#53
Entgegen der Aufforderung der Inquisitorin blieb der Agent so in seiner legeren Position sitzen und blickte zunächst lediglich zu ihr herüber.
„Ah, die Inquisitorin“, stellte er ihre Anwesenheit fest wie ein buchführender Lehrer für ein zu spät in den Unterricht gekommenes Schulkind, der innerlich die Verspätungen seiner Zöglinge notierte. Er wog den Stuhl mit einem Fuß hin und her. Auf einmal schien sich sein Gewicht auf dem Stuhl jedoch unnatürlich zu verlagern, bis nach einem Moment die Stuhllehne nach hinten kippte und der Stuhl mitsamt des Agenten nach hinten umfiel. Verdutzt blieb der Mann kurz liegen, ehe er sich langsam aufrappelte. Der Offizier der Schattensturmtruppe vor Reah schien kurz leise unter seinem Helm zu prusten, ließ sich jedoch seine Erheiterung kaum optisch kaum anmerken. Obwohl der Agent nicht darauf reagierte, als er sich seine Uniform sauber klopfte und sie mit ein paar Handgriffen richtete, schien es ihm dennoch nicht zu entgehen, zumindest trafen seine Augen für einen Sekundenbruchteil die reflektierenden, silbernen Polarisierungsfilter des Helmes.
„Ein netter Trick“, fuhr der Agent schließlich nach einigen Sekunden des Schweigens fort, während er ein paar Schritte auf die Hexe zumachte und dabei drei Mal langsam in die behandschuhten Hände klatschte, ein durchaus amüsierter Applaus; der für ein dressiertes Zirkusäffchen, das gerade kurz aus der ihm bestimmten Rolle gefallen war und damit das Publikum jedoch besonders zu erheitern wusste.
„Von einer Baroness hatte ich mir bessere Manieren erwartet“, stach er in lockerem Tonfall in ihre Vergangenheit, vielleicht als Test, wie sie darauf reagierte, oder um zu zeigen, dass er mehr von ihr wusste als den bloßen Umstand, dass sie ein Teil des Inquisitorius war. Und vielleicht wusste er auch noch mehr und war zu mehr fähig als sein eher unscheinbares Äußeres für den Moment vermuten ließe.

Ein paar Meter vor der Inquisitorin kam er mit sicherem Schritt vorläufig zum Stillstand.
„Lassen Sie mich Ihnen kurz erklären, wie die Dinge hier von jetzt an laufen, ehe Sie noch einmal etwas extrem Dummes tun.“
Direkt, ungeschönt. Ohne Umschweife. Mit einem Räuspern reinigte der junge Offizier seinen Hals, um das Kommende mit klarer, unmissverständlicher Stimme aussprechen zu können und sich nicht unterbrechen zu müssen oder sich gar von ihr unterbrechen zu lassen. Er hob einen Finger.
„Erstens. Ich und meine Einsatzgruppe übernehmen das Kommando auf der Brücke. Ihre alte Crew…“ – sein Blick fiel kurz seitwärts auf den dampfenden Körper Horingtons – „… entsprach nicht unseren Anforderungen. Sie bleiben als Inquisitorin offiziell Führerin dieser Operation, doch ich bin umfassend vom Ubiqtorat bevollmächtigt, so dass ich Ihre Befehle jederzeit aufheben und ändern kann, wenn und soweit es mir gefällt.“
Ein weiterer Finger folgte seiner Auflistung.
„Zweitens. Dank meiner Bevollmächtigung werden alle Sturmtruppen auf diesem Schiff meinem Kommando Folge leisten. Mit anderen Worten: Wenn ich will, sterben Sie. Wenn ich sterbe, sterben Sie auch. Jede Sturmtruppe auf diesem Schiff hat bereits die Order erhalten, Sie zu liquidieren, sollte mir – auf welche Art auch immer – etwas zustoßen.“
Langsam kam er immer näher, wie der sichere Jäger, der sich an sein Opfer heranpirschte. Ein einfacher Mann gegen eine Hexe. Ein einfacher Mann mit einer Armee gegen eine Hexe ohne Armee. Auf dem Gesicht zeichneten sich Spuren eines schiefen Lächelns ab. Ein verstehendes Lächeln, das gewiss machte, dass er immerhin sie mitnehmen würde, wenn er selbst sein Leben für den Dienst am Imperium opfern musste, und er dies offenbar als einen immerhin akzeptablen Preis dafür empfand. Verstehend, dass es vermutlich schon jetzt der Kontrolle ihrerseits bedurfte, ihm nicht bereits jetzt den Kopf von den Schultern zu schlagen. Weitere Schritte auf sie zu.
„Uns ist also gleichermaßen an meiner Gesundheit gelegen. Ich schlage daher vor, Sie sorgen sich künftig besser um mein Wohlergehen und unterlassen solche Spielereien wie eben, die mein Mitgefühl unnötig strapazieren.“
Ohne Zögern schien das Wort des Mitgefühls aus seinem Mund zu kommen, scheinbar ohne sich der brutalen Ironie bewusst zu sein. Der Agent kam nur knapp vor der Inquisitorin zum Stehen. Ohne jede Scheu baute sich der ein paar Zentimeter größere Mann vor ihr auf, blickte zu ihr hinab, ein durchstechender, ernster Blick, als er gleichsam näher und näher zum Sinn seines Aufenthalts kam. Ein dritter Finger erhob sich direkt vor Reahs Gesicht, so nah, dass sie das Leder bereits riechen konnte, bevor er den Handschuh nach einem Moment wieder senkte.
„Und Drittens. Ich bin hier, um Sie daran zu erinnern, dass Sie Teil einer Organisation sind. Um Sie daran zu erinnern, was es bedeutet zu gehorchen. Und vor allem was es bedeutet, es nicht zu tun. Etwa indem Dinge verschwiegen… oder versteckt werden. Was es bedeutet, Verrat zu üben.“
Er verengte die Augen zu dünnen Schlitzen.
„Was es bedeutet… zu brechen.“
Brechen. Die Spezialität des Geheimdienstes unter seiner Direktorin. Freund wie Feind. Grüne Augen studierten das Gesicht der Inquisitorin aufmerksam, achteten auf jede Regung. Sondierten, analysierten, bewerteten. Angst? Erkenntnis? Er erwartete eine Reaktion darauf, ein Zucken, eine Änderung der Gesichtsfarbe seiner Gegenüber, irgendetwas, wissend, dass da etwas war, das sie erlebt hatte und nun wieder in ihr Gehirn dämmerte.
„Die Erinnerung daran ist noch da, nicht wahr?“, fuhr er fort, sehr leise, nicht viel mehr als ein Flüstern. „Fern, verdrängt, doch noch immer da. Es ist nur ein paar Jahre her. Die Erinnerung an Durastahl, das Kratzen an Wänden. Bis zur blutigen Gewissheit, dass auch die Macht nicht helfen kann.“
Sein Blick fiel hinab auf ihre Hände, auf ihre Fingerspitzen. Aussichtslosigkeit. Die Tortur des Geheimdienstes. Alles, jeder Augenblick war damals registriert und festgehalten worden. Und er hatte es gelesen. Wusste um jeden ihrer Momente der Schwäche in den fensterlosen und doch so durchsichtigen Gefängnissen irgendwo in einer der vielen Dunkelheiten der Galaxis. Kannte ihre Verzweiflung. Kannte ihre Reaktion, den Moment der Resignation. Der Tanz im Zwielicht des eigenen Irrsinns. Konditionierung, Rekonditionierung. Die Isolation in der Finsternis, die Einsamkeit, die Folter trieb Leute in den Wahnsinn, ließ sie irrationale Dinge tun, wie Reahs sinnloser Versuch, aus ihrem Gefängnis mit der bloßen Kraft ihrer Fingernägel auszubrechen. Die Versuche, die Zelle mit der Macht zu zertrümmern. Die Erkenntnis des Scheiterns. Die Erkenntnis, dass nur die Unterwerfung am Ende Erlösung schenkte. Brechen. Über Tage, Wochen, Monate.

Wieder verschränkte der Agent die Arme hinter dem Rücken und wandte nun der Inquisitorin den Rücken zu. Die Leichtigkeit des Mannes schien nicht nur aus der Stimme, sondern auch aus dem gesamten Körper gewichen zu sein. Gemächlich ging er über den Gangway hin und betrachtete das glitzernde Sternenpanorama durch das Transparistahlfenster.
„Wenn ich bedenke, wie wenig Respekt Sie einem Vertreter des Geheimdienstes zollen…“, begann er während seines Ganges in Richtung des Fensters nachdenklich, bezugnehmend auf seinen provozierten Sturz vom Stuhl. Die Nachdenklichkeit vermutlich gespielt, zumindest aber nicht offenkundig genug, um sie als bloße Scharade demaskieren zu können.
„Vielleicht muss ich die Prozedur wiederholen lassen“, stellte er bedeutungsschwer in den Raum und nickte verlassen in den Weltraum hinaus, eine Frage an Reah und zugleich Aufforderung, getarnt als Feststellung. Nahm sie auf, was er ihr erzählte und akzeptierte es oder war der angesammelte Stolz, der Trotz größer als das Verlangen, fern von diesem Ort der Hölle aus ihrer Vergangenheit zu bleiben? Eine Wiederholung eines Alptraums, einer Qual, die an Grausamkeit nur wenig Spielraum ließ. Konnte er es überhaupt anordnen? Ein einfacher Agent war zu einer Rekonditionierung nicht befähigt, doch wenn er wirklich auf Geheiß des Ubiqtorats handelte, so war es durchaus denkbar, dass ihm jede im besonderen Waffenarsenal des Geheimdienstes verfügbare Maßnahme zur Verfügung stand.
„… sofern es Anlass dazu gibt“, erklang die Stimme nach kurzem Schweigen wieder, brachte einen Hinweis darauf, was der Mann jetzt von seinem Opfer erwartete, und gab aus dem Rücken ein seitwärtiges Kopfnicken als Zeichen für die Sturmtruppen. Zwei der weißgepanzerten Soldaten direkt neben Reah traten jeweils einen Schritt auf sie zu, so nah, dass ihre Körperpanzer die Kleidung der Inquisitorin bereits touchierten, bereit den weiblichen Körpers demütigend abzutasten, sofern notwendig. Der Offizier der Schattenlegion kam ein paar Schritte vor Reah zum Stehen. Er streckte ihr eine geöffnete Hand entgegen, während die andere auf dem Gürtel am Griff seines Vibroschwertes ruhte.
„Euer Schwert bitte, Ma‘am“, knackte die Stimme unter dem schwarzen Plastoid, höflich, aber doch bestimmt. Nicht enthusiastisch, nur professionell. War ihr Widerstand durch die Androhungen, durch die vielleicht wahren, vielleicht falschen Psychospiele des Agenten für den Moment erlahmt?
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