Finstere Schwaden begleiteten des Mannes Gedanken. Unter der Oberfläche brodelte das teerartige Moor, ein Schmerz, der Bahnen suchte und Blutkanäle vergiftete. Es war entfernt, weit weg, aber nicht so weit, dass Augen nur Umrisse sehen und Ohren nur leises Pochen vernehmen konnten. Spürbar. Fühlbar. Vor ihnen, zwischen ihnen. Das bittere Labsal der Trauer und der Reue. Verlust. Tod. Nein, Tode. Viele, sehr viele. Und der vergrabene Wille, es vielleicht irgendwie verhindern hätten zu können. Die Macht flüsterte, schmiegte sich an Sedraels Gedanken wie der Wind an das fallende Herbstlaub. Er hatte das Sterben und die hässliche Fratze der Massengräber gesehen. Wie sie. Und diese endlose, quälende Frage nach dem Warum, nach dem Sinn all dieses destruktiven Irrsinns, der über sie hereinbrach und noch immer keine Aussicht auf rasche Besserung versprach. Sedrael fasste mit ihrer Rechten kurz an die linke Brusttasche ihrer weißen Uniformjacke und befühlte den Stein von Firrerre. Sie sollte ihn nicht kennen? Er hatte keine Ahnung. Niemand hier auf diesem Schiff kannte ihn gerade besser als sie. Er wusste es nur nicht. Gedankenversunken starrte sie ihr Tablett vor sich an und ließ seine Worte in der Macht verhallen.
Sie reagierte nicht. Und er schien es zu akzeptieren.
Ihr neuer Deckname wurde als eigentümlich befunden. Vermutlich war er das auch. Und dennoch war er so gut wie jeder andere.
„Nur der Name für eines vieler Gesichter, von denen einige seltsamer sind als andere“, entgegnete sie, während sie ein Mal blinzelte und stur weiter ihr Tablett mit dem Teller und dem Glas betrachtete. Oder war es der Name Tiberius Vaash etwa nicht? Nach menschlichem und generell weit verbreitetem Gebrauch geteilt in einen Vornamen, der einer Person völlig willkürlich bei der Geburt gegeben war, ohne Bezug, ohne Ankerpunkt zu dieser Person, rein unterworfen einem bloßen Geschmack der eigenen Eltern und zumeist schon gewählt, ehe das Kind überhaupt das erste Licht einer Sonne erblickt hatte. Und schließlich in einen Nachnamen, vererbt, nur aus der Geschichte, häufig aus einem reinen Zufall heraus gebildet, für den man aber nie etwas getan hatte, um ihn sich wirklich zu verdienen. Das sollte beschreiben, wer die Person, wer dieses Individuum war? War das nicht eigentlich weitaus seltsamer als ein bloßer Deckname, der – wie in „Maledice“ – zumindest offenkundig als ein solcher zu erkennen war? Und auch „Sedrael“ war nicht viel mehr als das, sinniger, weil passender vielleicht, und dennoch nur ihr Rufname, ganz nach Firrerreo-Tradition, um ihren wahren Namen vor dem Missbrauch anderer zu schützen und die Kontrolle über ihn zu erhalten. Was aus Sicht anderer Kulturen vermutlich wieder seltsam genug war.
Als der Mann das Sicherheitsbüro erwähnte, hoben sich ihre Pupillen von dem Tablett an, nur jedoch in der Höhe, nicht so, dass sie zu ihm herübersah, sondern jetzt die kalte, graue Metallwand anblickte. Wie sollte sie dazu etwas sagen? Sie wusste nicht einmal, was dieses Sicherheitsbüro überhaupt war. Ihr Gesicht schien erneut zu schimmern, als sie sich mehrere Sekunden Zeit mit ihrer Reaktion ließ. Vielleicht war es auch besser so, nichts darüber zu wissen, um auch nicht in Versuchung zu geraten, ein Gespräch darüber anzunehmen und ihre offenkundige Inkompetenz zu zeigen. Sie ließ seine Frage wirken, vielleicht auch, um ihm selbst kurz Gelegenheit zu geben, seine letzten Anmerkungen noch einmal Revue passieren zu lassen.
„Sie sind irritiert“, war dann ihre trockene Antwort. Aber was war das? Ein beinahe kindliches, triumphierendes Schmunzeln in ihrem Gesicht? Er war so bemüht, es nicht… direkt zu zeigen, es abzustreiten – und doch war es so offensichtlich. Er wollte es nicht zugeben, weil es aus seiner Sicht Schwäche war. Doch sie brauchte ihn nicht einmal ansehen. Wie er sie musterte, wie er sie befragte. Seine sanften, angenehmen Wogen der Neugier und der Überraschtheit, die als kleine Wellen an ihrem Bewusstsein angespült wurden. Militärs ersuchten stetige Kontrolle über ihre und Ordnung in ihrer Umgebung. Nur ein kleiner, unerwarteter Stoß konnte diese sorgfältige Ordnung zum Einsturz bringen und die Programmierung der Drohne zu einer Fehlermeldung nötigen, um das wertvollere Individuum wieder zum Vorschein zu bringen.
„Nur keine Mühe“, fuhr sie ohne jeden Vorwurf in der Stimme fort. „Sie sind nicht der Erste, den ich hier zu irritieren scheine.“
Das stimmte, war allerdings offenkundig bislang aus anderen Gründen geschehen als nun bei diesem Menschen hier. Was eigenartig erschien, denn egal, wie und was sie nun war, es schien stets in irgendeiner Form anzuecken. Die Irritation hier war weniger feindselig als die anderer Personen, ja eigentlich gar nicht feindselig. Der Mann schien verwirrt, aber ihre Anwesenheit schien ihn nicht umgehend zu beleidigen wie bei anderen Menschen. Hier handelte es sich lediglich um Unkenntnis, zweifellos entschuldbar, wenn auch durchzogen von der manchen Menschen eigenen Anmaßung, ihre Spezies als Zentrum der Galaxis zu betrachten und zu übersehen, dass andere Spezies… anders funktionierten – länger lebten, kürzer lebten, anders lebten. Als zahlenmäßig dominante Spezies in der Galaxis neigten Menschen schon immer tendenziell dazu, Dinge in ihre eigenen Schemata pressen zu wollen. Wahrscheinlich in den meisten Fällen, wie auch hier, wie sie vermutete, ohne böse Absicht, dennoch offenbarte es eine bestimmte unbewusste Denkweise.
„Alt genug, um Staaten fallen und entstehen gesehen zu haben. So wie Sie.“
Dann aber passierte etwas Eigenartiges. Rätselhafte Schlieren bildeten sich vor Sedraels Augen, als Pein die Macht durchfloss und in ihre Synapsen stach. Eine plötzliche Mahnung zur Vorsicht. Sekundenbruchteile verschwammen in der Ewigkeit der Macht. Die Sephi hatte bislang es vermieden, den Offizier Vaash direkt anzusehen, aber die tumultartigen Schmerzen, die schlagartig aufkamen, ließen sie ihren Kopf seitwärts schwenken, nur einen kleinen Moment, ehe der Becher die Hand des Mannes verließ und in Zeitlupe in Richtung des Bodens sank. Wie in einem Reflex griffen ihre Gedanken nach dem langsam herabstürzenden Objekt, bereit den Sturz so verhindern, wenn auch vielleicht nicht mehr in der Güte wie sie es früher einmal gekonnt hatte. Doch es geschah nichts. Sedrael ließ das Objekt weiter fallen, ohne es in den kontrollierten Sog der Macht zu bringen, bis es klirrend am Boden zerschellte. Vermutlich hätte sie es trotz fehlender Übung noch rechtzeitig gelingen können, aber sie konnte nicht. Durfte nicht. Die Inquisitorin war sehr klar darin gewesen, dass sie versuchen sollte sich anzupassen, nicht in Besonderem hervorzustechen – so das nach ihrer Optik indes überhaupt möglich schien – und ihre Rolle zu spielen. Dass die Frau ihr diese Identität verschafft hatte, konnte nur bedeuten, dass sie nicht zeigen sollte, wer… und vor allem was sie war. Wenig wäre nun auffälliger gewesen als wenn sie das Zerbersten verhindert hätte. Innerlich seufzte sie, während ihre Gedanken durch den Kopf rasten. Noch während die Scherben den Boden berührten, hob sie ihre blauen Augen zu dem hünenhaften Mann neben ihr an, der apathisch ins Nichts starrte. Gläserne Erinnerung blitzte vor ihm auf. Das Bild endlosen Vakuums, brennenden Stahls. Ein Planet, grau, verschmutzt und durchsetzt von finsteren Wolken zu hoher Fabriken. Schreie junger Männer, als Stahlkolosse gleichsam in Scherben zerbarsten und endlose Körper mit sich in den Abgrund des Alls zogen. Ein Bild der Vernichtung und ja, der Niederlage. Und mitten in ihm, eingerahmt vom Blut grau uniformierter Männer stand der alte Mann, hilflos und gebrochen.
„Ruhig“, flüsterte ihre melodische Stimme, während sie sich dem Mann ein wenig näherte, der gerade seine Augen schloss. Als Heilerin hatte sie nie wirkliche Berührungsängste haben können und so kostete es sie auch keine Überwindung, ihre Hände von dem Tablett zu nehmen, um eine davon auszustrecken und etwa zwischen seinen Schulterblättern zu platzieren. Unterschwellige Wärme breitete sich von ihrer Hand über seinen Rücken aus. Ein sanfter Druck nur, der an seinem Rücken genügte, um den Mann ein paar Schritte seitwärts zu führen, an den bestuhlten Tisch in ihrer unmittelbaren Nähe heran. Mit der freien Hand schob sie den nächsten Stuhl ein Stück weit zurück, dann wieder ein leichter Druck, diesmal, um den Offizier zum Setzen zu bewegen. Es war nicht nur eine Erinnerung, es war mehr. Viel mehr. Ein Trauma. Strenge Hierarchien wie ein Militär sorgten sich in der Regel gut um die physische Gesundheit ihrer Diener, eine einfachere, oberflächliche Behandlung offenkundiger Verletzungen im Kriege, die mit den medizinischen Möglichkeiten zumeist leicht zu erkennen und zu behandeln waren – und übersahen dabei, dass andere Verletzungen weitaus langwieriger verheilten und anderer Methoden bedurften. Doch solche Verletzungen wurden häufig verschwiegen, gerade auch vom Patienten selbst. Denn wer am Geist verletzt wurde, galt als schwach. Und Schwäche war nicht akzeptabel, weder für einen selbst noch für den, dem man diente. Eine Frage des Stolzes, der Scham. Doch in solchem Zustand stellten diese Personen eine Gefahr für sich und andere dar, wenn nur eine einzige Frage, ein einziges Wort genügen konnte, sie außer Gefecht zu setzen.
„Nur weil sie nicht sichtbar sind, macht das seelische Wunden nicht weniger real als körperliche“, sagte sie, ehe sie ihre Hand von seinem Rücken nahm, um die paar Schritte zurück zur Ausgabe zu machen und ihr noch unbenutztes Sprudelglas zu greifen. Sie stellte es vor ihm auf dem Tisch ab.
„Doch anders als bei körperlichen Verletzungen wissen viele mit ihnen nicht umzugehen. Schweigen scheint ihnen der Weg zu sein. Aber im Schweigen liegt keine Stärke.“
Ein Appell an seinen Stolz, oder das, was Soldaten üblicherweise dafür hielten. Schweigen konnte jeder. Einen Makel verschweigen war leicht. Tatsächlich erforderte es Stärke, ihn zu akzeptieren und zu ihm zu stehen. Seelische Verletzungen heilten nicht einfach so, sie brannten sich ein, hinterließen Narben, die nie ganz verblassen würden. Doch man konnte lernen, mit ihnen zu leben und sie zu akzeptieren. Wer das nicht konnte, verging irgendwann in ihnen. Häufig genug stand nur der eigene Stolz im Weg.
Sedrael zog sich einen anderen Stuhl heran, drehte diesen ein Mal, so dass die Lehne voraus war und setzte sich ihm gegenüber. Sie lehnte sich vor und legte ihre beiden Arme übereinander auf der Stuhllehne ab.
„Sie müssen sprechen, irgendwann. Sonst wird es Sie verzehren. Vielleicht langsamer, vielleicht schneller.“
Selbst in ihrer kurzen Zeit im Orden zu Beginn der Klonkriege hatte sie solche Erfahrungen machen müssen. Nicht sie selbst, nicht direkt, doch die Reaktionen anderer auf den Krieg waren selbst für Heiler nicht immer leicht ertragen. Zivilisten wie Militärs. Republikaner wie Separatisten. Die meisten lebenden Wesen waren dafür schlichtweg nicht gemacht, selbst wenn es irgendwann zu ihrem Handwerk wurde. Es veränderte sie, prägte sie. Manche verkrafteten es nicht, nie. Wahnsinn. Suizid. Es war frustrierend. Und nun tobte erneut ein Krieg. Selbst wenn viele Jahre vergangen waren, so würde auch dieser hier nur wieder die übelsten Fratzen aller Wesen hervorbringen und stärken.
Sie reagierte nicht. Und er schien es zu akzeptieren.
Ihr neuer Deckname wurde als eigentümlich befunden. Vermutlich war er das auch. Und dennoch war er so gut wie jeder andere.
„Nur der Name für eines vieler Gesichter, von denen einige seltsamer sind als andere“, entgegnete sie, während sie ein Mal blinzelte und stur weiter ihr Tablett mit dem Teller und dem Glas betrachtete. Oder war es der Name Tiberius Vaash etwa nicht? Nach menschlichem und generell weit verbreitetem Gebrauch geteilt in einen Vornamen, der einer Person völlig willkürlich bei der Geburt gegeben war, ohne Bezug, ohne Ankerpunkt zu dieser Person, rein unterworfen einem bloßen Geschmack der eigenen Eltern und zumeist schon gewählt, ehe das Kind überhaupt das erste Licht einer Sonne erblickt hatte. Und schließlich in einen Nachnamen, vererbt, nur aus der Geschichte, häufig aus einem reinen Zufall heraus gebildet, für den man aber nie etwas getan hatte, um ihn sich wirklich zu verdienen. Das sollte beschreiben, wer die Person, wer dieses Individuum war? War das nicht eigentlich weitaus seltsamer als ein bloßer Deckname, der – wie in „Maledice“ – zumindest offenkundig als ein solcher zu erkennen war? Und auch „Sedrael“ war nicht viel mehr als das, sinniger, weil passender vielleicht, und dennoch nur ihr Rufname, ganz nach Firrerreo-Tradition, um ihren wahren Namen vor dem Missbrauch anderer zu schützen und die Kontrolle über ihn zu erhalten. Was aus Sicht anderer Kulturen vermutlich wieder seltsam genug war.
Als der Mann das Sicherheitsbüro erwähnte, hoben sich ihre Pupillen von dem Tablett an, nur jedoch in der Höhe, nicht so, dass sie zu ihm herübersah, sondern jetzt die kalte, graue Metallwand anblickte. Wie sollte sie dazu etwas sagen? Sie wusste nicht einmal, was dieses Sicherheitsbüro überhaupt war. Ihr Gesicht schien erneut zu schimmern, als sie sich mehrere Sekunden Zeit mit ihrer Reaktion ließ. Vielleicht war es auch besser so, nichts darüber zu wissen, um auch nicht in Versuchung zu geraten, ein Gespräch darüber anzunehmen und ihre offenkundige Inkompetenz zu zeigen. Sie ließ seine Frage wirken, vielleicht auch, um ihm selbst kurz Gelegenheit zu geben, seine letzten Anmerkungen noch einmal Revue passieren zu lassen.
„Sie sind irritiert“, war dann ihre trockene Antwort. Aber was war das? Ein beinahe kindliches, triumphierendes Schmunzeln in ihrem Gesicht? Er war so bemüht, es nicht… direkt zu zeigen, es abzustreiten – und doch war es so offensichtlich. Er wollte es nicht zugeben, weil es aus seiner Sicht Schwäche war. Doch sie brauchte ihn nicht einmal ansehen. Wie er sie musterte, wie er sie befragte. Seine sanften, angenehmen Wogen der Neugier und der Überraschtheit, die als kleine Wellen an ihrem Bewusstsein angespült wurden. Militärs ersuchten stetige Kontrolle über ihre und Ordnung in ihrer Umgebung. Nur ein kleiner, unerwarteter Stoß konnte diese sorgfältige Ordnung zum Einsturz bringen und die Programmierung der Drohne zu einer Fehlermeldung nötigen, um das wertvollere Individuum wieder zum Vorschein zu bringen.
„Nur keine Mühe“, fuhr sie ohne jeden Vorwurf in der Stimme fort. „Sie sind nicht der Erste, den ich hier zu irritieren scheine.“
Das stimmte, war allerdings offenkundig bislang aus anderen Gründen geschehen als nun bei diesem Menschen hier. Was eigenartig erschien, denn egal, wie und was sie nun war, es schien stets in irgendeiner Form anzuecken. Die Irritation hier war weniger feindselig als die anderer Personen, ja eigentlich gar nicht feindselig. Der Mann schien verwirrt, aber ihre Anwesenheit schien ihn nicht umgehend zu beleidigen wie bei anderen Menschen. Hier handelte es sich lediglich um Unkenntnis, zweifellos entschuldbar, wenn auch durchzogen von der manchen Menschen eigenen Anmaßung, ihre Spezies als Zentrum der Galaxis zu betrachten und zu übersehen, dass andere Spezies… anders funktionierten – länger lebten, kürzer lebten, anders lebten. Als zahlenmäßig dominante Spezies in der Galaxis neigten Menschen schon immer tendenziell dazu, Dinge in ihre eigenen Schemata pressen zu wollen. Wahrscheinlich in den meisten Fällen, wie auch hier, wie sie vermutete, ohne böse Absicht, dennoch offenbarte es eine bestimmte unbewusste Denkweise.
„Alt genug, um Staaten fallen und entstehen gesehen zu haben. So wie Sie.“
Dann aber passierte etwas Eigenartiges. Rätselhafte Schlieren bildeten sich vor Sedraels Augen, als Pein die Macht durchfloss und in ihre Synapsen stach. Eine plötzliche Mahnung zur Vorsicht. Sekundenbruchteile verschwammen in der Ewigkeit der Macht. Die Sephi hatte bislang es vermieden, den Offizier Vaash direkt anzusehen, aber die tumultartigen Schmerzen, die schlagartig aufkamen, ließen sie ihren Kopf seitwärts schwenken, nur einen kleinen Moment, ehe der Becher die Hand des Mannes verließ und in Zeitlupe in Richtung des Bodens sank. Wie in einem Reflex griffen ihre Gedanken nach dem langsam herabstürzenden Objekt, bereit den Sturz so verhindern, wenn auch vielleicht nicht mehr in der Güte wie sie es früher einmal gekonnt hatte. Doch es geschah nichts. Sedrael ließ das Objekt weiter fallen, ohne es in den kontrollierten Sog der Macht zu bringen, bis es klirrend am Boden zerschellte. Vermutlich hätte sie es trotz fehlender Übung noch rechtzeitig gelingen können, aber sie konnte nicht. Durfte nicht. Die Inquisitorin war sehr klar darin gewesen, dass sie versuchen sollte sich anzupassen, nicht in Besonderem hervorzustechen – so das nach ihrer Optik indes überhaupt möglich schien – und ihre Rolle zu spielen. Dass die Frau ihr diese Identität verschafft hatte, konnte nur bedeuten, dass sie nicht zeigen sollte, wer… und vor allem was sie war. Wenig wäre nun auffälliger gewesen als wenn sie das Zerbersten verhindert hätte. Innerlich seufzte sie, während ihre Gedanken durch den Kopf rasten. Noch während die Scherben den Boden berührten, hob sie ihre blauen Augen zu dem hünenhaften Mann neben ihr an, der apathisch ins Nichts starrte. Gläserne Erinnerung blitzte vor ihm auf. Das Bild endlosen Vakuums, brennenden Stahls. Ein Planet, grau, verschmutzt und durchsetzt von finsteren Wolken zu hoher Fabriken. Schreie junger Männer, als Stahlkolosse gleichsam in Scherben zerbarsten und endlose Körper mit sich in den Abgrund des Alls zogen. Ein Bild der Vernichtung und ja, der Niederlage. Und mitten in ihm, eingerahmt vom Blut grau uniformierter Männer stand der alte Mann, hilflos und gebrochen.
„Ruhig“, flüsterte ihre melodische Stimme, während sie sich dem Mann ein wenig näherte, der gerade seine Augen schloss. Als Heilerin hatte sie nie wirkliche Berührungsängste haben können und so kostete es sie auch keine Überwindung, ihre Hände von dem Tablett zu nehmen, um eine davon auszustrecken und etwa zwischen seinen Schulterblättern zu platzieren. Unterschwellige Wärme breitete sich von ihrer Hand über seinen Rücken aus. Ein sanfter Druck nur, der an seinem Rücken genügte, um den Mann ein paar Schritte seitwärts zu führen, an den bestuhlten Tisch in ihrer unmittelbaren Nähe heran. Mit der freien Hand schob sie den nächsten Stuhl ein Stück weit zurück, dann wieder ein leichter Druck, diesmal, um den Offizier zum Setzen zu bewegen. Es war nicht nur eine Erinnerung, es war mehr. Viel mehr. Ein Trauma. Strenge Hierarchien wie ein Militär sorgten sich in der Regel gut um die physische Gesundheit ihrer Diener, eine einfachere, oberflächliche Behandlung offenkundiger Verletzungen im Kriege, die mit den medizinischen Möglichkeiten zumeist leicht zu erkennen und zu behandeln waren – und übersahen dabei, dass andere Verletzungen weitaus langwieriger verheilten und anderer Methoden bedurften. Doch solche Verletzungen wurden häufig verschwiegen, gerade auch vom Patienten selbst. Denn wer am Geist verletzt wurde, galt als schwach. Und Schwäche war nicht akzeptabel, weder für einen selbst noch für den, dem man diente. Eine Frage des Stolzes, der Scham. Doch in solchem Zustand stellten diese Personen eine Gefahr für sich und andere dar, wenn nur eine einzige Frage, ein einziges Wort genügen konnte, sie außer Gefecht zu setzen.
„Nur weil sie nicht sichtbar sind, macht das seelische Wunden nicht weniger real als körperliche“, sagte sie, ehe sie ihre Hand von seinem Rücken nahm, um die paar Schritte zurück zur Ausgabe zu machen und ihr noch unbenutztes Sprudelglas zu greifen. Sie stellte es vor ihm auf dem Tisch ab.
„Doch anders als bei körperlichen Verletzungen wissen viele mit ihnen nicht umzugehen. Schweigen scheint ihnen der Weg zu sein. Aber im Schweigen liegt keine Stärke.“
Ein Appell an seinen Stolz, oder das, was Soldaten üblicherweise dafür hielten. Schweigen konnte jeder. Einen Makel verschweigen war leicht. Tatsächlich erforderte es Stärke, ihn zu akzeptieren und zu ihm zu stehen. Seelische Verletzungen heilten nicht einfach so, sie brannten sich ein, hinterließen Narben, die nie ganz verblassen würden. Doch man konnte lernen, mit ihnen zu leben und sie zu akzeptieren. Wer das nicht konnte, verging irgendwann in ihnen. Häufig genug stand nur der eigene Stolz im Weg.
Sedrael zog sich einen anderen Stuhl heran, drehte diesen ein Mal, so dass die Lehne voraus war und setzte sich ihm gegenüber. Sie lehnte sich vor und legte ihre beiden Arme übereinander auf der Stuhllehne ab.
„Sie müssen sprechen, irgendwann. Sonst wird es Sie verzehren. Vielleicht langsamer, vielleicht schneller.“
Selbst in ihrer kurzen Zeit im Orden zu Beginn der Klonkriege hatte sie solche Erfahrungen machen müssen. Nicht sie selbst, nicht direkt, doch die Reaktionen anderer auf den Krieg waren selbst für Heiler nicht immer leicht ertragen. Zivilisten wie Militärs. Republikaner wie Separatisten. Die meisten lebenden Wesen waren dafür schlichtweg nicht gemacht, selbst wenn es irgendwann zu ihrem Handwerk wurde. Es veränderte sie, prägte sie. Manche verkrafteten es nicht, nie. Wahnsinn. Suizid. Es war frustrierend. Und nun tobte erneut ein Krieg. Selbst wenn viele Jahre vergangen waren, so würde auch dieser hier nur wieder die übelsten Fratzen aller Wesen hervorbringen und stärken.