#9
Das Leid des machtbegabten Mädchens war beinahe greifbar. Wie eisiger Nebel zogen Mytrias Gefühle durch Saanzas brüchige Barrieren und vermischten sich mit ihren eigenen. Sie wiederholte den Jedi-Kodex in ihren Gedanken und hoffte, dass seine beruhigende Wirkung auf die Schülerin übergehen würde. Heimatlos. Hilflos, stand es wie ein wortloses Flehen im Geist des Mädchens geschrieben, dass jemand ihren Schmerz erkennen und versuchen würde, ihn zu heilen. Doch diese Art der Heilung konnte nur aus ihr selbst kommen. Saanza mochte ihr zwar helfen, einen Weg und einen Platz zu finden, doch Mytria musste ihn selbst wählen. Niemand konnte ihr sagen, wo sie hingehörte und wie sie zu sein hatte – auch wenn es zweifellos in der Vergangenheit jemand versucht hatte. Vielleicht war sogar Luke oder einem der anderen Bewohner des Praxeums dieser Fehler unterlaufen. Auch Saanza war der Ansicht, dass Mytria hierher gehörte. Hier sein musste, wenn sie wieder heil werden wollte, so wie die Verbindung zu den Jedi einst Saanza geheilt und gerettet hatte. Doch dieses Gefühl musste aus Mytria selbst kommen. Ob es ihre eigene Entscheidung oder der Wille der Macht war, war in diesem Falle unbedeutend. Die Macht, ohne die Pervertierung der Dunklen Seite, wählte stets den richtigen Weg. Es fehlte ihren Anwendern nur oft das Gespür, ihn zu erkennen und zu beschreiten.

„Du fürchtest die Macht, weil du glaubst, dass du mit ihr nicht du selbst sein kannst?“, fragte die Jedi-Ritterin sanft. „Dass sie dich zu jemandem formen will, der du nicht bist?“ Saanza schüttelte den Kopf und schloss die Augen, fast wie bei einer Meditation. „Die Macht ist ein Teil von dir. Das war sie schon immer, auch als du sie noch nicht spüren konntest. Sie ist Leben und Vergehen, der natürliche Weg der Dinge. Wenn du in dich hineinhorchst und ihr zuhörst, kann sie dir dabei helfen, deinen Platz zu finden. Dein wahres Ich. Aber sie kann nicht bestimmen, welchen Weg du einschlägst. Ich spüre den Konflikt in dir – aber keine Bösartigkeit.“ Saanza öffnete die Augen und sah Mytria nun wieder fest an. „Die Macht nimmt stets die Form an, die wir ihr geben. Das ist eines der traurigen Geheimnisse der Dunklen Seite. Wer sie mit Zorn und Hass wie eine Klinge führt, der wird sich an ihr schneiden – weil es nicht das ist, wofür sie bestimmt ist. Deine Angst wird von der Macht wie von einem Spiegel zurückgeworfen. Weil du sie dir als etwas vorstellst, dem du nicht entfliehen kannst, das dich gefangen hält. Aber du hast die Macht auch schon von einer anderen Seite gesehen.“

Es war eine halb ausgesprochene Frage. Doch jener Konflikt wäre nicht dort, wenn Mytria die Macht nicht auch als etwas Gutes wahrgenommen hätte. Wäre sie immer nur ein Schreckensbild gewesen, so wäre das Mädchen gewiss schon längst vor ihr davongelaufen. Wahrscheinlich… Wenn nicht andere Gründe sie veranlasst hätten, gegen ihren Willen zu bleiben. „Warm. Behütend und begleitend. Das ist ihre wahre Natur. Darum lehrt uns der Jedi-Kodex, mit unseren Emotionen achtsam zu sein. Ihnen zu vertrauen, aber ihnen nicht die Herrschaft über unser Handeln zu erlauben. Die Macht um dich herum wird auch von dem gefärbt, was du empfindest.“ Und manchen bereitet es Kopfschmerzen, dachte die Jedi mit wehmütigem Lächeln. Strahlte sie für Mytria auch Dunkelheit aus? Sie hoffte, dass die Nachwirkungen von Thule bald verklingen würden. Es war schon lange genug her, dass sie die Heimreise nach Naboo angetreten hatte. Doch in all der Zeit hatte es keine Möglichkeit gegeben, ihre Gedanken von den Ereignissen zu lösen. Vielleicht würde die Ablenkung ihnen beiden gut tun.

„Theed“, wiederholte Saanza nachdenklich und wich Mytrias Blick aus, während sie in ihrem Innern nach einer Antwort suchte. War es wirklich eine so gute Idee, jetzt das Praxeum zu verlassen? Niemand hatte sie so behandelt, als könne sie eine Bedrohung für die Jedi-Enklave darstellen und es war nur eine kurze Strecke entfernt… Wenn es Mytria half, auf andere Gedanken zu kommen, konnte es so falsch nicht sein. Und der Mann, mit dem sie unbedingt reden musste, war fort. [i]Ich werde darum bitten, dass man mich informiert, sollte Luke in unserer Abwesenheit zurückkehren. Dann verliere ich keine Zeit, um mit ihm zu sprechen. „Ich hatte zwar eher an etwas in der Umgebung gedacht, aber Theed klingt gut.“ Die wollte Mytria den Weg bestimmen lassen. Entscheidungen treffen, mit denen sie zufrieden war, damit sie beide mehr über das Mädchen erfahren konnten, das sich hinter der Fassade einer Jedi-Schülerin verbarg. „Ich bin schon sehr, sehr lange nicht mehr dort gewesen. Es wäre schön, die Stadt einmal wiederzusehen. Wann immer du bereit bist.“
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