#3
Munto

Das Schlimmste war, entschied Sosul nach eingehender Überlegung, dass sie angefangen hatte, auf Huttisch zu denken und absolut nichts dagegen ausrichten konnte. Sie schnaubte und trat die Überreste eines herrenlosen Bechers zur Seite. 'Coona tee-tocky malia, outmian youngee. Ha.' Inzwischen war sie lange genug dabei, um nicht länger als Außenseiterin betrachtet werden zu müssen. Und zu spät gekommen war sie auch noch nie. Zugegeben, auf Botajef war sie zwar nach der vereinbarten Zeit zurückgekehrt, aber 'vereinbart' war in diesem Zusammenhang ein dehnbarer Begriff, dessen Bedeutung abhängig davon variierte, wen man fragte. Ghato beharrte darauf, der Zeitpunkt sei abgesprochen gewesen. Sosul würde sich immerhin darauf einlassen, dass er äußerst missverständlich kommuniziert worden war. Mit aufeinandergepressten Lippen schüttelte die Togruta den Kopf und ihre Lekku schwangen leicht hin und her. Die Hände mit steifen Armen tief in den Taschen ihrer Latzhose vergraben, hielt Sosul das Haupt gesenkt, als beabsichtige sie den nächsten, der ihren Weg kreuzte, in Ermangelung echter Hörner mit ihren stumpfen, jugendlichen Montrals aufzuspießen. Ihre angebliche Angewohnheit, sich zu verspäten, war noch nicht einmal Gegenstand des vorangegangenen Streits, in dessen Verlauf sie irgendwann genug gehabt und sich auf den Weg in das Stadtzentrum Muntos gemacht hatte. Die gerade aufgekommene Erinnerung an frühere Spitzfindigkeiten antizipierte lediglich, was sie aller Voraussicht nach bei ihrer Rückkehr erwartete.
Hinter sich hörte sie ein leises Surren, das schnell lauter wurde und im letzten Moment bemerkte sie, dass sie vom Fußweg abgekommen war. Ein hastiger Schritt zur Seite und schon zog ein Speeder an ihr vorüber, dessen Führer ihr etwas Unhöfliches nachrief, das sich bereits im nächsten Moment in der vor Hitze flimmernden Ferne verlor. Zurück blieb lediglich ein Luftzug, der Staub aufwirbelte und ihre locker sitzenden Ärmel flattern ließ. Seit sie ihren Heimatplaneten verlassen hatte, war sie schmaler geworden. Ihre Muskeln hatten sich an den gemächlicheren Lebensstil angepasst und abgenommen. »Koochoo goo!« stieß sie in Richtung des sich schnell entfernenden Fahrers hervor. Ihre Augenbrauenpartie zogen sich im nächsten Moment über den eigenen Gedanken verärgert so zusammen, dass Sosuls Gesichtsausdruck aus der Sicht eines Humanoiden noch grimmiger wirkte, als er es aufgrund ihrer Pigmentierung ohnehin tat. »Dämlicher Dreckskerl.« sprach sie die Worte erneut sorgfältig und weitgehend verharmlost in Basic aus. Sie war noch lange nicht soweit, sich einzugestehen, dass das Fluchen in Huttisch eine ungeahnt befreiende Wirkung entfaltete. Ebenso blieb ihr daher der Grund verborgen, weshalb diese Sprache so eingängig war wie ein Ohrwurm des neusten Spitzenreiters der sektorweiten Hitliste.
Vom erhöht gelegenen Landeplatz des Raumschiffes aus hatte Sosul die in Terrassen angelegte Großstadt nahezu vollständig überblicken können. Unten im Tal erlaubten umstehende Gebäude nun nur gelegentlich einen Blick auf die bebauten Berghänge. Umso weiter sie in das Zentrum von Munto vordrang, umso mehr nahm die sich stetig verändernde Umgebung ihre junge Besucherin ein. Von allen Seiten stritten Eindrücke um ihre Aufmerksamkeit und die Togruta gab sich dem berauschenden Gefühl einer fremden Stadt hin. Anzeigetafeln priesen einen in den nächsten Tagen stattfindenden Tierwettbewerb an, der in diesem Jahr ein Jubiläum feierte. Auf einem anderen Holobildschirm zwinkerte ihr eine für humanoide Augen attraktive, menschliche Frau zu, deren Körper in einer seltsam anmutenden Rüstung steckte, die in einer wirklichen Auseinandersetzung wenig Schutz bieten würde.
Ghato hatte gesagt, sie würden nicht lange auf Commenor bleiben. Als er den Grund dafür nennen wollte, hatte sie ihn unterbrochen - der Mensch hatte für alles Mögliche mindestens eine Erklärung zur Hand und nichts, was man sagte, konnte daran etwas ändern. Er wollte nur einige Bekannte aufsuchen, die den Besuch lohnenswert machten und dann verschwinden. Die Crew sammelte Credits und seltene Waren, Sosul wiederum führte eine imaginäre Kollektion von Planeten und Städten, die sie bereits besucht hatte und unterhielt sich in Gedanken immer wieder abwechselnd mit ihrem Bruder oder einer früheren Freundin über das, was sie inzwischen gesehen hatte. Ihre Hand schloss sich um die Credit-Chips in ihrer Hosentasche. Selbst wenn sie über das Gewinnstreben der Händler hin und wieder nur die Nase rümpfen konnte, kam auch sie nicht ganz ohne Geld aus. Auch in ihrer Heimat spielte der Handel eine Rolle. Mit Ghato hatte sie ein Arrangement treffen können, das ihr ein gewisses Auskommen verschaffte, ohne dass sie sich allzu sehr verausgaben musste. Ein halbseitiges Lächeln grauer Lippen zeigte sich auf ihrem Gesicht. Nach wie vor war sie nicht ohne Stolz, wenn sie an die wiederkehrenden Verhandlungen über von von ihr zu leistenden Beitrag zurückdachte. Schließlich hatte sie Ghato nicht begleitet, um die meiste Zeit zu arbeiten. Ihr war nicht entgangen, dass ihr diese Einstellung wenig Sympathie einbrachte und im Gegenteil immer wieder zu Auseinandersetzungen führte. Aber konnte nicht jeder selbst darüber entscheiden, wie und mit welchen Mitteln er sein Leben gestaltete?
Aus der Ferne konnte Sosul einige Menschen in imperialer Uniform ausmachen, die im Vorübergehen mit einer Mischung aus Furcht, Abneigung und gelegentlicher Bewunderung verstohlen beobachtet wurden. Desinteressiert sah sich die Togruta weiter um. Die Bewohner der Planeten, die sie besucht hatte, waren mit so alltäglichen Angelegenheiten befasst. Wie eine Biene, die sich ausreichend von einer Blüte genährt hatte, hatte Sosul in den letzten Monaten Orte verlassen können, bevor deren Trott sie einholte oder ihre Angelegenheiten sie gar betreffen konnten. Ihre Gedanken waren von größerer Natur, Commenor war nur ein weiterer Halt auf einer Reise, deren Ende sie nicht kannte - aber sie war gewillt, auf ihr Gefühl zu vertrauen, welches sie in den vergangenen neunzehn Jahren immer an den richtigen Ort geführt hatte.
Dazu zählte auch der Markt, der sich auf einem weitläufigen Platz ergoss und den Sosul nun über eine Nebenstraße betrat, die sich immer mehr gefüllt hatte, je weiter sie in den Ort vorgedrungen war. Genau genommen verlangte ihr Magen danach, dass sie sich dort genauer umsah, aber das war nebensächlich. Große Pläne verwirklichte man schließlich nicht hungrig. Sosul hielt an, um eine Gruppe von Menschen passieren zu lassen, bevor sie näher an einen Stand herantrat. Unter ihren Stiefelsohlen knirschten einige Kiesel auf dem unscheinbaren Steinplattenboden, der weiträumig von bunten kleineren und größeren Ständen bedeckt war. Es wirkte auf die Touristin beinahe, als sei die gesamte Bevölkerung ausgeschwärmt, um den Marktplatz in Beschlag zu nehmen. In mehreren geöffneten Transportboxen, die der Händler wie einen Schildwall um sich errichtet hatte, bot er allerhand exotische Früchte und Feinkost feil. Was er mit sich führte, weckte das Interesse einer Handvoll möglicher Kunden. Sie musterten die Waren mit den Blicken von Leuten, die nicht genau wussten, wie sie Preis und Qualität einzuschätzen hatten aber ihr Bestes gaben, den Anschein zu erwecken. Der Händler, ein massiger Mensch mittleren Alters, der seinen Kinnbart in einen kurzen Zopf geflochten hatte, kannte sein Gewerbe und bestärkte seine Kunden in ihrer vorgeblichen Expertise.
Eine Frau trat mit ihrer Errungenschaft beiseite und Sosul nahm ihren Platz ein. »Diese beiden, bitte.« deutete die Togruta auf die letzten zweier Früchte in einem Korb. Sie wusste nicht, um welche Sorte handelte, aber sie schien Gegenstand reger Nachfrage zu sein.
»Was kann ich Ihnen anbieten?« erwiderte der Inhaber. Erst jetzt bemerkte Sosul, dass er eigentlich jemanden hinter ihr ansah. Sie wandte sich um, als eine kurzhaarige Frau hervortrat, eine Tüte 'Gemischter Kostbarkeiten' - frisch aus Kliffen-Mit, vielen Dank, deshalb komme ich auch zu Ihnen, bis zum nächsten Mal! - erhielt und der Mann sich dem nächsten Kunden zuwendete. »Entschuldigung -« ein rasches Klopfen mit dem Handrücken gegen ihren Oberarm unterbrach sie und Sosul fuhr zu dem Mann neben ihr herum. »Er verkauft nicht an Aliens.« Verdutzt erwiderte Sosul den Blick nur und ihr Mund öffnete und schloss sich, während sie langsam begriff, dass er von ihr sprach. »Was? « fragte sie schließlich von jeder Schlagfertigkeit verlassen, doch der Mann hatte sich bereits von ihr wegbewegt. Heiße Scham breitete sich angefacht von angekratztem Stolz in ihrem Körper aus. »Hey, Entschuldigung, ich war an der Reihe.« rief sie schließlich dazwischen, als der Kaufmann mit dem geflochtenen Bart den nächsten Kunden ansprechen wollte. »Credits gegen Ware.« Sie hielt einige der Chips hoch, bevor sie sie wieder in ihrer Hand verschwinden ließ. »Oder läuft das hier anders?« Der Händler musterte sie ausgiebig, bevor er schließlich antwortete. »Ganz richtig. Du warst an der Reihe. An der Reihe, einen Abgang zu machen. Genau das ist es mit euch. Überall mischt ihr euch ein, meint, ihr wärt sonst wer. Mach' dich ab!« Er bedachte sie mit einem nachdrücklichen und zugleich verachtenden Blick, bevor er sich betont an die vorherige Kundin richtete, der das Vorkommnis zunehmend unangenehm zu werden schien. »Also Miss, zu Ihnen, wo waren wir?« Sosul nahm eine der violetten Früchte aus der Kiste. Sie sollte sich woanders umsehen, riet ihr ihre Intuition, aber dann würde ihr der Moment lange nachhängen. »Ich will nur-« Jemand schlug ihr das Obst aus der Hand, sodass es wieder zurück in die Kiste fiel. »Was? Willst du die Sachen jetzt einfach klauen?« blaffte eine stämmige, ältere Frau und schob sich an ihr vorbei. »Verzieh dich!« Die Toguta fuhr herum und bloße Abscheu starrte ihr entgegen. »Sie sollten lieber welche wie dich einkassieren und an die Front schicken! Dann bräuchten meine Neffen nicht zu gehen.«
»Was ist mit euch los? Was habe ich damit zu tun? Kümmert euch doch um eure eigenen Probleme!« rief Sosul mit vor Entrüstung und Verlegenheit brüchiger Stimme und nahm die Hand der Frau von sich, die sie beiseite zu schieben versuchte. Inzwischen war das Geschehen um den Stand langsam zum Stillstand gekommen und mehr Augenpaare, als sie gewohnt war und als komfortabel empfand, richteten sich auf sie. Bevor jemand anderes etwas sagen konnte, rief ein junger Mann im Weitergehen: »Bist du von der Tierschau ausgebrochen? Vielleicht gewinnst du da 'nen Preis!« Gedämpftes Lachen unter den Umstehenden ließ Sosul das Blut in den Kopf schießen. Sie wurde unwillkürlich steif, nahm die veränderte Atmosphäre voller Abneigung gegen sie wie verlangsamt wahr. Selbst die Kiesel und der Staub unter ihr wandten sich wie abgestoßen von ihr ab, als bilde ihre Gestalt einen gleichen Magnetpol, in dessen Nähe die kleinen Partikel nicht gelangen konnten. Sie erinnerte sich an die Reklame überall in der Stadt, die eine Tierschau bewarben. "Jährliche Mid-Rim-Show nicht-vernunftbegabter, domestizierter Kreaturen" hatte es dort geheißen. Vor wenigen Momenten hatte sie dem Händler die Früchte am liebsten in die große Klappe stopfen wollen, während sie mit der anderen Hand sein Kinn an dessen Flechtzopf festhielt. Jetzt, da sie in die Gesichter der Umstehenden blickte, wünschte sie sich nur noch, nicht auf eigene Faust losgezogen zu sein und stolperte einen ersten Schritt zurück.
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