#9
Chaos. Grelle Funken zerstoben in kleinste Partikel und ergossen sich in feinsten Staubpartikeln über tausende von Welten. Jene Welten wiederum krachten mit dem Donnern wütender Stürme ineinander, ehe sie in den schwarzen Vortex eines vernichtenden Mahlstroms gezogen und zerrieben worden. Es war eine unendliche Flut aus Leben und Tod, die endlos zirkulierte. Beinahe, als hätte das Auge der Schieferplatte einen kleinen, nur einen flüchtigen Blick in die fürchterliche Herzkammer des Universums selbst geworfen. Es war ein unmöglicher Wirbel des Seins und Nichtseins, ein undurchsichtiges Netz aus verwobenen Knoten, deren Ursprünge so jenseits des Erfassbaren lagen, dass es scheinbar unendlich lang dauern würde, die Geheimnisse, die sich darin verbargen zu ergründen. Das schrille Farbspiel der kosmischen Energien, dass sich ihr offenbarte, intensivierte sich noch weiter. Der ewig währende Strudel, der Welten auseinander riss, schien auf absurde Weise ebenso neue zu gebären, indem er die zermahlenden Teile soweit komprimierte und wieder aneinanderfügte, dass neue Formen entstanden. Es war faszinierend und wahnsinnig zu gleich. Eventualitäten wurden mit weiteren Möglichkeiten gespickt, die ebenso dem konfusen Wandel unterlagen, verschlangen sich gegenseitig und veränderten ihre Form so schnell, dass es nicht möglich war, einen konkreten Blick zu erhaschen. Calin'thir fragte sich, ob ihr Blick nicht klar genug war, oder ihr Geist nicht fokussiert genug um wenigstens einige Antworten auf ihre unzähligen Fragen zu bekommen. Doch heute schien ihr dieser Umstand nicht vergönnt zu sein, nichts zeigte sich oder zeichnete sich ab. Es war beinahe, als würde sie lediglich in ihren eigenen Kopf schauen und missmutig feststellen, dass er keine Erklärung bot. Eine bitte Erinnerung daran, dass ihr Blick eine andere Perspektive benötigte. Derjenige, der sich in einem Haus befand, mochte die Welt anders wahrnehmen, als die Person, die sich davor befand und die Dathomiri war sich sicher, dass sie beide Betrachtungsweisen kennenlernen musste, um mit wahrhaft geöffneten Augen durch die Welt gehen zu können.

Möglicherweise irrte sie auch; es konnte gut Möglich sein, dass auch in Einfachheit Weisheit zu finden. Nicht immer war ein komplexer Weg auch zielführend, oft bestand ein solcher auch aus vielen Irrungen oder Sackgassen, die sich als vergebliche Liebesmüh entpuppten. Komplexität brachte auch stets Fehleranfälligkeit mit sich. Unter dieser Gewichtung erschien Gethzerions bestreben plausibler, wenn schon nicht besser. Auf der anderen Seite ihrer geistigen Waagschale hingegen befand die Machthexe, dass Irrwege lehrreich sein konnten. Ein Fehler offenbarte Möglichkeiten zur Vermeidung oder Verbesserung und stellte sich als ein Spiegel der eigenen Unvollkommenheit dar. Das eigene Wesen und Verständnis zu bezweifeln, war ein Weg des Wachstums und der Erlangung einer tiefer gehenden Weisheit. Gefährlich wurde es nur dann, wenn tiefgreifende Selbstzweifel wurzeln schlagen konnten und der Fehler als solches im Zentrum der Gedanken stand und nicht mehr die Optionen, die er mit sich brachte. Natürlich, so kam Calin'thir zu dem Schluss, waren die Übergänge fließend: ein einfacher erscheinender Pfad konnte sich in ein aberwitziges Labyrinth verwandeln - und das im Bruchteil eines Augenblicks. Vielleicht also, war es lediglich das, was dieses schreckliche Gleichnis des Kosmos ihr zeigen wollte. Dennoch empfand die Dathomiri die erhaltene Antwort als ungenügend, unbefriedigend. Es war ein frustrierendes Gefühl, das ihre innere Balance ins Wanken brachte und was im Inneren brodelte, manifestierte sich natürlich auch im Gefüge des Universums.
Calin'thir schlug die Augen überrascht auf, als sie ein starkes Brennen in ihrer Handfläche bemerkte. Die Schiefertafel in ihrer Hand, war gefangen in den Zuckungen geisterhafter Blitze, die den Gegenstand offenbar energetisch überladen hatten. Erschrocken ließ sie die Platte fallen, die mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden traf, während die kosmischen Energien noch kurz wütend über den Boden zuckten, ehe sie dankbar vom Erdreich aufgenommen wurden. Balance. Erinnerte sich die Machthexe, als sie den Blick ihrer schwach verbrannten Hand zuwendete. Balance, und was der Preis der Nichteinhaltung mit sich brachte. Wahrlich, es gab noch viel zu lernen.

Womöglich sollte dies in jenem Augenblick nicht der einzige Fehler gewesen sein, mit Gewissheit ließ sich aber sagen, dass es auf keinen Fall der Letzte war. Als sich ihr Blick hob und sie sich für einen Moment umsah, musste Calin'thir verdutzt feststellen, dass sie nicht mehr das einzige denkende Wesen in dieser Ruine war. Das war zum einen ungewöhnlich, zum anderen aber, fühlte sie sich für einen kurzen Moment außerordentlich schutzlos und verwundbar. Es gelang der Dathomiri jedoch, diesen Gedanken als lächerlich abzutun und schnell abzuschütteln. Sie war noch nie so tief in Trance verfallen, dass sie eine nennenswerte Bedrohung nicht mehr gespürt hatte. Nein, von dieser Person ging offenkundig keine Gefahr aus - zumindest keine unmittelbare. Die Machthexe ballte ihre Hand einige Male einer Faust gleich, also wolle sie sich vergewissern, dass die eben gemachte Erfahrung ihre Glieder nicht in Mitleidenschaft gezogen hatte, ehe sie sich mit einem Finger ans Kinn tippte und ihren Fokus auf diese... äußerst deplatzierte wirkende Frau schob. "Wer magst du wohl sein, hm, Schwester?", gluckste Calin'thir, offenbar erheitert durch den Umstand, dass sie es gänzlich unbehelligt in ihre Nähe geschafft hatte. "Wenn Mutter Gethzerion dich schickte, mich zu finden und umzustimmen, dann sage ich dir nein, ich komme noch nicht zurück. Aber..." Die Dathomiri machte eine kurze Pause und intensivierte den Blick auf die Fremde. Sie als Nachtschwester auszumachen war leicht gewesen, allein schon aus dem Umstand heraus, dass sie eben keine unmittelbare Bedrohung darstellte und auch kein aggressives Verhalten ausstrahlte - zumindest nicht ihr Gegenüber. Spärliche Begegnungen mit anderen Clans dagegen waren in der Regel wenigstens angespannt und in manchen Fällen war sogar ein tatsächlicher Konflikt entstanden. Weiterhin schloss Calin'thir, dass diese Frau noch recht jung sein musste - sie kannte sie nicht, was darauf schließen ließ, dass sie erst irgendwann nach Talzins Ende zur Welt gekommen sein musste und sie selbst war nicht lange genug Teil von Gethzerions Zirkel gewesen um jede ihrer Schwestern kennenzulernen. Die Machthexe kniff die Augen kurzzeitig zusammen und musterte Gesicht und Oberkörper und dort wo der Feuerschein die Haut hell erstrahlen ließ, ließen sich kleine Kratzspuren wie von Ästen oder Gestrüpp erkennen, ein etwas gehetzt wirkender Ausdruck. Eine größere, wenn auch bereits rudimentär versorgte Wunde am Arm und das getrocknete Blut darauf, bestätigten diesen Eindruck zunehmends. Offenbar war dieses Herz gegenwärtig mehr von Furcht geplagt, als vom Verstand gesegnet. "...deswegen bist du gar nicht gekommen, oder?" schloss Calin'thir ihren Satz. Mit ihrer freien Hand deutete sie auf den Boden neben sich. "Nun setz dich, Kind. Und sprich, warum dein furchterfülltes Herz dich in diese Wildnis trieb." Wahrlich, die Wege und Möglichkeiten der kosmischen Gestirne waren unergründlich und doch war die Dathomiri gespannt, was die Nacht an dieses trostlose Ufer gespült hat. Eine spannende und ungewisse Fügung war es bereits allemal und auf die zahlreichen Pfade, die sich daraus ergaben freute sie sich bereits jetzt schon, auch wenn sie nie alle würde beschreiten können. Die gegebene Zeit zu nutzen um so viel wie möglich lernen zu können, sollte ihr auch vorerst genügen.
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