#38
Mit dem einsetzenden Wind bekam die Veränderung von Sedraels Leben ihr Symbol. Die Luft blies das Alte davon, forschte nach den Überresten der Exilantenzeit, um diese auszutreiben. Staub und tote Erde wog unkontrolliert in der Brise, die der Sephi den Weg aufzeigte. Sie blickte nach oben, als das Flugobjekt über ihre Köpfe rauschte und ein Stück weit hinter der Stadtmauer schließlich stehenblieb, um danach elegant unten hinabzugleiten. In merkwürdiger Hinsicht erinnerte Sedrael das Gefährt an ein Schiff aus der Alten Republik, vielleicht etwas moderner und pragmatischer, aber der Stil war zweifellos ähnlich. Es mochte der Fingerzeig der Macht sein, dass dies eine Rückkehr in eine Zeit war, in der es der Jedi nicht nur um das Verstecken und Warten gegangen war, nicht nur um das Sterben und die Unfähigkeit zu helfen, sondern an die Zeit, als sie sich kümmern konnte, als ihre Handlungen einen spürbaren Effekt hatten und einen Unterschied machen konnten. Es war… lange her. Eigentlich bereits gefühlte zwei Leben entfernt, vielleicht würde das Neue mehr eine Rückkehr zum Alten sein, als ihr im Moment recht war. Der Wind zerrte an Sedraels Kapuze. Einen Moment lang ließ sie es gewähren, dann hob sie mit einer Hand den Stoff an und gab so ihren Kopf dem Wind preis. Es gab keinen Grund mehr, sich zu verstecken. Sie hatte der finsteren Frau mit ihrem Innersten schon mehr offenbart als es ihr Äußeres jemals hätte tun können. Ein Stück weit war es befreiend, den Luftzug ungestört durch ihre Haare und ihren Nacken strömen zu lassen, kühl, entspannend.

Man gab sich schon mit wenig zufrieden in diesen Tagen. Bescheidenheit und das Wissen, oder vielleicht besser der feste Glaube daran, dass alles irgendwann einen Sinn durch die Macht bekommen würde, hatte Sedrael am Leben erhalten. Und nun war jemand gekommen, der gedachte, ihr alles zu nehmen, wofür sie sich die letzten Jahre eingesetzt hatte, und gleichzeitig etwas gab, wonach sie eigentlich gar nicht mehr gesucht hatte. Freiheit. Auch wenn es eine zischende Schlange war, aufgerichtet und jederzeit bereit zuzuschlagen. Doch auch eine Schlange, so verschlagen und hinterlistig sie sein mochte, konnte die Wahrheit sprechen. Sedrael hatte kein Kriseln, keine sanften Widerworte in der Macht gehört, woraus sie schloss, dass die Frau die Wahrheit gesagt hatte, obwohl es ihr ein Leichtes gewesen wäre, der Sephi eine weitaus bequemere Lüge vorzusetzen, um sie mehr zur Kooperation zu bringen. Doch nein, so wie es aktuell schien, war sie ehrlich. Ja, es war natürlich brutal ehrlich, äußerst brutal sogar, wenn sie eingestand, dass das Volk der Firrerreo dem Untergang geweiht war. Und dennoch lag genau hierin der entscheidende Punkt. Obwohl es ihrer Sicht, den Versuch, die Jedi widerstandslos mitzunehmen, in Gefahr brachte, war sie nichtsdestotrotz ehrlich gewesen. Das war vielleicht ein Stück weit eine Überraschung, mit der Sedrael vermutlich nicht unbedingt gerechnet hatte, andererseits aber spiegelte es doch sehr klar die Erfahrung wieder, die sie gerade mit dieser Frau geteilt hatte. Das Licht war wie mit einem Prisma geteilt worden und manche Strahlen mochten sich in der Dunkelheit der Hexe verlieren, andere jedoch waren sichtbar. Schwerlich zwar, aber dennoch. Auch wenn sie selbst es wohl nicht eingestehen würde. Früher oder später jedoch, wenn die Zeit der Dunkelheit vorüber war und das Licht generell wieder heller in der Galaxis strahlte, würden diese Strahlen des Prismas besser sichtbar werden, klarer zu Tage treten. Das würde ein steiniger Weg sein, auch für Sedrael. Alles andere wäre naiv und dumm gewesen. Wo würde dieser Weg nun also hingehen? Die Frau, deren Namen Sedrael noch immer nicht kannte und der letztlich auch in keiner Weise etwas zur Sache tat, ließ der Jedi selbst die Entscheidung. Das hatte sie nicht erwartet, schließlich wollte die Dame sie ursprünglich namens einer sogenannten Inquisition in Arrest nehmen – daher war sie davon ausgegangen, dass die Frau ihr den Willen aufzwingen und nicht sie gewähren lassen würde. Es war eine ganz neue Erfahrung, nach so langer Zeit, wieder selbst darüber bestimmen zu können, was man tat. Zumindest so weit darüber bestimmen konnte, wie es nicht ohnehin schon die Macht selbst einem bewusst oder unbewusst vorgab. Nachdenklich hob Sedrael ihren Blick und sah die Frau wieder an.
„Tut Ihr, was Ihr tun müsst“, entgegnete sie zunächst und spielte damit auf das wohl Unvermeidliche an, das die Person neben ihr schon lange beschlossen hatte. Die Sephi hatte keinen Zweifel daran, dass sie diese Erschütterung der Macht durch ihre Heimatwelt noch in Tagen spüren konnte und es lange andauern würde, ehe diese offene Wunde zu einer notdürftig verheilten Narbe wurde, die sie immer mit sich tragen würde. Erst wenn das vorüber war, würde Sedrael die Gedanken finden können, die notwendig waren, um den neuen Weg bestimmen zu können. Nun, das war das Leben und das Schicksal eines jeden Machtbegabten. Er nahm auf die eine oder andere Art teil am großen Ganzen, innerlich wie äußerlich, gefühlt wie gezeigt. Nicht zuletzt deshalb war es nicht immer ein leichtes Los, und nicht selten hätte Sedrael es vorgezogen, nur ein normales Kind gewesen zu sein. Doch die Macht suchte sich diejenigen, durch die sie sprach, nicht umgekehrt. Und wer was sie nun, die allumfassende Existenz, die Leben und Tod, Gut und Schlecht, Freude und Leid ununterbrochen in die gesamte Galaxis trug, in Frage zu stellen und sich ihr zu verweigern? Es wäre sowohl töricht als auch auf lange Sicht ohnehin unmöglich. Wenn die Macht durch einen sprechen wollte und diese Person dazu erkoren hatte, konnte diese sich auf kurz oder lang nicht dagegen wenden. Ebenso wenig wie Sedrael sich jetzt dagegen wenden konnte und auch nicht würde, mit der finsteren Frau mitzugehen.
„Nur Antworten auf Fragen werden schließlich das Ziel benennen können. Wir werden sehen, welcher Weg uns darin gewiesen wird“, fügte sie dann hinzu. Sedrael würde darüber meditieren müssen, was der nächste Schritt werden sollte, ja und sie würde sich darüber informieren müssen, wie überhaupt der Zustand in der Galaxis war. Sie war unwissend, uninformiert und ahnungslos wie ein Kind, das man an die Hand nehmen musste, um es durch die komplizierten Straßen und Gabelungen eines Stadtplaneten zu führen. Diese weltliche Unwissenheit musste sie ausräumen, ehe sie sich spirituellen Fragen dieser Galaxis zuwenden konnte. Fragen über die Inquisition, über das Imperium, die Jedi. Ja über so vieles der letzten, endlosen Jahre. Und auch Fragen über ihre neue Begleiterin, die ihr zeigten, wer diese Person war und was ihre Stellung innerhalb ihrer… Organisation war. Das alles war entscheidend, vielleicht nicht entscheidender als die Gefühle, die in der Frau strömten, doch ohne das Verständnis der weltlichen Person war auch das Verständnis der geistigen Persönlichkeit nur schwer möglich, selbst mithilfe der Macht. Erst wenn dies einigermaßen klar war, würde auch klar werden, welches Ziel die beiden einschlagen würden.

Als die Fähre einige Meter entfernt mit nach oben gezogenen Flügeln am Boden zum Stillstand kam, war es Zeit zu gehen. Neben ihr zeigte die Finsternis den Weg in den Abgrund, einen mit Leichen gepflasterten Weg. Der Weg in eine trostlose, tote Wüste, die nur durch genügend Stärke und Fürsorge fruchtbar gemacht werden konnte. Wem das nicht gelang, der würde enden wie der am Boden liegende Firrerreo, der sie anstarrte. Sedrael starrte zurück. Ja, sie würde dem Tod ins Auge sehen, nicht nur hier, nicht nur dem ihren, sondern dem anderer. Doch sie hatte Erfahrung mit dem Tod, Jahre lang hatte sie hier nichts anderes erlebt und sie hatte sich nicht darin verloren. Das war vielleicht ihr Hoffnungsschimmer, auch wenn ihr jede Pore ihres Körpers sagte, dass diese der Vergangenheit nur eine kleine Etappe dessen gewesen war, was ihr jetzt bevorstand und das auf sie wartete. Wenn sie sich darin verlor, war sie auf vielerlei Art toter als der bald verwesende Körper des Mannes zu ihren Füßen. Sich dessen bewusst wandte sie ihren Blick ab und trat auf das Shuttle zu. Nur ein Mal blieb sie noch stehen, als sie einen ein paar Zentimeter langen, aschfarbenen Stein vom Boden an sich nahm und einsteckte. Vielleicht das Letzte, das sie jemals von ihrer Heimat berühren würde. Sedraels Gesicht schien blasser und farbloser zu sein als normalerweise schon, sie blinzelte die Feuchtigkeit in ihren Augen weg und stieg schließlich in das ihr bereits jetzt unangenehme Gefährt, ohne sich noch einmal umzusehen.
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