#11
"Ah.", erwiderte Calin'thir beiläufig als die fremde Schwester ihre Vermutung bestätigte. Also keine Bitte, keine verhohlene Drohung doch in den Schoß des Zirkels zurückzukehren. Die Nachtschwester erlaubte sich entspannt auszuatmen - das mochte diese sehr skurrile Angelegenheit doch einfacher machen. Nun war dieses Aufeinandertreffen nur noch ein Kuriosum, eine Laune der allmächtigen Natur denn zumindest noch, ließ sich kein tieferer Sinn hinter dieser Begegnung erkennen. Natürlich bestand die winzige Möglichkeit, dass diese Clanschwester sieh anlog, doch die Art und Weise ihres Eintreffens, die Art wie sie hier saß, verrieten ihr, dass dies sehr abwegig war. Ein lautes Grunzen und zielloses Schnappen in der Luft ließen ihre Augen kurz zum anderen Ende des Feuers blitzen. Offenbar stimmte ihr Bolmas ihr im Traum zum ehe er noch einmal das Maul kräftig zum Gähnen aufriss und mit seinem üblichen gleichmäßigen Grunzen wieder im Tiefschlaf versank. Das Gesicht der Nachtschwester zeichnete ein mildes Lächeln in Richtung des Tieres. So viel Treue und Folgsamkeit, beinahe schon Naivität, die in diesem Geist wohnte. So manches mal schon fragte sie sich, ob dem Bolmas bewusst war, dass sie ihn würde sterben lassen, sobald es notwendig wurde. Wie auch immer diese Notwendigkeit in der Zukunft auch aussehen mochte.

Calin'thir fasste nach einem dürren verdorrten Stock und stocherte damit - eher ungezielt - im lodernden Feuer umher während sie vorerst wortlos ihrer Schwester lauschte. Doch die Nachtschwester beachtete mehr als nur das Gesagte - entscheidend waren auch die Formulierungen und mehr, das, was nicht gesagt wurde. Dann natürlich die Art und Weise des Sprechens, war sie aufgebracht? Wütend? Verwirrt? Dies war zumindest relativ leicht zu beantworten. Sie versuchte klar und knapp zu sprechen, einige abrupt beendete Sätze ließen jedoch auf Misstrauen und mit Sicherheit auch Scham schließen. Diese Hexe hatte eine Entscheidung gefällt und tat sich nun schwer mit ihr zu Leben. Mehr zu sich selbst, schüttelte Calin'thir den Kopf und gluckste. Sie selbst war nicht alt und empfand sich auch nicht so und dennoch kam es ihr nicht aus dem Sinn wie leichtsinnig die Jugend agierte. Was glaubte sie wohl was passiert? Eine Entscheidung zieht Konsequenzen nach sich und es ward an ihnen sich in den Sturm zu stellen und ihn zu ertragen, die wilde Liebkosung des Universums, so unbeherrscht und unkontrollierbar.
Und musste diese junge Hexe denn wirklich fliehen? Natürlich nicht,es ging nie um das "müssen" oder "sollen". Es ging immer um die eigenen Wünsche. Um Gedanken die ihre Haken so stark in den Geist schlugen, dass die Wirklichkeit so geformt werden musste, dass diese endlich losließen und darin Platz fänden. Und den Träumenden musste klar sein, dass dies einen Preis, eine Reaktion nach sich ziehen würde. Balance.

Calin'thir nahm den Stock aus dem Feuer und legte ihn beiseite. Ihre Augen betrachteten noch kurz schweigend die Frau, huschten zwischen ihr und den Flammen hin und her. Ja, ihr war kalt und dennoch würden sie das Licht bald aus der Nacht verbannen müssen, ehe mächtigere Jäger als sie es als Einladung verstanden.
"Warum ich hier bin?", echote die Nachtschwester die Frage. "Tsk. Du willst nicht wissen warum ich hier bin, Kind, deine Frage ist eine andere." Nach dieser milden Schelte erhob sie ihren Kopf ein wenig und sah die andere eindringlich und nun doch recht ernst an. "Was du eigentlich fragst ist: warum bin ich nicht im Zirkel? Die Motivation mag komplex sein, die Antwort ist es nicht: ich sehe nicht wie Gethzerions die Schwestern wieder vereinen soll, sie uns nach der Verheerung der Vergangenheit heilen soll. Und um es zu sehen müssen meine Augen an Orte wandern, die nicht von einem trüben Schleier verhüllt sind." Es war wohl eine vorsichtige und diplomatische Antwort, sie griff die Clanmutter nicht an, immerhin gab es keinen Beweis, dass Gethzerion tatsächlich etwas falsch machte, es bestand immer noch die Möglichkeit, dass es nur ihr eigener Sturkopf war, der sich weigerte zu erkennen, was getan werden musste. Und dennoch entsprach es der Wahrheit, eine simple, unkomplizierte Tatsache.
Calin’thir griff mit ihrer Hand ruhig nach dem Kinn ihrer Schwester, um deren Kopf zu sich zu drehen und sie direkt anzusehen. Vielleicht um den Schleier ihrer Augen zu durchstoßen, bis tief in die Seele selbst zu blicken und was sich dort verbarg. "Vielleicht sollte ich es dir zeigen, was mich so umhertrieb, hm? Bis dahin aber...", die Nachtschwester kramte mit ihrer anderen Hand in ihrem Kanister und holte einen Wasserschlauch hervor und hielt ihn ihr hin. "...trink! Und erhole dich, denn wir müssen der Nacht bald schon sich selbst überlassen. Du schläfst in meiner Unterlage.", stellte die Nachtschwester noch abschließend fest, während sie sich umsah und ihr Blick wieder auf den Bolmas fiel. "Ich nehme das Tier. Er stinkt zwar, aber es gibt einen kleinen Flusslauf in der Nähe. Mh... und einen Namen brauchst du, nicht war? Calin'thir, Tochter von Irilla."
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#12
Entscheidungen. Leben bestand letztlich aus Entscheidungen. Lumi'ell versuchte Vertrauen im Moment zu finden, versuchte jenen Gedanken zu erhalten, der sie von einer Flucht abhielt. Diese unbekannte Schwester hatte ihr eigene Aura, eine Ausstrahlung, die sie zögern ließ. Noch verstand Lumi'ell nicht wirklich, was sie bewegte aber auch sie hatte bereits eine Entscheidung getroffen. Das lodernde Feuer war ein Anknüpfungspunkt, denn es stand für viel mehr, als eine bloße Wärmequelle. Es hatte sie angezogen, fast gelockt, denn eine Seele auf der Flucht, auf der Abkehr, von seiner gewohnten Welt, suchte stets eine Heimstatt, und so suchte auch die einsame und mitunter sehr deviante Nachtschwester jenen Ort, an dem sie einfach sein konnte und vielleicht ein Licht finden konnte. Gethzerion hatte ihr diesen einstigen Ort zerstört, wenn nicht für immer unmöglich gemacht, denn Lumi'ell konnte nicht jenen Kreisen und Riten folgen, die Gethzerion für sich zog. All die dunklen Stunden unter jener fremden Macht, diesem unheiligen Geist, aus der Ferne, gebunden durch Gethzerions Gesang. Lumi'ell wollte nicht mehr mit dieser Macht tanzen, sich davon verabschieden; schließlich würde diese Macht alles vereinnahmen, was sie als Schwester ausmachte. Der einsame Abschied war letztlich ihre Entscheidung gewesen. Sie nahm ihren Abschied von Gethzerion, ihren Schwestern und war geflohen. Leider folgte auf einen Abschied meistens einer neuen Abschied. Und nicht jeder Abschied bedeutete auch ein Wiedersehen. Ohne einen klaren Ort, wollte sie an etwas glauben, etwas verstehen oder etwas sehen, denn die Welt war inzwischen so verkehrt, für diese einsame Nachtschwester, die so dann von einem Feuer im Dunkeln angezogen worden war. Doch die Flucht stahl ihr Lebenskraft, machte Dinge so seltsam leer und unbeständig, so dass Lumi'ell dieser nicht ganz so fremden Nachtschwester nicht vertrauen konnte. Vertrauen musste wachsen, erwachsen aus gemeinsamer Tat, Hoffnung und Hingabe. Lumi'ell glaubte nicht daran, dass sie dies sofort finden konnte. Gethzerion hatte hier ganze Arbeit geleistet, ihr jene klare Sicht zu nehmen, so dass ihr nur der Augenblick blieb. Ohne es zu wollen, ohne es zu wünschen, folgte ihr noch immer jener dunkler Schatten.

Die Augen der Nachtschwester fanden kaum Ruhe, wollten sehen, das Licht erfassen, während ihr neuer Kontakt mit einem einem dürren verdorrten Stock ungezielt im lodernden Feuer umher stocherte. Das Herz schlug unruhig, in geheimer Panik, im umbewussten Wissen, dass der Schatten noch immer lauerte. Der Tanz war noch nicht beendet, und es war auch unklar, ob er jemals beendet werden konnte. Wie sehr sie Gethzerion doch verfluchen musste und doch hielt sie etwas zurück, ließ sie kaum klar denken, denn die Flucht blieb vorerst alles, was ihr blieb. Dennoch schaffte es dieses Feuer einen Moment der Ruhe zu schaffen. Worte, sie brauchte Worte, einen Satz, um zu sprechen, sie auszutauschen und mit dieser Schwester wahrlich aufrichtig zu sprechen. Wenigstens sprach die Unbekannte, wählte Worte, die nicht weniger verwirrend für Lumi'ell waren, als der verdorbene Wahnsinn der tiefen Wälder. Es gebot sich aufmerksam, wohl gemerkt, wachsam, zu sein, um zu verstehen, wer vor ihr war und wer sie war. Namen kannte Lumi'ell einige, auch die Verbotenen, und doch konnte sie dieser Nachtschwester keinen Namen zuordnen. Sie konnte entschlüsseln, was sie suchte, was sie mitunter vom Schicksal ersuchte, so dass Lumi'ell damit übereinkam, dass beide vielleicht das gleiche Ziel hatten: diese Welt zu verlassen. Dathomir hinter sich zu lassen, neue Welten zu erkunden und mehr zu sehen, als das, was Gethzerion erlauben wollte. "Ja," antwortete die nachdenkliche Nachtschwester mit einem Nicken, strich sich dabei nervös durch die Haare und seufzte. Ihre Atmung war schwer und doch konnte sie für einen Moment freier atmen. Ihr Gegenüber war vorerst keine Gefahr, mit dem gleichen Ziel versehen, so denn ein wenig Hoffnung bestand, dass sie ihre Flucht für ein paar Atemzüge pausieren konnte.

Das seltsame aber ruhige Tier beachtete sie kaum. Doch hin und wieder konnte das Brummen des Bolmas, Lumi'ell ein fürsorgliches Lächeln und gleichsame Gedanken entlocken. Lumi'ell mochte Tiere, anders als manch andere Schwester.

Doch dann geschah etwas, was Lumi'ell überraschte. Die Fremde griff mit ihrer Hand ruhig nach Lumi'ells Kinn, um jenen Kopf zu drehen und sie direkt anzusehen. Lumi'ell kannte das nicht, da sie andere Schwestern oft gemieden hatten und auch war ihr diese Nähe unangenehm, denn die Fremde drang in einen Bereich ein, der sie in Gefahr bringen konnte, da kaum noch Reaktionszeit blieb. Gerade wollte sie ihren Kopf zurückziehen, dem Blick ausweichen, da ließ die fremde Nachtschwester auch schon ab. Kurz pochte Lumi'ells Herz, ließ sie mit weit geöffneten Augen auf die andere zurück blicken. Sie forderte sie auf, etwas zu trinken, reichte ihr sogar einen Wasserschlauch, den Lumi'ell mit ihren langen Fingern griff. Fast hypnotisiert, gebannt von dem vorbeigegangenen tiefen Blick, trank sie wortlos. Sie war fast erstarrt und musste sich erst befreien, denn die merkwürdige Aura der Fremden, die nun einen Namen hatte, war stark. Lumi'ell nickte, während sie jene Erstarrung abschütteln konnte. "Danke," sagte sie zögerlich und wiederholte dann den genannten Namen. Die Regeln der Gemeinschaft verlangten wohl nun auch eine Vorstellung ihrer selbst. "Ich bin Lumi'ell, Tochter der Aoife," sagte sie dann mit einem vorsichtigen - fast schüchternen - Lächeln, was jedoch an Stärke gewann und wahrlich keine Schwäche offenbarte.

"Ich kann das nicht annehmen,"
meinte sie und deutete auf die Unterlage, obwohl eine - fast bequeme - Unterlage besser war als der harte Boden neben einem Bolmas. Doch Lumi'ell war viel zu freundlich, viel zu gutmütig, um diese Unterlage nicht mit einem paar Worten abzuwehren, auch wenn ihr Körper und Geist sicherlich nach einem fast bequemen Schlaf hungerten. Mit ihrer Linken wischte sie sich achtsam einen Wassertropfen vom Kinn.
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#13
Ja sagte sie! Einfach so und ohne mit der Wimper zu zucken. Wahrlich, die Naivität der Jugend, die Augen verschlossen trapsten sie durch die Dunkelheit und vermochten unter der flimmernden Netzhaut nicht zu sehen, nicht zu erahnen welche Bilder diese einfachen Worte heraufzubeschwören vermochten. Wenn Calin'thir davon sprach ihr etwas zu zeigen, so war es gewiss mehr als ein Handzeig zu einer verstaubten Ruine - vielleicht hätte sie sich genauer ausdrücken sollen, dass dieses "Zeigen" viel mehr "Erleben" bedeutete. Nun, wie dem auch war, die Machthexe konnte ob dieser Reaktion kaum anders als verschmitzt zu Grinsen. Unklar und Ungewiss war es, ob es nun ein gewisses Maß an Niedertracht beherbergte oder ob die Dathomiri tatsächlich ob der unbedachten Aussage ehrlich amüsiert war.
Natürlich war Calin'thir klar, dass sie die arme Schwester in diesem Moment und dieser Situation überrumpelt hatte, dieser Schatten einer Nachthexe rang mit anderen Dämonen und hatte sicherlich nicht einmal zur Gänze zugehört und verstanden - wirklich verstanden um was es eigentlich ging. Aber auch hierin lag eine wichtige Lektion: Worte sollten mit bedacht und nicht leichtfällig gewählt werden, denn sie besaßen große Macht - und nicht nur metaphorische. Sie trugen das Echo der Gedanken hinaus in die Materie, bearbeiteten sie, verformten sie, schufen Neues... Darüber hinaus fungierten sie selbstredend als Siegel und wenn jemand Calin'thir mit "ja" antwortete, so war der Pakt beschlossen.

Doch vorher noch hatten sie Arbeit vor sich, diese Schwester, Lumi'ell mochte es selbst nicht sehen können, doch Calin'thirs blick reichte weit genug, um die schweren Ketten zu sehen, welche diese mit sich herumtrug. Das Grinsen verschwand und erlosch in einem kurzem Seufzer. Die Machthexe könnte dieser Kette folgen und war sich gewiss, dass sie diese bis zum Zirkel zurückführen würde. Lumi'ell hatte in ihrer übereilten Entscheidung zu fliehen zahlreiche Fehler gemacht. Man konnte nicht "einfach so" gehen, ebenso wenig wie man "einfach so" teil von etwas werden konnte. Es gab Regeln, kleine Riten zu beachten wollte man nicht, dass das Gewicht des Universum den eigenen Körper und Geist irgendwann unter sich begrub. Für den Moment musste sich Calin'thir fragen, wer diese Frau nur versucht hatte die Wege der Hexen zu lehren und in den wichtigen und grundlegenden Punkten offenbar so derart versagt hatte. Oder aber war das, was sie hier sah nun der Weg Gethzerions? War es das was die Clanmutter ihnen nun bringen wollte? Hexen, die kaum wussten wer oder was sie waren? Blind auf beiden Augen aber die Macht in den Händen ganze Welten zu zerreißen?
Wie dm auch sei... Die Dathomiri rappelte sich auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Nicht, dass einen großen oder gar langen Effekt gehabt hätte, vielmehr vielleicht ein unnötiger Reflex. "Oh, du kannst aber.", stellte die Machthexe ein wenig amüsiert fest. "Du solltest sogar. Der Boden von Mutter Dathomir mag für jemanden in deinem Zustand nicht das richtige sein, hm? Du bist geflohen...", meinte sie beiläufig, während sie das Feuer umkreist, sporadisch einen Blick auf Lumi'ell werfend. "...hastig sogar. Hast dich vielleicht etwas verletzt, hm?" Mahnend hob Calin'thir einen Finger. "Und keine von uns will, dass deine Wunden als Nahrung für so manchen Keim dienen. Wenn aber dein Stolz dir verbietet Großzügigkeit anzunehmen, dann sehe es wie folgt: Ich erwarte dass du arbeitest. Morgen früh wirst du die Sachen packen und auf dem Tier verstauen. Keine Ausreden, nichts dergleichen." Worte die mehr Befehl als Vorschlag waren, gesprochen von einer Person die nicht immer Widerspruch duldete, zumindest dann nicht, wenn die Rollenverteilung von Lehrerin und Schülerin so klar auf der Hand lag.

"Wenn du diese Aufgabe erledigst, werde ich dir weiter helfen.", meinte Calin'thir und hielt letztlich wieder inne, nun jedoch den Blick in die lodernden Flammen gerichtet. Sacht streckte sie eine Hand nach vorn, spürte wie die Flammen in den verdorrten Holz ankerten. Ein Knoten, der gelöst werden konnte. Die Wärme zurück in das Herz des Planeten, so beschloss sie, und den hellen Schein in ihre Hand. Es vermochte für den Beobachter nur eine Sekunde gedauert haben, da sich schemenhafte grüne Geisterfäden um die Feuerstelle schlangen und diese zum verstummen brachten, statdessen nun waren sie nur noch ein flackernder kleiner Lichtschein auf der flachen Hand der Hexe. "Denn wenn ich dir nicht helfe, ziehen dich deine Ketten zurück zu ihr. Zurück zum Zirkel." Ihr Blick richtete sich ernst auf die junge Dathomiri, während die Flammen in einem zarten Tanz auf ihrer Hand spielten. "Du kannst einer Bindung nicht entkommen, wenn du sie nicht auflöst. Aber wie, nicht wahr?" Calin'thir hielt sich die flache Hand vor dem Mund, ho den Kopf ein wenig, etwa in die Richtung, in der Dathomirs Sonne würde am nächsten Morgen erstrahlen. Und das Licht zurück zu den Sternen. Sanft blies sie in die Flammen die sich nunmehr zu kalten Funken wandelten und vom Wind im dunklen Nachthimmel verteilt wurden. "Doch für den Augenblick schlaf und finde Ruhe. Fokus und Balance, Lumi'ell. Wir können nicht sehr weit rennen, wenn wir nur stolpern." Damit wandte sich Calin'thir ab und lenkte ihre Schritte zum grunzenden Bolmas. Es würde eine eher beschwerliche Nacht werden, aber sie hatte gewählt und würde es ertragen. So ließ sie sich am warmen, weichen Bauch der Kreatur nieder, lehnte ihren Kopf an und schloss die Augen.
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#14
Warum fühlte Lumi'ell einen leisen aber kalten Wind in ihrem Genick? Es schien fast so, als der dunkle Schatten, wieder dort weilte, drohte sie zu packen und mit sich zu nehmen. Doch es war anders. Sie hoffte auf eine gnadenvolle Macht, die Rettung und Segen war, und doch, war dieses Gefühl schlicht kalt, ins Leere fallend, fortreibend und gleichsam frostig bindend. Hatte sie etwas getan, was ein Band geschlossen hatte? Einen stillen Vertrag geschlossen, der sie mit einer Macht verbunden hatte, die ihr einfach nicht bekannt war? Lumi'ell fasste sich mit ihrer hektischen Linken ins Genick, dort wo dieses Gefühl aufkam, sich ausbreitete und sie gleichzeitig frösteln ließ. Was sahen ihre Augen? Was sollte sie sagen? Unbedacht und unsicher war Lumi'ell, unerfahren und leider sehr begabt, so dass jeder Schritt auch eine Gefahr war. Manchmal war ein Traum genug aber in diesem Augenblick hatten Träume wenig Wirkmacht, da sie keine Absicht verbanden, sondern schlicht Perspektive waren. Dieses Gefühl wurde Gewissheit, dass sie sich unwissend, an diese Schwester gebunden hatte und sie mitunter die einzige falsche Rettung war, die ihr blieb. Lumi'ell wollte nicht zurück, in jenes Leben der Angst und der geschlossenen Pein, die Gethzerion ihr abverlangte. Sie wollte keine Seelenweberin sein, sie wollte jenen Abgrund nicht erleuchten, nicht hinaustreiben in dieses dunkle Meer, welches Kreaturen zeigte, die sie bis in ihre eigene Seele hinein ängstigten. Es war der unaussprechliche Horror, den sie gesehen hatte. Sollte sie sich offenbaren und dem Wahnsinn Worte geben, aber war dies überhaupt möglich? Lumi'ell atmete schwer, versuchte jenes Gefühl von sich zu weisen, indem sie sich kräftig ihr Genick rieb.

"Vielleicht...", versuchte sie Worte aus einem Grab ihrer eigenen Eloquenz zu befreien. "Vielleicht sollte ich das," antwortete sie schließlich. Es war fast eher ein Flehen, denn eine Erklärung, da ihre Stimme nicht voll im Klang war, sondern auch schüchtern leise herausbrach, fast so als ob jedes Wort falsch sein konnte. Ihre Augen senkten sich ab, ihr Blick wanderte in Richtung Boden, um Calin'thirs Augen auszuweichen. Etwas hielt sie ab, sie die fremde aber auch gleiche Schwester anzublicken. Das Lagerfeuer knisterte, brauste auf aber wandelte sich nicht in einen Feuersturm, sondern gebar weiter Wärme und Licht. Ein Licht, welches ihr so nah war. Es hielt den Horror fern, der in der Dunkelheit lauerte. Einen Horror, den Lumi'ell erblickt hatte, aber nie wieder erleben wollte. Sie war durstig nach einem anderen Leben, nach etwas, was sie für immer vom Horror trennen sollte, welcher stets lauerte. Lumi'ell konnte noch nicht begreifen, nicht verstehen, dass der Horror längst dort hauste, wo sie selbst war. Das Unaussprechliche, der dunkle Schatten, folgte stets jeder Entscheidung und war zur gleichen Zeit überall, denn er war die andere Seite der Entscheidungen, dort im Nichts und in der Ewigkeit, der sinnvollen Bedeutungslosigkeit aller Handlungen. Der Horror war inzwischen verbunden mit ihrer Person, da man Schicksal nicht ungesehen machen konnte. Illusion und Traum waren gleich. Beide konnten Macht haben. Und beide waren Ausgeburten eines jeden denkenden Lebens. Lumi'ell fürchtete ihre Träume, dass sie wahrhaftig Illusionen werden konnten. Oder sogar Realität.

Calin'thir begann aus Lumi'ells Wahrnehmung sie selbst zu umkreisen, zu beobachten, einzukreisen und aufmerksam zu beäugen. "Ich habe mich verletzt," entgegnete sie und deutete auf die Wunde, presste den notdürftigen Verband fester, so dass ein aufmerksamer Schmerz durch ihren Arm zuckte. Ein Schmerz, der ihr zumindest anzeigte, dass sie noch lebte. Lumi'ell nickte bei den mahnenden Worten, fast so, als ob Calin'thir eine fürsorgliche Lehrerin war. Inzwischen schien sich jenes Gefälle zu zeigen, dass Lumi'ell schlicht akzeptierte, da sie selbst sehr wohl wusste, dass sie wenig wusste. Sie hatte kaum Erfahrungen, kaum Kenntnisse und war von Gethzerion nicht zwingend in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt worden. Sie akzeptierte die anführende, nahezu belehrende Rolle, die Calin'thir an sich riss, vorerst stillschweigend. Sie nickte abermals, wobei sie ihre Augen schloss. Ihre Gedanken machte eine leise Poesie, die niemand wirklich hören konnte, denn der dunkle Schatten sang für sie im Dunkeln, als die Blätter und Äste laut abknickten. Eine Seele, die hören wollte, konnte mitunter den Gesang sehen, erspüren und wissen, dass Lumi'ell gesegnet, wie verflucht, war. Dathomir hörte ihr zu, wie auch jene Kreaturen im Abgrund aller Zeiten. Gethzerion wusste dies, wollte sie als Waffe verwenden aber nicht jede Waffe, will eine Waffe sein. Lumi'ell entzog sich jener Magick, jener Albtraumhaftigkeit, durch Flucht und naivem Eifer. Sie konnte nicht unterscheiden zwischen dem Zeitpunkt zu warten und dem Zeitpunkt zum handeln. Wenigstens war sie hier, nicht mehr allein, und wenigstens gab es ein Licht, welches den Schatten fernhielt.

Sie wollte sich zeigen, offenbaren, mitteilen und aussprechen, was sie gesehen hatte aber sie konnte es nicht. Die Poesie blieb in ihren Gedanken, die Worte waren nicht geschaffen für diese Welt, nicht für die sterblichen Münder. Das Unaussprechliche blieb unaussprechlich. Auch eine einfache Wahrheit. Niemand konnte beschreiben, wie der Abgrund und der darauffolgende endlose Abyss wirklich aussah, was er tat und was dessen Sinn wirklich war. Er war einfach dort, starrte mit allem Horror und Schrecken hinauf, in die Seelen der Zuschauer. Wenn es das Schicksal wollte, würde sich Lumi'ell vorerst fügen und die Schülerin dieser sicherlich kruden Nachtschwester werden, die ebenso verdammungswürdig und verdammt entkommen war. Es änderte nichts daran, dass die Furcht blieb.

"Danke," erhob sie ihren Blick, zeigte ihre glasigen aber schönen Augen, die mit einer für Dathomir untypischen Wärme ausgestattet waren. Es fehlte jene Einfärbung, die Dathomiri so gemein war und wohl Teil jener Lebensprägung durch diese Welt war. Lumi'ell war eine Nachtschwester, hier geboren und aufgewachsen aber irgendetwas an ihr war es auch wieder nicht. Calin'thir half ihr. Sie sah ihre Ketten, ihr wahres Gefängnis konnte sie noch nicht sehen, denn das Nicht-Gesagte verweilte, wie ein Fehler, dort. "Ich will nicht zurück," bekräftigte Lumi'ell mit festeren Worten und atmete erbost aus, fast so als ob sie Gethzerion verfluchen wollte. Calin'thir war klug genug, um ihre Ausbilderin auf Zeit zu sein. Lumi'ell begriff, dass sie ihre Hilfe dringend brauchte. Lumi'ell folgte der Geste von Calin'thir und machte ihre Bewegung nach. "Das werde ich, Calin'thir." Lumi'ell bewegte sich nicht ganz elegant zum Liegeplatz, versuchte sie nieder zu legen, und blickte dabei auf die andere Schwester, die sich mit ihrem Schicksal abfand und einen Schlafplatz beim Tier wählte. Ein freundliches Schmunzeln entfloch Lumi'ell. "Die Seelen mögen uns bewahren," sagte sie als Nachtwunsch, wie es üblich war und versuchte dann eine passende Schlafposition zu finden. Der morgige Tag würde weiteres bereit halten.
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#15
Schattenschleier im scharlachroten Nebelland, wie Tore hingen sie hinab zwischen den seltsamen Bäumen, die den Boden ihrer Heimaterde entsprangen. Nicht nur wie Tore, nein, vielmehr waren sie genau dies. Die Natur spross nicht so willkürlich wie mancher dachte und im verstrickten Dickicht war die schwarze Leere zwischen den Bäumen eben genau dies: ein Tor zum durchschreiten und wer ihnen behutsam folgte, würde sich nicht verlaufen.
Die Traumwelt des sanften Schlafes war sehr ähnlich gestrickt und bot doch so viel mehr Möglichkeiten als die Welt stofflichen Seins. Hier konnte alles geschehen oder - wie wohl bei den meisten intelligenten Lebewesen der Galaxis, es passierte einfach. Wer nun aber geübt darin war die eigene Mitte zu finden, der konnte hier Wunder entdecken die ein Geist nur schleierhaft erahnen konnte. Anders als die Tore, waren die Wege der Traumwelt allerdings äußerst fragil und ein Zustand sanfter Trance verlief eher wellenförmig denn linear. Sie konnte den Halt verlieren, sich von unsinnigen Gedanken abbringen lassen und am Ende mit nichts in der Hand wieder aufwachen. Wenn Calin'thir es jedoch gelang ihren Geist ruhig zu halten, war es beinahe, als könnte sie dem ewigen Zyklus aus Leben und Tod selbst lauschen. Tote Schwestern, die ihre Worte ziellos flüsterten, albtraumhafte Bestien, welche die Nachtlande nach Beute durchstreiften oder vorbeiziehende Sterne die Dathomir einen kurzen Gruß sandten.
Es geschah viel und alles was sie tat war in diesem endlosen Mahlstrom mitzuschwimmen. Es zu bewundern und zu bestaunen. Ein Gefüge, um das Galaxien kreisten, von denen sie nicht wusste, dass es sie überhaupt gab. Manchmal gelang es ihr einen kurzen Blick hineinzuwerfen - sie verstand nicht was sie dort sah oder was es war und noch weniger kannte sie die Worte es zu beschreiben - doch die Unendlichkeit des Seins war in diesen Momenten schlichtweg berauschend.

Irgendwann würde der Moment vorbei sein und das Verlangen nach verdienter Regeneration würde siegen. Aber die Hexe zögerte es diese Nacht hinaus, spielte ein Wechselspiel der Trance und des Wachzustandes, öffnete immer wieder leicht ihre Lieder und starrte hinaus in das Sternenmeer - nur um danach noch tiefer hinabzusinken. Kurz streckte sie sogar die Hand empor, hatte Calin'thir doch einen besonders hellen Punkt ausgemacht und tat so, als könnte sie das winzige Objekt wie ein schwirrendes Insekt greifen. Vermutlich war es nur eine ferne Sonne, die einmal mehr aufflackerte, bevor sie ausbrannte. Doch - und immerhin war es ihre Traumwelt - hoffte sie insgeheim auf ein Sternenschiff, dass sie einfach so packen und nehmen konnte.
Irgendwann aber erschlaffte der Arm und sie ließ auch die letzten Hoffnungen und Wünsche vorüberziehen. Sie atmete noch einmal ruhig aus, als würde sie ein Stück ihrer Seele in Nachthimmel selbst entgleiten lassen, damit der Körper seine Ruhe fand.

Irgendwann fand auch die Sonne sie wieder, zögerlich hinter einer nebligen Trugwolke rang sie mit der Dämmerung und würde letztlich wohl triumphieren. Calin'thir spürte wie das Leben zurück in ihre Glieder kroch und wünschte sich für einen kurzen Moment, dass es noch nicht so weit wäre. So beleibt ihr Lasttier auch war, es gab dennoch erholsamere Positionen, bei denen Glieder und Nacken nicht gleich steif wie Knochen waren. Die Hexe reckte sich einige Male und kam letztlich auf die Beine während ihr Blick das Lager durchstreifte. Alles war, wie es sein sollte. Ein erloschenes Feuer und das verlorene Findelkind.
Calin'thir griff nach ihrem Tornister und machte sich auf, einem Geist gleich, zu entschwinden. Nicht um jemanden zurückzulassen, aber wie bereits am Abend prophezeit, war die Duftnote des Bolmas doch etwas zu viel für ihre Nase. So machte sie sich auf und Schritt hinaus in die magische Dämmerung Dathomirs. Ihr Weg führte sie einen kurzen Steilpfad entlang, an dem einige Moose und Gräser hingen und an dessen Ende sich, mit ein wenig Klettergeschick, ein Vorsprung erklimmen ließ. Von dort aus führte sie der Weg entlang durch wildes Gestrüpp bis zu etwas, dass man auf Dathomir wohl am ehesten als einen "Hain" bezeichnen konnte. Knorrige Bäume standen rings um einen kleinen Teich, der sich aus einem zarten Bach speiste, der sich seinen Weg - womöglich über zehntausende von Jahren - durch die karge Landschaft gebahnt hatte.
Calin'thir kramte einen ovalen Gegenstand aus ihrem Tornister - Seife, vermutlich zur Gänze anders als in der Galaxis bekannt, so war diese doch aus eingekochtem Tierfett und heimischen Blüten hergestellt, besaß aber, wie sie selbst sagen musste, einen bezaubernden Duft. Die Hexe entledigte sich ihrer Kleidung und stupste diese mit dem Fuß in das kühle Nass, ehe sie sich selbst, rücklings, in den Teich gleiten ließ. Es würde sich wohl auch zeigen ob Lumi'ell bei ihrer Rückkehr ausgeschlafen hatte und sich an ihre Aufgabe erinnerte.
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#16
Eine stille Wehklage, wortlos von lebendigen Lippen geworfen, fiel in das Dunkel der Nacht. Lumi'ell fand in ihren Traumwelten nicht jene Reise, jene Wunder, sondern nur diesen einen Abgrund, welcher nicht einmal ein Ende war. Wenn doch nur jemand wirklich an sie glauben konnte, denn sie war so furchtbar erschöpft, so dass sie an nichts mehr glauben wollte. Gethzerion wollte sie schlicht für ihre Rache, ließ sie nicht los und gebar sogar in der Ferne Kontrolle über jeden Wunsch durch Abkehr. Zerstörung des Selbst mochte Erlösung sein und doch war diese Erlösung ebenso eine Lüge, denn Lumi'ell hatte nicht einmal begonnen, zu verstehen. Dathomir wollte sie nicht, doch ließ sie auch nicht los. Die Nachtschwestern brauchten sie nicht und doch war sie eine Nachtschwester. Lumi'ell suchte Antworten, immer wieder nur Antworten, auf ungestellte Fragen, getrieben von einem Wunsch nach Sinn und Bedeutung. Sie wollte loslassen, doch gelang es nie. Die junge Schwester reduzierte sich, begrenzte sich, in der klaren Absicht, Mauern zu errichten, um sich vor dem wahren Dunkel zu schützen. Ihr Körper zuckte im Schlaf, verkrümmte sich und zeigte deutlich ein schauerliches Ungemach an diesem Ort. Das wärmende Feuer begann dezent zu erlöschen. Es war kein Schlaf, sondern viel mehr ein Sturz in den Abgrund, der niemals endete. Es war niemals vorbei. Nicht nach all den Riten und Ritualen, die Gethzerion verlangt hatte.

Calin'thir und Lumi'ell machte die Zeit gleich. Dieser Augenblick machte sie einander ähnlich. Mochten noch so grausame Mächte auf sie herablicken, sie hatten sich gefunden und konnten für diesen einen Moment eine Zuflucht erbauen; auch wenn es nur ein Feuer bei Nacht war. Calin'thir war deutlich mehr für Lumi'ell, als sie jetzt eingestehen wollte sowie konnte. Lumi'ell brauchte eine Schwester, eine Mentorin und eine echte Wegweiserin in diesen verwirrenden Zeiten. Wieder schüttelte sich ihr Körper. Eine unheilige Kälte wuchs.

Die Nacht überkam diesen Ort, das Feuer erlosch und die beiden verbrachten eine der typischen Dathomir-Nächte im diesigen Nebel. Die Sonne fand sich wieder, zögerlich hinter einem nebligen Morgentau rang sie mit der Dämmerung und würde letztlich wohl obsiegen. Der Tag begann für Lumi'ell wenig erholsam, fast erschöpft war sie aus dem Schlaf gerissen, als sie feststellte, dass Calin'thir nicht mehr in der Nähe war. Wieder allein. Doch dieses eine mal war es anders. Etwas sagte ihr, dass Calin'thir zurückkehren würde. Lumi'ell erhob sich mit unbeholfenen Bewegungen vom Boden, richtete ihre Haare mit einer hektischen Bewegung, da sie sich an ihren Arbeitsauftrag erinnerte. Sie gedachte diesen auszuführen, nicht nur, weil es von einer Schwester erbeten worden war, sondern weil sie sie selbst darauf baute, dass sie ihr wenigstens etwas zurückgeben musste. Wie gewünscht, begann sie früh die Sachen zu packen und auf dem Tier zu verstauen. Dies war eine bekannte Übung. Eine Nachtschwester konnte Dinge packen, eine Lagerstelle verladen und entsprechend vergurten. Lumi'ell war nicht einmal ungeschickt darin, so dass alsbald der Lagerplatz vollständig verladen war. Mit ein paar großen Tritten beseitigte sie noch die Feuerstelle, so dass diese kaum noch zu sehen war. Danach bedankte sie sich beim Bolmas mit ein paar freundlichen Kopfstreichlern. Sie spürte, dass er eine gute und ausdauernde Seele besaß. Jetzt hieß es nur warten und nach all der Zeit, in der sie allein für sich gekämpft hatte, war diese Wartezeit im Angesicht dessen, recht überschaubar.
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