Die Macht der Rache, die Befriedigung der niedersten Gelüste, wog also weiter schwerer. Sedrael entschied sich, dass es keinen Sinn ergeben würde, die Äußerungen der Inquisitorin an dieser Stelle auszudiskutieren und ließ sie daher schlichtweg im Raum stehen. Sie waren erneut anmaßend und herabsetzend, doch Sedraels Ego konnten die Aussagen einer verwirrten Frau letztlich nicht verletzen. Dafür waren sie zu substanzlos, zu bemüht, hier eine Antwort herauszukratzen, die angreifen und niederdrücken sollte. Erfahrung? Nicht minder naiv war es, die Ermangelung dieser bar jeder Kenntnisse anzunehmen. In Anbetracht der Erscheinung der Inquisitorin zweifelte Sedrael nicht daran, etwa doppelt so lang diese Galaxis durchlebt zu haben wie die so erfahrene stürmische Frau, die sie wohl für ein kleines Mädchen hielt – aber hatte nicht die Hexe selbst vor kurzem erst erwähnt, sich von der Optik nicht blenden zu lassen? Nun, offenbar tat sie es mehr als sie zugab, wenn sie sich selbst als Herrin und die Sephi als ihren kleinen Welpen betrachtete. Sedrael kannte diese Phase. Es war – alles in allem – normal. Nahezu jeder Jedi-Jüngling ging irgendwann einmal durch sie, glaubte, selbst ganz besonders und zu mehr als jeder andere auserkoren zu sein, meinte, alte Weisheiten besser und genauer verstehen zu können als der alte Lehrmeister, einfach weil es so sein musste. Wer die Macht erst einmal spürte und lernte, in dem wuchs auch das Verlangen zu mehr – und ohne eine stetige Selbstkontrolle kam am Ende das heraus, als das sich Reah Nigidus hier zeigte: Als rebellierendes Kind, als pubertierender Machtnutzer, der eigentlich nie erwachsen geworden war und sich nur aufgrund der Änderungen und Abweichungen seines Körpers berauschen wollte. Auch im Tempel war das hin und wieder geschehen. Jünglinge mit mehr Potential fingen an, solche mit weniger daran aufzuziehen. Die Abgrenzung vom Anderen, vom Schwächeren war eine problematische, jedoch keineswegs kritische Phase der Jedi-Ausbildung gewesen, denn in aller Regel legte sich ein solches Verhalten irgendwann. Denn irgendwann wurde offenkundig, dass Synergieeffekte durch Kooperation weitaus mehr Macht bargen als das eigenständige Durchforsten der Macht. So sehr sich der Jedi-Orden im Verlauf seiner jüngeren Geschichte ins Negative verkehrt hatte, so sinnvoll waren andere seiner Lehren, die über jahrtausendealte Erfahrungen im Großen wie im Kleinen gemacht und gesammelt werden konnten. Das Einzige, was Sedrael aus den Aussagen der Inquisitorin hier also mitnehmen konnte, war eigentlich, dass diese überhaupt keine Erfahrung hatte – sondern eben nur Macht. Zu schnell, zu viel, als dass ein physischer Körper darüber Kontrolle hätte erlangen können und daher auch die üblichen Symptome zeigte, wie ein junger Padawan, der mit seiner Rolle und Position unzufrieden wurde oder von seinen Mächten schlichtweg übermannt wurde. Sedrael konnte sich nur schwer vorstellen, wie jemand ohne den unterstützenden Einfluss weiser Meister und verantwortungsvoller Lehrer diese Phase gesund überstehen würde. Insbesondere noch, falls das, was man der anderen Seite nachsagte auch wirklich zutraf – dass sie nämlich gezielt dies forcierte und die Meister nicht kontrollierend, sondern enthemmend einwirkten. Das war sehr gefährlich für die geistige Gesundheit jedes Lebewesens, da man mit Mächten hantierte, die einfach zu divers waren.
Und vielleicht war es noch immer dieser Gedanke, der sie hier hielt. Sie wollte der Frau, diesem mitleidigen Geschöpf einfach helfen. Nicht vereinnahmen, nicht konsumieren, nicht bekehren. Einfach nur dabei helfen, wieder zu dem zurückzufinden, was einmal gewesen, zurück in die Phase der Kontrolle über die eigene Identität, zurück in das Kindsein, bevor der Einfluss der endlosen Rage und Launenhaftigkeit nur noch Umrisse dieser Identität erkennen ließ. Dieser Punkt wiederum mochte naiv sein, war es vermutlich sogar. Aber es gab eigentlich auch keine ernste Alternative dazu. Die Frau richtete Leid an, sehr viel davon. Und es würde noch mehr werden, letztlich immer mehr, immer grausamer, da sie immer tiefer in die Spirale der Emotion herabfiel, bis sie irgendwann davon verzerrt würde. Denn jeder, der annähernd in der Historie bewandert war, musste wissen, worin dies am Schluss enden würde. Vielleicht nicht jetzt, vielleicht nicht morgen. Es spielte also keine Rolle, welche Macht die Inquisitorin glaubte zu haben. Er spielte nicht einmal eine Rolle, ob sie die Macht, die sie glaubte zu haben, auch tatsächlich besaß. Seufzend blickte sie der lachenden Frau hinterher, hinein in den Schlund, hinein in das mahlende Maul der Finsternis, das nicht nur Tiberius Vaash, sondern viel mehr die Inquisitorin selbst verschlang. Sedrael blieb in der Kantine. Was auch immer die Inquisitorin nun tun würde, es war deren Sache – und nicht ihre. Das sollte sie wissen. Sie konnte nur hoffen, dass der Wutanfall nicht zu schlimm ausfiel.
„An alle 35-12 an Bord: Code Chevron; an alle 35-12 an Bord: Code Chevron“, drang eine monotone Stimme aus den Lautsprechern des Schiffes. Wieder einmal eine von vielen Durchsagen, eine der vielen kryptischen Nachrichten, welche nur von denen verstanden würden, welche sie auch verstehen sollten. Der Sprecher gehörte offenkundig nicht dazu. Nichts auf den Fluren der Abaddon schien sich zu ändern, niemand schien sich angesprochen zu fühlen. Niemand verlangsamte seine Schritte, nur ein paar verstohlene Blicke, welche sich alsbald wieder trennten. Sedrael ignorierte die Durchsage, verstand sie vermutlich ohnehin weniger als jeder andere an Bord. Verlassen setzte sie sich wieder auf den Stuhl, den sie vorhin gegenüber von Admiral Vaash beansprucht hatte und wartete also ab. Kopfschmerzen nagten an ihr, länger schon, aber es schien nicht besser zu werden. Langsam schloss sie die Augen, legte ihr Gesicht in beide auf dem Tisch platzierten Hände und atmete ein paar Mal durch. Doch anstelle von Ruhe blitzte es vor ihren Augen wie in einem Gewitter, Dunkelheit umgarnt mit präzisem Kalkül, eine Liebschaft aus Machtbegabtheit und rationaler, analytischer weltlicher Stärke. Blendend rote Farbe verbaute ihr die Sicht wie ein flammend roter Stofffetzen, der immer mehr wie ihre Uniform und doch fremd aussah. In Sedraels Kopf pochte es wild, aber selbst massierende Bewegungen ihrer Hände an der Stirn schienen zu brennen. Ein Gefühl der Bedrohung, eine Mahnung der Vorsicht. Aber vor wem?
Irgendwann schreckte Sedrael auf. In ihrer Nähe passierte etwas. Sie fuhr hoch, plötzlich hellwach, so rasch, dass sie den Stuhl beim Aufstehen umriss und dieser lautstark auf dem Boden polterte. War es möglich? Die Macht hatte gerufen, gezielt ein Tor geöffnet und aufgezeigt. Irgendein Zeichen, was auch immer es bedeuten sollte. Langsam trat die Sephi an die Türe der Offiziersmesse heran, blickte vorsichtig hindurch und betrachtete die unwirkliche Welt vor ihr, die nur aus dumpfen Tönen zu bestehen schien. Tiberius Vaash lag regungslos am Boden, ihr Blick blieb stur auf den leblosen Offizier gerichtet. Irgendetwas war soeben geschehen. Sie realisierte gar nicht, dass die Inquisitorin ebenfalls noch dort stand, bis sie den Körper des alten Mannes anhob und ein Mal unvermittelt gegen die Durastahlwand hämmerte. Doch ihre morbide Spielpuppe fiel nur zu Boden, gab keine Regung von sich. Aus dem Gesicht des Mannes quoll sofort Blut hervor und rann über den Korridor. Mit geöffnetem Mund starrte Sedrael die Szenerie an, wie ihre eigenartige Gefährtin den Tod des Mannes in dieser Form schlichtweg nicht akzeptierte. Undeutliche Wörter der Inquisitorin drangen in die spitzen Ohren, kaum jedoch zu verstehen in all dem dumpfen Echo. Alles war surreal, dieser helle, blendende Schein, der den Korridor aus dem Nichts beschien, der jedoch immer schwächer wurde. Sedrael hob ihre Hand kurz, griff danach, griff nach der Hoffnung und der Stärke, die geschlummert hatte, doch es war nicht ihre. Sie ließ die Macht wirken, sog das Gefühl in sich auf, das wie eine angenehme Sonne ihre Haut wärmte. Nur kurz blieb dieser Augenblick, dieses Gefühl, doch genug, um davon zu kosten und sich daran zu erinnern, welch wohlige Brise es mit sich führte. Irgendein Mensch nahm den alten Offizier schließlich und warf ihn auf eine schwebende Trage. Binnen Sekunden waren zwei Sanitäter mit dem geschändeten Kadaver unterwegs und sprinteten damit um die nächste Ecke. Eine Einheit Sturmtruppen lief in klappernder Gefechtsausrüstung hinter einem schwarzgekleideten Offizier her, verlangsamte ihren Schritt kurz, als die Trage vorbeirauschte, dann setzten sie ihren unbestimmbaren Weg fort. Sedrael machte ein paar Schritte hinter der Tage her, blieb dann jedoch neben der Inquisitorin zunächst stehen, durchaus aber auf Abstand, distanzierter als sonst und doch nicht so abweisend, wie es nach der verrückten, brutalen Handlung gerade eben vielleicht sinnvoll gewesen wäre.
„Reah…“, sagte sie leise. Mehr nicht. Enttäuschung? Ja, vielleicht. Aber auch einfach ein Stück weit Fassungslosigkeit und Entsetzen, Verstehen und Erkennen einer Seite dieser Frau, die sich so noch nie offenbart hatte. Sie hatte Firrerre auslöschen lassen, ein Verbrechen, ein übler Genozid, für den sie sich eines Tages verantworten würde – und doch war Firrerre am Sterben gewesen, krank, unheilbar und dem Tode geweiht. Aber im reinen physischen Akt der Schändung eines bereits toten Körpers, ein Akt, der aus der unmittelbaren Nähe noch so viel brutaler wirkte als ein brennender Planet aus der Ferne tatsächlich jemals konnte, lag eine ungekannte Barbarei und ein völliges Zurücklassen jeder nur denkbaren Zivilisiertheit, dass es Sedrael in diesem Moment eiskalt den Rücken herunterlief. Sie machte einige weitere Schritte, betrachtete das Blutrinnsal auf dem Boden und wie es allmählich in einzelnen Tropfen verschwand, als der Körper auf die Trage gehievt worden war. Aber was änderte sich dadurch? Die Frau benötigte Hilfe, jetzt mehr denn je, und niemand hier an Bord, niemand, der an ihrer Ausbildung je mitgeholfen hatte, war hier, ihr beizustehen und diesen Anfall der finstersten und schwärzesten Abgründe menschlicher Seele einzuordnen. Was konnte sie dazu noch sagen? Jedes Wort schien in diesem Moment falsch zu sein. Jede Geste schien falsch zu sein.
Sie machte einen leichten Bogen um die versteinert wirkende Frau an der Wand, nicht mehr wie das Jungtier, das beim Muttertier Schutz suchte, sondern jetzt wie das, das vor dem Fremden auf Abstand ging. Ein paar Schritte vor dem kreuzenden Korridor blieb sie stehen, den Rücken zur einige Meter entfernten Inquisitorin gerichtet.
„Ich möchte bei Euch bleiben, doch ich weiß nicht, wie lange ich es aushalte, ohne daran zu scheitern, Reah“, sagte sie schließlich noch, ohne sich umzudrehen, und verschwand schließlich einige Sekunden später auch selbst um die Ecke. So folgte sie dem Gang weiter, fast so als wisse sie genau, wohin sie ging, vorbei an rasch laufenden Ärzten. Sie ignorierte, wie der gesamte Korridor plötzlich in rotes Licht getaucht wurde und eine Alarmsirene auf dem Schiff zu tönen begann. Sie ignorierte die Lautsprecherdurchsage, folgte dem Gang, bis sie durch eine doppelte Gleittüre in die Medi-Station eintrat.
„Blutung gestoppt.“
Der zerschundene Körper von Tiberius Vaash lag im Operationssaal der Station im Brückenturm der Abaddon. Über ihm waren mehrere Ärzte in hellen, ehemals weißen, aber inzwischen rotbefleckten Kitteln gebeugt. Gerade war der gespaltene Schädel des Mannes mithilfe einer Richtschiene in Position gerückt worden und der Blutausfluss an der schweren Kopfwunde gestoppt worden, doch das war kein echter Erfolg. Alle Blicke kamen zum gleichen Ergebnis. Der Offizier war nicht mehr wiederherzustellen. Das Herz hatte ausgesetzt und die Hirnaktivität brachte kaum Hoffnung darauf, dass der Körper noch einmal anspringen konnte. Es war fast als wollte der Körper einfach nicht mehr. Dennoch gaben die Mediziner ihr Möglichstes.
„Und los“, sagte die Chefärztin, drückte zwei moderne Defibrillatoren an seine nackte Brust und jagte einen Impuls durch den leblosen Körper des Admirals. Keine Reaktion. Der Körper zuckte lediglich durch den Stoß kurzzeitig nach oben. Die Ärztin atmete lautstark aus, als sammelte sie ihre eigene Kraft.
„Erhöhte Ladung. Los.“
Erneuter Schock, dieses Mal sichtbar stärker. Der Körper des Admirals sprang einige Zentimeter nach oben durch den Schlag. Keine Reaktion. Die Ärztin schüttelte den Kopf, während sie sich Blut aus der Vergrößerungsbrille wischte, das sich um den Operationstisch verteilt hatte. Sedrael betrachtete das Ganze still aus der Nähe, auf der anderen Seite des Tisches, nur ein paar Schritte von dem Körper entfernt. Die medizinische Einheit war erstaunlich gut ausgestattet. Und die Ausbildung stand dem Med-Korps im Jedi-Tempel tatsächlich in nichts nach, befand Sedrael. Niemand hatte die Sephi kontrolliert, als sie der Trage hier hinein gefolgt war. Niemand schien sich überhaupt für sie zu interessieren. Entweder verschaffte ihr diese bestimmte Uniform auf dem Schiff ungeahnte Möglichkeiten oder das gesamte Medi-Zentrum war derzeit so unter Stress durch das plötzliche Ableben des Offiziers, dass diesem sämtliche Aufmerksamkeit gewidmet wurde, selbst wenn es noch so aussichtslos schien.
„Noch einmal.“
Weitere Tropfen fielen auf den weißen Uniformstoff, saugten sich binnen weniger Sekunde jedoch hinein. Sedrael reagierte nicht, sondern betrachtete regungslos die gespenstischen Versuche der Menschen, auch wenn der alte Körper des Mannes ihnen nicht den Gefallen tat, auf ihre Versuche zu reagieren. Resignation machte sich breit.
„Hm“, machte Sedrael, etwas lauter als vielleicht beabsichtigt. „Ist es vorbei?“
Die Chefärztin sah nur kurz zu ihr hoch, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
„Wer zur Hölle ist das überhaupt?“, fragte sie währenddessen einen ihrer Assistenten. Schulterzucken. Der Grund ihrer Anwesenheit schien der Ärztin ebenso unerklärlich zu sein wie die Tatsache, dass sie überhaupt in diesen Operationssaal gelangen konnte.
„Antworten Sie einfach“, brummte Sedrael etwas energischer. Nach einem längeren Seufzen, das gezielt hörbar sein sollte, begann die Chefärztin die Situation zusammenzufassen.
„Das Herz bekämen wir mit genug Zeit wieder in Gang, aber eben nur mit genug Zeit, die wir nicht haben. Das Gehirn baut zu rasch ab. Selbst wenn wir den Körper maschinell stabilisieren, wird das Gehirn nicht mehr anspringen. Wir werden noch höhere Ladungen versuchen, aber…“
„Nein“, sagte Sedrael, während sie den scheinbar blasser werdenden Körper ansah.
„Nein? Was nein?“
„Höhere Ladungen verursachen jetzt nur noch katastrophale Aussetzer im Gehirn. Selbst wenn das irgendetwas bringt, trägt er massivste Dauerschäden davon. Und es wird nichts bringen.“
„Was Sie nicht sagen, Lady. Wollen Sie mir gerade Medizin erklären? Ich kenne mein Aurebesh. Es ist nur nicht so, dass wir eine Wahl haben. Lieber einen geistig Behinderten als einen Toten. Ich werde jede noch so geringe Chance nutzen.“
„Sie bleiben bei den ungefährlichen Ladungen.“
Fassungslos blickte die Ärztin ihre unterstellten Assistenten an. Allgemeine Verwirrung breitete sich aus. Einer der Männer fasste sich ratlos an die Stirn und preschte um den Tisch direkt neben Sedrael.
„Sind Sie eine Idiotin? Warum mischen Sie sich überhaupt in unsere Zuständigkeit ein? Ich muss protestieren.“
„Tun Sie einfach, was man Ihnen sagt. Ich glaube nicht, dass Sie das ISB verärgern wollen“, entgegnete Sedrael und erntete dafür kurz geweitete Augen der Ärzte. Der Mann schluckte. Die Sephi überkam ein sehr schlechtes Gefühl dabei, diese durchaus begabten und völlig vernünftig handelnden Menschen zu befehligen und ihnen den Glauben zu vermitteln, dass sie ihnen schaden könnte, wenn sie es wollte, aber es erschien ihr als die einzige Möglichkeit, zeitraubende Diskussionen für den Moment zu kappen. Und in all den schlechten Gefühlen derzeit ging dieses jetzt gerade beinahe unter. Was jedoch auch immer das ISB konkret sein mochte, es verbreitete offensichtlich Schrecken unter den eigenen Leuten.
„Wie Sie meinen. Ich werde bei der Autopsie vermerken, dass ihr ISB ihn auf dem Gewissen hat.“
„Bringen Sie das Herz extern zum Laufen. Was haben Sie denn dafür – einen HB-36G?“
Die Chefärztin schüttelte erneut den Kopf, schnaubte amüsiert. „In welcher Zeit lebt die denn?“, murmelte sie, während ihr ein chirurgisches Messer gereicht wurde, mit dem sie die Brust des Admirals teilte.
„Schmerzmitteldosis erhöhen“, fuhr die Ärztin fort, nur für den Fall, dass noch irgendein Schmerzrezeptor im Inneren funktionierte. Einer der Männer tupfte ihr den Schweiß von der Stirn. Leise knackte es, als die Frau den Brustkorb mit einem Laser durchstach. Es dauerte eine Weile, bis zwei Schläuche in das Innere des Körpers eingeführt wurden und zu vibrieren begannen, um das Herz künstlich zu stimulieren und schlagen zu lassen. Der Herzschlagmesser sprang an und deutete den einzig von der Maschine erzeugten Herzschlag im Körper des Admirals an.
„Und nun haben wir einen Hirntoten am Gerät. Haben Sie etwas anderes erwartet?“
„Eigentlich nicht“, entgegnete die Sephi und ignorierte den herablassenden Unterton in der Stimme, während sie das Gesicht des Admirals betrachtete, das zum Teil bandagiert war. Entstellt, verzerrt von der sterbenden Emotion, aber doch irgendwie noch immer erhaben. „Was macht der Schädel?“
„Fraktur. Eine Quetschung des Gehirns durch einen sehr harten Aufprall, aber das allein wäre kein Grund zur Sorge.“
Sedrael sammelte sich kurz und fasste mit Zeige- und Mittelfinger ihrer linken Hand an die blutige Stirn von Admiral Vaash. Sie ignorierte die Flüssigkeit menschlichen Bluts an ihren Fingern und konzentrierte sich auf den Kopf des alten Offiziers. Das Wallen des Bluts im Kopf des Mannes tobte durch ihre Gedanken, der zerbrochene Schädel kreischte im Zuge seiner Spaltung durch die brutale Kraft, mit der er gegen die Durastahlwand geschmettert worden war, klagte seinen Schmerz in einem wehklagenden Lied hinaus. Doch das Eigentliche, das Wertvolle lag erst dahinter, verborgen unter dem festen, zertrümmerten Knochenwerk. Die endlose Zahl an Synapsen, die zunehmend abstarben und auf den Körper nicht mehr reagierten. Sedrael begann zu keuchen. Das menschliche Gehirn war komplex, differenziert und wenn auch inzwischen gut erforscht, so dennoch in manchen Dingen immer noch ein Geheimnis. Hier jedoch war die Resonanz im Kopf des Mannes rasch zu interpretieren. Das Gehirn des Tiberius Vaash war am Sterben und keine Medizin hätte an diesem raschen Prozess noch etwas ändern können. Doch solange noch Regung dort war, war auch die Macht noch vorhanden, war der Pfeiler allen Lebens. Sedrael erinnerte sich an das Gefühl der Hoffnung und der Stärke, das sie vorhin wahrgenommen hatte. Es war das Aufflackern gewesen, das sie gegriffen hatte, das sie hatte greifen sollen. Einen Moment lang rutschte Sedraels Finger durch das glitschige Blut von der Stirn ab, doch griff sie erneut danach. Konzentriert gruben sich die weißen Finger in die Haut, ließen diese röten. Nur ein Impuls. Nur ein Mal an die Präsenz erinnern, die die Macht zeigte. Nur ein Mal gedankenlos, führungslos, frei sein. Das finden, das noch da war, das jedoch keine Maschine sehen oder messen konnte. Die Macht. Sie hatte es nicht gewollt, selbst wenn der Offizier sich danach gesehnt hatte. Nur die Macht diktierte Leben und Tod. Eine endlose Welle überschüttete die Jedi mit mannigfachen Emotionen, die über sie hereinbrachen, fremde, eigene, gegenwärtige, vergangene. Plötzlich bekam Sedrael keine Luft mehr. Vor ihrem inneren Auge explodierte etwas und ließ sie die endlose Sternenwand betrachten. Einen Moment lang glaubte Sedrael, tot zu sein, doch gedämpfte Stimmen erinnerten sie nach einem Augenblick an das Gegenteil. In ihren Ohren fiepte es lautstark und sie spürte unbeschreibliche Schmerzen in ihrem Brustkorb. Ihr Atem hallte in ihrem Inneren wider, Keuchen. Orientierungslos wankte sie in irgendeine Richtung und übergab sich beinahe bei dem Versuch, wieder Luft in ihre Lunge zu pumpen. Sie bemerkte, wie ihr ein stetiges Rinnsal an Schweiß über das Gesicht floss und die gesamte Uniform schweißgetränkt war. Immer noch sah sie nur helle Flecken vor ihren Augen und sackte vor dem Schmerz in ihrer Brust auf die Knie. Jemand packte ihre Arme, aber noch immer war alles unscharf. Schwarze Panzergestalten zogen sie auf ihre wackeligen Beine, jemand tastete ihren Körper auf der Suche nach Waffen ab. Rechts neben ihr schien ein rundes, schwarzes Objekt zu schweben, das näher zu kommen begann und bedrohliche Geräusche absonderte. Irgendetwas pikste in ihren Hals und Sedrael spürte das Toxin sofort.
„Wie amüsant“, sagte eine Frau mit tiefer Stimme zu einer anderen Person und die Sephi versuchte, ihren Kopf in die entsprechende Richtung zu drehen. Ein roter Stofffetzen baute sich in Sedraels Sicht auf. Flammend rot, die gesamte Uniform. Erbarmungslos empfing sie die Müdigkeit und ihr Kopf glitt wieder langsam nach unten. Auch ihre eigene Uniform war rot, blutrot jedoch, getränkt vom Blute des Tiberius Vaash und unklar ob aller Konsequenzen. Hatte es genügt? Sie versuchte noch den Namen des Mannes auf die Lippen zu bekommen, doch ihr Körper erschlaffte und es begann die Umarmung der Dunkelheit.
Und vielleicht war es noch immer dieser Gedanke, der sie hier hielt. Sie wollte der Frau, diesem mitleidigen Geschöpf einfach helfen. Nicht vereinnahmen, nicht konsumieren, nicht bekehren. Einfach nur dabei helfen, wieder zu dem zurückzufinden, was einmal gewesen, zurück in die Phase der Kontrolle über die eigene Identität, zurück in das Kindsein, bevor der Einfluss der endlosen Rage und Launenhaftigkeit nur noch Umrisse dieser Identität erkennen ließ. Dieser Punkt wiederum mochte naiv sein, war es vermutlich sogar. Aber es gab eigentlich auch keine ernste Alternative dazu. Die Frau richtete Leid an, sehr viel davon. Und es würde noch mehr werden, letztlich immer mehr, immer grausamer, da sie immer tiefer in die Spirale der Emotion herabfiel, bis sie irgendwann davon verzerrt würde. Denn jeder, der annähernd in der Historie bewandert war, musste wissen, worin dies am Schluss enden würde. Vielleicht nicht jetzt, vielleicht nicht morgen. Es spielte also keine Rolle, welche Macht die Inquisitorin glaubte zu haben. Er spielte nicht einmal eine Rolle, ob sie die Macht, die sie glaubte zu haben, auch tatsächlich besaß. Seufzend blickte sie der lachenden Frau hinterher, hinein in den Schlund, hinein in das mahlende Maul der Finsternis, das nicht nur Tiberius Vaash, sondern viel mehr die Inquisitorin selbst verschlang. Sedrael blieb in der Kantine. Was auch immer die Inquisitorin nun tun würde, es war deren Sache – und nicht ihre. Das sollte sie wissen. Sie konnte nur hoffen, dass der Wutanfall nicht zu schlimm ausfiel.
„An alle 35-12 an Bord: Code Chevron; an alle 35-12 an Bord: Code Chevron“, drang eine monotone Stimme aus den Lautsprechern des Schiffes. Wieder einmal eine von vielen Durchsagen, eine der vielen kryptischen Nachrichten, welche nur von denen verstanden würden, welche sie auch verstehen sollten. Der Sprecher gehörte offenkundig nicht dazu. Nichts auf den Fluren der Abaddon schien sich zu ändern, niemand schien sich angesprochen zu fühlen. Niemand verlangsamte seine Schritte, nur ein paar verstohlene Blicke, welche sich alsbald wieder trennten. Sedrael ignorierte die Durchsage, verstand sie vermutlich ohnehin weniger als jeder andere an Bord. Verlassen setzte sie sich wieder auf den Stuhl, den sie vorhin gegenüber von Admiral Vaash beansprucht hatte und wartete also ab. Kopfschmerzen nagten an ihr, länger schon, aber es schien nicht besser zu werden. Langsam schloss sie die Augen, legte ihr Gesicht in beide auf dem Tisch platzierten Hände und atmete ein paar Mal durch. Doch anstelle von Ruhe blitzte es vor ihren Augen wie in einem Gewitter, Dunkelheit umgarnt mit präzisem Kalkül, eine Liebschaft aus Machtbegabtheit und rationaler, analytischer weltlicher Stärke. Blendend rote Farbe verbaute ihr die Sicht wie ein flammend roter Stofffetzen, der immer mehr wie ihre Uniform und doch fremd aussah. In Sedraels Kopf pochte es wild, aber selbst massierende Bewegungen ihrer Hände an der Stirn schienen zu brennen. Ein Gefühl der Bedrohung, eine Mahnung der Vorsicht. Aber vor wem?
Irgendwann schreckte Sedrael auf. In ihrer Nähe passierte etwas. Sie fuhr hoch, plötzlich hellwach, so rasch, dass sie den Stuhl beim Aufstehen umriss und dieser lautstark auf dem Boden polterte. War es möglich? Die Macht hatte gerufen, gezielt ein Tor geöffnet und aufgezeigt. Irgendein Zeichen, was auch immer es bedeuten sollte. Langsam trat die Sephi an die Türe der Offiziersmesse heran, blickte vorsichtig hindurch und betrachtete die unwirkliche Welt vor ihr, die nur aus dumpfen Tönen zu bestehen schien. Tiberius Vaash lag regungslos am Boden, ihr Blick blieb stur auf den leblosen Offizier gerichtet. Irgendetwas war soeben geschehen. Sie realisierte gar nicht, dass die Inquisitorin ebenfalls noch dort stand, bis sie den Körper des alten Mannes anhob und ein Mal unvermittelt gegen die Durastahlwand hämmerte. Doch ihre morbide Spielpuppe fiel nur zu Boden, gab keine Regung von sich. Aus dem Gesicht des Mannes quoll sofort Blut hervor und rann über den Korridor. Mit geöffnetem Mund starrte Sedrael die Szenerie an, wie ihre eigenartige Gefährtin den Tod des Mannes in dieser Form schlichtweg nicht akzeptierte. Undeutliche Wörter der Inquisitorin drangen in die spitzen Ohren, kaum jedoch zu verstehen in all dem dumpfen Echo. Alles war surreal, dieser helle, blendende Schein, der den Korridor aus dem Nichts beschien, der jedoch immer schwächer wurde. Sedrael hob ihre Hand kurz, griff danach, griff nach der Hoffnung und der Stärke, die geschlummert hatte, doch es war nicht ihre. Sie ließ die Macht wirken, sog das Gefühl in sich auf, das wie eine angenehme Sonne ihre Haut wärmte. Nur kurz blieb dieser Augenblick, dieses Gefühl, doch genug, um davon zu kosten und sich daran zu erinnern, welch wohlige Brise es mit sich führte. Irgendein Mensch nahm den alten Offizier schließlich und warf ihn auf eine schwebende Trage. Binnen Sekunden waren zwei Sanitäter mit dem geschändeten Kadaver unterwegs und sprinteten damit um die nächste Ecke. Eine Einheit Sturmtruppen lief in klappernder Gefechtsausrüstung hinter einem schwarzgekleideten Offizier her, verlangsamte ihren Schritt kurz, als die Trage vorbeirauschte, dann setzten sie ihren unbestimmbaren Weg fort. Sedrael machte ein paar Schritte hinter der Tage her, blieb dann jedoch neben der Inquisitorin zunächst stehen, durchaus aber auf Abstand, distanzierter als sonst und doch nicht so abweisend, wie es nach der verrückten, brutalen Handlung gerade eben vielleicht sinnvoll gewesen wäre.
„Reah…“, sagte sie leise. Mehr nicht. Enttäuschung? Ja, vielleicht. Aber auch einfach ein Stück weit Fassungslosigkeit und Entsetzen, Verstehen und Erkennen einer Seite dieser Frau, die sich so noch nie offenbart hatte. Sie hatte Firrerre auslöschen lassen, ein Verbrechen, ein übler Genozid, für den sie sich eines Tages verantworten würde – und doch war Firrerre am Sterben gewesen, krank, unheilbar und dem Tode geweiht. Aber im reinen physischen Akt der Schändung eines bereits toten Körpers, ein Akt, der aus der unmittelbaren Nähe noch so viel brutaler wirkte als ein brennender Planet aus der Ferne tatsächlich jemals konnte, lag eine ungekannte Barbarei und ein völliges Zurücklassen jeder nur denkbaren Zivilisiertheit, dass es Sedrael in diesem Moment eiskalt den Rücken herunterlief. Sie machte einige weitere Schritte, betrachtete das Blutrinnsal auf dem Boden und wie es allmählich in einzelnen Tropfen verschwand, als der Körper auf die Trage gehievt worden war. Aber was änderte sich dadurch? Die Frau benötigte Hilfe, jetzt mehr denn je, und niemand hier an Bord, niemand, der an ihrer Ausbildung je mitgeholfen hatte, war hier, ihr beizustehen und diesen Anfall der finstersten und schwärzesten Abgründe menschlicher Seele einzuordnen. Was konnte sie dazu noch sagen? Jedes Wort schien in diesem Moment falsch zu sein. Jede Geste schien falsch zu sein.
Sie machte einen leichten Bogen um die versteinert wirkende Frau an der Wand, nicht mehr wie das Jungtier, das beim Muttertier Schutz suchte, sondern jetzt wie das, das vor dem Fremden auf Abstand ging. Ein paar Schritte vor dem kreuzenden Korridor blieb sie stehen, den Rücken zur einige Meter entfernten Inquisitorin gerichtet.
„Ich möchte bei Euch bleiben, doch ich weiß nicht, wie lange ich es aushalte, ohne daran zu scheitern, Reah“, sagte sie schließlich noch, ohne sich umzudrehen, und verschwand schließlich einige Sekunden später auch selbst um die Ecke. So folgte sie dem Gang weiter, fast so als wisse sie genau, wohin sie ging, vorbei an rasch laufenden Ärzten. Sie ignorierte, wie der gesamte Korridor plötzlich in rotes Licht getaucht wurde und eine Alarmsirene auf dem Schiff zu tönen begann. Sie ignorierte die Lautsprecherdurchsage, folgte dem Gang, bis sie durch eine doppelte Gleittüre in die Medi-Station eintrat.
„Blutung gestoppt.“
Der zerschundene Körper von Tiberius Vaash lag im Operationssaal der Station im Brückenturm der Abaddon. Über ihm waren mehrere Ärzte in hellen, ehemals weißen, aber inzwischen rotbefleckten Kitteln gebeugt. Gerade war der gespaltene Schädel des Mannes mithilfe einer Richtschiene in Position gerückt worden und der Blutausfluss an der schweren Kopfwunde gestoppt worden, doch das war kein echter Erfolg. Alle Blicke kamen zum gleichen Ergebnis. Der Offizier war nicht mehr wiederherzustellen. Das Herz hatte ausgesetzt und die Hirnaktivität brachte kaum Hoffnung darauf, dass der Körper noch einmal anspringen konnte. Es war fast als wollte der Körper einfach nicht mehr. Dennoch gaben die Mediziner ihr Möglichstes.
„Und los“, sagte die Chefärztin, drückte zwei moderne Defibrillatoren an seine nackte Brust und jagte einen Impuls durch den leblosen Körper des Admirals. Keine Reaktion. Der Körper zuckte lediglich durch den Stoß kurzzeitig nach oben. Die Ärztin atmete lautstark aus, als sammelte sie ihre eigene Kraft.
„Erhöhte Ladung. Los.“
Erneuter Schock, dieses Mal sichtbar stärker. Der Körper des Admirals sprang einige Zentimeter nach oben durch den Schlag. Keine Reaktion. Die Ärztin schüttelte den Kopf, während sie sich Blut aus der Vergrößerungsbrille wischte, das sich um den Operationstisch verteilt hatte. Sedrael betrachtete das Ganze still aus der Nähe, auf der anderen Seite des Tisches, nur ein paar Schritte von dem Körper entfernt. Die medizinische Einheit war erstaunlich gut ausgestattet. Und die Ausbildung stand dem Med-Korps im Jedi-Tempel tatsächlich in nichts nach, befand Sedrael. Niemand hatte die Sephi kontrolliert, als sie der Trage hier hinein gefolgt war. Niemand schien sich überhaupt für sie zu interessieren. Entweder verschaffte ihr diese bestimmte Uniform auf dem Schiff ungeahnte Möglichkeiten oder das gesamte Medi-Zentrum war derzeit so unter Stress durch das plötzliche Ableben des Offiziers, dass diesem sämtliche Aufmerksamkeit gewidmet wurde, selbst wenn es noch so aussichtslos schien.
„Noch einmal.“
Weitere Tropfen fielen auf den weißen Uniformstoff, saugten sich binnen weniger Sekunde jedoch hinein. Sedrael reagierte nicht, sondern betrachtete regungslos die gespenstischen Versuche der Menschen, auch wenn der alte Körper des Mannes ihnen nicht den Gefallen tat, auf ihre Versuche zu reagieren. Resignation machte sich breit.
„Hm“, machte Sedrael, etwas lauter als vielleicht beabsichtigt. „Ist es vorbei?“
Die Chefärztin sah nur kurz zu ihr hoch, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
„Wer zur Hölle ist das überhaupt?“, fragte sie währenddessen einen ihrer Assistenten. Schulterzucken. Der Grund ihrer Anwesenheit schien der Ärztin ebenso unerklärlich zu sein wie die Tatsache, dass sie überhaupt in diesen Operationssaal gelangen konnte.
„Antworten Sie einfach“, brummte Sedrael etwas energischer. Nach einem längeren Seufzen, das gezielt hörbar sein sollte, begann die Chefärztin die Situation zusammenzufassen.
„Das Herz bekämen wir mit genug Zeit wieder in Gang, aber eben nur mit genug Zeit, die wir nicht haben. Das Gehirn baut zu rasch ab. Selbst wenn wir den Körper maschinell stabilisieren, wird das Gehirn nicht mehr anspringen. Wir werden noch höhere Ladungen versuchen, aber…“
„Nein“, sagte Sedrael, während sie den scheinbar blasser werdenden Körper ansah.
„Nein? Was nein?“
„Höhere Ladungen verursachen jetzt nur noch katastrophale Aussetzer im Gehirn. Selbst wenn das irgendetwas bringt, trägt er massivste Dauerschäden davon. Und es wird nichts bringen.“
„Was Sie nicht sagen, Lady. Wollen Sie mir gerade Medizin erklären? Ich kenne mein Aurebesh. Es ist nur nicht so, dass wir eine Wahl haben. Lieber einen geistig Behinderten als einen Toten. Ich werde jede noch so geringe Chance nutzen.“
„Sie bleiben bei den ungefährlichen Ladungen.“
Fassungslos blickte die Ärztin ihre unterstellten Assistenten an. Allgemeine Verwirrung breitete sich aus. Einer der Männer fasste sich ratlos an die Stirn und preschte um den Tisch direkt neben Sedrael.
„Sind Sie eine Idiotin? Warum mischen Sie sich überhaupt in unsere Zuständigkeit ein? Ich muss protestieren.“
„Tun Sie einfach, was man Ihnen sagt. Ich glaube nicht, dass Sie das ISB verärgern wollen“, entgegnete Sedrael und erntete dafür kurz geweitete Augen der Ärzte. Der Mann schluckte. Die Sephi überkam ein sehr schlechtes Gefühl dabei, diese durchaus begabten und völlig vernünftig handelnden Menschen zu befehligen und ihnen den Glauben zu vermitteln, dass sie ihnen schaden könnte, wenn sie es wollte, aber es erschien ihr als die einzige Möglichkeit, zeitraubende Diskussionen für den Moment zu kappen. Und in all den schlechten Gefühlen derzeit ging dieses jetzt gerade beinahe unter. Was jedoch auch immer das ISB konkret sein mochte, es verbreitete offensichtlich Schrecken unter den eigenen Leuten.
„Wie Sie meinen. Ich werde bei der Autopsie vermerken, dass ihr ISB ihn auf dem Gewissen hat.“
„Bringen Sie das Herz extern zum Laufen. Was haben Sie denn dafür – einen HB-36G?“
Die Chefärztin schüttelte erneut den Kopf, schnaubte amüsiert. „In welcher Zeit lebt die denn?“, murmelte sie, während ihr ein chirurgisches Messer gereicht wurde, mit dem sie die Brust des Admirals teilte.
„Schmerzmitteldosis erhöhen“, fuhr die Ärztin fort, nur für den Fall, dass noch irgendein Schmerzrezeptor im Inneren funktionierte. Einer der Männer tupfte ihr den Schweiß von der Stirn. Leise knackte es, als die Frau den Brustkorb mit einem Laser durchstach. Es dauerte eine Weile, bis zwei Schläuche in das Innere des Körpers eingeführt wurden und zu vibrieren begannen, um das Herz künstlich zu stimulieren und schlagen zu lassen. Der Herzschlagmesser sprang an und deutete den einzig von der Maschine erzeugten Herzschlag im Körper des Admirals an.
„Und nun haben wir einen Hirntoten am Gerät. Haben Sie etwas anderes erwartet?“
„Eigentlich nicht“, entgegnete die Sephi und ignorierte den herablassenden Unterton in der Stimme, während sie das Gesicht des Admirals betrachtete, das zum Teil bandagiert war. Entstellt, verzerrt von der sterbenden Emotion, aber doch irgendwie noch immer erhaben. „Was macht der Schädel?“
„Fraktur. Eine Quetschung des Gehirns durch einen sehr harten Aufprall, aber das allein wäre kein Grund zur Sorge.“
Sedrael sammelte sich kurz und fasste mit Zeige- und Mittelfinger ihrer linken Hand an die blutige Stirn von Admiral Vaash. Sie ignorierte die Flüssigkeit menschlichen Bluts an ihren Fingern und konzentrierte sich auf den Kopf des alten Offiziers. Das Wallen des Bluts im Kopf des Mannes tobte durch ihre Gedanken, der zerbrochene Schädel kreischte im Zuge seiner Spaltung durch die brutale Kraft, mit der er gegen die Durastahlwand geschmettert worden war, klagte seinen Schmerz in einem wehklagenden Lied hinaus. Doch das Eigentliche, das Wertvolle lag erst dahinter, verborgen unter dem festen, zertrümmerten Knochenwerk. Die endlose Zahl an Synapsen, die zunehmend abstarben und auf den Körper nicht mehr reagierten. Sedrael begann zu keuchen. Das menschliche Gehirn war komplex, differenziert und wenn auch inzwischen gut erforscht, so dennoch in manchen Dingen immer noch ein Geheimnis. Hier jedoch war die Resonanz im Kopf des Mannes rasch zu interpretieren. Das Gehirn des Tiberius Vaash war am Sterben und keine Medizin hätte an diesem raschen Prozess noch etwas ändern können. Doch solange noch Regung dort war, war auch die Macht noch vorhanden, war der Pfeiler allen Lebens. Sedrael erinnerte sich an das Gefühl der Hoffnung und der Stärke, das sie vorhin wahrgenommen hatte. Es war das Aufflackern gewesen, das sie gegriffen hatte, das sie hatte greifen sollen. Einen Moment lang rutschte Sedraels Finger durch das glitschige Blut von der Stirn ab, doch griff sie erneut danach. Konzentriert gruben sich die weißen Finger in die Haut, ließen diese röten. Nur ein Impuls. Nur ein Mal an die Präsenz erinnern, die die Macht zeigte. Nur ein Mal gedankenlos, führungslos, frei sein. Das finden, das noch da war, das jedoch keine Maschine sehen oder messen konnte. Die Macht. Sie hatte es nicht gewollt, selbst wenn der Offizier sich danach gesehnt hatte. Nur die Macht diktierte Leben und Tod. Eine endlose Welle überschüttete die Jedi mit mannigfachen Emotionen, die über sie hereinbrachen, fremde, eigene, gegenwärtige, vergangene. Plötzlich bekam Sedrael keine Luft mehr. Vor ihrem inneren Auge explodierte etwas und ließ sie die endlose Sternenwand betrachten. Einen Moment lang glaubte Sedrael, tot zu sein, doch gedämpfte Stimmen erinnerten sie nach einem Augenblick an das Gegenteil. In ihren Ohren fiepte es lautstark und sie spürte unbeschreibliche Schmerzen in ihrem Brustkorb. Ihr Atem hallte in ihrem Inneren wider, Keuchen. Orientierungslos wankte sie in irgendeine Richtung und übergab sich beinahe bei dem Versuch, wieder Luft in ihre Lunge zu pumpen. Sie bemerkte, wie ihr ein stetiges Rinnsal an Schweiß über das Gesicht floss und die gesamte Uniform schweißgetränkt war. Immer noch sah sie nur helle Flecken vor ihren Augen und sackte vor dem Schmerz in ihrer Brust auf die Knie. Jemand packte ihre Arme, aber noch immer war alles unscharf. Schwarze Panzergestalten zogen sie auf ihre wackeligen Beine, jemand tastete ihren Körper auf der Suche nach Waffen ab. Rechts neben ihr schien ein rundes, schwarzes Objekt zu schweben, das näher zu kommen begann und bedrohliche Geräusche absonderte. Irgendetwas pikste in ihren Hals und Sedrael spürte das Toxin sofort.
„Wie amüsant“, sagte eine Frau mit tiefer Stimme zu einer anderen Person und die Sephi versuchte, ihren Kopf in die entsprechende Richtung zu drehen. Ein roter Stofffetzen baute sich in Sedraels Sicht auf. Flammend rot, die gesamte Uniform. Erbarmungslos empfing sie die Müdigkeit und ihr Kopf glitt wieder langsam nach unten. Auch ihre eigene Uniform war rot, blutrot jedoch, getränkt vom Blute des Tiberius Vaash und unklar ob aller Konsequenzen. Hatte es genügt? Sie versuchte noch den Namen des Mannes auf die Lippen zu bekommen, doch ihr Körper erschlaffte und es begann die Umarmung der Dunkelheit.