#60
Irritiert blickte der Agent den Finger an, wechselte von ihm zum Gesicht der Inquisitorin und wieder zurück, mehrfach, so als schien er sie fragen zu wollen, ob es ihr Ernst war, dass sie ihn anfasste. Dennoch wich er trotz ihrer plötzlichen und durchaus raschen Annäherung nicht sichtlich zurück, auch wenn die Nähe, die sie einnahm, ihn vermutlich dennoch überrascht hatte – mehr jedenfalls als ihre inhaltliche Enthüllung, die ihn tatsächlich gar nicht zu beeindrucken wusste.
„Das kümmert mich nicht“, entgegnete er nach einem Moment und schob ihren Finger mit einer Hand von seiner Brust fort. „Ich erhalte meine Anweisungen nicht von einem kläglichen Orden. Nicht von Ihnen. Nicht von Vesperum.“
Es schien keine massive Überraschung zu sein, dass der Agent in Anbetracht seiner bisherigen Äußerungen offenbar von jenem Teil des Imperiums eher wenig hielt. Und nicht zuletzt galten Geheimdienstler als ein abgeschottetes System, als eingeschworene Gemeinschaft und als eigener, pulsierender Organismus, der so autark von anderen Institutionen war, dass man nur wenigen anderen wirklich vertrauen konnte, im Gegenteil sogar begann, ihnen von Natur aus zu misstrauen und den eigenen Dienst als eigentliche Heimat zu identifizieren. Dass er jedoch auch den Imperator aufzählte, schien durchaus ungewöhnlich, wenn es auch der Sache nach richtig war, da er seine Befehle tatsächlich nicht unmittelbar von ihm bekam, sondern derzeit offenbar direkt vom Ubiqtorat. Wie sich nicht zuletzt auch mit der Anwesenheit der Direktorin selbst auf der Brücke zu bestätigen schien. Aufmerksam betrachtete der Agent, wie seine Dienstherrin langsam, Schritt für Schritt näher kam.
„Ich gebe mir Mühe, nicht dann zu erscheinen, wenn ich erwartet werde“, sagte die Frau bereits einen Moment nach der Feststellung der Inquisitorin, dünn lächelnd. „Es führt in aller Regel zu interessanteren Situationen.“
Gerade als Isard weiter vortrat, zuckte der Agent kurz und blickte nach unten. Zu seinem Glück nahmen die Durastahlkappen der imperialen Stiefel einiges an Verletzungsgefahr aus der Aktion der Inquisitorin heraus, die ansonsten durchaus zum Brechen seiner Zehen hätte führen können. So blieb es bei einem äußerst deutlichen Druckschmerz, der ihn aufstöhnen ließ, ehe er mit beiden Händen den Rücken der Inquisitorin packte und ihr einen mehr als erforderlichen Stoß nach vorne gab, um die Frau ein gutes Stück nach vorne von ihm fortzuschubsen und so seinen Fuß von dem ihren zu befreien.
„Traggis“, brummte Isard und der Agent blieb widerwillig stehen. Ein roter Ärmel erhob sich und ihre rechte Hand machte eine wegwischende Bewegung. Kurz schnalzte sie mit der Zunge und entließ die Leute von der Brücke. Ihr Agent warf der Direktorin einen Blick zu, doch sie nickte bloß in Richtung der Tür. Etwas missbilligend sah er die geöffnete Türe an und schien nicht erwartet zu haben, dass auch er den Raum verlassen sollte. Das mochte nicht eingeplant gewesen sein und vielleicht eine kurzfristige Entscheidung der Direktorin in Anbetracht der offenbar schwierigen Situation zwischen ihm und der Inquisitorin.
„Schmälern Sie Ihre gute Arbeit nicht mit einem Makel. Wir besprechen das hier noch“, warf Isard ihm zu, als er an ihr vorbeiging. Er verlangsamte seinen Schritt nur für einen kurzen Moment, reagierte mit einem Nicken und ging anschließend weiter. Nach und nach leerte sich die Brücke und als letztes verließen auch die Sturmtruppen den Raum, so dass nur noch Ysanne Isard selbst, die Inquisitorin und die drei Schattensturmtruppen allein im Gehirn des Zerstörers waren. Die Gleittüre schloss sich leise. Mehrere Meter vor der Inquisitorin kam Isard zum Stillstand, die beiden schwarzgepanzerten Soldaten folgten ihr bei jedem Schritt, wobei ihre Helme aufmerksam auf die Inquisitorin gerichtet schienen.
„Was ist mit Euch passiert? War er das?“, fragte Isard zunächst und deutete auf Reahs zerkratztes Gesicht, dann auf die blutigen Hände, eine Augenbraue skeptisch angehoben.
„Was wäre denn wenn?“, meinte Reah mit ebenfalls hochgezogener Braue, als würde sie Isard bewusst imitieren wollen. Sie hielt die Spannung einen kurzen Augenblick lang, ehe sie Traggis mit einer wegwerfenden Geste entlastete. „Nein, nicht direkt. Plötzliche Änderungen in einer gewohnten Umgebung resultieren nur manchmal...“, sie breitete ihre Arme aus, um noch einmal auf die Menge der demolierten Konsolen hinzuweisen, „... in etwas extremen Gegenreaktionen.“
Einen Augenblick lang warf die junge Direktorin ihren Blick auf die beschädigten Displays, dann bewegte er sich weiter in Richtung des Offiziers der Schattensturmtruppen. Der Helm neigte sich ein paar Zentimeter nach unten und wieder nach oben, und schien die Version der Inquisitorin somit wortlos zu bestätigen. Schließlich wandten sich Isards zweifarbige Augen wieder der Frau zu. Offenbar ignorierte sie die Imitation oder interpretierte es gar nicht als solche. Oder es war ihr schlichtweg gleichgültig, ob es eine war oder nicht. Hätte es Relevanz gehabt, wenn der Agent sie misshandelt hätte? Vermutlich. Es schien nicht so, als wäre die Direktorin daran interessiert, mit einer gebrochenen Reah zu sprechen. Vielleicht sogar ganz im Gegenteil.
„Die Änderung war nicht zu vermeiden. Ich habe aber nur die bestehende Gelegenheit genutzt, um hier Leute zu platzieren, denen ich trauen kann“, erklärte sie und umschrieb den gewaltsamen Austausch der Brückencrew in einer Art, als wäre es nur ein Zug in einer Simulation gewesen. „Das Ganze ist nicht auf meinen Mist gewachsen. Vesperum glaubt, dass hier irgendetwas nicht stimmt und ich denke, wir wissen beide, dass sein Misstrauen durchaus berechtigt ist.“
Ihr Blick schien keinen Zweifel zuzulassen, aber sie entschied dennoch, es nicht bei der bloßen Andeutung zu belassen. Es erschien durchaus zweckmäßig, ihre Gegenüber darüber aufzuklären, wie die Dinge gerade standen.
„Zumindest… ist es nicht ganz üblich, eine Jedi des alten Ordens in eine ISB-Uniform zu stecken. Ah, und nebenbei...“ Isards Mund wandelte sich zu einem Schmunzeln und sie pausierte für ein paar Sekunden. „Wenn Ihr das noch einmal tut, weist Eure Agentin nächstes Mal ein bisschen ein. Es kränkt mich schon ein wenig, wenn ich vom ISB nicht erkannt werde.“
Es war seltsam, dass die Worte der Direktorin überhaupt nicht vorwurfsvoll oder anklagend klangen, sondern sie fast eher ihren Spaß an dem amateurhaften Versuch zu haben schien. Das mochte nicht ganz zu der brachialen Aktion auf der Brücke passen, mit der die Frau schließlich auch in der einen oder anderen Form zu tun haben musste. Oder aber ihr Agent hatte seine Befugnis weiter genutzt als ihr lieb gewesen war. Natürlich war nicht zu erwarten, dass sie das in irgendeiner Form kommentieren würde. Stattdessen hob sie beschwichtigend eine Hand an.
„Aber keine Sorge, es geht ihr gut. So weit. Das hier ist Euer und Vesperums Problem, nicht meins. Ich halte mich aus seinen überirdischen Dingen heraus und er sich dafür aus meinen. Und das kommt mir gerade sehr gelegen. Denn nichtsdestotrotz bin ich mir meiner Grenzen wohl bewusst und dass es Dinge gibt, die ich nicht analysieren kann. Für jede Analyse braucht es Experten.“
Ihr Blick landete erneut auf Reah, fixierter und vielleicht auch etwas fordernder als bisher, die Augen leicht verengt. Nicht zuletzt deshalb schien bereits aus dem Kontext klar zu werden, dass die Inquisitorin nun in die Rolle der Expertin erwachsen war und es ihr auch nicht oblag, sich diese Rolle auszusuchen.
„Sagt mir - wie berechenbar ist Vesperum seit Korriban noch?“, fragte Isard schließlich. „Ich kann keine tickende Zeitbombe auf dem Thron brauchen. Etwas ist seltsam, seit er wieder da ist. Er wirkt instabiler als zuvor, unruhig, abwesend.“
Sie schüttelte ein paar Sekunden lang den Kopf und ihr schwarzes Haar mit den weißen Strähnen flatterte leicht, während sie ihre Hände ausbreitete und mit den Schultern zuckte.
„Um ehrlich zu sein, ich glaube, er ist verrückt.“
Darum ging es also. Es schien kaum einen besseren Ansprechpartner für sie innerhalb des Imperiums zu geben, der ihr dabei mehr brauchbare Informationen dahingehend zukommen lassen konnte als die Person, die machtbegabt war und zudem Vesperum seinerzeit von Korriban gerettet hatte – nun aber in irgendeiner Form auch von ihm gelöst war, indem sie etwas vor ihm verbarg. Für Isard insoweit eine naheliegende Wahl – insbesondere wenn sie Nigidus ohnehin jederzeit als Verräterin enttarnen konnte und deren Wort im Fall einer Aussage zu Lasten von Isard daher im Zweifel nicht viel wiegen würde. Schließlich hatte die Direktorin gegenüber Vesperum bislang nie ein Anzeichen für Untreue gezeigt.
„Und vergesst nicht, ich könnte Euch bereits jetzt auffliegen lassen, wenn ich wollte. Es ist also nicht notwendig, irgendetwas zu beschönigen.“
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