#9
Die Annahme, sie wäre ängstlich gewesen, hatte Sosul als Unterstellung aufgefasst. Das von ihrer Rechtfertigung amüsierte Lächeln der Twi'lek hätte das Mädchen daher gegen sie aufbringen müssen. Doch kaum wurde Riftas Mimik wieder ernster, vermisste die Togruta den freundlichen Gesichtsausdruck, der die feingeschnittenen Gesichtszüge so einnehmend wirken ließ.
Dass die Einwohner Commenors Spezies wie die ihre als minderwertig empfinden sollten, traf die Togruta und ließ sie unwillkürlich das Kinn heben. Dass nach Riftas Auffassung viele Menschen zudem ihre Ansichten verborgen hielten, fasste etwas in Worte, das Sosul häufiger wahrgenommen, aber nie zu benennen gewusst hatte. Erinnerungen kamen in ihr auf, als man nicht mir ihr oder Ket hatte sprechen wollen und sich stattdessen an Fidar oder Ghato gewendet hatte. Oder sie schlicht überhört hatte, auch wenn Sosul sich sicher gewesen war, verständlich genug gesprochen zu haben. Ihr Magen zog sich zusammen und plötzlich hatte sie keinen Appetit mehr.
Für den darauffolgenden Themenwechsel war Sosul dankbar und wollte bereits fragen, ob es jemand war, für den Rifta arbeitete, der sie nach Commenor entsendet hatte. Doch dann schloss die Twi'lek die Augen und die Frage war vergessen, als sich eine Vielzahl auf dem Boden verstreuter Kleinteile zusammen mit Staub, winzigen Steinchen und den nicht mehr zuordenbaren Überresten längst vergangener Gegenstände um Riftas Gestalt erhoben. Als nähmen sie ihre Plätze in einer eigenen Galaxie ein, schwebten sie empor und Sosul erwartete beinahe, dass sie zu kreisen begannen. Sie hielt inne, als könnte eine einzige ihrer Bewegungen den Zauber brechen. Dann schickte ihre Neugierde sie jedoch einen Schritt vor, um mit der rechten Hand fast zärtlich einen Metallsplitter zu umschließen, ohne ihn wirklich aus der Luft zu greifen. Während er sich auffallend schnell vom Boden erhoben hatte, hielt ihn nun die unsichtbare Kraft, von der Rifta gesprochen hatte und ließ ihm nur wenig Raum, um sich zu bewegen. Nur mit halbem Ohr hörte Sosul weiter zu, bis die Partikel plötzlich ihren Halt verloren und sie zugriff, um das matte Stück Metall festzuhalten. Sie betrachtete es auf ihrer Handfläche, wo es ruhte und ihm nicht anzusehen sein wollte, dass es sich aus eigener Kraft zu erheben vermochte. Gedankenversunken schüttelte Sosul in einer winzigen Bewegung den Kopf, schließlich konnte sich der Splitter nicht aus eigener Kraft erheben, sondern nur aufgrund derer Riftas. 'Oder meiner eigenen. Sosul ließ das Metall achtlos zu Boden fallen und nickte langsam, ohne ein Wort anzuzweifeln. Wenn sie diese Fähigkeit besaß, wovon die Twi'lek überzeugt schien, konnte ihr Wirken sicherlich auch gefährlich werden. Zumindest, wenn es stimmte, dass sie davon Gebrauch gemacht hatte, ohne es zu bemerken. Sie hätte keinen der Menschen ernsthaft verletzen wollen, sodass es gut war, dass Rifta dazwischengetreten war. Aber der Gedanke, dass zumindest der Händler einen Preis für sein Handeln gezahlt hatte, trug dazu bei, dass sich der Knoten in ihrem Bauch etwas löste. Ohne Zweifel würde er von nun an anderen Spezies gegenüber zurückhaltender sein, auch wenn es aus der falschen Motivation heraus geschah. Und es vielleicht nicht notwendig gewesen wäre, ihn um sein Bewusstsein zu bringen.

Die eleganten Finger der Twi'lek nahmen indes eine zerbrochene Schale auf, die sich ebenfalls in die bloße Luft erhob. Gebannt beobachtete Sosul das Holzstück, als sei es das Wundersamste, auf das sie je einen Blick geworfen hatte. Dass diese Fähigkeit nur ein Bruchteil dessen sein sollte, wozu jenes unbekannte Energiefeld fähig war, entzog sich ihrer Vorstellungskraft und forderte sie zugleich zu den wildesten Ideen heraus. Bei den Sternen, sie wünschte sich bereits, nur eines der Dinge zu beherrschen, die Rifta ihr zeigte. Sosul legte die Hände unter dem Stoff verborgen zusammen, wie um sich selbst zurückzunehmen, sich nicht der Euphorie hinzugeben, die in ihr aufkam. Leicht lehnte sie sich auf ihren Fußballen vor, um einen besseren Blick darauf zu erhaschen, was wenige Meter entfernt mit dem ausgedienten Gegenstand geschah. Als das Holz barst und zu Boden fiel, zuckte sie zusammen. Auf diese Weise aus ihrer Reverie erweckt, konnte sie sie ihr Herz in ihrem Hals schlagen fühlen, schluckte und besann sich darauf, zunächst ihre Gedanken zu sortieren.
Neben dem Tresen stand ein hüfthoher Schrank. Dort, wo Schubladen hätten sein müssen, gähnten drei rechteckige Leeren. Sosul hatte das Bedürfnis, etwas Gewöhnliches zutun, sich abzulenken, um den Bann, unter dem sie sich selbst stehen sah, zu brechen. Der Raum war jedoch karg und verfügte nur über die Überreste ausgedienter Möbelstücke, sodass sie sich damit begnügte, langsam auf dem Schrank als einer eher ungewöhnlichen Sitzgelegenheit Platz zu nehmen. Sie wusste mit unerschütterlicher Sicherheit, dass das Wissen um die Existenz dieser Kraft sie nicht mehr loslassen würde. Eine Erinnerung an ihre Mutter stellte sich ein, die sich immer gefragt hatte, was die Galaxie außerhalb Shilis bereithielt. 'Das ist es, Maoona.' Die Hände schüttelte sie umständlich aus dem Überwurf und stützte sie auf der Kante des Schrankes ab. Blaue Augen sahen zu Rifta hinüber, deren Blick Sosul zuvor ausgewichen war. Die Twi'lek hatte bereits erwähnt, dass sie ihr beibringen konnte zu tun, was sie getan hatte. Aber Sosul wollte zumindest den Eindruck erwecken, zunächst über das nachzudenken, was sie erfahren hatte. Zudem hatte sie inzwischen gelernt, dass nicht nur für Waren stets eine Gegenleistung erwartet wurde.

»Könnte meine Familie auch diese Fähigkeit haben? Habe ich sie.. geerbt?« Ihre Beine begannen leicht vor und zurück zu pendeln, während sie an ihre Mutter dachte. »Und.. Ihr würdet mir das beibringen wollen?« tastete sie sich unbeholfen vor und wurde schließlich sicherer, als sie sich erinnerte, dass Rifta angegeben hatte, selbst nach Commenor geschickt worden zu sein. »Ihr habt vermutlich auch zu tun und seid vielleicht nicht lang hier. Ich meine, ich bin's leider auch nicht. Wir sind heute angekommen und bleiben meistens nur ein paar Tage an einem Ort, bevor es weitergeht.« Sie blickte zu Boden und sah im nächsten Moment wieder auf. »Reicht das denn? Und ist.. das« sie hob die Hand in angedeuteter Nachahmung einer der Gesten, die sie aufmerksam beobachtet hatte, »schwer zu lernen?« Ihre Beine schwangen stärker hin und her, bis sie sie überkreuzte und damit die Bewegung einstellte. »Und was verlangt Ihr dafür?« Das war ein Terrain, auf dem sie sich auskannte. Wenn es darum ging, etwas zu verhandeln, hatte sie inzwischen mehr als genug Übung. Zudem schien Rifta auch ein Interesse daran zu haben, ihr diese Fähigkeit zu vermitteln. Sonst hätte sie sie vielleicht gar nicht angesprochen oder angeboten, ihr etwas beizubringen. Wenn Sosul mehr erfuhr, würde es ihr vielleicht möglich sein, eine annehmbare Vereinbarung zu treffen. Von Ghato wusste sie, dass sich keine Tür ohne Chips oder Bares öffnete. Der Gedanke an die kleine Händlercrew ließ sie unwillkürlich lächeln. Sie würden mehr als überrascht sein, wenn sie von ihrer Begabung erfuhren. Diese Überlegung brachte sie auf einen weiteren Gedanken. »Kennt Ihr viele andere.. Personen, die diese Fähigkeit haben?« Für das Thema erwärmt, lächelte sie spitzbübisch und fuhr in Erinnerung an das mit Rifta geteilte Erlebnis fort: »Gibt es auch Menschen, die das können?« Vor ihrem inneren Auge sah sie immer wieder, wie ihre neue Bekanntschaft Unmögliches vollbracht hatte. Die Vorstellung lenkte sie zu sehr ab, sodass ihr nicht auffiel, dass sie jede Frage, die ihr in den Sinne kam, zusammenhanglos äußerte. Übersinnliche Kräfte waren etwas für Geschichten. Dass dies nicht mehr zu gelten schien und Naturgesetze gemäß Riftas verheißungsvollen Worten nicht länger absolut waren, erfüllte Sosul mit einem ungeahnten Gefühl tiefer Befriedigung.
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