#56
Das in die Ecke gedrängte Tier war immer das gefährlichste. Es gab diesen kritischen Moment, in dem sich entschied, ob das Tier gehorchte oder den irrationalen und selbstmörderischen Versuch wagte, aus der nicht zu entrinnenden Einkesselung auszubrechen. Der Tanz mit der Rasierklinge, deren scharfe Schneide sich stets gefährlich nahe an seinem eigenen Körper befand. Doch Gefahr war Alltag geworden, selbst jetzt schon. Wer dem Druck nicht standhielt und Zeichen der Schwäche zeigte, überlebte nicht lange. Analysieren, das Risiko einschätzen. Jede Situation, jede Person nach ihren Parametern bewerten. Alles bewerten. Und wessen Bewertung sich als falsch herausstellte, der starb meistens. Traggis hatte sich gerade nicht verkalkuliert. Daher überlebte er, jedenfalls für diesen Moment. Oft genug noch würde dies in nächster Zeit wohl auf dem Prüfstand stehen, doch der Agent hatte auch keineswegs vor, leichtsinnig zu werden. Ihm war bewusst, dass er der Frau letztlich als Person wenig entgegenzusetzen hatte. Doch selbst Rancors konnte man mit den richtigen Mitteln Angst machen. Und wenn das Imperium eines wusste, dann war es, wie selbstverliebten Zauberern das Handwerk zu legen war. Oder sie gefügig zu machen.
„Gut“, lobte der Agent sein Tier emotionslos, streckte den Arm seitwärts und wartete darauf, bis die Schattensturmtruppe den Weg zu ihm zurückgelegt hatte und den Griff der Waffe in seiner Hand ablegte. Er hob den metallenen Griff an, betrachtete die komplexe Waffe aus eigentlich längst vergangenen Tagen einen Augenblick lang.
„Faszinierend“, meinte er mit einem Hauch von Bewunderung in der Stimme, wog den Griff wie abgelenkt eine Zeit lang in seiner Hand. Gleißendes rotes Licht erstrahlte schließlich, als er den Mechanismus betätigte, tauchte das Fenster vor ihm in düsteren blutroten Schein. Seine Augen betrachteten die gleißende Klinge gedankenverloren.
„Wirklich faszinierend.“
Er vollführte einen einfachen Schwung mit der Waffe, ein einstudierter Duellhieb, der andeutete, dass er im Schwertkampf trainiert war. Nur erfahreneren Beobachtern mochte auffallen, dass er das fehlende Gewicht der Energieklinge nicht gut berechnete und die Bewegung daher nicht so fließend und elegant wie es vielleicht sein sollte. Erfahrung im Schwertkampf offenbar, aber demnach keinerlei mit einem Lichtschwert. Ein kaum erkennbares Zucken seiner Mundwinkel deutete auf ein unterdrücktes Lächeln hin, das er sich gerade nicht sichtbar gestattete. Neben ihm ächzte eine Metallkonsole, doch er schien es in seiner Abgelenktheit nicht zu bemerken.
„Ich sammle Schwerter, primitivere für gewöhnlich“, begann er unvermittelt zu erzählen, ohne den Blick von der Waffe nehmen zu können. „Vibroschwerter, einfache Metallklingen. Ein legendäres Lichtschwert fehlt mir bislang. Ursprünglich hatte ich vor, Ihr Schwert meiner Sammlung hinzuzufügen, doch da Sie kooperativer erscheinen als erwartet, werde ich zu meinem Bedauern davon absehen.“
Zuckerbrot und Peitsche. Sie hatte aus seiner Sicht etwas richtig gemacht, ihm pariert und somit hatte sie sich eine Belohnung verdient. Vielleicht ein Entgegenkommen, vielleicht auch nur ein rhetorisches Mittel seinerseits, während er die Lichtklinge immer wieder leicht nach oben und unten wog, offenbar um ein Gefühl für das Gewicht zu bekommen.
„Sir…?“, keuchte der IGD-Lieutenant ein paar Meter neben ihm. Der Agent deaktivierte das Schwert widerwillig und blickte zu seinem Lieutenant an der Hauptkonsole des Schiffes hinüber. Fassungslos starrte sein kaum jüngerer Offizier auf seine zitternden Handflächen. Gläserne Schrapnelle hatten tiefe Furchen in sie gegraben, Glasstücke und kleinere Splitter ragten aus zerstörter Haut hervor. Blut tropfte auf den grauen Metallboden. Der überraschte Lieutenant rang um seinen Atem. Neue Situation. Informationen. Bewerten. Traggis sondierte binnen Sekundenbruchteilen mit sprunghaften Blicken die anderen Konsolen, von denen alle ähnlich beschädigt waren, manche mehr, manche weniger. Keine jedoch schien unversehrt zu sein. Einzelne Dellen hatten sich im lockeren Metall gebildet. Fließend landete sein adlerhafter Blick auf der Inquisitorin, die noch immer schwer atmete. Er hatte vermutet, dass er mit dieser Äußerung einen Wirkungstreffer landen würde, vielleicht aber hatte er doch unterschätzt, welche tiefen Abgründe er wieder hervorrief. Nun, eigentlich nicht. Eigentlich war es ihm klar gewesen. Schließlich war gerade das das Ziel gewesen. Und vielleicht erinnerten sie ihn sogar an die seinen.
„Sie werden sich besser kontrollieren müssen. Ich gedenke nicht noch einmal zu tolerieren, dass jemand aus meiner Einheit zu Schaden kommt“, warnte er die Inquisitorin kühl und machte mit ihrem Schwertgriff eine Geste in Richtung einer Sturmtruppe. Der Soldat trat aus dem Spalier und ging an den geschockten Lieutenant heran, der noch immer seine Handflächen anstarrte. Mit einem festen Griff an die Schulter der schwarzen Uniform erlangte die Sturmtruppe seine Aufmerksamkeit und führte den Mann dicht an der Inquisitorin vorbei hinaus auf den Brückenkorridor in Richtung der Medi-Station. Der Agent wartete, bis sich die Türe hinter den beiden schloss, dann sah er erneut hinab auf die faszinierende Waffe, schließlich zurück auf deren Eigentümerin und verengte die Augen - weniger erfreut von ihrem Verhalten als eben noch.
„Vielleicht behalte ich Ihr Schwert doch besser.“
Langsam befestigte er den Griff in seinem leeren, noch geöffneten Holster und schloss es daraufhin. Zuckerbrot und Peitsche. Hin und her. Pure Berechnung. Lernte sie es dadurch? Lernen dadurch, dass sie seine Reaktion auf etwas kalkulieren konnte und also das tat, was er glaubte, das sie tun sollte? Vielleicht, vielleicht nicht. Auch er machte nur Angebote, die ihr das Leben vereinfachen würden, wenn sie sie annahm. Zumindest... aus seiner Sicht, auch wenn sie dem Stolz der Inquisitorin widersprechen mochten. Doch Stolz war ineffizient. Und Tiere brauchten auch keinen.
Offline
Zitieren
 


Nachrichten in diesem Thema