#8
Lumi'ell durchstreifte in fester Absicht, ihren eigenen Gedanken zu entkommen, den endlosen Wald aus nahtoten Bäumen, wie sie nur Dathomir kannte. Der rotbraune Sand unter ihren Füßen knirschte bei jedem Schritt, während sie geschickt Wurzelwerk auswich. Egal, was sie glaubte, was sie wirklich glaubte, war bedeutungslos geworden. Solange Gethzerion herrschte, war jedes Spiel bereits verloren, bevor es begonnen hatte. Alles war verloren, denn ihre Wünsche und Gedanken hatten sich gegen den alten Weg gestellt. Und so musste sie für sich einen neuen Weg finden. Doch dieser Weg offenbarte sich nicht einfach oder zeigte sich mit einer Markierung. Nach dem Verlust ihres besten Freundes, nach dem Verlust eines Zugehörigkeitsgefühl und nach all dem, was Gethzerion verlangt hatte, war sie haltlos geworden. Wie viele Tränen hätte sie vergiessen können? Doch hatte sie keine Träne vergossen. Nicht eine einzige. Denn dieses Zeichen der Schwäche war ihr abhanden gekommen und doch brauchte sie es in diesem Augenblick umso mehr. Es war dieses Gefühl, dieses brennende Gefühl, eines Schmerzes, welcher nicht beschrieben, sondern nur gezeigt werden konnte. Tränen hätten ihr Erleichterung verschaffen können aber eine Nachtschwester, wie sie eine war, konnte nicht mehr weinen. Trauer wandelte sich Zorn; und Zorn wandelte sich in Schmerz, einem kalten Schmerz, welcher sie zwar weiter trug aber keinen Sinn geben konnte. Ihr Verstand fühlte sich fern an, während ihr Herz heftig schlug. Es hatte die Trümmer zusammengesucht, sich erneut zusammen gesetzt, um nicht einfach zu vergehen. Lumi'ell wusste einfach, dass sie nicht Gethzerions Waffe werden wollte. Äste schlugen gegen ihre Arme, als das graue Holz dichter und dichter wurde. Doch dieser Schmerz war vergänglich. Wie sehr sie sich wünschte, dass dieser Schmerz in ihrem Herzen vergehen würde, der inzwischen zu einer Sehnsucht nach Flucht geworden war.

Sie hatte mit niemandem darüber gesprochen. Keine Schwester wusste davon, dass sie davongelaufen war. Von heute auf morgen war sie einfach gelaufen, fort von Gethzerion und ihrem Zirkel, weil sie deren Stille gegenüber ihrer angeblichen Schwäche nicht mehr ertragen konnte. Lumi'ell war jung und doch hatte sie bereits Erfahrungen machen müssen, die für uns ganzes Leben reichten. Als Nachtschwester war das Leben nie leicht, verlangte jeden Tag etwas ab und so blieb bereits in ihrem jungen Leben viel Erfahrung zurück. Doch diese Erfahrung half ihr nicht. Gethzerion half ihr nicht, sondern wandelte sich inzwischen zur Ursache. Die Nachtschwester begriff zusehens, dass sie nur laufen konnte, fortlaufen konnte, um nicht in ein Leben geführt zu werden, zu dem sie sich selbst nicht mehr zugehörig sah. Doch mit der Flucht aus der Ansiedlung verblieb auch eine Leere. Diese Stille, die ihre Schwestern ihr gezeigt hatten, dieses weitermachen, ohne jegliches Gespräch, wie sie sich fühlte, das hinterließ eine echte Leere. Vielleicht wäre sie geblieben, wenn sie ernstes Interesse an ihr gezeigt hätten und sie nicht abgetan hätten. Es war ihr Zuhause, dass sie zurückließ. Doch konnte sie nicht mehr bleiben und so suchte sie lieber die Gefahr der Wildnis, als die falsche Sicherheit ihrer einstigen Gemeinschaft. Besonders der Verrat ihrer eigenen Mutter, die Tradition vor das Wahl ihrer eigenen Tochter stellte, ätzte leise nach. Es waren wirre aber ausgerichtete Emotionen. Noch immer keine Träne. Das Gesicht der Dathomiri verblieb eisern in einem erstarkten Ausdruck der Wut und des energischen Eifers, diese Wildnis zu durchqueren, die aber kein Ende hatte. Auch das wusste Lumi'ell. Sie kannte Dathomir. Und so kannte sie auch jede Gefahr, die hier lauern konnte.

Ein Ast riss eine kleine Wunde in ihren Oberarm, während er abbrach, fast so als ob er von einer unbekannten Macht weggerissen wurde. Blut floss in wenigen Tropfen über den Arm, ohne, dass es Lumi'ell kümmerte. Noch ein wenig mehr Strecke, damit ihre Schwestern sie nicht fanden. Ja, sie würden sie suchen, nach Hause bringen wollen, und vielleicht war es auch gut, wenn sie gefunden wurde. Möglicherweise verstanden ihre Schwestern nun, was in ihr vorging. Doch das war ihr inzwischen egal. Wenn sie allein sein sollte, dann war es eben so. In gewisser Hinsicht war sie auch dankbar, dass ihre Schwestern sie gut ausgebildet hatten. Lumi'ell konnte überleben. Egal, welche Lage sich ihr stellte, sie konnte Überleben, sofern sie es wollte. Lumi'ell wollte es; auch als Eigenbeweis dafür, dass ihre angebliche Schwäche, in Wahrheit eine Stärke war. Irgendwo würde sie ankommen, einen Weg finden, von dieser Welt zu entkommen und etwas finden, was gut genug war. Es mochte zwar ein Spiel sein, was sie verlor aber ab diesem Augenblick war es endlich ihr Spiel. Sie bestimmte den Weg, und nicht irgendwelche Traditionen, Schwestern und erst recht keine Gethzerion. Kein Pakt würde sie aufhalten, keine Blutmagick und auch keine der Künste, die Gethzerion beschwören konnte, denn Lumi'ell hatte etwas gefunden: einen Weg für sich selbst. Erinnerungen flackerten, wie Lichter, vorbei. Immer wieder ein Fetzen aus ihrer Vergangenheit und jede Erinnerung trieb sie noch fester an, sich durch die Wildnis zu kämpfen. Das untote Holz ächzte und brummte in der Ferne. Wilde Tiere riefen gefährlich, huschten ins Nichts des fernen Dunkel, während Lumi'ell stehen blieb. Eine kleine Pause. Sie musste Luft holen. Wie lange war sie gerannt? Die Nachtschwester wusste es nicht mehr. Wo war sie? Diesen Ort kannte sie nicht. Lumi'ell trat an einen Baum heran, legte die Hand darauf, um noch Spuren zu suchen. Sie musste sich orientieren. In welcher Himmelsrichtung lagen die alten Ruinen? In welcher Richtung lag ihre alte Ansiedlung? Es dauerte einen Moment, bis sie sich orientiert hatte, nachdem sie mehrfach Luft geholt hatte. Jetzt bemerkte sie die Wunde, riss ein grünliches Moos von einem der Bäume, welches eine heilsame Wirkung hatte, und presste es auf die Wunde. Ein erlösernder Schmerz brannte sich in die Wunde, während das Moos das Blut aufsaugte und sich scheinbar mit dem Arm verklebte. Das Moos schien das Blut zu trinken, während es einem Egel gleich, sanft zuckte. Das Moos änderte seine Farbe und wurde rötlicher. Die Wunde war versorgt, während sie selbst entschied, dass sie selbst zu den alten Ruinen gehen würde, um sich dort zu verstecken, bis sie einen Plan gefunden hatte, weiter zu flüchten. Sie brauchte einen Ort, wo sie ruhen konnte.

Mit einer schleppenden Bewegung begann sie erneut zu rennen, da sie inzwischen wusste, in welche Richtung sie laufen musste. Das wilde Holz der Bäume löste sich dezent auf, die Wildnis offenbarte sich etwas mehr und in der Ferne der gelebten Nacht erblickte Lumi'ell überrascht ein Feuer. Waren ihre Schwestern dort? Das war unmöglich. Sie mieden die Ruinen meistens, wenn sich kein Grund ergab, dorthin zu gehen. Warum war dann dort ein Feuer? Hatten ihre Schwestern sie dort gesucht? Die junge Nachtschwester war sich unsicher, ging noch wenige Schritte heran, schlich sich in gehockter Position an, um sich im Dunkeln des Waldes zu bewegen. Ihre Schritte waren bedächtig und ihre Stiefel schoben sanft Steine zur Seite. Der Staub wurde immer kräftiger. Die Wüsten Dathomir waren bereits nahe und doch war hier noch Wald. Die Grenze war nah. Elegant blickte sie in einem Baum vorbei, hinauf zu den Ruinen aus altem Stein und beobachtete das wärmende Feuer, welches sie anlocken wollte. Lumi'ell brauchte dieses Feuer gerade sehr, da sie bereits fror. Ihre Anstrengung war doch größer gewesen. Sollte sie es wagen? Noch ein wenig näherte sie sich, um die Schatten besser zu deuten. Ja, dort konnte eine Schwester sitzen; das sah sie nun und dies ließ sie hinter einen Baum zurückweichen, um nicht gesehen zu werden. Doch immer wieder blickte Lumi'ell hinter dem Baum hervor, um ihre mutmaßliche Schwester zu beobachten. Aus dieser Entfernung konnte sie nicht erkennen, welche Schwester es war. Doch diese Nachtschwester schien mit etwas beschäftigt zu sein. Sie konnte es wagen. Denn diese mögliche Schwester war allein. Auch wenn sie geschickt worden war, sie zu holen, so konnte sie einer Schwester besser entkommen. Das Risiko war überschaubar. Mit einem Satz trat sie hinter dem Baum hervor und trat in die Ruinen ein, um sich dem Feuer zu nähern. Doch Lumi'ell sagte kein Wort, bis sie unmittelbar beim Feuer stand.
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