#11
Das war Babylon. Das war die Hölle, in der jeder lebte, der in diese Galaxis geboren wurde. Wenn die Liebe und die Seele verloren waren, ging man einfach weiter durch die Wüste. Was sollte Berrik noch reizen? Das, was er wollte, kaufte er sich. Einfach so. Da gab es nicht viel Menschlichkeit. Eine Maschine hatte kein Herz. Ein Herz befriedigte nie. Ein Herz nahm immer mehr. - Und ein Herz war zerbrechlich. Wenn man als Mensch darauf verzichtete, wurde das Leben einfacher und man konnte seine eigenen bequemen Bedürfnisse besser befriedigen. Die Höflichkeit war die Fassade solcher Menschen, die in ihren gesellschaftlichen Ritualen vermeindliche Menschlichkeit suchten. In Bällen, in Festen oder Floskeln. Alles nur eitle Lüge. Berrik war das wahre Monster dieses Krieges. Und Ja, sie hatte hatte Recht. Er war eine Marionette, leblos und gespielt von anderen, die genauso leblos waren. Doch nun stellte sich die Frage: Wer spielte sie alle in letztgültiger Instanz? Selbst Zsinj war ähnlich gestrickt, wie Berrik. Zwar spielte er genüsslich gerne sein Spiel aber vermied zu starke emotionale Beteiligung.

Berrik war verloren in seiner Wüste. Mit jedem Schritt verdurstete sein Herz immer mehr. Es war diese Bequemlichkeit, Dingen auszuweichen, sich nicht zu stellen, die ihn zum Henker führte. Es war einfacher, einfach zu leben, ohne über Verantwortung und Zusammenhänge nachzudenken. Man führte seine Rolle und Funktion aus, das reichte. Niemand hörte mehr zu. Nicht mal mehr auf die rufenden Kinder, die ihrer Zukunft beraubt wurden. Berrik hatte keine Familie. Jede Beziehung war gescheitert, abgeperlt, wie an Teflon. Mit jedem gescheiterten Versuch, suchte er Ersatz, in Funktionen oder Aufgaben. Diese Aufgaben machten ihn immer inhaltsleerer; zu einer Maschine. Bis diese Maschine ganz in ihm war und seine natürlichen Triebe mit Geld und Nutten befriedigte. Das war die Konfusion des echten Wahnsinns. Diese verdammte Seele, die keinen Ausweg mehr fand und meinte Liebe kaufen zu können. Dieser Mann war ein Opfer dieser Zeit, wie viele vor ihm. Immer wieder zwang Gesellschaft solche Personen, die immer folgsam waren, in seelisch-tote Funktionen. Menschlichkeit war in Babylon nicht gefragt.

"Werte?" - fragte der Imperiale verstört. Hatte er keine Werte? Kurz zweifelte Berrik an sich. Amber hatte es für einen winzigen Moment geschafft, ihn aus der Reserve zu holen. Doch das Schema, welches er sich selbst anerzogen hatte, griff sofort ein. Keine Beteiligung. Keine Emotion im Beruf. Einfach funktionieren. Keine Träume. Es gab einen Grundsatz für ihn: ziehe niemals in den Krieg, insbesondere nicht mit dir selbst. Man verlor nur. Kein Widerstand, einfach weitermachen. Das System hatte ihn bestohlen, schon lange. Also überging Berrik diesen Punkt mit folgenden Worten:

"Wenn eine Person tot ist, kann sie auch für nichts mehr kämpfen. Kampf ist ohne Organsation sinnlos."

Das tat weh. Es war nicht viel aber es traf. Nicht nur Amber, sondern auch ihn selbst. Hatte er das gerade gesagt? Berrik hatte sich selbst gerade bewusst gemacht, wie bedeutungslos seine eigene Person war. Er trat für nichts ein; für absolut garnichts, sondern vermittelte nur Floskeln und Anweisungen. Diese Konfusion wuchs. War es der Alkohol, der seine Wirkung zeigte oder zögerte er aus eigenem Antrieb? Wo war er? Die Person, die seine Mutter großgezogen hatte, Liebe gelehrt hatte? Sie war verschwunden. Vollständig. Ein wenig traurig fiel der Gedanke ab, bevor Berrik zum Geschäftlichen zurückkehren musste. Nicht jetzt dürfte man sich eingestehen, dass man eine Puppe war. "Wir umzingeln sie nicht," kommentierte er knapp. Warum viele Worte verschwenden? Eine Maschine tat nur das, was notwendig war. Kommunikation erfüllt. "Ein Beitritt steht derzeit nicht zur Debatte." Bei Zeiten würde man sich nehmen, was man brauchte.

Fertig. Ihr großes Gerede von Moral, Anstand und Kampf kümmerte ihn nicht mehr. Glaubte sie wirklich an diesen Mist, der einen in unnötige Gefahr brachte? Es war bequemer einfach zur Arbeit zu gehen, sie zu machen und wieder nach Hause. Keine Fragen. Kein Widerstand. Man fügte sich. Warum konnte sich Amber nicht auch einfach fügen? Einfach nur verhandeln und musste leidig diese Angelegenheit mit Idealismus würzen. Es gefiel ihm nicht. Ein Imperialer hätte schon längst die Punkte abgearbeitet und man hätte eine klare Antwort: Ja oder Nein. Null und Eins. Ein einfaches Protokoll. Berrik als Rationalist beugte sich wieder vor, um Amber zu zeigen, dass er der Sache überdrüssig wurde. In diesem Sinne veränderte sich seine Mimik leicht.

"Viele Worte für ein einfaches Problem: Sie wollen unabhängig bleiben. Benennen sie es auch so," fasste der Diplomat zusammen und blickte genervt auf Amber herab. Das war's. Berrik sah, dass er hier nicht mehr weiter kommen würde. Das Siegesgefühl brach ein wenig ab, da er zwar seine Ziele abgearbeitet hatte aber nicht diese elendige Moralistin in ihr vertreiben konnte. Sie erinnerte ihn daran, was er nicht war und das tat weh. "Ich werde das mit meinem Freund erörtern," tat er die Sache schließlich ab. Zsinj würde entscheiden.

Dann fuhr sie aus ihrer Haut. Berrik hatte es geahnt. Irgendwann würde die Idealistin sich selbst bestätigen müssen und ihn verurteilen, für seine Handhabung mit seinem Leben umzugehen. Er seufzte, fiel wieder zurück an die Lehne und blickte einen Moment enttäuscht an die Decke. "Ich glaube an garnichts, außer an Fakten, Miss," sprach er zur Decke und ließ dann den Blick wieder zu ihr gleiten. Keine Träume. Keine Beteiligung. Kein Widerstand. Das Prinzip setzte sich auch jetzt fort. "Lassen wir die Ideologie heraus, okay?" War nun die Bitte des Gesandten. Er wollte diese Diskussion sachlich beenden. Nicht in diese furchtbare Abnutzung durch politische Phrasen führen. "Wir sind hier, um Dinge zu erörtern," stellte er noch einmal fest und tat auch wieder diesen Vorwurf, wie Teflon Schmutz abwies, ab. Berrik war nicht gewählt, sich hier großartig emotional zu binden, sondern war nur Unterhändler. Zsinj war der Ansprechpartner für diesen Vorwurf. Er folgte nur, wie immer. Der Gesandte ließ sich hier nicht zum Verantwortlichen für die Schandtaten der Galaxis machen. Das allgemeine Protokoll griff wieder um sich. Weitermachen.

Berrik war nicht böse aber auch nicht gut. Er war bequem und das zeigte sich darin, dass er schlicht weiter ging. Immer weiter. Bis die Aufgabe erledigt war. Ob sie einen Sinn hatte oder nicht, diese Frage stellte er sich nicht mehr. Warum auch? Jahre hatte er so gut gelebt und war ohne große Mühen durch sein Leben gekommen. Solange es ihm gut erging, würde er nicht umdenken. Noch funktionierte das Protokoll sehr gut. Und wieder begann sie mit moralischem Gefasel. Der Imperiale hatte ihr die Sachlage sauber heruntergebrochen und ihr Entscheidungsalternativen vorgelegt und sie musste wieder erklären, philosophieren und mit Werten versehen, die ihn nicht kümmerten. Kaum merklich rollte er mit seinen Augen und seufzte. Dann geschah etwas Unerwartetes, was nicht in seine Welt zu passen schien. Sie entriss ihm seinen Drink. Panisch schreckte er auf, da dies seine wohl geordnete Ansicht zerstörte. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Nicht hier und nicht von dieser Dame. Gut, Moralisten war immer unberechbar, deswegen mochten solche Figuren, wie Berrik, sie nicht. Für die Berriks der Galaxis musste alles geordnet, fixiert und terminiert sein. Amber zerbrach gerade diese vermeindlich korrekte Vorstellung, die alles bequem machte. Den erotischen Reiz ihrer Brüste vernahm er nicht mehr, auch nicht während ihrer Handlung, dem Diebstahl des Glases. Zu schockierend war der Punkt, dass sie einfach das gewohnte Schema brach. Das Protokoll versagte am realen Moment.

"Ehm...," machte er nur noch und blickte die Abgesandte von Terminus verdattert an. So schnell fand er nicht zurück und konnte nicht direkt antworten. Berrik war geschlagen.
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