen war einfach fertigzuwerden. Hier gab es probate Mittel und Methoden, nach denen vorgegangen werden musste, um früher oder später zu dem Ergebnis zu kommen, das man haben wollte. Ein klarer Geist war immer einfacher zu ködern als ein wirrer, schlichtweg weil er auf rationalen, weltlichen, nachprüfbaren und logischen Gesichtspunkten beruhte, die sich durch Beeinflussung positiv oder negativ verändern ließen. Waren aber schon die Parameter der Gesichtspunkt unklar, weil sie einfach nicht logisch nachzuvollziehen waren, gingen Köder, die unter normalen Gesichtspunkte funktionierten, hier womöglich ins Leere. Aber das waren Feinheiten menschlicher Psychologie, die sie nicht mit der Inquisitorin erörtern würde. Nicht zuletzt war die Frau vor ihr im Hinblick auf einen klaren Geist nach Isards Einschätzung auch nicht gerade der beste Ansprechpartner. Manche Punkte der Frau waren interessanter als andere. Besonders die eigene Einschätzung zu den Sith war in einer Weise bemerkenswert und ironisch, dass sich die Direktorin nicht klar war, ob es der Frau selbst bewusst war oder nicht. Denn letztlich bedeutete auch das, dass ein Sith ihr jetzt alles erzählen würde, um gegebenenfalls einen Vorteil gegenüber Vesperum selbst zu haben und die Geheimdienstchefin als eigenes Werkzeug gegen ihn zu verwenden. Wenn das Wesen der Sith war, die alleinige Macht an sich zu ziehen, war der Verrat an Vesperum ihrem Denken inhärent und keine Frage des Ob, sondern des Wie und des Wann. Und die Inquisitorin war keine Person, die über die materiellen Mittel noch das politische Netz verfügte, die Stellung des Vesperum im Falle seines Sturzes einnehmen zu können. Tatsächlich besaßen nur zwei Personen dieses Netz: Isard selbst und Pestage. Und es würde Isard keines großen Aufwandes benötigen, letzteren aus dem Spiel zu nehmen. Insofern schien es plausibel, dass ihre Gegenüber einen Spalt zwischen Vesperum und der Direktorin provozieren wollte – und weitaus weniger wahr und zuverlässig antwortete als von einem regulären politischen Feind, mit dem Isard sonst im Verhör rang, zu erwarten war. Mit Isard mochte Nigidus aber eventuell herrschen können – oder vielleicht glaubte sie das zumindest. Natürlich würde das niemals passieren, doch das hieß nicht, dass ihre Gegenüber nicht selbst verquer genug dachte, es zu versuchen.
„Hm“, machte Isard zunächst nur. Eine völlig neutrale Reaktion, die allerdings weder Enttäuschung noch Freude über die ausführliche Antwort erkennen ließ. Es war jedenfalls keine Antwort mit einem geschlossenen Ende, sondern eine, die weitere Untersuchungen mit sich führte. Das war nun ohnehin das, was Isard vorgehabt hatte – niemals hätte sie sich allein auf die Information einer einzelnen Person verlassen. Der Geheimdienst bewertete eine Vielzahl von Quellen, ehe er eine Erkenntnis daraus zog und ebenso arbeitete Isard selbst auch. Nigidus war eine Quelle von vielen, vielleicht nicht einmal eine wichtige im Vergleich zu anderen. Vielleicht aber die Interessanteste, weil sie bislang als einzige etwas wagte, das sonst niemand offen tat. Einige Moffs mochten in ihren Gelagen vom Tod des Vesperum schwadronieren, aber das hier war anders. Es war konkreter. Ein Einlassen mit einem Erzfeind. Einem imperialen Staatsfeind. Hier braute sich mehr zusammen als in den Mäulern gieriger Moffs, die viel redeten, aber wenig sagten, und noch weniger davon auch tatsächlich tun würden, weil es ihnen immer noch viel zu gut ging.

Ein paar Sekunden später öffnete sich die Brückentüre hinter Isard. Sie drehte sich nicht um, sondern legte den Kopf in den Nacken und drehte ihn leicht zur Seite. Agent Traggis trat von hinten an sie heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Kurze Überraschung auf den Gesichtszügen der Direktorin. Vielleicht sogar etwas Enttäuschung?
„Ist der Standort bestätigt?“, fragte Isard.
Der Agent überreichte seiner Direktorin ein Datapad, das sie entgegennahm und kurz studierte. Ein Nicken des Agenten nahm die Antwort gleich vorweg. Binnen kurzer Zeit hatte Isard die Informationen auf dem Pad überflogen. Ihr Gesicht verfinsterte sich. Irgendetwas gefiel ihr nicht, als habe ihr jemand einen Keks weggeschnappt, dessen sie sich sicher gewähnt hatte. Oder tat sie nur so? Sie drückte das Pad fester als nötig gegen die Brust des Agenten und entließ diesen mit einer Kopfbewegung wieder nach draußen. Dieser tat wie befohlen, nicht jedoch ohne der Inquisitorin einen Blick zuzuwerfen – schwer deutbar, doch klar genug, dass das, was geschehen war, in irgendeiner Form Auswirkungen auf die Situation hier an Bord hatte. Isard wartete mit geschürzten Lippen, bis die Tür hinter dem Agenten wieder zuglitt. Dann passierte ein paar Sekunden nichts und es war beinahe möglich, Isards Gehirn arbeiten zu sehen. Irgendwann blickte sie auf und somit zurück in das Gesicht von Nigidus.
„Nun, wie sich zeigt, spielt der Zufall für Euch. Wie es aussieht, kann ich mir nun einige Dinge im Auftrag des Imperators ersparen, die Euch wohl nicht gefallen hätten. Doch da sich das jetzt erledigt hat…“
Die beiden verschiedentlichen Pupillen schienen den Zwiespalt und das undurchsichtige Wechselspiel zwischen Feuer und Eis kaum besser widerspiegeln zu können. Pragmatik. Jetzt wo, der offizielle Auftrag aus dem Weg war, war die Bahn frei für andere Dinge. Alles in allem machte der Wegfall einer etwaigen Folter die Dinge sogar einfacher.
„Ich schlage vor, Ihr tut etwas für mich und ich tue etwas für Euch.“ Ein kurzes Lächeln kehrte zurück. Keines von der Sorte, das Freundlichkeit ausstrahlte. „Ich lasse Euch hier mit Eurer Jedi-Freundin machen, was auch immer Ihr hier tut. Das Schiff gehört jetzt meinem Dienst – niemand wird Fragen stellen, solange ich sie nicht stellen lasse. Und im Gegenzug werdet Ihr meine Antwort finden, die ich suche.“
Das hieß nur eines: Korriban. Eine Antwort, an der Nigidus selbst gelegen war, wenn das, was sie Isard beschrieben hatte, tatsächlich zutraf.
„Vorausgesetzt, Ihr spielt nach meiner Regel, Nigidus. Und die heißt: Niemand rührt meine Leute an. Passiert es doch, werde ich dafür sorgen, dass Eure kleine Freundin bis an die Stufen des Throns vor Vesperum gezerrt wird. Und ich denke, wir sind uns einig, dass das im Vergleich zu meiner Obhut kein Vergnügen werden dürfte.“
Wie wichtig war ihr Gast also? Isard konnte einen solchen Befehl jederzeit geben. Heute. Morgen. In einer Woche. Frühmorgens, mittags, nachts. Wenn die Inquisitorin ihre Jedi nicht rund um die Uhr in einem Schiff voller Geheimdienstagenten und Sturmtruppen im Auge hielt, was faktisch unmöglich war, so könnte sie einen solchen Zugriff schlichtweg nicht verhindern - und selbst wenn sie es könnte, würde die Masse sie irgendwann überwältigen. Allein dass Isard den Befehl dazu nicht schon jetzt gab, schien in dem Moment wie ein Zugeständnis. Eines, das sie nicht hätte machen müssen, wenn sie nicht noch in irgendeiner Form Verwendung für Nigidus hätte.
„Wenn ich das bekomme, was ich möchte, lasse ich Euch und Eure Jedi ziehen. Verkriecht euch im hintersten Winkel der Galaxis, wenn es nach mir geht. Und hofft, dass ich niemals dazu gezwungen werde, euch finden zu müssen.“
Isards zweifarbige Augen verengten sich. „Einverstanden?“
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