#34
Die Wahrheit konnte schmerzhaft sein, aber sie war keine Überraschung. Ja, Sedrael hatte damit gerechnet. Die Finsternis, die in schwarzgeflügeltem Nebel die dunkle Frau umhüllte, hatte ihre Entscheidung getroffen. Trotz allem fiel Sedrael es schwer, dies zu akzeptieren. Sie hatte jahrelang auf diesem Planeten gelebt, es war ihre Heimat. Sie hatte ihr Bestes getan, um den Firrerreo den Weg in den unaufhaltsamen Tod angenehmer werden zu lassen. Das war nicht viel, im Grunde genommen nichts. Es hatte das Schicksal nicht geändert, es hatte es lediglich erträglicher gemacht. Doch vielleicht war es doch ein Fehler gewesen. Vielleicht war genau das etwas gewesen, das sie nicht hätte tun sollen. Ja, vielleicht die Macht Firrerre als Mahnmal auserkoren, als Mahnmal des Bösen. Doch musste es ausgerechnet Firrerre sein? Der Planet, der ohnehin schon so gelitten hatte. Dahingerafft von der todbringenden Seuche, reduziert auf die Ärmsten der Armen. Aber dann wurde Sedrael bewusst, dass es vermutlich genau daran liegen musste.
Nur wenn das Gute ausreichend über das Schlechte definiert war, würde es zu dem breiten Konsens gelangen, der notwendig war. Und wenn dafür ein mörderisches Terrorregime in der Galaxis wüten musste, um dieses eine Ziel zu erreichen, dann war das tragisch, zweifellos bedauerlich, aber notwendig.
Sedraels Blick senkte sich, als sie sich ihre eigenen Gedanken von eben in Erinnerung rief. Tragisch und bedauerlich empfand sie in diesem Kontext zwar als weit untertrieben. Es zerrte vielmehr an ihrem Herzen und drohte es zu zerreißen. Aber ja, es war wohl notwendig. Wenn die Macht es nicht als notwendig ansah, würde sie es zu verhindern wissen. Vielleicht tat sie das noch? Irgendwie? Schwache Hoffnung keimte auf, aber wenn sie ehrlich war, glaube sie selbst nicht daran. Firrerre war schon vor Jahren gestorben. Und sie hatte am toten Patienten operiert. Wahrscheinlich war sie deshalb einfach nicht in der Lage gewesen, sichtliche Besserung zu bringen. Firrerre sollte untergehen. Es war schon vor Jahren entschieden worden, auch wenn Sedrael das bis jetzt nicht wahrhaben wollte. Es musste sein. Sie durfte und würde nicht an der Weitsicht der Macht zweifeln.

Angestrengt presste die Sephi ihre Lippen aufeinander und betrachtete ihr ausgeschaltetes Schwert, dessen Griff immer noch auf die Frau gerichtet war. Mit einem einfachen Drücken des Aktivierungsknopfs hätte ihre gelbe Klinge die Frau womöglich durchbohrt und den ganzen Schrecken hier und jetzt beendet. Möglicherweise hätte Firrerre so eine Überlebenschance. Konnte sie das? Wollte sie das? Es wäre so leicht, nur ein kleiner Kraftaufwand, den Knopf zu betätigen. Die Frau achtete nicht einmal auf sie, hatte ihr den Rücken zugewandt. Verführerisch krähte ein Rabe hinter ihr, flatterte, aber sträubte sich. Sedrael blickte hinter sich, als suche sie nach der Ursache des Geräuschs. Nichts. Einbildung? Vielleicht, aber es spielte keine Rolle. Der kurze Moment des Aasfressers hatte sich aufgelöst. Nein. Sedrael senkte den Griff ihres Schwertes und machte ihn wieder an ihrer Hüfte fest. Es war vorüber. Die Macht war ihr Verbündeter, ihr Mentor. Nicht ihr Feind und nicht ihr Herausforderer. Sie würde dem Weg folgen, der ihr gezeigt worden war und nicht einen völlig Neuen einschlagen, der mit einer Leiche gepflastert war, so abstoßend und widerwärtig diese Person auch sein mochte. Und doch war sie auch auf eine Weise anziehend, wenn auch weniger die Person selber. Magnetisch zog die Machtaura an Sedrael, so neu, so anders. Verstörend anders. Innerlich hoffte sie bereits, dass sie ihre Entscheidung nicht bereuen würde und dass sie irgendwann auch wieder in der Lage sein würde, sobald die Zeit gekommen war, sich auch wieder von dieser Frau zu lösen. Doch aktuell schien es sich auf eine merkwürdige Art richtig anzufühlen, nicht mehr so wie noch zu Beginn des Gesprächs. Hatte sich eine neue Weggabelung aufgetan? Quel-Tuus hatte von Jedi gesprochen, doch war das sehr vage und bruchstückhaft gewesen. Sie konnte ihre Zukunft aber nicht in Hoffnungen und Gerüchte setzen und dafür die Gelegenheit, die sich heute auftat, ausschlagen – denn vielleicht kehrte sie nie wieder. Ohne Zweifel war es das, was sie tun musste, was die Macht von ihr verlangte.
„Ja“, entgegnete sie der Frau und reihte sich in die knappen Antworten ein. Es war alles gesagt. Abschied? Von wem? Die meisten derer, mit denen sie zu tun hatte, waren tot. Wenn dieser Planet dem Untergang geweiht war, dann gab es an dieser Stelle nichts mehr zu sagen. Keine ihrer Worte hätten jemandem jetzt noch helfen, geschweige denn ihn retten können. Die Inquisitorin würde es nicht erlauben. Quel-Tuus mochte zumindest einige der Gesunden aus dem Medi-Lager evakuieren können, da war sich Sedrael sicher. Zumindest wenn er fortkam, bevor das große Morden begann. Es würde zwar an der Katastrophe nichts ändern, die dem firrerrischen Volk anheimfiel, doch es würde vielleicht immerhin nicht zu seiner vollständigen physischen Vernichtung führen. Das Verbrechen würde bestehen bleiben und die Fratze genug offenbaren, um die Galaxis wieder einen Schritt in die richtige Richtung machen zu lassen. Es gab für sie zudem nichts zu holen, keinen Besitz. Das Weltliche war längst wertlos. Firrerre war abgeschlossen, nach außen wie nach innen.
„Wo werdet Ihr mich hinführen?“
Sedrael machte ein paar vorsichtige Schritte vorwärts, bis sie neben ihrer neuen… nun, was war diese jetzt für sie? Zweifellos blieb die Frau auch weiterhin eine Gegenspielerin, eine tödliche sogar. Und doch auch eine Art Gefährtin. Sie bedeutete das Ende eines alten, langen Kapitels und den Beginn eines neuen. Sie bedeutete den finstersten aller Tode und gleichzeitig die Sehnsucht, nicht vollständig verloren zu sein. Ja, sie war das Enigma, das es zu entschlüsseln galt. In ihrer neuen Bekanntschaft schimmerte der Zustand der Galaxis. Nur ein einzelner Stoß konnte bedeuten, dass die Galaxis in eine neue Sonne getaucht wurde – doch ein Stoß in die falsche konnte ebenso gut alles noch viel schlimmer machen.
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