#28
Anpassen? War es wirklich das, was die Frau von Sedrael erwartete und nun gar einforderte, ja warum sie ihr nun diese Rolle in einem Agentenspiel zugewiesen hatte? Damit sie nun also langsam in eine ihr zugewiesene Rolle schlüpfte, welche Reah ihr je nach Bedarf und Laune zuwies und die sie zu spielen hatte, vielleicht ja als ein Test für die Zukunft, wie weit sie geformt werden konnte? Wie es auch war, offensichtlich hatte sie diese Aufgabe aber nicht zu der Zufriedenheit erledigt, die von ihrer Gegenüber erwartet gewesen war. Sedrael wusste nichts von Militär, sie wusste nichts von Geheimdiensten. Es war nicht ihre Welt und es sollte nicht ihre Welt sein. Vermutlich würde es ihr schon schwerfallen, selbst wenn sie wirklich überzeugt davon gewesen wäre. Sie hatte sich bemüht, doch es war schwierig, etwas umzusetzen, zu dem sie sich schlichtweg nicht in der Lage sah. Anpassen. Anpassen. Ein unglückliches Wort. Sie kannte das – Erwartungen, die auf ihr lagen, Erwartungen und Zwänge, die sie hatten binden sollten, binden an etwas, hinter dem sie vielleicht nicht stand. Und nun vielleicht binden an jemanden, den sie kaum kannte. Anpassen war die Forderung gewesen, damals in dem großen Krieg der Seelenlosen, der die Republik heimgesucht hatte, der die Moral gefressen und ihre Kinder in ein verwahrlostes Zerrbild verwandelt hatte, die nun an den wenigen Überresten nagten in der Hoffnung, irgendwo noch etwas vom ehemaligen Glanz der Jahrtausende erhaschen zu können. Da war sie nun wieder, die unglückselige Erinnerung an die Vergangenheit, die sich in der großen Sanduhr verlaufen hatte und inzwischen nur noch ein scheinbar unbedeutendes Sandkorn von so vielen weiteren war. Eines dieser Sandkörner regte sich, zeigte sie als jüngeres Abbild ihrer Selbst, wie sie vor ihrem Meister stand, ungläubig und enttäuscht über ihren Orden und das, was aus ihm zu werden drohte.

Nein, sagte sie naiverweise und schüttelte den Kopf, als könne allein die Kraft ihres Widerstandes irgendetwas verändern.
Welche Wahl bleibt uns? Wir können nicht bleiben, was wir sind, wenn sich alles um uns herum verändert.
Ich kann mich doch nicht hinter etwas stellen, wenn ich es für falsch halte.
Der verschwommene Schatten lächelte. Doch. Manchmal schon. Wir sind begabte Wesen, tragen Verantwortung, die über unsere Moral und unser Leben hinausgeht. Die Macht ist unser Kompass, auch wenn wir die Richtung nicht immer verstehen können.
Es tut mir leid. Ich glaube einfach nicht, dass die Macht will, dass ich diesen Weg gehe.
Muss es nicht. Ganz gleich, was andere derzeit sagen, du bist keine Enttäuschung. Wir leben von der Vielfalt und sollten auch von der Vielfalt der Meinungen leben. Vielfalt trägt die Galaxis, daher sollten wir sie nicht verdammen. Ein Meister sollte dir nur Wege zeigen, aber er sollte nicht für dich denken und nicht für dich wählen. Für deine Wahl werde ich dich niemals tadeln, wenn du sie wirklich für richtig hältst.
Die warme Hand des Schattens strich über Sedraels linke Wange. Du wirst deinen Weg finden, irgendwann, übertönte die Stimme das Dröhnen der einsetztenden Motoren, ehe sich das Kanonenboot anhob und den Schemen für immer forttrug, bis es nur noch ein kleiner Punkt am Sternenhimmel war, auf den die Dolche der Hochhäuser Coruscants so eindeutig gerichtet waren. Das Sandkorn fiel hinab in die endlose Masse und wurde wieder zur Geschichte.


Irgendwann. Die Erinnerung biss in ihrem Inneren. Sedrael hatte sich damals nicht anpassen können, nicht anpassen wollen, nicht einmal ihrem Meister zuliebe. Auf eingeforderte Anpassung würde es nicht hinauslaufen. Konnte es gar nicht. Sollte es auch nicht. Wenn es der Hexe darum ging, dass die Sephi sich ihr anpasste, konnte sie nur enttäuscht werden.
„Ich bin nicht sehr gut darin, mich auf Anweisung anzupassen“, antwortete sie Reah nachdenklich, mit leichter Verzögerung, während sich ihre Gesichtsfarbe allmählich normalisierte und sie dem forttrabenden Maschinenwesen hinterhersah. Ihr Blick richtete sich kurz hinab auf den trostlosen Hangarboden und sie schien einen Moment lang nachzudenken, ehe sich die blauen Augen wieder aufrafften und hinüber zu Reahs Rücken sahen.
„Das letzte Mal, als dies von mir verlangt wurde, habe ich jenes Leben hinter mir gelassen.“
Einen Augenblick lang mochten die Worte als angetäuschter Dolchstoß mit stumpfer Klinge, als Drohgebärde einer Harmlosen im großen Hort des Drachens hallen, die Drohgebärde der flackernden Kerze, welche in ihrem staunenden Flackern des Windhauchs bewies, hier zu sein, aber keineswegs selbstverständlich, sofern sie sich selbst überlassen war. Die Flamme war zerbrechlich, wollte gehütet werden vor allerlei finsteren Einflüssen von außen, deren alleiniger Zweck es schien, kichernd nach dem entscheidenden Hauch zu trachten. Aber Hände konnten das Heiligtum beschützen, die Last der Witterung auf sich nehmen. Wer aber war nun das Flackern überhaupt und wer der Beschützer? Rollen tauschten, konnten wechseln, je nachdem aus welcher Richtung der Wind ihnen gerade entgegenblies. So überlegen die Hexe ihr im Hinblick auf ihre Größe in der Macht vielleicht sein mochte, so wenig eindeutig schienen ihre Gedanken Ausfluss finden zu können. Irgendetwas stimmte dort nicht, die Macht verbog sich, hämmerte gegeneinander. Was genau war es? Enttäuschung? Aufmerksamkeit? Menschliche Regungen paarten sich mit dem Geschwätz des allgegenwärtigen finsteren Streiters. Die Inquisitorin hatte Sedrael kürzlich nach ihrem Konflikt gefragt – einen Konflikt, den Sedrael eigentlich eher verneint hatte, weil sie kein Potential zum Konflikt gesehen hatte. Doch vielleicht war es weit weniger ein Konflikt gewesen, der von ihr ausgegangen war, sondern ein ungewohnter Konflikt, der Inquisitorin weit näher war als sie sich eingestehen wollte. Die sorgsame Mauer der unnahbaren Fassade war längst mit der Spitzhacke bearbeitet worden und zeigte gelegentliche Risse, durch die der Wind heulte. Selbst für Sedrael merklich, die darin weniger geübt war als vergleichbare Wesen ihres Alters, umgaben ihre Gegenüber die widersprüchlichen, ja widerstreitenden Emotionen doch klar genug, um einschätzen zu können, dass die aktuelle Situation nur wenig Klarheit mit sich brachte. Die Frau strahlte zwar keine Traurigkeit in der Macht aus, aber doch war da diese gähnende Leere, die gefüllt werden wollte, gefüllt mit… ja, womit? Sedrael beherrschte das Lesen von Gedanken bei weitem nicht gut genug, um gezielt nach etwas in jemand anderes Gedanken zu suchen, vielleicht hätte ihr das eine aufschlussreichere Innensicht offenbart. Zumindest schien sich die Frau nach irgendeiner Form von Gesellschaft zu sehnen, etwas, das offenbar nur Sedrael selbst in der Art befriedigen konnte, wie sie es ersuchte. Immer wieder hatte sie sich ihr angenähert, bis zuletzt, bis zu ihrer geradezu intimen Geste eben, vor der sich Sedrael so gesträubt hatte. Aus ihrer Sicht war das die natürlichste Reaktion darauf gewesen, nicht einmal durchdacht, sondern der pure Instinkt, der sie davor hatte zurückschrecken lassen, die Geste als das hinzunehmen, was sie war – als Annäherung, als ein, wenn auch ungeschickter, Versuch, eine Brücke zu überqueren, unwissend, ob sie der Bedeutungsschwere des Überschreitens tatsächlich standhalten würde.

„Und doch… scheinen mir die Dinge dieses Mal anders“, fuhr sie schließlich fort, während auch sie ein paar Schritte voranmachte, um sich neben Reah zu stellen und dort die wahrhaftig verkörperte schwarze Leere zu betrachten, in die die Frau scheinbar ratlos hinausblickte. Aber war es das denn auch, anders? Nun, was war es also das nun so anders war? Dieses Mal gab es keinen Zwang, keine Ideologie. Es gab nur sie und die Hexe. Der Orden war verschwunden, zumindest ihrer. Sie war niemandem Rechenschaft schuldig, musste sich nur vor ihrem eigenen gewissen rechtfertigen. Irgendeiner merkwürdigen Form von Hierarchie musste Reah ihrerseits unterworfen sein, gewollt oder auch nicht. Doch schien sie damit selbst zu hadern, in anderer Weise vielleicht, als Sedrael dies damals getan hatte. Das legten ihre zum Teil unerklärbaren Handlungen zumindest nahe. Vielleicht war die Situation, nun zumindest in gewisser Weise, der ihren von früher gar nicht so unähnlich, gar nicht so unverständlich. Auch wenn es immer noch schwer vorstellbar war, dass die Hexe in ähnlichen Maßstäben dachte wie sie selbst. Die Vernichtung eines Planeten deutete auf so verschiedentliche Moral hin, aber trotzdem waren sie beide Lebewesen, vielleicht unter gewissen anderen Voraussetzungen wären sie ähnliche Lebewesen geworden und wären ähnlichen Entscheidungen ausgesetzt gewesen. Das wäre bedrückend und beängstigend zugleich, wenn auch keine Rechtfertigung für das, was aus der Frau schlussendlich geworden sein mochte. Und möglicherweise hätte werden können, wenn nur ein paar Faktoren anders verlaufen wären.
„Es zeigt mir nur, dass wir uns nicht so vertraut sind, wie wir vielleicht sein müssten, um dies hier zu überstehen.“
Ihre Stimme war halblaut, nicht niedergeschlagen, sondern eher der Bedeutungsschwere bewusst, als sie vom gegenseitigen Brückenaufgang aus selbst einen kleinen Schritt entgegen machte, über den brüchigen Marmorboden, der dem mächtigen Strom Einhalt gebieten sollte. Ihre rechte Hand hob sich etwas an, bis ihr purpurfarbene Ärmel durch die künstliche Schwerkraft an ihrem Unterarm hinabglitt. Ihr Blick folgte ihrer Hand, bis diese schließlich zaghaft auf Reahs ihr zugewandter Schulter Platz fand. Daraufhin hob sich auf ihre andere Hand und die hellen Finger streckten sich aus in Richtung des freien, funkelnden Weltraums, der so verführerisch aus der sterilen Umgebung des metallenen Hangars hervortrat.
„Wenn es Euch unsicher erscheint, so steht uns am Ende jederzeit eine ganze Galaxis und noch mehr frei.“
Die Freiheit des Weiten und Unbekannten, der Bruch mit dem modrigen Filz des Althergebrachten war immer schon ein Lockruf für Sedrael selbst gewesen. Dort draußen war alles und nichts. Ort, Materie - es spielte keine Rolle. Ihr war bewusst, dass dieser Ruf unrealistisch war, es ging aber auch nicht um Realismus. Es ging nur darum, wie Sedrael Zwänge verstand – oder, besser gesagt, eben nicht verstand – und welche Angebote sie aus ihrer Sicht machen konnte. Angebote, die relevant sein mochten oder auch nicht. Ihre Anwesenheit hier würde davon nicht abhängen. Aber aus der etwas stoischen Hülle, die Sedrael bisher vielleicht gewesen zu sein schein, blitzte nun auch wieder die Person auf, die sie einmal gewesen war, vor der Seuche, vor der Vernichtung der Welt. Ja, es gab so viele Plätze, die nicht gefunden werden wollten. Abgelegene Orte, an denen sich nur alle paar tausend Jahre Leben regte. Es gab Möglichkeiten, sofern man sie nur wahrnehmen wollte. Wer Frieden wollte, der konnte ihn finden. Man musste ihn nur suchen. Aber es war nicht jedermanns Zielsetzung, viel früher schon hätte sich die Inquisitorin ansonsten wie Sedrael selbst dazu entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen, abseits von oktroyierten Normen, die mal mehr, mal weniger Sinn ergaben, abseits von Herrschern und Meistern. Entweder also wurde sie dazu genötigt oder arbeitete auf ein bestimmtes Ziel hin, das sie an die unfreien Fesseln band, denen sie jetzt unterworfen war. Gier? Macht? Was mochte es sein, das die Aufmerksamkeit ablenkte vom Entscheidenden? Denn – paradoxerweise – schien Sedrael im Hier und Jetzt gerade die freiere Person der beiden zu sein; diejenige, die eingesperrt war, sah den Grund nicht für das Versteckspiel, während die vermeintlich Freie ein solches für nötig ansah. Letztlich jedoch musste Reah entscheiden, in welchem Kontext Sedraels Anwesenheit hier Sinn ergab und in welchem nicht.
„Aber Euch scheint etwas hier zu halten“, sprach die Sephi schließlich weiter, während sich ihr Kopf zur emotionslosen, toten Maske hinaufneigte, fragend, aber vor allem neugierig. „Ist es nicht so?“
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