#6
Auf einer kleinen Insel (eine Ruderstunde abseits der Hauptinsel)

"Ich bin für SIE hier." Bestätigte der General ihre Befürchtungen und ihre Schultern hoben sich leicht unter einem geräuschlosen Seufzen. Sie wusste nicht, welche Mühen der General auf sich genommen hatte, um sie auf Kaal aufzusuchen. Der Planet lag ein ganzes Stück abseits des großen Geschehens und beheimatete nicht viele ehemalige Rebellen. Zwei von vielen Gründen, warum sie sich ausgerechnet hier niedergelassen hatte. Ihr war zwar klar gewesen, dass die Neue Republik sie, als ehemaliges Mitglied der Alderaanischen Allianz und führende medizinische Kraft, nicht einfach aus den Augen lassen würde, allerdings hatte sie nicht damit gerechnet (und auch gehofft), dass man versuchen würde sie erneut für die Sache zu rekrutieren.

Ihr entging nicht, wie seine Lippen sich flüchtig zu einem schmalen Strich verzogen, als er seine Finger mit fast schon hölzerner Mühsal um die Tasse krümmte. Nicht nur sein Kopf war müde von den langen Jahren des Kriegs, auch sein Körper hatte unter den unzähligen Schlachten gelitten. Das Leben eines Soldaten war nicht einfach und es wurde noch viel schwerer, wenn man erst einmal die Kraft der Jugend hinter sich gelassen hatte und das Alter einem einholte. Viele ihrer älteren Patienten hatten über die bittere Ironie geklagt hunderte von Feinden erfolgreich besiegt zu haben, nur um dann der Schwäche des eigenen Leibs zu unterliegen. "Trinken Sie, General", forderte Raena ihr Gegenüber auf und nahm einen kleinen, siedend heißen Schluck aus ihrer eigenen Tasse, ehe sie erklärend hinzufügte: "In dem Tee sind Kalulakräuter und Marwell enthalten, das lindert die Schmerzen in ihren Händen. Ich habe leider im Augenblick kein Wärmegel vorrätig." Zwar bevorzugte sie synthetisch hergestellte Arztneimittel, die nicht nur mehr Wirkung zeigten, sondern auch gezielter eingesetzt werden konnten, aber da die medizinischen Vorräte während ihrer Zeit bei den Rebellen mehr als einmal ins Stocken geraten waren, hatte sie gelernt auf die Möglichkeiten zurückzugreifen, welche ihr die unmittelbare Umwelt präsentierte.

Der Mann nahm einen Schluck, ehe er letztendlich zu einer ersten Erklärung ansetzte: "Wir brauchen sie erneut. Auch ihre besondere Fähigkeit mit jeder Situation klar zu kommen, Miss Seyton. Ich bin hier, weil das Kommando denkt, dass ein alter Herr einen besseren Zugang zu ihnen hat. Ein Mann, der weiß, wovon er spricht." Mit einem schwachen Zucken ihrer Mundwinkel gab sie zu verstehen, dass ihre diese manipulative Taktik nicht fremd war. "Der Krieg ist immer noch nicht vorbei. Noch lange nicht. Mich bekümmert es, dass diese imperialen Schurken nach wie vor, den Kern halten und sich jetzt auf einen Irren, wie Vesperum, verlassen. Es wird schlimmer, nicht besser." Es schwang keine Euphorie in seiner Stimme mit. Euphorie für den Krieg verspürte man nur so lange, bis man zum ersten Mal ohne Wasser und Nahrung tagelang in einem dreckigen Graben lag oder in einer Notfallkapsel zwischen den Trümmern des eigenen Schiffes herumschwebte, hoffend auf Rettung oder aber einen schnellen Tod. Manchen gelang es Euphorie zu heucheln und dadurch andere, die den Mut verloren hatten, zu motivieren, aber Neen ersparte ihr dergleiches. Weil er zu alt und zu müde war und weil seine Euphorie sich schon vor langer Zeit in etwas anderes, sehr viel Mächtigeres gewandelt hatte: aufrichtige Loyalität und dem unabdingbaren Glauben, das Richtige zu tun. Er stand hinter der Neuen Republik, stützte sie und würde es bis zu seinem letzten Atemzug tun. Wie viele andere auch. Doch leider erreichte seine Überzeugung Raena nicht. Sie hatte zwar irgendwann eingesehen, dass die Rebellen für ein besseres Wohl aller kämpfen, wohingegen das Imperium nur um die Macht einzelner balgte, aber sich mit aller Kraft dagegen gewehrt zwischen die Fronten gezogen zu werden – mehr, als es sowieso geschehen war, ganz ohne ihr Zutun. Sie hatte sich in jeder erdenklichen Situation um Neutralität und Unabhängigkeit bemüht und erfolgreich verhindert jemals mehr für die Rebellenbewegung zu spüren, als wohlwollende Anteilnahme. Und aus dieser sicheren Entfernung hoffte auch sie, wie Neen, auf ein baldiges Ende des Krieges, nur war es ihr im Gegensatz zu ihm egal, welche Seite die Oberhand gewann, solange der Sieg ihr nur den Weg zurück zu ihrer Familie ebnete.

"Sind Sie im Bilde über die aktuelle Lage?", erkundigte er sich, womöglich um ihren Wert für die Neue Republik zu evaluieren. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Antwort ausreichen würde ihn von ihrer Untauglichkeit zu überzeugen. "Nein, General, bin ich nicht", gestand sie deshalb unverblümt ein und fügte mit einer unmissverständlichen Entschlossenheit hinzu: "Und so soll es bleiben. Ich habe mich aus vielerlei Gründen an diesen Ort zurückgezogen, fernab jeglicher galaktisch vernetzten Zivilisation, unter anderem weil mir an Ruhe gelegen war… und ist. Ich habe beinahe zwanzig Jahre lang tagaus, tagein ein Comgerät an meinem Gürtel getragen und habe in Notsituationen stündlichen Bericht über die vorherrschende Situation abgegeben, voll informiert über das Geschehen in der Galaxie soweit es den alderaanischen Wiederstand betraf und die daraus resultierenden militärischen und auch politischen Bewegungen – seit ich auf Kaal gelandet bin habe ich keine Nachrichten mehr gehört und keine Holonews mehr gelesen. Ich bin unwissend, was die derzeitige Lage da draußen anbelangt und ich möchte es weiterhin so halten." Manche hatten sie für diese Entscheidung als Feigling beschimpft. Sie hatte es schlicht hingenommen, den Blick abgewendet und war gegangen, den Staub zerstörter Hoffnung unter ihren Stiefeln.

"Bitte verzeihen sie mir, General", schnitt Raena ihrem Gast höflich, aber sehr bestimmt das Wort ab, gerade als er den Mund zum Widerspruch öffnen wollte: "aber ich möchte ihre Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen. Sie sind hier, um mich zu rekrutieren und ich lehne ab." Für mehrere Sekunden herrschte absolutes Schweigen, als ob der Mann darauf wartete, dass sie sich für ihre Verweigerung erklärte oder sogar rechtfertige, doch das wollte und konnte sie nicht. Offiziell hatte sie angeführt, dass das Leben eines Medic-Soldaten sie nicht erfüllte und sie sich deshalb nun, wo die Neue Republik endlich Fuß gefasst hatte, aus dem Militär zurückziehen wollte. Die wahren Gründe hatte sie niemandem anvertraut. Hatte sie niemandem anvertrauen können, selbst in den wenigen Momenten, in denen sie es sich sehnlichst gewünscht hatte, weil niemand um ihre Vergangenheit wusste. Weil niemand die Wahrheit kannte. Für einen Moment fühlte sie den alten Schmerz in ihrem Inneren, nur noch ein ausgelaugtes Zehren, wo einmal ein unerträgliches Brennen gewesen war, aber immer noch da und plötzlich fror ihr. Die Hände ausgestreckt, lehnte sie sich ein wenig nach vorne, näher an das Feuer, fort von dem Mann, der ungefragt und ungebeten bei ihr aufgeschlagen war und sie an einen Ort zurückzerren wollte, an dem die kläglichen Überreste dessen ruhten, was sie so lange auf den Beinen gehalten hatte.
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