Draußen zogen die Sterne vorüber, im endlosen Meer aus Schwarz und Weiß, blau dämmrig im Schein der künstlichen Sonne des Abschirmfelds, das die Schrecken von außen dort hielt und gleichsam die Schrecken von innen nicht nach außen dringen ließ. Vieles von dem, was hier geschah, würde wahrscheinlich in der Tat nie seinen komplizierten Weg nach außen finden – und vielleicht war das auch gut so. Das elektrisierende Gewitter in der Macht hatte weiter zugenommen und zog Sedrael wie ein Magnet in seinen Bann, der Konflikt, der um Reah Nigidus stob, war so greifbar und klar, knisterte in den spitzen Ohren der Sephi. Doch was war es am Ende, was hier vielleicht entfesselt wurde? Unvorhersehbares, womöglich Unkontrollierbares, das lange im Inneren dieser Frau verborgen, unterdrückt gewesen sein mochte und nun gewaltsam nach außen drang. Doch wie immer, wenn etwas über längere Zeit unterdrückt war, bahnte es sich dabei gefährlich, extreme Wege, den einfachsten, schnellsten Weg, den des geringsten Widerstands, aber nicht immer den, den man beabsichtigt hatte. Die Revolution, der Umsturz, er förderte manchmal auch Dinge zutage, die ansonsten vielleicht besser im Verborgenen geblieben wären.
Aber war es besser, nichts zu tun und es gar nicht erst darauf ankommen zu lassen? Die Hexe wieder sich selbst zu überlassen? Nur was dann? Jetzt nach Firrerre hatte Sedrael keinerlei Aufgabe, keine andere Perspektive mehr, etwas tun zu können, was vielleicht in irgendeiner Form von Wert, Bedeutung geschweige denn von Erkenntnis hätte sein können. Ja, es gab wohl eine neue Zusammenführung von Jedi, zumindest sofern man den Worten des Fremden auf Firrerre Glauben schenken konnte. Aber die Macht schien Sedrael das Gefühl vermitteln zu wollen, dass die Worte der Wahrheit entsprochen hatten. Vielleicht hätte sie also dorthin können. Vielleicht. Aber wozu? Warum sollte man sie aufnehmen? Und wollte sie das überhaupt? Es war wahrscheinlich nur wenig, was es dort eigentlich für sie geben konnte und ebenfalls nur wenig, was sie ihnen anbieten konnte. Auf der anderen Seite war hier Reah, eine Person, die… nun, natürlich brauchte sie die Sephi nicht, aber offensichtlich löste deren Anwesenheit bei ihr doch bestimmte Reaktionen aus, deren sie nicht abgeneigt war. Und insofern machte Sedraels Anwesenheit hier tatsächlich in der Macht anscheinend einen gewissen Unterschied, mehr als seinerzeit auf Firrerre vielleicht und zweifellos mehr als es derzeit bei möglicherweise anderen Jedi der Fall sein konnte. In gewisser Weise war das, was sie derzeit hier an Bord dieses Schiffes tat auch wieder eine Form von Heilung, zwar auf eine andere Art und nicht in Form einer medizinisch notwendigen Versorgung einer körperlichen Verletzung, sondern letztlich die Behandlung einer Geisteskrankheit, die sie selbst jedoch niemals beseitigen konnte – und auch gar nicht selbst beseitigen wollte. Die Krankheit, die ihre Gegenüber plagte, war rein von außen wahrscheinlich ähnlich unheilbar wie das Virus von Firrerre. Die Erkenntnis der Selbstzerstörung und des Verlustes von Person, Willenskraft und Entscheidungsfreiheit sowie des Abgleitens in die eigenen finstersten Abgründe, die besitzergreifend sich irgendwann komplett des eigenen Verstandes bemächtigten und verschlangen, bis der Abgrund schließlich nicht mehr ein Abgrund war, sondern die neue Ebene – bis die Person auch dort erneut zurückgedrängt und an einen weiteren Abgrund gedrängt wurde, um noch tiefer hinabzustürzen, bis sich das Spiel erneut wiederholte. Irgendwann selbst war die Person verschwunden, verschollen auf der Flucht vor der eigenen Finsternis. Diesen Kampf gegen den beständigen Sturz in die preisenden Hände der inneren Dämonen überhaupt wieder aufzunehmen und sich nicht immer weiter in Richtung des nächsten Abgrunds drängen zu lassen, mochte der wohl schwierigste und anstrengendste Part im Wettstreit um die geistige Gesundheit sein, insbesondere wenn die verlockende Finsternis einem den Teufelspakt über schier endlose Macht anbot und die einzige Gegenleistung, die sie verlangte, war, sich ihr nicht mühsam entgegenzuwerfen.
Verachtete Sedrael die Person Reah? Ja, vielleicht. Oder zumindest das, was aus ihr geworden war. Oder zumindest wiederum Teile davon. Aber das war auch nicht das Problem. Tief im Inneren mochte der Rest des Menschen neben ihr diese Einstellung vermutlich immer noch teilen, der Teil nämlich, der gerade spürbar in der Macht aufbegehrte und das Gewitter entfacht hatte. Dieser zurückgezogene Teil der Persönlichkeit hatte wahrscheinlich wenig gemein mit dem Monster, dessen Antlitz der Mörderin und später im brennenden Firrerre erstrahlt war. Aber ob sich diese beiden Facetten der Person überhaupt voneinander trennen ließen oder ob der parasitäre Teil davon nicht bereits so mit seinem Wirt verbunden war, dass dieser davon abhängig geworden und ohne ihn nicht mehr lebensfähig war, war unmöglich zu bestimmen. Doch wenn Sedrael dies nicht herausfand, wer sonst konnte der menschlichen Reah noch Zuflucht bieten? Die kalte Mechanik des Militärs war kein geeigneter Ort dafür, wenn auch immer noch mehr als die Aura oder sogar Anwesenheit des Leichenmenschen, dessen Frosthauch jeglichen Widerstandswillen im Keim ersticken würde. Reah war eingekerkert in ihrem eigens entworfenen Verlies – doch hatte nicht etwa Sedrael den Schlüssel zu ihrem Kerker. Sie konnte nur die Person sein, die Reah darauf aufmerksam machte, dass es nur Reah selbst war, die den Schlüssel bereits in der Hand hielt, um anhand dieses Wissens zu realisieren, was die Konsequenzen davon für sie selbst sein sollten. Ob es nun die waren, die Sedrael sich vielleicht wünschen würde oder nicht, war letztlich irrelevant. Wenn sie bereit war, ihre eigene Finsternis zu kontrollieren und sich nicht davon kontrollieren zu lassen, mochte das ein Vorzug sein, aber das war etwas, das die Sephi nicht mit Zwang oder Befehlen einfordern konnte. Wenn es so weit war, würde sich Reah diesem Kampf nun nicht allein stellen müssen – wenn nicht, nun, dann würde es womöglich Zeit dauern. Oder es würde niemals geschehen. Diese Ungewissheit wusste Sedrael jedoch nicht zu irritieren, nicht mehr. Das Leben als Kind der Macht war stets voller Ungewissheit und Unwägbarkeiten. Was klar schien, konnte mit einer leichten Brise des großen Windhauchs wieder fortgeblasen werden und neue Spuren im alten Staub freisetzen, die bislang unerforscht geblieben waren. Und auf den verstaubten Pfaden, die lange nicht von anderen betreten schienen, war es schwer, ehrliche Verachtung zu spüren, sondern vielmehr Mitleid mit dem Geschöpf, das sich irgendwo dort verbarg und eigentlich doch nur frei sein wollte.
„Dann werde ich Euch dorthin begleiten, so Ihr es wünscht“, kamen die Worte etwas unvermittelt aus Sedraels Mund heraus, wenig bewusst, fast wie eine reflexartige Reaktion, die ihr in diesem Moment richtig erschien. Sie wusste nicht, was es war, sie wusste nicht, worum es ging – aber es fühlte sich einfach richtig an, Reah diesen Vorschlag zu unterbreiten. Möglicherweise war es gefährlich und weit über dem, was ihr zuzutrauen war. Aber das spielte alles in allem keine entscheidende Rolle in diesem Moment.
„Es gibt viele Arten des Kampfes, doch nur wenige Kämpfe müssen auch allein gefochten werden“, entgegnete sie Reah, während ihr Griff auf die Schulter der Frau wurde für einen kurzen Moment ein wenig fester wurde, das Ende des Augenblicks andeutend, ehe sich die weiße Hand wieder anhob und von ihr löste. Sedrael warf einen letzten stillen Blick hinaus in den Hangar, ehe sie sich abwandte, und ein paar Schritte machte, um sich zurückzuziehen und Reah mit ihren Gedanken für den Moment allein zu lassen. Nach nur wenigen Schritten blieb sie jedoch erneut stehen, warf Reah noch einen Blick aus dem Augenwinkel zu. Ja. Es gab Momente, in denen auch körperlich gekämpft werden musste. Sei es aus Eigenschutz oder zum Schutz anderer. Dies war letztlich… doch dann stockte Sedrael kurz. Wenn sie diesen Gedanken ehrlich und konsequent weiterdachte, so brachte er sie zurück nach Firrerre, zurück in den Moment, in dem ihr letztlich bewusst wurde, dass die Inquisitorin den Planeten auslöschen würde – so wie sie es angekündigt hatte. Hätte dies nicht ein solcher Moment sein müssen? Ja. Und nein. Sie hätte es versuchen können. Doch im Versuchen steckte immer das Eingeständnis, dass es einem nicht gelingen mochte. Der Kampf konnte aber nur dann Sinn haben, wenn er auch gewonnen werden konnte. Ein ewiger, aussichtsloser Kampf ins Nichts und nur um die Größe der Niederlage war keine Form von Heldenmut oder Moral, er war nur eine Form von Selbstbestrafung, von Suizid. Sedraels Kampf damals hätte rein gar nichts geändert. Was wäre anders gewesen, wenn sie damals gekämpft hätte? Die Inquisitorin war eine Expertin im Schwertkampf, das hatte die Art und Weise, wie sie ihre Klinge anmutig zu führen in der Lage gewesen war, gezeigt. Sie war Anfängerin, seit Jahrzehnten wohl ohne Training mit dem Schwert und selbst damals in ihrer Ausbildung war sie damit nicht geschickt gewesen – weil sie es auch gar nicht wollte. Die Frau hätte sie umgebracht, binnen kurzer Zeit, und den Planeten im Anschluss dennoch mit Tod überzogen, wäre als die Bestie, die sie zu dem Zeitpunkt war, weiter feuerspeiend durch die Galaxis gezogen. Jetzt dagegen standen sie hier, nebeneinander und Reah zweifelte. Woran genau, das konnte Sedrael derzeit nur erahnen, aber es war da. Es war anders, es war mehr als nur auf Firrerre, wo die Frau nur wie eine gierige Hexe danach greifen und etwas davon zu erhaschen versucht hatte. War es also so gesehen nicht klüger gewesen, nicht gekämpft zu haben, obwohl es eigentlich das Naheliegendere gewesen wäre? Und doch blieb da dieses Gefühl zurück, vielleicht doch etwas zu tun gemusst zu haben.
Manchmal war es nötig. Manchmal nicht. Doch wer konnte schon darüber entscheiden, wer war fähig, diese Tragweite zu überblicken und zu bestimmen, welche Hebel ineinandergreifen sollten und langfristig den klügeren und nicht nur den naheliegenderen Mechanismus auslösten? Die Antwort war natürlich einfach: nur die Macht. Aber die Macht selbst handelte nicht manifestiert, sondern immer nur durch jemanden oder etwas. Also musste dieser auch wissen, ob es richtig war oder nicht. Aber er musste auch in der Lage sein, notfalls handeln zu können. Das wiederum war Sedrael letztlich nie gewesen, weil sie durch ihre – wenn auch nicht Ablehnung des Kampfes als solches – Abneigung, selbst im gebotenen Fall die Waffe ergreifen zu können, dazu letztlich gar nicht in der Lage wäre, auch wenn es einmal notwendig wäre. Die Inquisitorin brachte Sedrael zum Nachdenken. Denn wahrscheinlich hatte ihre Unfähigkeit kämpfen zu können auch einen Einfluss darauf, im Notfall gar nicht kämpfen zu wollen, weil sie ohnehin nicht gewinnen konnte. Das war eine Zwickmühle, die sich vermutlich so überhaupt nicht auflösen ließ.
„Vielleicht werde ich Euer Angebot annehmen müssen, auch wenn mich der Gedanke beunruhigt“, antwortete sie dem Trainingsangebot der Frau schließlich etwas gedankenverloren, halblaut, ja beinahe nuschelnd. Denn möglicherweise war dieser relativ klare Grundgedanke aber auch der Motor, der letzten Endes dazu führte, dass man immer stärker und mächtiger im Kampf werden wollte – und dann vielleicht auch dann kämpfte, wenn es eben nicht notwendig war. Oder für die Steigerung dieser Fähigkeiten sich Mächten bediente, wenn auch vielleicht sogar im Glauben, etwas Gutes tun zu wollen, derer man später aber nicht mehr Herr werden konnte. Der ewige Drahtseilakt, die so mächtigen Dämonen bekämpfen zu wollen, ohne selbst zu einem zu werden. Und so ding es dann dahin, davon, ab in den Teil des Drachennests, der ihr zugewiesen und somit ihr eigenes Versteck werden sollte, um ihre eigenartige Rolle in all dem spielen zu können.
Aber war es besser, nichts zu tun und es gar nicht erst darauf ankommen zu lassen? Die Hexe wieder sich selbst zu überlassen? Nur was dann? Jetzt nach Firrerre hatte Sedrael keinerlei Aufgabe, keine andere Perspektive mehr, etwas tun zu können, was vielleicht in irgendeiner Form von Wert, Bedeutung geschweige denn von Erkenntnis hätte sein können. Ja, es gab wohl eine neue Zusammenführung von Jedi, zumindest sofern man den Worten des Fremden auf Firrerre Glauben schenken konnte. Aber die Macht schien Sedrael das Gefühl vermitteln zu wollen, dass die Worte der Wahrheit entsprochen hatten. Vielleicht hätte sie also dorthin können. Vielleicht. Aber wozu? Warum sollte man sie aufnehmen? Und wollte sie das überhaupt? Es war wahrscheinlich nur wenig, was es dort eigentlich für sie geben konnte und ebenfalls nur wenig, was sie ihnen anbieten konnte. Auf der anderen Seite war hier Reah, eine Person, die… nun, natürlich brauchte sie die Sephi nicht, aber offensichtlich löste deren Anwesenheit bei ihr doch bestimmte Reaktionen aus, deren sie nicht abgeneigt war. Und insofern machte Sedraels Anwesenheit hier tatsächlich in der Macht anscheinend einen gewissen Unterschied, mehr als seinerzeit auf Firrerre vielleicht und zweifellos mehr als es derzeit bei möglicherweise anderen Jedi der Fall sein konnte. In gewisser Weise war das, was sie derzeit hier an Bord dieses Schiffes tat auch wieder eine Form von Heilung, zwar auf eine andere Art und nicht in Form einer medizinisch notwendigen Versorgung einer körperlichen Verletzung, sondern letztlich die Behandlung einer Geisteskrankheit, die sie selbst jedoch niemals beseitigen konnte – und auch gar nicht selbst beseitigen wollte. Die Krankheit, die ihre Gegenüber plagte, war rein von außen wahrscheinlich ähnlich unheilbar wie das Virus von Firrerre. Die Erkenntnis der Selbstzerstörung und des Verlustes von Person, Willenskraft und Entscheidungsfreiheit sowie des Abgleitens in die eigenen finstersten Abgründe, die besitzergreifend sich irgendwann komplett des eigenen Verstandes bemächtigten und verschlangen, bis der Abgrund schließlich nicht mehr ein Abgrund war, sondern die neue Ebene – bis die Person auch dort erneut zurückgedrängt und an einen weiteren Abgrund gedrängt wurde, um noch tiefer hinabzustürzen, bis sich das Spiel erneut wiederholte. Irgendwann selbst war die Person verschwunden, verschollen auf der Flucht vor der eigenen Finsternis. Diesen Kampf gegen den beständigen Sturz in die preisenden Hände der inneren Dämonen überhaupt wieder aufzunehmen und sich nicht immer weiter in Richtung des nächsten Abgrunds drängen zu lassen, mochte der wohl schwierigste und anstrengendste Part im Wettstreit um die geistige Gesundheit sein, insbesondere wenn die verlockende Finsternis einem den Teufelspakt über schier endlose Macht anbot und die einzige Gegenleistung, die sie verlangte, war, sich ihr nicht mühsam entgegenzuwerfen.
Verachtete Sedrael die Person Reah? Ja, vielleicht. Oder zumindest das, was aus ihr geworden war. Oder zumindest wiederum Teile davon. Aber das war auch nicht das Problem. Tief im Inneren mochte der Rest des Menschen neben ihr diese Einstellung vermutlich immer noch teilen, der Teil nämlich, der gerade spürbar in der Macht aufbegehrte und das Gewitter entfacht hatte. Dieser zurückgezogene Teil der Persönlichkeit hatte wahrscheinlich wenig gemein mit dem Monster, dessen Antlitz der Mörderin und später im brennenden Firrerre erstrahlt war. Aber ob sich diese beiden Facetten der Person überhaupt voneinander trennen ließen oder ob der parasitäre Teil davon nicht bereits so mit seinem Wirt verbunden war, dass dieser davon abhängig geworden und ohne ihn nicht mehr lebensfähig war, war unmöglich zu bestimmen. Doch wenn Sedrael dies nicht herausfand, wer sonst konnte der menschlichen Reah noch Zuflucht bieten? Die kalte Mechanik des Militärs war kein geeigneter Ort dafür, wenn auch immer noch mehr als die Aura oder sogar Anwesenheit des Leichenmenschen, dessen Frosthauch jeglichen Widerstandswillen im Keim ersticken würde. Reah war eingekerkert in ihrem eigens entworfenen Verlies – doch hatte nicht etwa Sedrael den Schlüssel zu ihrem Kerker. Sie konnte nur die Person sein, die Reah darauf aufmerksam machte, dass es nur Reah selbst war, die den Schlüssel bereits in der Hand hielt, um anhand dieses Wissens zu realisieren, was die Konsequenzen davon für sie selbst sein sollten. Ob es nun die waren, die Sedrael sich vielleicht wünschen würde oder nicht, war letztlich irrelevant. Wenn sie bereit war, ihre eigene Finsternis zu kontrollieren und sich nicht davon kontrollieren zu lassen, mochte das ein Vorzug sein, aber das war etwas, das die Sephi nicht mit Zwang oder Befehlen einfordern konnte. Wenn es so weit war, würde sich Reah diesem Kampf nun nicht allein stellen müssen – wenn nicht, nun, dann würde es womöglich Zeit dauern. Oder es würde niemals geschehen. Diese Ungewissheit wusste Sedrael jedoch nicht zu irritieren, nicht mehr. Das Leben als Kind der Macht war stets voller Ungewissheit und Unwägbarkeiten. Was klar schien, konnte mit einer leichten Brise des großen Windhauchs wieder fortgeblasen werden und neue Spuren im alten Staub freisetzen, die bislang unerforscht geblieben waren. Und auf den verstaubten Pfaden, die lange nicht von anderen betreten schienen, war es schwer, ehrliche Verachtung zu spüren, sondern vielmehr Mitleid mit dem Geschöpf, das sich irgendwo dort verbarg und eigentlich doch nur frei sein wollte.
„Dann werde ich Euch dorthin begleiten, so Ihr es wünscht“, kamen die Worte etwas unvermittelt aus Sedraels Mund heraus, wenig bewusst, fast wie eine reflexartige Reaktion, die ihr in diesem Moment richtig erschien. Sie wusste nicht, was es war, sie wusste nicht, worum es ging – aber es fühlte sich einfach richtig an, Reah diesen Vorschlag zu unterbreiten. Möglicherweise war es gefährlich und weit über dem, was ihr zuzutrauen war. Aber das spielte alles in allem keine entscheidende Rolle in diesem Moment.
„Es gibt viele Arten des Kampfes, doch nur wenige Kämpfe müssen auch allein gefochten werden“, entgegnete sie Reah, während ihr Griff auf die Schulter der Frau wurde für einen kurzen Moment ein wenig fester wurde, das Ende des Augenblicks andeutend, ehe sich die weiße Hand wieder anhob und von ihr löste. Sedrael warf einen letzten stillen Blick hinaus in den Hangar, ehe sie sich abwandte, und ein paar Schritte machte, um sich zurückzuziehen und Reah mit ihren Gedanken für den Moment allein zu lassen. Nach nur wenigen Schritten blieb sie jedoch erneut stehen, warf Reah noch einen Blick aus dem Augenwinkel zu. Ja. Es gab Momente, in denen auch körperlich gekämpft werden musste. Sei es aus Eigenschutz oder zum Schutz anderer. Dies war letztlich… doch dann stockte Sedrael kurz. Wenn sie diesen Gedanken ehrlich und konsequent weiterdachte, so brachte er sie zurück nach Firrerre, zurück in den Moment, in dem ihr letztlich bewusst wurde, dass die Inquisitorin den Planeten auslöschen würde – so wie sie es angekündigt hatte. Hätte dies nicht ein solcher Moment sein müssen? Ja. Und nein. Sie hätte es versuchen können. Doch im Versuchen steckte immer das Eingeständnis, dass es einem nicht gelingen mochte. Der Kampf konnte aber nur dann Sinn haben, wenn er auch gewonnen werden konnte. Ein ewiger, aussichtsloser Kampf ins Nichts und nur um die Größe der Niederlage war keine Form von Heldenmut oder Moral, er war nur eine Form von Selbstbestrafung, von Suizid. Sedraels Kampf damals hätte rein gar nichts geändert. Was wäre anders gewesen, wenn sie damals gekämpft hätte? Die Inquisitorin war eine Expertin im Schwertkampf, das hatte die Art und Weise, wie sie ihre Klinge anmutig zu führen in der Lage gewesen war, gezeigt. Sie war Anfängerin, seit Jahrzehnten wohl ohne Training mit dem Schwert und selbst damals in ihrer Ausbildung war sie damit nicht geschickt gewesen – weil sie es auch gar nicht wollte. Die Frau hätte sie umgebracht, binnen kurzer Zeit, und den Planeten im Anschluss dennoch mit Tod überzogen, wäre als die Bestie, die sie zu dem Zeitpunkt war, weiter feuerspeiend durch die Galaxis gezogen. Jetzt dagegen standen sie hier, nebeneinander und Reah zweifelte. Woran genau, das konnte Sedrael derzeit nur erahnen, aber es war da. Es war anders, es war mehr als nur auf Firrerre, wo die Frau nur wie eine gierige Hexe danach greifen und etwas davon zu erhaschen versucht hatte. War es also so gesehen nicht klüger gewesen, nicht gekämpft zu haben, obwohl es eigentlich das Naheliegendere gewesen wäre? Und doch blieb da dieses Gefühl zurück, vielleicht doch etwas zu tun gemusst zu haben.
Manchmal war es nötig. Manchmal nicht. Doch wer konnte schon darüber entscheiden, wer war fähig, diese Tragweite zu überblicken und zu bestimmen, welche Hebel ineinandergreifen sollten und langfristig den klügeren und nicht nur den naheliegenderen Mechanismus auslösten? Die Antwort war natürlich einfach: nur die Macht. Aber die Macht selbst handelte nicht manifestiert, sondern immer nur durch jemanden oder etwas. Also musste dieser auch wissen, ob es richtig war oder nicht. Aber er musste auch in der Lage sein, notfalls handeln zu können. Das wiederum war Sedrael letztlich nie gewesen, weil sie durch ihre – wenn auch nicht Ablehnung des Kampfes als solches – Abneigung, selbst im gebotenen Fall die Waffe ergreifen zu können, dazu letztlich gar nicht in der Lage wäre, auch wenn es einmal notwendig wäre. Die Inquisitorin brachte Sedrael zum Nachdenken. Denn wahrscheinlich hatte ihre Unfähigkeit kämpfen zu können auch einen Einfluss darauf, im Notfall gar nicht kämpfen zu wollen, weil sie ohnehin nicht gewinnen konnte. Das war eine Zwickmühle, die sich vermutlich so überhaupt nicht auflösen ließ.
„Vielleicht werde ich Euer Angebot annehmen müssen, auch wenn mich der Gedanke beunruhigt“, antwortete sie dem Trainingsangebot der Frau schließlich etwas gedankenverloren, halblaut, ja beinahe nuschelnd. Denn möglicherweise war dieser relativ klare Grundgedanke aber auch der Motor, der letzten Endes dazu führte, dass man immer stärker und mächtiger im Kampf werden wollte – und dann vielleicht auch dann kämpfte, wenn es eben nicht notwendig war. Oder für die Steigerung dieser Fähigkeiten sich Mächten bediente, wenn auch vielleicht sogar im Glauben, etwas Gutes tun zu wollen, derer man später aber nicht mehr Herr werden konnte. Der ewige Drahtseilakt, die so mächtigen Dämonen bekämpfen zu wollen, ohne selbst zu einem zu werden. Und so ding es dann dahin, davon, ab in den Teil des Drachennests, der ihr zugewiesen und somit ihr eigenes Versteck werden sollte, um ihre eigenartige Rolle in all dem spielen zu können.